SoVD-Podcast: Klimawandel und Armut
Welche Folgen hat der Klimawandel und was können wir tun, um soziale und wirtschaftliche Lasten gesamtgesellschaftlich zu schultern?
Klimawandel und Armut: Fragen und Inhalte
00:49 Klimawandel: Auswirkungen auf Wetter, Flora und Fauna
06:17 Anpassung an den Klimawandel: Herausforderung für Mensch und Landwirtschaft?
08:31 Klimaschutz als große Gemeinschaftsaufgabe
12:15 Klimaschutz: Geopolitik und Energieversorgung
15:13 Energie: Preissteigerung durch Klimawandel?
18:15 Bezahlbarer Grundbedarf an Energie für alle
21:01 Wie können wir die sozialen und wirtschaftlichen Lasten des Klimawandels schultern?
Es gibt zwei Bereiche, über die wir jetzt in den nächsten Jahrzehnten weiter intensiv reden werden. Das ist einerseits der Klimaschutz und das zweite ist die Klimaanpassung. Beide Bereiche werden von enormer Bedeutung sein.
“
Zu Gast ist Frank Böttcher, Wissenschaftler, Meteorologe und Extremwetterforscher. Er diskutiert mit uns darüber, welche Folgen der Klimawandel für unsere Gesellschaft als Ganzes hat und was die Veränderungen unserer Umwelt für Menschen die am Existenzminimum leben bedeutet – worauf müssen wir uns einstellen und wie müssen wir darauf reagieren?

Klimawandel und Armut: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
FB: Frank Böttcher
SR: „Sozial? Geht immer!“ – der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Herzlich willkommen zu unserem SoVD-Podcast. Mein Name ist Susanne Rahlf.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD in Hamburg.
SR: Heute zu Gast ist bei uns Frank Böttcher. Herr Böttcher ist Entwickler, Meteorologe und Organisator des ExtremWetterKongresses (EWK). Das Thema Wetter und Klima ist ihm sehr wichtig. Dazu gibt er regelmäßig in den verschiedensten Medien Impulse und Anregungen. Unter anderem ist Frank Böttcher Vorstandsmitglied der Hamburger Klimaschutz Stiftung.
00:49 Klimawandel: Auswirkungen auf Wetter, Flora und Fauna
SR: Wir sprechen heute über den Klimawandel und was das für Menschen bedeutet, die finanziell nur schlecht über die Runden kommen. Unsere Umwelt verändert sich immer dramatischer. Bei uns fliegen weniger Insekten. Es gibt längere Trockenphasen und mehr Niederschläge im Winter. Im letzten Jahr hatten wir eine unvorhergesehene, nie dagewesene Flut im Ahrtal. Das sind Auswirkungen, die das Klima bei uns inzwischen hat. Wir merken die Auswirkungen des Klimawandels immer mehr. Herr Böttcher, müssen wir uns auf solche extremen Wetterlagen jetzt einstellen? Ist das etwas, woran wir uns gewöhnen müssen?
FB: Ja, erst mal vielen herzlichen Dank für die Einladung. Und ja, es gibt durchaus Extremwetterereignisse, die durch den Klimawandel zunehmen. Andere verlagern sich in Regionen, in denen sie bisher nicht aufgetreten sind. Und es gibt auch Extremwetterereignisse, die seltener werden. Es ist nicht so, dass wir pauschal sagen können, alles wird irgendwie schlimmer, sondern es gibt einzelne Bereiche, die weniger stark für uns spürbar sind.
Wir haben global steigende Temperaturen. Wir liegen bei etwa 1,1 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit im globalen Mittel. Wir liegen in Deutschland inzwischen tatsächlich sogar bei 2 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit. Wir merken das auch bei den länger werdenden Hitzewellen. Sie werden häufiger, und wenn sie auftreten, werden sie auch intensiver.
Wir beobachten auch längere Trockenphasen. Das hat natürlich Folgen für die Landwirtschaft. Da müssen wir umplanen. Wir brauchen trockene, resistente Sorten und dergleichen. Es gibt auch Beispiele, wo wir sehen, dass Extremwetter weniger intensiv auftritt, zum Beispiel beim Wind. In Norddeutschland gab es an vielen Stationen eine Abnahme der Zahl der Sturmtage. In List auf Sylt sind es 19 Prozent in den letzten 30 Jahren im Vergleich zu den 30 Jahren davor. In Hamburg sind es 12 Prozent weniger Sturmtage, in Hannover 31 Prozent weniger.
Das ist wirklich signifikant und damit gehen schon auch eine ganze Reihe weiterer Veränderungen einher. Aber wir müssen es tatsächlich differenzieren.
KW: 1,5 bis 2 °C mehr im Mittel klingt irgendwie nicht extrem viel. Wie ist denn das zu beurteilen?
FB: Es ist tatsächlich im historischen, erdgeschichtlichen Maßstab wirklich enorm. Wir befinden uns in einer Erwärmungsphase, die so stark ist wie keine zuvor in den letzten 800.000 bis 1 Million Jahren. Der Temperaturanstieg ist deshalb wirklich wichtig zu beobachten und auch mit ihm umzugehen, weil der Anstieg so unglaublich schnell vonstattengeht. Wir sehen natürlich, dass wir Migrationsbewegungen haben bei Flora und Fauna.
Aber nicht alle Arten, die beispielsweise unter Druck geraten, können sich so schnell in neue Regionen voran bewegen. Um mal ein Beispiel zu nennen: die Kartäuser-Nelke. Eine Pflanze, die bei uns in Mitteleuropa verbreitet und heimisch ist. Deren Habitat verlagert sich in Richtung Nordost-Europa und zwar mit einer Geschwindigkeit, die etwa 1.000 Kilometer in den nächsten 30 Jahren ausmacht.
Diese Pflanze kann sich aber gar nicht so schnell Richtung Nordosten verbreiten, weil das Saatgut sich nicht so schnell in diese Richtung ausdehnen kann. Von Südwesten her wird ihr bisheriges Territorium vom Klimawandel beeinträchtigt und die Lebensbedingungen werden so eingeschränkt, dass sie dort nicht mehr existieren kann. Dann sprechen wir davon, dass Arten unter Druck kommen und langsam weiter auswandern. Es setzen sich neue Formen der Habitate zusammen und einige Arten sterben auch ganz aus.
Es gibt zum Beispiel einen kleinen Käfer, einen Kurzflügler, der hat eigentlich keine Flügel, sechs Beine und ist eine endemische Art oben auf dem Schafstein in der Rhön. Das ist ein Berg in den Mittelgebirgen, 832 m hoch und ist ein Überbleibsel der letzten Eiszeit. Also diese Käfer-Art lebt da seit der letzten Eiszeit.
Dort auf dem Schafstein gibt es ein Geröllhalden-Gletscher. Bei uns in den Mittelgebirgen gibt es tatsächlich auch Gletscher, aber unter den Steinen. Das ist ein Relikt der letzten Eiszeit. Die Gletscher schmelzen jetzt weg. Von einem ist schon gar nichts mehr da und der zweite schmilzt ziemlich schnell.
Dann wird dieser Käfer einfach dort sein Habitat verlieren. Die Umgebung wird viel zu warm und er kann von dort aus nicht seine sechs Beine nehmen und in Richtung Skandinavien laufen, um den nächsten Gletscher zu finden, sondern der wird einfach vor Ort aussterben. Die nehmen wir quasi aus dem System Erde, aus dem Ökosystem heraus.
Es passiert eben mit unendlich vielen Arten im Moment auf diesem Planeten. Und die größte Sorge ist, dass wir beim Verschwinden dieser Arten irgendwann auch eine der tragenden Stützen in unserem Ökosystem verlieren. Dann wird für uns auch als Menschheit ein bisschen enger.
06:17 Anpassung an den Klimawandel: Herausforderung für Mensch und Landwirtschaft?
SR: Herr Böttcher, das hört sich für mich beängstigend an, auch wenn wir jetzt hier nur von kleinen Käfern sprechen. Aber soweit ich das aus meinem Bio-Unterricht weiß: ohne Insekten funktioniert in der Landwirtschaft zum Beispiel gar nichts. Also da wird sich wahrscheinlich auch in der Landwirtschaft sehr viel verändern müssen. Diese Anpassung an den Klimawandel wird auch da eine große Herausforderung sein. Werden wir demnächst nur noch Hirse und Sachen anbauen, die sonst in Afrika zu finden sind, oder wie wird sich unsere Ernährung verändern müssen?
FB: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, wir werden auch was die Ernährung angeht, weiterhin eine große Vielfalt haben. Wir werden sicherlich noch viel intensiver als in den letzten Jahrzehnten Bienen haben, die dann auch tatsächlich von Imkern gehalten werden, dann quasi auf Wanderschaft gehen durch die Landschaft und dort dann die Bestäubung vornehmen. Es gibt so wunderbare Geschichten und Bücher über die Bienen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft und das ist tatsächlich auch so.
Man sieht auch, dass diese Bienenvölker inzwischen einen großen Wert haben, denn die werden immer wieder geklaut. Wenn Imker ihre Bienen auf Reisen schicken zu landwirtschaftlichen Betrieben, wo es dann eben im alten Land oder auch in anderen Regionen wichtig ist, damit die Obstbäume befruchtet werden, dann ist es so, dass ab und zu diese Bienenstöcke geklaut werden.
Das wird sicherlich etwas sein, wo man merkt, da steigt der Wert, da müssen wir lernen mit umzugehen. Wir sind auch eine unglaublich anpassungsfähige Art. Deshalb kann ich verstehen, dass diese Menge an Berichterstattung und auch die Szenarien, wenn wir sie jetzt immer wieder vor Augen geführt bekommen, durchaus in der Gesellschaft Ängste verursachen.
Wir haben wirklich genug Anpassungsfähigkeit, um damit umzugehen. Das müssen wir auch, und das werden wir auch. Wir sind besonders gut, wenn wir unter Druck geraten. Das sind wir jetzt. Wir sehen schon, dass wir uns jetzt wirklich mit großer Geschwindigkeit auch in die richtige Richtung bewegen, sodass wir auch für die nächste Generation einen Planeten erhalten können, der für uns lebenswert bleibt und auch eine gute Grundlage bleibt.
08:31 Klimaschutz als große Gemeinschaftsaufgabe
KW: Es wird, was den Klimawandel angeht, viel Alarm gemacht und wir müssen einschätzen, was ist da dran, welche Änderungen kommen auf uns zu, wo müssen wir uns einschränken?
FB: Es gibt zwei Bereiche, über die wir jetzt in den nächsten Jahrzehnten weiter intensiv reden werden. Das ist einerseits der Klimaschutz und das zweite ist die Klimaanpassung. Beide Bereiche werden von enormer Bedeutung sein. Der Klimaschutz ist deshalb so wichtig, weil wir mit dem Klimaschutz auch jetzt nach wie vor durch alle Maßnahmen Weichen stellen für das, was in 30, 40 und 50 Jahren auf unserem Planeten passiert.
Deshalb sind internationale Abkommen so enorm wichtig. Deshalb ist es auch so enorm wichtig, dass jedes Land zu diesem internationalen Abkommen seinen Beitrag leistet. Deshalb ist es auch wichtig, dass jeder Einzelne, jedes Unternehmen, jede Mitarbeiterin bei sich selber schaut. Was kann aber dazu beitragen, dass die einzelnen Nationen ihre Ziele erreichen? Nur dann kann es gemeinsam gelingen. Das ist tatsächlich eine große Gemeinschaftsaufgabe.
KW: Wenn ich das richtig verstehe, dann geht es ja darum, bei der CO2-Bilanz Einsparungen zu machen. Das trifft unsere Gesellschaft. Da müssen wir natürlich auch gucken, dass wir uns dort verändern.
FB: Das ist enorm wichtig. Wir emittieren im Moment 40 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre pro Jahr und das sind einfach gigantische Mengen. Wir sehen aber, was passiert, wenn internationale Abkommen eingehalten werden. Wir haben das beispielsweise beim Montrealer Protokoll gesehen für das Ozon. Unmittelbar danach wurde eben das Verbot für Ozon auch umgesetzt. Das heißt, es wurden keine Fluorchlorkohlenwasserstoffe mehr in die Atmosphäre hineingegeben, die dann in der Lage sind, in den höheren atmosphärischen Schichten die Ozonschicht zu zerstören.
Es bedarf dann eines Zeitraums von 20 Jahren, bis sich dann tatsächlich das Ozonloch nach und nach wieder geschlossen hat und ein stabiler Zustand da war. Durch die Ortung per Satellit konnten die Emissionsquellen unterbunden werden, wenn in China an irgendeiner Fabrik Fluorchlorkohlenwasserstoffe emittiert wurde.
Da haben tatsächlich auch alle an einem an einem Strang gezogen. Beim Kohlenstoffdioxid ist das viel schwieriger, weil es eine Substanz ist, die in so vielen Bereichen frei wird, die für uns gesellschaftlich im Moment noch so enorm relevant sind.
KW: Wie schnell müssen wir sein, Herr Böttcher? Es wird sehr auf Tempo hingearbeitet. Plötzlich sind Parteien, Umweltschützer:innen, die man früher in diesem Bereich gar nicht gehört und gesehen hat, da.
FB: Das ist tatsächlich so. Übrigens, manchmal ist man ganz überrascht. Die erste Partei, die Umweltschutz ins Parteiprogramm geschrieben hat, war damals die FDP. Der erste Abgeordnete, der quasi als Grüner im Bundestag war, war parteilos und jemand, der vorher aus der FDP ausgetreten ist, weil er das Thema Umwelt so hochgehalten hat.
Jetzt fällt Ihnen das ein, dass das eigentlich eine Tradition hat? Nein. Es hat einfach eine enorme wirtschaftliche Komponente. Das ist uns vielleicht noch gar nicht so sehr bewusst. Es wird uns vielleicht jetzt, grade durch den Krieg in der Ukraine noch mal mehr bewusst.
12:15 Klimaschutz: Geopolitik und Energieversorgung
Das ist natürlich auch unter geostrategischen Aspekten zu betrachten. Und ich sage das seit über zehn Jahren, dass wir nicht nur den Aspekt des Klimaschutzes wieder bei den erneuerbaren Energien auf dem Schirm haben sollten, sondern dass es noch viel stärker um die geopolitische Komponente geht. Und wir sehen jetzt, wie wichtig sie plötzlich wird und wie schnell wir dann auch reagieren.
Denn das, was wir dann auf diesem Weg voranbringen, ist sicherlich jetzt auch noch mal ein Katalysator hin zu mehr erneuerbaren Energien.
KW: Die geopolitische Komponente, die Sie ansprechen, ist auch eine Abhängigkeit. Das heißt, wir müssen gucken, dass wir uns entweder selbst mit Energie versorgen, das wird sicherlich schwierig werden. Oder dass wir das so vielfältig machen, dass wir immer wieder ausweichen können. Also diese hohe Abhängigkeit von Russland ist für uns absolut schädlich, weil wir dann aus dieser Klemme nicht rauskommen.
FB: Ich würde noch einen Schritt weiterdenken und überlegen: Wie kann denn eigentlich eine Welt vielleicht in 30, 40, 50 Jahren aussehen? Dann werden wir ein viel größeres Maß an autarken Strukturen sehen. Also dort, wo neue Wohngebäudekomplexe entstehen, dort wo vielleicht ein Industriegebiet umgestaltet wird, werden wir beobachten, dass diese energetisch unabhängig werden und Strom vor Ort produzieren. Das wird sicherlich die Zukunft sein. Wie sehen Beispiele von ganzen Ortschaften, wo das bereits gelingt.
Dort wurde gezeigt, wie es funktionieren kann, von der Energieversorgung und von der Wärmeversorgung unabhängig zu sein. In Baden-Württemberg wird jetzt gerade das erste komplette Industriegebiet unabhängig gemacht von Wärmequellen externer Art und von externen Strom, sodass alle alles erneuerbar vor Ort produzieren können.
Das funktioniert dann übers ganze Jahr. Da ist Geothermie, Wind, Wasser, Holz, Holzschnitzel, Pellets und Biomasse zur Wärmeerzeugung dabei. Es gibt da durchaus Möglichkeiten und nach und nach wird das dann auch in die Städte kommen, die aus meiner Sicht natürlich die größte Herausforderung haben, was diesen Transformationsprozess angeht.
15:13 Energie: Preissteigerung durch Klimawandel?
KW: Was wir im Moment sehr spüren, sind die Preissteigerungen. Und die Frage ist, kann man auch Preissteigerungen dieser Art in den Griff bekommen, wenn wir umsteigen auf alternative Energien?
FB: Ein ganz einfaches: Ja. Wir sehen, dass wir jetzt im Februar beispielsweise durch diese enormen Windmengen, die wir hatten, gewaltige Mengen an Windenergie produziert haben. Ich bin mir sicher, dass wir noch in diesem Jahr den Wegfall der EEG-Umlage beobachten können.
KW: Wobei wir da auch sagen müssen, der erste Schritt um das zu machen ist ja schon getan. Das haben die Produzenten nicht weitergegeben an die Verbraucher.
FB: Ja, exakt. Das wird enorm wichtig sein, dass das passiert. Wir sehen, wie Energie an den Börsen gehandelt wird, wenn die Endverbraucher auch nur einigermaßen in der Nähe dieser Preise wären, dann hätten wir also mindestens eine Halbierung der Energiepreise, was Elektrizität angeht. Wobei wir immer auch sagen müssen, dass eine gewisse Form des Preises durchaus auch dazu führt, dass wir den Verbrauch reduzieren.
Wir dürfen das nicht unterschätzen. Wir haben jetzt enorm hohe Preise an den Tankstellen. Da hatte ich gestern gerade mit meinen Eltern telefoniert. Die waren auf dem Weg von Hamburg nach Büsum und haben gesagt, sie hätten das noch nie erlebt. Auf der Autobahn sind alle 120 oder 130 km/h gefahren. Das ist gut fürs Klima, und das ist auch gut für den Geldbeutel.
Tragischer Weise funktioniert es immer noch häufig in der Verbindung zwischen den Kosten und der Menge dessen, was man nutzt. Also in dem Moment, wo die Energiepreise tatsächlich um die Hälfte runtergehen würden, würden die Verbräuche natürlich wieder enorm steigen. Das wiederum würde den Druck natürlich auf die erneuerbaren Energien sehr stark erhöhen.
Insofern bedarf es da schon auch eines Gleichgewichts, damit wir nicht wieder in eine Situation kommen, wo wir dann einfach sagen, hier kostet ja alles nichts, dann können wir das auch alles auffahren und verbrauchen.
KW: Es kommt uns immer leicht über die Lippen, aber nicht jeder hat sozusagen die gleichen ökonomischen Voraussetzungen. Wir haben ja, wenn wir auf Hamburg gucken, 360.000 Menschen, die armutsgefährdet sind. Wir als Sozialverband Deutschland gehen davon aus, dass es in Hamburg 400.000 bis 500.000 Menschen gibt, denen es nicht gut geht.
Da wird immer von Verzicht geredet. Die Frage ist: Worauf sollen die eigentlich noch verzichten? Wir müssen auch deren Lebensmöglichkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten für die Teilhabe an der Gesellschaft ein bisschen im Blick behalten.
18:15 Bezahlbarer Grundbedarf an Energie für alle
FB: Deshalb wäre ich auch sehr dafür, ein Energie-Kontingent einzuführen, das jeder Person zugesprochen wird. Das jeder also eine Kilowatt-Zahl pro Jahr bekäme. Denn unabhängig vom Einkommen hat jeder ein Grundrecht auf die Zurverfügungstellung eines bestimmten Energie-Kontingents. Wenn es dann da drüber hinausgeht, dann wird es irgendwann auch richtig teuer. Genau wie ich natürlich ein Recht habe, mich auf den Straßen zu bewegen. Also eine Infrastruktur-Grundlage, die mir bereitgestellt wird.
So etwas brauchen wir eigentlich auch bei der Energie. Dann können wir in dem Bereich, was eben über den täglichen Bedarf, über die Notwendigkeit der persönlichen Entfaltung und Existenz hinausgeht, regulieren. Auf diese Art und Weise können die einkommensschwächeren Personen und Haushalte entlastet werden.
KW: Aber dieses Kontingent muss natürlich so sein, dass man im Normalfall damit wirklich auch hinkommt. Also auch Menschen mit kleinem Einkommen, mit Mindestlohn, in atypischer Beschäftigung, oder mit 450-Euro-Job. Da haben wir die Hoffnung, dass Experten wie Sie sagen, wir können ein solches Kontingent zur Verfügung stellen, mit dem alle damit richtig gut auskommen. Wer darüber hinaus was will, also große Yachten fährt oder so, der muss noch ordentlich was auf den Tisch legen.
FB: Da hätten wir einen Ansatz, der glaube ich, wirklich funktioniert. Wir können sehr schnell uns vor Augen führen, was wir unter so einen Grundbedarf der Energie, in so ein Kontingent, hineinpacken würden. Das beginnt beim Kühlschrank, den wir natürlich brauchen für das tägliche Leben. Das geht weiter über Licht, Strom, um auch ins Internet zu kommen, um auch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, um sein Mobiltelefon aufzuladen und auch die Medien weiterhin nutzen zu können. Dann fallen einem sofort unglaublich wichtige und sinnvolle Dinge ein, von denen jeder sagen würde: Ja, das ist irgendwie natürlich ein Grundrecht. Dafür sollte jeder Energie zur Verfügung haben.
21:01 Wie können wir die sozialen und wirtschaftlichen Lasten des Klimawandels schultern?
Klimawandel entgegenzuwirken und negative gesellschaftliche Folgen zu vermeiden. Deshalb machen wir uns unter anderem stark für einen nachhaltigen ökologischen Wandel, der ungleiche Lebensbedingungen immer im Blick hat – wirtschaftliche Lasten gerecht verteilt und für sozialen Ausgleich sorgt.
KW: Ich möchte noch mal sagen, dass viele Menschen im Moment schon sehr abgehängt sind. Hier bedarf es zunächst einmal auch der Umverteilung in unserer Gesellschaft, damit diese Menschen auch wirklich gut an der Gesellschaft teilhaben können. Mit 449 Euro im Monat kann man nicht sehr weit springen. Wir haben zunehmend Menschen, die am Monatsende gar nicht mehr auf die Straße gehen, weil sie Angst haben von Freunden angesprochen zu werden, die fragen: „Willst du nicht mal einen Kaffee mit mir trinken?“ Das können die nicht. Da müssen sowohl der Bund als auch Hamburg in die Bresche springen. Hamburg hat da auch einige Möglichkeiten: zum Beispiel die kostenfreie Fahrt im ÖPNV für Bedürftige.
FB: Es gibt gleich eine ganze Reihe von Ansätzen, die wir durchdenken sollten und die in die richtige Richtung gehen. Wir sehen auch gesamtgesellschaftlich betrachtet, wenn wir uns die verschiedensten Wirtschaftsformen und Nationen mal international vor Augen führen, dass die Länder, in denen es eine relativ kleine Differenz nur zwischen den unteren Gehaltsgruppen und den oberen Gehaltsgruppen gibt, dass das in der Regel die stabilsten Gesellschaften sind. Logischerweise auch, weil natürlich eine große Zufriedenheit in einem maximalen Anteil der Gesellschaft vorhanden ist, bei gleichzeitiger Möglichkeit der Entfaltung und des Rechts, eben auch mehr zu verdienen, wenn man sich mehr anstrengen und das machen möchte. Das ist aber auch nicht jedem möglich. Insofern ist eine möglichst gleichmäßige Verteilung dessen, was an Kapital zur Verfügung steht, für eine Gesellschaft offenbar – so zeigen es alle Zahlen und alle Untersuchungen der verschiedensten Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens – ein ganz wichtiger Garant dafür, also für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
KW: Das ist auch der Punkt, der uns bewegt. Von dem, was Sie gesagt haben, sind wir sehr, sehr weit entfernt. Wir sind eine der Gesellschaften, wo Arm und Reich sehr weit auseinanderdriften. Das heißt, wir brauchen eine Umverteilung in der Gesellschaft und schlagen natürlich vor, dass dies durch steuerpolitische Maßnahmen gemacht wird. Dass die, die sehr viel Einnahmen haben, aber auch sehr viel Vermögen haben, sich mehr – also mit ihren starken Schultern – an dem beteiligen, was unsere Gesellschaft benötigt.
Das heißt, da muss auch eine Umverteilung von oben nach unten, also von den Menschen, die viel haben zu den Menschen, die wenig haben, erfolgen. Das muss im Grunde genommen jetzt geschehen, bevor dann, dieser ganze Klimaruck, den Sie beschreiben und zurecht beschreiben, bevor der sozusagen sich auch ökonomisch auswirkt.
FB: Ich möchte noch einen weiteren Aspekt dazu ergänzen, der aus meiner Sicht ganz wichtig ist. Ich glaube, dass auch die Frage, wie wir mit dem Klimawandel als Ganzes umgehen, enorm davon abhängt, welche persönliche Situation wir als Menschen in der Gesellschaft eigentlich haben. Damit auch die Frage, wie viel Einkommen wir zur Verfügung haben. Denn das, was da draußen beim Klimawandel passiert, ist ja durchaus in der Lage, bei Menschen Ängste hervorzurufen, die sagen: Ich muss mit meinen Kindern jetzt Hausaufgaben machen und dann zum Elternabend. Ich muss noch mal gucken, dass ich genug Geld habe am Ende des Monats. Jetzt kommt auch noch dieser Klimawandel. Das kann Ängste auslösen, Druck auslösen, der umso schwieriger ist, je mehr Druck wir sowieso schon innerhalb der Familie oder des persönlichen Umfeldes haben. Diese Angst kann dazu führen, dass man sich auch der wissenschaftlichen Grundlage entzieht, die auf der Basis dieser Erkenntnisse zustande gekommen ist und sich flüchtet in Narrative, die im Zweifel den Klimawandel leugnen oder die physikalischen Grundlagen in Abrede stellen.
Dann begeben wir uns in eine Art mittelalterliche Glaubenssituation, aus der Realität heraus, in andere Narrative. Und sind dann aber offen, für populäre, für populistische Strömungen. Dann kann eine Gesellschaft in diesen Bereichen kippen. Umso wichtiger ist da einen Ausgleich zu schaffen, der uns auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf dieser Ebene sichert.
KW: Wir sehen in der Zwischenzeit auch, dass viele Menschen genau in diese Richtung tendieren. Da müssen wir aufpassen, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft erhalten bleibt. Das geht aus unserer Sicht nur, wenn wir wirklich umverteilen. Ernst nehmen. Das muss die Bundesregierung, die das im Moment nicht so auf dem Schirm hat, aufnehmen und deutlich machen.
Es gilt auch, dass Hamburg hier Unterstützungsarbeit leistet. Denn Hamburg gehört auch nach der Pandemie, auch nach der Aufnahme von Schulden nach wie vor zu den Reichen Regionen in Deutschland und überhaupt auch auf der Welt. Da setzen wir sehr darauf, dass der Gedanke, den Sie jetzt eingebracht haben, dass wir gucken müssen, dass wir die Menschen in der Mitte der Gesellschaft halten, dass das eine tragende Säule wird.
All das, was im Moment diskutiert wird: also zum Beispiel, dass der Benzinpreis, in Richtung 3 Euro steigen wird. Das soll auch so sein, sagen zum Beispiel einige Grüne. Das fordert auch diese Ängste heraus. Es fordert natürlich auch heraus, wenn ich wenig Geld habe: Was wird aus meinen Kindern? Wie fahre ich die? Wie kriege ich die in eine gute Bildung hinein? Und das sind alles Dinge, da müssen wir sehr, sehr aufpassen.
FB: Ich würde gerade diesem Punkt jetzt gerne etwas gewichten, weil ich sehr stark dazu neige, eher zu entlasten als zu verteilen. Wenn wir nämlich sagen, wir wollen umverteilen, dann impliziert das immer auch gleich, dass der eine dem anderen etwas wegnehmen möchte. Viel besser fände ich, wenn wir es viel stärker auf eine Entlastungsebene bringen. Das Konzept so umsetzen, dass wir da, wo persönlicher Druck ist, da wo etwas nicht geleistet werden kann, weil das Geld nicht zur Verfügung steht, dass wir hier gucken, wie wir Strukturen schaffen, mit denen dieses möglich ist, damit diese Entfaltung voranschreiten kann und die Ängste genommen werden.
Natürlich müssen wir gesellschaftlich das leisten und das muss natürlich dann irgendwie eine Gesellschaft als Ganzes auch finanzieren, aber ohne diesen Gedanken: Die einen haben es und die anderen nicht.
KW: Der Druck kommt auch aus der Politik. Die sagen: Wenn ich für diesen oder jenen mehr ausgebe, dann müsst ihr sagen, an welcher Stelle sparen wir ein? Es geht nicht ohne finanzielle Umverteilung. Wir müssen, auch wenn wir große Einkommen haben, wenn wir große Vermögen haben, etwas mehr dazu beitragen als andere, dass dieser Aspekt mehr zum Tragen kommt.
Es ist auch gar nicht so, dass jemand, der viel Vermögen hat, dann wirklich verzichtet. Wir reden nicht von Enteignung, sondern wir reden von zwei oder drei Prozent. Und ich finde, dass Menschen, die auf dieser Ebene sind, sich das gut leisten können.
SR: Diese Umverteilung, die muss an vielen Stellen stattfinden. Sowohl bei den Menschen, die ein hohes Einkommen haben, beim Bund, aber natürlich auch bei der Stadt Hamburg. Da ist noch mal ganz dringend der Appell an die Stadt, sich da zu engagieren. Gerade was das Entlasten angeht. Also die Menschen, die wenig haben, weiter zu entlasten, damit sie auch bei uns bleiben und nicht irgendwo ausscheren und aus unserer Gesellschaft rausfallen.
Herr Böttcher, vielen Dank für das Gespräch. Das war sehr aufschlussreich und es gibt viele interessante Erkenntnisse, die Sie uns heute noch mal vermittelt haben. Es ist alles ein bisschen klarer geworden, würde ich sagen. Auch was mögliche Ängste vor dem Klimawandel angeht. Ich glaube, wir können jetzt ein bisschen besser einschätzen, was da auf uns zukommt und womit wir in der Zukunft leben müssen.
Vielen Dank für das Gespräch.
KW: Ich danke Ihnen vielmals. Und verabschiede mich von unseren Hörern. Mein Name ist Klaus Wicher, ich bin Landesvorsitzender des SoVD hier in Hamburg. Herzlichen Dank für das sehr aufschlussreiche und informative Gespräch.
FB: Sehr gerne!