SoVD-Podcast: Age-Friendly-City Hamburg
Was kann und muss die Hansestadt mit Blick auf den demografischen Wandel tun?
Age-Friendly-City Hamburg: Fragen und Inhalte
01:10 Demografischer Wandel: Worauf muss sich Hamburg einstellen?
03:04 Was muss eine altersfreundliche Stadt leisten?
06:17 Hamburg 2030: Die „neuen“ Alten zwischen Digitalisierung und Armut
11:43 Senior:innen-Zentren: Dreh- und Angelpunkt für gutes Älterwerden
16:51 Altersdiversität, Kultursensibilität und Bedürfnisvielfalt
20:08 Gut, gesund und zu Hause altern: Bedarfe der Älteren
27:07 Age-Friendly-City: Was kann Hamburg von Aarhus (Dänemark) lernen
Armut erschwert gutes Altwerden. Armut ist die wesentliche Kategorie fürs Einsam sein. Wenn ich krank bin, wenn ich immobil bin, wenn ich eben auch arm bin, dann habe ich es viel schwerer, nicht nur formal die Wohnung zu verlassen. Es ist viel schwieriger, Hürden zu überwinden, soziale Netzwerke zu stärken. Wenn wir Armut nicht bekämpfen, werden sich daraus viele Folgethemen für die Älteren ergeben.
“Zu Gast ist Karin Haist, Demografie-Expertin der Körber-Stiftung in Hamburg. Sie unterstützt Städte und Kommunen dabei, altersfreundlicher zu werden und den Herausforderungen unserer alternden Gesellschaft zu begegnen. Denn die Baby-Boomer gehen in den kommenden Jahren in Rente – und sie sind nicht nur sehr viele, sondern denken auch ganz anders als die Generationen vor ihnen. Schon am Ende dieses Jahrzehnts wird in Hamburg jede:r Dritte über 65 Jahre alt sein und die Altersarmut wird weiter zunehmen. Darauf muss sich Hamburg in der Zukunft einstellen. Gemeinsam sprechen wir darüber, was eine Age-Friendly-City eigentlich ist, gehen der Frage nach, warum andere Städte schon deutlich weiter sind als Hamburg und welche besondere Rolle Senior:innen-Zentren vor Ort im Quartier dabei spielen – für die ältere Generation, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes.
Age-Friendly-City Hamburg: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
KH: Karin Haist
SR: „Sozial? Geht immer!“ – der Podcast des SoVD Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Einmal im Monat diskutieren wir soziale Fragen und Problemlagen, haken nach und geben Antworten. Immer im Blick: Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Chancengleichheit. Sie wollen keine Folge mehr verpassen? Dann abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcast-Plattformen.
Herzlich willkommen zu unserem Podcast „Sozial? Geht immer!“ vom Sozialverband SoVD hier in Hamburg. Mein Name ist Susanne Rahlf.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD Hamburg.
SR: Heute zu Gast haben wir Frau Karin Haist. Frau Haist ist schon seit sehr langer Zeit bei der Hamburger Körber-Stiftung aktiv und entwickelt vor allen Dingen Projekte, die sich mit der Integration von Menschen im Alter in der Stadt und dem demografischen Wandel beschäftigen. Herzlich willkommen, Frau Haist.
KH: Ganz herzlichen Dank für die Einladung, Herr Wicher und Frau Rahlf. Es ist sehr schön, bei Ihnen zu sein.
01:10 Demografischer Wandel: Worauf muss sich Hamburg einstellen?
SR: Es geht um die altersfreundliche Stadt oder auch Age-Friendly-City genannt. Was ist denn die Age-Friendly-City eigentlich genau?
KH: Vielleicht fange ich ein Stück vorher an. Eine altersfreundliche Stadt brauchen wir deshalb, weil unsere Gesellschaften, nicht nur in Deutschland, stark altern. Wir glauben, der demografische Wandel ist einfach lokal und vor Ort zu gestalten. Das ist kein Damoklesschwert, das über uns schwebt, wenn wir älter werden. Wir müssen es vor Ort in der Kommune anpacken. Da gibt es ein Leitbild der Weltgesundheitsorganisation, was eine altersfreundliche Stadt sein könnte.
KW: Wir müssen das in das Bewusstsein der Hamburger Bevölkerung einpflanzen und vor allen Dingen der Politik. Es ist nicht so, dass das vielleicht kommt oder eventuell, sondern es kommt ganz sicher. 2030 sind ungefähr 30 Prozent der Hamburger Bevölkerung über 60 Jahre alt sind. Die Zahl der Hochaltrigen, also über 80 Jahre, wird dramatisch zunehmen. Das müssen wir in den Blick nehmen.
KH: Da haben Sie vollkommen recht. Das begegnet mir immer und überall, auch in der Wirtschaft. Das Wort demografischer Wandel wird ausgesprochen, aber eher verdrängt.
KW: Das Thema Armut wird oft dabei ausgeblendet. Tatsache ist, dass gerade die älteren Menschen, das können wir an Statistiken erkennen, an vielen Begegnungen in der Stadt immer ärmer wird. Das ist ein Punkt, den wir in den Mittelpunkt stellen müssen. Es geht um Begegnungsstätten, es geht um kostenfreie Teilhabe und Ähnliches.
03:04 Was muss eine altersfreundliche Stadt leisten?
KH: Altern ist immer differenziert zu sehen. Ökonomische Verhältnisse bedingen ein sehr unterschiedliches Alter. Es gibt noch andere Merkmale. Was ich einfach sagen wollte zur altersfreundlichen Stadt nach der WHO, die ihrerseits vor 15 Jahren viele Städte weltweit befragt hat: Wie geht die Stadt mit der Alterung der Gesellschaft um? Was gehört dazu? Was ist die kommunale Aufgabe? Es gibt jetzt einen spannenden Katalog von Handlungsfeldern, der vorgeschlagen wird, für eine Stadt, die sich besinnt, tatsächlich zu reagieren auf ihre Alterung. Dazu gehören Infrastruktur, Mobilität, denn der Nahverkehr muss für alte Mitbürger garantiert sein. Eine Stadt muss einen öffentlichen Raum barrierefrei gestalten. Zur altersfreundlichen Stadt gehören auch soziale Handlungsfelder dazu. Es geht darum, dass Menschen nicht diskriminiert werden, dass wir wirklich an Menschen denken, die vielleicht eine internationale Familiengeschichte haben und ganz andere Erfahrungen im Alter machen. Es zählt zur altersfreundlichen Stadt natürlich auch, was in der Kommune sowieso zur Aufgabe gehört: Gesundheitsdienstleistungen, Begegnungsort oder Information und Aufklärung. Ich muss wissen, in einer Stadt, in der ich gut alt werden will, was es gibt, wo ich hin kann, wo ich mich informieren kann oder welche Ansprechpartner es gibt.
KW: Das sind die Punkte, die uns an dieser Stelle bewegen. Gucken wir uns die Infrastruktur an und die öffentlichen Plätze. Es geht immer um Barrierefreiheit und es geht immer darum, dass wir auch anerkennen müssen, dass wir im Alter vielleicht nicht mehr ganz so schnell und nicht mehr so sicher auf den Beinen sind. Es ist erforderlich, dass die Menschen zum Beispiel von Bank zu Bank gehen können, von einer Ruhebank oder sich in Aufenthaltszonen bewegen müssen. Im Winter zum Beispiel sind diese Bänke gar nicht nutzbar, weil sie nass oder verschneit sind. Das heißt, wir müssen neu überlegen, wenn wir so viele ältere Menschen haben, wie wir das machen wollen? Wie können wir es schaffen, dass diese Menschen an der Gesellschaft an jeder Stelle auch teilhaben können?
KH: Barrierefreiheit, Aufenthaltsqualität, Orientierung im öffentlichen Raum. Das sind sehr wesentliche Aspekte. Ich würde die altersfreundliche Infrastruktur auch dazu zählen. Es geht auch darum, dass ich Anreize habe, als älterer Mensch das Zuhause zu verlassen und mich im öffentlichen Raum wirklich wohlzufühlen. Dass ich mich sicher bewegen kann, dass ich auch teilhaben kann, auch schon an öffentlichen Orten stattfinden kann.
06:17 Hamburg 2030: Die „neuen“ Alten zwischen Digitalisierung und Armut
SR: Herr Wicher, sie sagten, dass 30 Prozent der Hamburger Anfang der dreißiger Jahre über 60 Jahre alt sind, das ist ein Drittel aller Hamburger. Was machen sie eigentlich den ganzen Tag? Wie leben die Menschen hier noch in der Stadt? Wo kommen sie zusammen? Kommen sie überhaupt zusammen? Wie wird das aussehen? Können Sie dazu Prognosen abgeben?
KH: Vielleicht ist es jetzt auch wichtig, an dieser Stelle zu differenzieren. Herr Wicher, Sie haben das Jetzt im Blick – Menschen, die jetzt alt, vielleicht sogar hochaltrig sind. Was uns vor allem ab 2030 oder ab jetzt schon sehr beschäftigen wird, ist die Babyboomer-Generation, die großen geburtenstarken Jahrgänge, die erst anfangen ins Alter zu wachsen, die jetzt gerade anfangen, verrentet zu werden. Etwa eine Million Menschen pro Jahr, die sich in keiner Weise alt fühlen. Da geht es noch nicht um die Barrierefreiheit, da geht es um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, das noch von vielen auch sehr selbstständig bewältigt werden kann. Die Babyboomer sind eine im Wesentlichen gebildete, wohlhabende, aktive, gesündere Generation. Die Bedarfe werden sich sehr ändern, ohne dass ich in Abrede stellen will, dass wir natürlich Hochaltrige oder ältere Menschen und spezifische Bedarfe auch jetzt schon im Blick haben müssen.
KW: Sie haben recht, die Gesellschaft wird sich vielfältig entwickeln und die Interessen und Bedürfnisse älterer Menschen werden sich wandeln. Ich denke auch zum Beispiel an die Digitalisierung. Wir wissen, dass das zunehmen wird und wir wissen auch, dass die ältere Bevölkerung durchaus in der Lage ist, daran teilnehmen zu können.
KH: In hohem Maße sogar. Wir haben auch ein falsches altes Bild: Da sind nur Bedarfe, wir müssen Menschen ertüchtigen. Im Gegenteil, wir können auch sagen, digitale Tools sind durchaus eine Chance für gutes Altwerden. Vom Smart Home bis zur virtuellen Erfahrung. Ich kann virtuell Stätten meiner Kindheit besuchen oder Menschen begegnen.
KW: Das sind die Chancen. Es gibt auch Risiken. Wenn ich zum Beispiel kein Geld habe. Die Zahl derer, die in Armut leben, hier in der Stadt wird größer. So hat sich seit 2005 die offizielle Zahl verdreifacht. Da geht es nicht immer nur um die Frage: Kann ich damit umgehen? Sondern kann ich mir das überhaupt leisten? Das heißt, hier muss die Stadt viel mehr Fördermöglichkeiten zur Verfügung stellen, um diesen Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Gerade wenn ich einen Termin ausmache und kann das nur über das Smartphone oder über den Laptop machen, dann muss das leichter gehen.
KH: Digitale Kompetenz wird mit den Babyboomern auch im Alter sehr verbreitet sein. Wenn sie Armut sagen, müssen wir uns auch klar machen, aus Armut resultiert auch sehr viel anderes, was gutes Älterwerden erschwert. Armut ist eine ganz wesentliche Kategorie fürs einsam sein. Wenn ich krank bin, wenn ich immobil bin, wenn ich arm bin, dann habe ich es viel schwerer, nicht nur formal die Wohnung zu verlassen, sondern es ist auch einfach viel schwieriger, Hürden zu überwinden und soziale Netzwerke zu stärken. Armut ist nicht nur als solche zu bekämpfen, sondern wir müssen auch wissen, wenn wir es nicht tun, werden Themen wie Einsamkeit immer weiter verbreitet sein. Das kann fast schon eine Volkskrankheit genannt werden. Übrigens mit neuen Altersgenerationen, den Babyboomer, von denen ich gerade sagte, es sind vielleicht viel besser aufgestellt, auch die haben Risikofaktoren noch mal sehr vereinsamt durchs Alter zu gehen.
KW: Wir wissen den Zusammenhang von Armut und Krankheit. Wer arm ist, ist zunehmend kränker und wer arm ist, das ist ja das Schlimme an der ganzen Sache, stirbt auch deutlich früher als andere. Das heißt, die Lebensqualität mit Armut nimmt richtig deutlich ab. Das müssen wir sehen und sagen, da gibt es unterschiedliche Chancen, wenn wir alt werden in der Gesellschaft, sich überhaupt zu bewegen.
11:43 Senior:innen-Zentren: Dreh- und Angelpunkt für gutes Älterwerden
KW: Wir verfolgen das Thema Senioren-Zentren in der Stadt. Ich verweise darauf, dass München beispielsweise 32 solcher Zentren hat und noch ein paar Spezial-Zentren, wo die ältere Generation hingehen und ganz verschiedene Dinge mitmachen kann oder auch sich selbst einbringen kann. Wo Armut ein Thema ist, wo geholfen wird, wo beraten wird aus einer Hand und wo der präventive Hausbesuch schon umgesetzt wird. Der ist sehr gut vom Grundsatz. Der gehört in diese Zentren, damit sie vor Ort auch helfen können, die Menschen aus der Einsamkeit in solche Zentren holen können.
KH: Das ist natürlich ein Dreh- und Angelpunkt für eine Stadt, in der ich gut alt werden kann, wenn ich Orte habe, an denen ich mich wirklich außer Haus treffen kann. Die Alten- und Service-Zentren in München sind offensichtlich eine sehr gute Idee, aber wir haben natürlich ähnliche Einrichtungen. Auch in Hamburg gibt es das durchaus. Das Nachbarschaftsheim St. Pauli ist sehr niedrigschwellig. Es gibt auch Stadtteilzentren. Grundsätzlich ist die Idee natürlich, dass ich einen Anlaufpunkt für völlig unterschiedliche Dinge unter einem Dach finde, zum Beispiel Kultur, Bildungsangebote, vielleicht sogar Sport, Bewegung und Spieleangebote. Mich am selben Ort auch engagieren kann, jemand findet, der mich vermittelt, der mein Engagement braucht, am selben Ort Information vorzufinden. Was heißt es, in Rente zu gehen? Was heißt es, wenn ich einen Heimplatz brauche? Information nicht nur für Ältere, sondern auch für Angehörige. Das wäre auch sehr wichtig an so einem Ort. Es sind einfach am Ende genau die Orte, die es ermöglichen, dass ich, ob ich arm bin oder nicht, einfach eine Chance habe, unter Menschen zu gehen, teilzuhaben. Das können am Anfang sehr niedrigschwellige soziale Beziehungen sein, und sei es nur, dass ich dort irgendwo Kaffee trinken kann. Je niedrigschwelliger diese Häuser überhaupt sind und je weniger ich konsumiere, habe ich die Chance reinzugehen. Einladend müssen sie sein, ohne mich sofort in ein Programm zu zwingen. Das ist eine Antwort auf so viele Themen, die das Altwerden an Herausforderungen mit sich bringt. Oder auch als Chance.
KW: Das Tolle ist, wir lernen dort auch Menschen kennen, die im gleichen Alter sind, die ähnliche oder gleiche Probleme haben wie ich. Wir tauschen uns aus, wir helfen uns gegenseitig und das schweißt ja auch so eine Gemeinschaft vor Ort in den Quartieren zusammen. Ich finde, dass solche Seniorenzentren überfällig sind in Hamburg. Sie brauchen die Hauptamtlichkeit. In München sind, glaube ich, drei oder vier Mitarbeiter dort tätig. Das ist notwendig, damit das kontinuierlich läuft und die Menschen sozusagen ein Angebot finden.
Unsere Behörden sind auseinanderdividiert. Wenn ich jetzt sage, ich habe kein Geld und gehe zu einer Wohngeldbehörde, dann sagen sie mir: Nein, da bist du falsch, du musst erst mal zu einer Grundsicherungsbehörde, weil ich erst mal klären muss, ob ich Anspruch auf Grundsicherung habe. Das kann dort anders geregelt werden. Da können Menschen eingesetzt werden, die einem Auskunft geben und sagen: Ja, du hast kein Geld, jetzt gucken wir mal, wo du eigentlich Bedarf hast und wir stellen den Antrag. Wissen Sie, wie lang ein Antrag für die Grundsicherung ist? 19 Seiten. Das überfordert einen schon von der Menge. Wenn wir da in die Inhalte gucken, dann ist das einfach grausig. Hier entbürokratisieren und Hilfen bereitstellen aus einer Hand, das wäre eine tolle Möglichkeit. Das kostet nicht viel. Es wird ja immer gesagt, wir können uns das nicht leisten. Das rechne ich vor. Das kann sich die Stadt Hamburg leicht leisten.
KH: Zumal sie natürlich an anderer Stelle dadurch auch gewinnt. Jemand, der eine Sozialberatung eigentlich braucht, geht wahrscheinlich nicht sofort los, um zu sagen: Ich brauche bitte Hilfe an einem Ort, an dem ich sowieso bin. Ich sehe die Möglichkeit, es spricht mich jemand an. Natürlich habe ich dort auch die Chance, mich über viele andere Themen dort zu informieren. Was sie aber sagten, gilt insgesamt für die altersfreundliche Stadt. Das ist ein Querschnittsthema. Das nützt uns überhaupt gar nichts, wenn jemand einen offenen Seniorentreff hier macht und dort über Gesundheit nachdenkt und der demografische Wandel in der Innenbehörde wiederum etwas anderes bedeutet. Das muss grundsätzlich am besten, ich kenne das nur aus kleineren Städten, als Stabsstelle wirklich angesiedelt sein. Es ist ein Thema, dass wir, glaube ich, dass wir nicht umhin kommen, das sagten wir schon. Altersfreundlichkeit ist kein Beiwerk in unseren Kommunen oder auch Landkreisen. Das ist ein zentrales Thema für die Zukunft. Das müssen wir ganz oben schreiben und natürlich auch einen Querschnitt uns ansehen.
16:51 Altersdiversität, Kultursensibilität und Bedürfnisvielfalt
KH: Sie haben noch ein anderes, sehr spannendes Stichwort erwähnt. Ich kann an Trefforten, an wirklichen Stadtteil- oder Service-Zentren verschiedene Menschen treffen. Das ist, glaube ich, auch noch mal sehr wichtig, dass wir nicht nur in unserer Gruppe bleiben, sondern die Chance haben, im Alter oder vielleicht ganz grundsätzlich auch an öffentlichen Orten lernen, dass wir Diversität auch aushalten, dass wir wirklich auch auf andere Generationen stoßen, auf Menschen anderer Herkunft. Auch das ist, glaube ich, ein Thema, was wirklich dann gelingt, wenn wir uns sehr konkret vor Ort treffen.
KW: Das ist im Moment hochaktuell. Die Frage der Ausländerfeindlichkeit beispielsweise nimmt dramatisch zu und wir müssen aufpassen, dass wir uns dabei nicht selbst schädigen. Wir werden die Menschen, die aus dem Ausland kommen, ganz dringend notwendig haben, um zum Beispiel, was im Alter auch wichtig ist, die Pflege zu organisieren. Wer macht das? Wir haben einen riesigen Facharbeitermangel und da müssen wir gegensteuern. Eine wichtige Frage dabei ist, wie sehr können sich die Menschen, die hierher kommen und hier arbeiten wollen, wohl fühlen? Das geht nicht, indem Ausländer beschimpft werden und sie sozusagen nach außen weise. Was wir jetzt gerade gehört haben, diese Versammlung, wo die Menschen mit ausländischer Herkunft massenweise zurückgeführt werden sollen. Das sind Themen, die uns und unserem Wohlstand schaden, das muss jeder wissen.
KH: Zuzug oder Fachkräftemangel ist das eine. Wir haben auch Menschen, die einfach mit anderer Prägung oder mit anderen Voraussetzungen hier alt geworden sind. Jemand, der beispielsweise in den 60er Jahren kam, als Gastarbeiter in den Kohleminen gearbeitet hat oder am Fließband, der ist oft schneller gealtert, hat andere Bedarfe, hat womöglich nicht Zugänge und gute Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem erlebt in der Biografie. Das ist mir schon in Kommunen begegnet, dass es da eine ganz andere Art Altenarbeit braucht, womöglich auch aufsuchende Arbeit oder ein Verständnis dafür, dass ich nicht im Heim gepflegt werden will, wo ich doch eigentlich glaube, die Familie ist zuständig. Da müssen wir uns auch noch öffnen für völlig andere kulturelle Bedarfe, beispielsweise auch mal einen Blick in eine queere Community. Wenn ich ein Leben lang als schwuler Mann diskriminiert und ausgeschlossen wurde. Wenn ich kriminalisiert wurde, dann ist es ein riesiger Unterschied. Dann möchte ich womöglich auch nicht in jeder Institution nach wie vor diskriminiert werden. Dann brauchen wir wahrscheinlich spezifische Angebote. So was gibt es. In Zürich gibt es ein im Entstehen befindliches Wohn- und Pflegeheim für die queere Community. Wir müssen auch an die Regeleinrichtung denken. Die müssen sich öffnen. Es sind nicht alle alt und müssen irgendwo betreut werden, sondern wir haben verschiedene Lebensläufe, verschiedene Bedarfe, auch verschiedene Altersgenerationen. Das hatten wir schon mit den Babyboomern.
20:08 Gut, gesund und zu Hause altern: Bedarfe der Älteren
KW: Es gibt enorme Herausforderungen. Ich möchte an einen Punkt anknüpfen, wo ich finde, dass die Stadt was richtig Gutes macht. Hier wird einiges voran bewegt, zum Beispiel der niedrigschwellige Zugang zum Gesundheitssystem, Stichwort Gesundheitskioske. Es gibt natürlich eine ganze Menge anderer Angebote. Das führt natürlich dazu, dass das erstens vor Ort ist, also keine so weiten Wege, und dass das Bewusstsein, dass ich mich gesund ernähren muss, dass ich gesund leben muss. dadurch natürlich erheblich gefördert wird. Dieser Beratungsaspekt, glaube ich, ist eine gute Sache, was auch gut ist im Moment. Wir haben ja eine Fehlbelegung mit Ärzten. Ich sage mal, einige Arztgruppen stapeln sich in manchen Stadtteilen. Das wollte ich jetzt nicht negativ sagen, sondern das ist ihr Interesse. Die Kassenärztliche Vereinigung ist jetzt dazu übergegangen, dass sie zumindest hat: Jawohl, wir gründen selbst. Ein Kassenarzt sitzt dort, wo Bedarf ist. Das haben Sie jetzt in Rahlstedt gemacht. In Billstedt scheint der Bedarf auch hoch zu sein. Das, finde ich, sollten wir mal lobend erwähnen, damit das auch weiter betrieben wird.
KH: Gesundheitsberatung ist natürlich, wie so vieles, einfach sinnvolle Prävention und am Ende auch kostensparend. Das müsste viel häufiger bei vielen Themen mit einbezogen werden.
KW: Das Thema Wohnen geht uns sehr durch den Kopf. Vor allen Dingen der insgesamt nachlassende Wohnungsbau, aber vor allen Dingen auch in den Sozialwohnungen. Sozialer Wohnungsbau heißt auch, preiswerten Wohnraum für die Zukunft zu bereitstellen. Der muss barrierefrei sein, das ist klar, sonst bringt das nichts für die ältere Generation. Wichtig ist aber, dass das in Gang kommt. Da würde ich gerne mal fragen, wie da ihre Auffassung ist, wie wir da sozusagen so einen Schritt vorankommen. Was ist notwendig für die ältere Bevölkerung?
KH: Wir müssen vielleicht insgesamt noch mal das Thema Wohnen neu denken. Das ist ein ganz, ganz wesentlicher Baustein dafür, dass sie wirklich gut altern kann. Jeder, der jetzt, unabhängig von Einkommen oder sozialem Status, möchte so lange wie möglich, so selbstbestimmt wie möglich und selbstständig zu Hause alt werden, „Aging in Place“, zu Hause alt werden. Es ist sogar ein wissenschaftliches Konzept, was den Bereich sozialer Wohnungsbau genauso wie Menschen, die Eigentum besitzen, miteinbezieht. Da müssen unsere Strukturen so sein, dass ich die Möglichkeit habe, dass ich wirklich gesund altere und dass Beratung es für mich gibt. Wie kann ich das barrierefrei einrichten? Was zum Thema Wohnen und Alter auch sehr spannend bei der Babyboomer Generation ist. Armut ist auch dort ein Thema, vor allem Frauen, Menschen mit gebrochener Berufsbiografie. Im Großen und Ganzen hat die Mehrheit der neuen Altersgeneration durchaus Vermögen. Das betrifft auch das Thema Wohnen. Zwei Drittel der Babyboomer gehen mit Eigentum in die Rente oder wohnen sehr günstig, so dass wir eigentlich, wenn das Thema Wohnraum Knappheit auf den Tisch kommt, womöglich eine falsche Verteilung haben. Denn viele unserer Generationen der geburtenstarken Jahrgänge sind in den Achtzigern und 90er aufs Land gezogen, das Eigenheim war erschwinglich, irgendwann sind Partner oder Kinder weit entfernt. Das heißt, die Chance, in einem eigentlich zu großen Haus alt zu werden, bedingt nicht nur die Möglichkeit, vielleicht selber einsam zu werden, sondern es ist gar nicht immer erwünscht. Der große Garten wird irgendwann zur Last. Die Chance, dann in der Stadt oder irgendwo eine kleinere Wohnung zu finden, die bezahlt werden kann, ist sehr gering. Es könnte in einem Tausch organisiert werden, dann wäre das natürlich auch für sozial Schwächere oder für Familien sehr, sehr hilfreich.
KW: Tausch ist eine Möglichkeit, löst das Problem ist auch sehr schwer. Das wird das Problem insgesamt der Wohnungsknappheit und der Knappheit an preiswerten Wohnungen nicht lösen. Sie haben ja gesagt, da haben Sie möglicherweise auch recht, dass die jetzigen Babyboomer mehr Eigentum und Vermögen haben als die bisherigen Menschen, die alt geworden sind. Irgendwann hört das auch auf mit dem Babyboomer. Wenn ich mir die Rentenentwicklung angucke, dann muss ich sagen, da wird einem schwarz vor Augen. Unser Rentensystem an sich ist ganz gut, nur die Rentenhöhe nicht.
Jetzt 53 Prozent aller Rentner in Hamburg und Hamburg ist ein Hochlohnland, hat eine Rente bis 1.000 Euro. Die sind nicht alle arm, einige haben Vermögen. Nur weil sie auch wissen, dass der Mittelstand, der ja unsere Gesellschaft trägt, mittlerweile richtig in den Armutssog hineingezogen ist. Deswegen würde ich immer vorsichtig sein und sagen, da gibt es eine große Gruppe, Sie haben die Frauen benannt, die auch richtig Schwierigkeiten haben. Und wir haben ja Rekordbeschäftigung im Moment. Was immer nicht mit gesagt wird, ist, dass davon maximal die Hälfte überhaupt nur Vollzeit arbeitet. Wenn Sie als Reinigungskraft, Friseur oder Kassierer Vollzeit arbeiten, dann werden Sie auch in 45 Jahren keine Rente erwirtschaften können, von der Sie im Alter richtig leben können. Da sehe ich nicht nur die Rentenpolitik in der Pflicht, sondern auch Hamburg. Hamburg könnte zum Beispiel die Grundsicherung im Alter aufstocken. Macht übrigens München auch. München wird sozialdemokratisch regiert. Da gibt es Möglichkeiten und wir dürfen die Stadt da nicht aus der Pflicht lassen.
27:07 Age-Friendly-City: Was kann Hamburg von Aarhus (Dänemark) lernen
SR: Wir haben vorhin schon über die Age-Friendly-City gesprochen. Es gibt ein paar ganz große Vorbilder, an denen sich Hamburg orientieren könnte. Mir fällt dazu sofort Aarhus in Dänemark ein. Was macht Aarhus jetzt eigentlich so besonders? Oder warum sind sie so vorbildlich?
KH: Aarhus ist eine der Städte, die wir mit unserem Programm Expedition Aging City besucht haben, das heißt, wir waren mit deutschen Bürgermeister und Demografie Verantwortlichen vor Ort, um vor allem auch zu sehen, was es spezifisch macht gegen das Problem Einsamkeit. Grundsätzlich sind in Dänemark Städte in viel größerem Maße als hier verantwortlich für Gesundheit und Dienstleistung für Heime und ist insofern in seinem Health and Care Department sehr, sehr gut ausgestattet. Kommt uns erst mal traumhaft vor. In der 300.000 Einwohner Stadt. 5.000 Mitarbeitende machen aber auch umgekehrt wirklich eine ganz hervorragende Arbeit, sehr viel Prävention, sehr viel, was wir hier vertieft haben. Orte, die Menschen anlaufen können, zum Beispiel ähnlich wie München, womöglich sogar noch etwas weiter entwickelt. Stadtteilzentren, die wirklich offen sind, die einladen, die hauptamtliche Menschen haben und Angebote, Kurse und Ähnliches. Skandinavisch ist auch, eine Vertrauenskultur mit an Bord zu haben und Menschen, aber auch Räume zur Verfügung zu stellen. Ich muss, nur weil ich älter bin, nicht laufend bespielt werden. Man muss mir nicht nur was bieten, ich bin, da gibt es viele Beispiele, auch in der Lage selber zu organisieren. Ich habe meinen Chor, ich habe meine Parkinson Selbsthilfegruppe oder meine Band und da könnte man in Folkestedet in Aarhus einfach sagen, ich brauche einen Raum und es würde so weit gehen, dass man mir sogar den Schlüssel gibt und ich könnte da auch rein, ohne dass jemand da ist. Damit sind natürlich Räume und Anlaufstellen nochmal in einem anderen Maße attraktiv. Es gibt dort auch Mittagstisch, es gibt einfach niedrigschwellige, witzige Sachen, zu denen ich kommen will. Die ganzen Orte sind wiederum verknüpft, auch mit digitalen Angeboten. Es gibt eine Plattform, die heißt „GENLYD“, also „Echo“ übersetzt. Eine Plattform, an der ich jetzt als älterer Mensch Kontakte knüpfen kann, Information holen. Ich kann dort eine Gruppe anregen, kann aber auch sagen, jemand will mit mir am Freitag spazieren gehen. Diese digitalen Plattformen werden wiederum verknüpft mit realen Orten. Ich bin dort gehalten oder werde eingeladen nachzudenken über meine Stadt. Ich kann es wieder vor Ort dann auch noch mal mit Aktivitäten füllen. Das war ganz herausragend und vielleicht auch, was auch Mitarbeitende aus Hamburger Behörden fasziniert hat, grundsätzlich ein Verständnis von der Verwaltung, die sagt: Die Bürger müssen uns gar nicht brauchen, dann ist es gut. Die Bürger müssen so begeistert sein, dass sie uns eigentlich überhaupt gar nicht mehr anrufen. Sie müssen so viele gute präventive Angebote haben.
Aus Dänemark kennen wir auch schon sehr früh den präventiven Hausbesuch, der spannenderweise auch gestartet wurde als präventive Idee, um Kosten zu sparen. Ich habe die Möglichkeit, in Dänemark sogar das Recht, einen Besuch zu Hause oder auch woanders, zu erwarten von einem „Senior Counselor“, von Beratern, die mir ab dem 75. Geburtstag gern jährlich Informationen geben. Ich brauche soziale Beratung, möchte einfach über mein Leben reden, bin krank oder ich weiß nicht, wie ich in Sachen Wohnen helfen soll und es gibt informative Gespräche. Es gibt eine Verweisberatung und es ist einfach die Möglichkeit, wirklich mit jemandem, der etwas von der Sache versteht, mir selber über meine Lebenssituation klar zu werden und was wir auch zunächst befremdlich, aber dann doch spannend fanden.
So ein Treffen, so eine Beratung hat sogar zum Ziel, so was wie eine feste Vereinbarung zu machen. Mit dem Ziel, so lange wie möglich selbstständig zu leben. Was kannst du dafür tun? Wir als Stadt beraten dich, aber was ist für dich wichtig? Dann wird auch hinterher nachgehakt. Bist du denn tatsächlich regelmäßig zur Vorsorge oder hast du dich jetzt bemüht? Wirklich spannende Ideen. In Hamburg wird jetzt auch der präventive Hausbesuch eingeführt, aber das ist in einem kleineren Maße.
KW: Wir können uns das leisten, das ist eine frohe Botschaft. Das muss Politik umsetzen, auch bei knappen Haushaltsmitteln. Das sprengt einen Hamburger Haushalt nun in keiner Weise. Die Dänen sind viel offener, wenn es darum geht, Steuern und Abgaben zu bezahlen. Die Quote ist meines Wissens ja deutlich höher als in Deutschland, aber da gibt es gar keine Ängste, weil die wissen, ich kriege das zurück. Dieses Miteinander, das wäre ganz gut, wenn wir das hier kultivieren würden. Damit würden wir auch einen ordentlichen Schritt weiterkommen.
KH: Das ist, was die dänische Kultur ausmacht. Was uns schon aufgefallen ist, ist eine große Wertschätzung für das, was mir der Sozialstaat bietet oder was für die Allgemeinheit in der Kommune vorgehalten wird und auch umgekehrt. Ich kann mich dann als Bürger darauf verlassen, die trauen mir was zu und dann ist es wahrscheinlich auch wiederum umgekehrt. Dann wird das Vertrauen auch weniger enttäuschen.
KW: Es ist nicht nur, dass sie mir was zu trauen, sondern wenn ich was nicht schaffe, dann weiß ich, ich kann mich auf die Kommune oder auf den Staat verlassen. Dieses gegenseitige, das macht das eigentlich aus. Das sollten wir hier versuchen, auch in der Politik zu entwickeln, wenn es um beispielsweise Steuererhöhung und Ähnliches mehr geht. Das wird wie ein Schrecken Gebilde hier aufgebaut und in Wahrheit hilft es den Menschen weiter.
KH: Was solche Orte in Dänemark auch ganz, ganz aufregend macht. Es gibt dort nicht nur den klassischen Kanon, den wir uns so vorstellen, gibt einen Kaffee und gibt irgendwie zwei Kurse, sondern es gibt zum Beispiel auch die Verschränkung solcher Orte mit Ausstellung von Technologie, also mit Objekten, mit Hilfsmitteln, die mir ganz praktisch gutes Altern ermöglichen. Es gibt Ausstellung, die mir als älterer Mensch oder auch meinen Angehörigen zugänglich ist, und da kann ich sehen, was es gibt: innovativer Treppenaufgang, Rollator, tremorsicheres Essbesteck. Ich kann das nicht nur dort anschauen, ich kann es leihen, ich kann es erproben. Es wird eine Rückmeldung erwartet. Konnte dein Großvater damit umgehen? Zu sagen, wenn wir schon einen Ort haben, der öffentlich ist, dann machen wir da auch mehr als nur einfach Menschen bespaßen. Es gibt Treffpunkte für Ältere, wo sowieso Menschen sind, also beispielsweise in einem Bürgerbüro.
SR: Vertrauen zu schaffen, niedrigschwellig zu werden. Das sind ziemlich gute Eckdaten, um auch vielleicht in Hamburg neue Seniorentreffs zu entwickeln. Es ist auch wirklich gut, über den Tellerrand zu schauen. In anderen Ländern gibt es genau die gleiche Problematik. Wie gehen Sie damit um? Da könnte Hamburg sich doch noch an der einen oder anderen Stelle einiges abgucken.
Frau Haist, vielen Dank, dass Sie da waren. Das ist ein sehr umfangreiches Thema. Wir konnten nur einen ganz kleinen Teil beleuchten. Wir werden weiter dranbleiben und vielen Dank, dass Sie da waren und bis zum nächsten. Das war „Sozial? Geht immer!“ Der Podcast des SoVD in Hamburg. Abonnieren Sie uns auf den gängigen Plattformen und wenn es Ihnen gefallen hat, geben Sie uns dort gerne eine gute Bewertung ab oder Sie schicken uns Ihr Feedback an info@sovd-hh.de. Wir freuen uns, wenn Sie auch das nächste Mal wieder reinhören. Bis dahin halten wir Sie auf unseren Social Media Kanälen auf dem Laufenden oder besuchen Sie unsere Webseite sovd-hh.de.