SoVD-Podcast: Obdachlosigkeit in Hamburg
Was sind die größten Probleme für obdachlose Menschen und wie kann die Stadt konstruktiv helfen?
Obdachlosigkeit in Hamburg: Fragen und Inhalte
00:59 Das Winternotprogramm: Wichtige Grundlage für Sicherheit
06:02 Hamburgs Hilfssystem: Bestehende Angebote müssen ausgeweitet werden
08:55 Mangelnde Gesundheitsversorgung: Humanitäre Hilfe braucht strukturierte Unterstützung
13:26 Wohnungsmangel: Was kann die Stadt Hamburg tun?
18:01 Hilfesysteme, Anlaufstellen und Straßensozialarbeit
20:56 Keine Armut bis 2030: Was können wir tun?
Wir wissen, dass das Winternotprogramm eine gute Möglichkeit ist, dass Menschen, die bislang noch keine Unterkunft in Anspruch nehmen und keinen Wohnraum haben, dieses Programm dann in Anspruch nehmen. Ein sicheres Dach über dem Kopf ist die wichtigste Grundlage, um sicher leben zu können und auch um weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen. Von daher ist es immer etwas Besonderes.
“Zu Gast ist Andrea Hniopek, Leiterin des Containerprojektes der Caritas Hamburg. Sie arbeitet seit vielen Jahren in der Obdachlosenhilfe und koordiniert die Bereiche Existenzsicherung und allgemeine Sozialberatung. Wir diskutieren gemeinsam über Schwierigkeiten und Herausforderungen für wohnungslose Menschen und was die Stadt Hamburg tun kann. Welche Angebote, wie zum Beispiel das Winternotprogramm, werden bereits angeboten und wo muss die Straßensozialarbeit mit strukturierter Unterstützung ausgebaut werden? Gemeinsam sprechen wir über die fehlenden Wohnungen und was es bedeutet Schutz und Sicherheit zu haben.
Obdachlosigkeit in Hamburg: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
AH: Andrea Hniopek
SR: “Sozial? Geht immer!” - Der Podcast des SoVD Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Einmal im Monat diskutieren wir soziale Fragen und Problemlagen, haken nach und geben Antworten. Immer im Blick: Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Chancengleichheit. Sie wollen keine Folge mehr verpassen. Dann abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcastplattformen.
Herzlich willkommen zu unserem Podcast “Sozial? Geht immer!” vom Sozialverband SoVD hier in Hamburg. Mein Name ist Susanne Rahlf.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD Hamburg.
SR: Heute zu Gast ist Andrea Hniopek. Sie ist Referentin für Existenzsicherung und die allgemeine Lebens- und Sozialberatung beim Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V.. Herzlich willkommen!
AH: Vielen Dank für die Einladung.
00:59 Das Winternotprogramm: Wichtige Grundlage für Sicherheit
SR: Frau Hniopek, der Winter geht zu Ende, damit auch das Winternotprogramm der Stadt Hamburg. Warum sind Sie nicht so glücklich darüber?
AH: Wir wissen, dass das Winternotprogramm eine gute Möglichkeit ist, dass Menschen, die bislang noch keine Unterkunft in Anspruch nehmen und keinen Wohnraum haben, dieses Programm dann in Anspruch nehmen. Ein sicheres Dach über dem Kopf ist die wichtigste Grundlage, um sicher leben zu können und auch um weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen. Von daher ist es immer etwas Besonderes. Das Winterprogramm geht zu Ende und wir wissen darum, dass viele dieser Menschen keine Anschlussperspektive haben und damit wieder zurück auf die Straße gehen. Dass Hilfeprozesse, die in dieser Zeit angefangen haben, wieder enden und dass viele dieser Menschen einfach der Situation auf der Straße wieder ausgesetzt sind.
KW: Über wie viele Menschen reden wir? Wir hören immer, dass es 2000 obdachlose Menschen in Hamburg gibt. Das glaubt ehrlicherweise auch niemand mehr. Dann kommen immer noch Menschen aus den osteuropäischen Ländern dazu, die sich dann zeitlich begrenzt aus unterschiedlichen Gründen hier aufhalten. Über wie viele Menschen reden wir?
AH: Ehrlicherweise kann ich Ihnen diese Frage nicht sicher beantworten, wie wahrscheinlich alle anderen auch nicht. Wir haben jetzt gehört, dass rund 3000 Menschen das Winternotprogramm in diesem Jahr in Anspruch genommen haben. Dieser Zahl würde ich jetzt erst mal vertrauen. Das bedeutet aber auch, dass schon mal diese 3000 Personen keinen eigenen Wohnraum haben und sehr wahrscheinlich obdachlos sind. Wir wissen, dass wir mal 2000 Menschen gezählt haben und waren damals schon nicht so sicher, wie valide diese Zahl ist. Ich persönlich denke, sie ist wesentlich höher. Aber wie hoch ist sie? Möglicherweise liegt die Zahl zwischen 2000 und 5000 Personen.
KW: Es gibt Menschen, die hierher kommen und sich gar nicht in das sogenannte Winternotprogramm trauen, weil sie dann erfasst würden. Wir können schon davon ausgehen, glaube ich, dass die Zahl deutlich höher ist als die 3000, die Sie eben genannt haben.
Das Winternotprogramm ist ein Erfrierungschutzprogramm. Welche Vorteile hat denn dieses Winternotprogramm für die Menschen?
AH: Also der offensichtlichste Vorteil ist, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und ein wenig an Ernährung bekommen. Sie können dort essen, sie können dort trinken. Die Basics werden versorgt, was mit Sicherheit sehr wichtig ist, dass die Menschen eine Toilette haben. Das hört sich ein bisschen banal an, aber gerade für Obdachlose ist es wichtig. Auf der Straße ist es nicht üblich, dass ich dann direkten Zugang zu hygienischen Möglichkeiten habe und dass ich eine Dusche habe – zumindest über Nacht. Essen, Trinken, hygienische Versorgung sind schon mal ein guter Start, ein Stück weit zur Ruhe zu kommen, einen sicheren Rahmen zu haben und einfach schauen zu können, was ist die Perspektive, die ich im Leben habe?
Nicht alle Menschen dürfen rund um die Uhr im Winternotprogramm sein. Die meisten nur in der Nacht. Wenn ich ein bisschen krank bin oder sehr krank bin, darf ich auch den ganzen Tag da bleiben. Aber dieser Schutz in der Nacht ist schon mal sehr wichtig.
KW: Es ist auch nicht nur Schutz vor Kälte. Wovor müssen die Menschen geschützt werden? Oder wovor muss sich ein Mensch schützen, wenn er kein eigenes Dach über dem Kopf hat?
AH: Gewalt ist das Zentrale. Ich glaube, das ist das, was uns primär immer einfällt, dass wir sagen, Menschen auf der Straße sind Gewalt besonders ausgesetzt. Hier wissen wir gerade auch von Frauen, dass gerade Frauen auch Gewalt erfahren.
KW: Wie viel Prozent der Obdachlosen sind Frauen hier in Hamburg?
AH: Irgendwas zwischen 25 und 50 Prozent der Menschen, die obdachlos sind, werden Frauen sein.
KW: Das sind besonders schutzbedürftige Personen. Da ist die Frage: Warum macht die Stadt eigentlich hier nicht mehr? Oft wird gesagt, Obdachlose wollen gar nicht von der Straße. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das für die große Mehrheit so stimmt.
AH: Ich mache schon 30 Jahre Wohnungslosenhilfe und mir sind in den 30 Jahren wenig Menschen begegnet, die gesagt haben, ich möchte freiwillig dauerhaft auf der Straße leben. Es gibt immer mal wieder Menschen, die das tun aufgrund von psychischen Erkrankungen. Ich würde Ihnen heute auch sagen, ich will nicht im Marathon mitlaufen, weil meine Wahrscheinlichkeit, damit zu laufen, auch etwas geringer ist, als wenn ich irgendwas nicht erreichen kann. Ich will damit sagen, dann will ich das für mich auch nicht als Ziel. Die Stadt Hamburg tut nicht wenig in der Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe. Sie tut eine Menge. Hamburg hat ein differenziertes Hilfesystem.
KW: Es ist wichtig, dass man auch die positiven Dinge mal hervorhebt. Hamburg ist ja nicht am Ende der Rangskala im Vergleich zu den anderen Bundesländern, sondern an dieser Stelle ziemlich weit vorne.
06:02 Hamburgs Hilfssystem: Bestehende Angebote müssen ausgeweitet werden
AH: Hamburg hat ein gutes Hilfesystem und die Hilfesysteme im Bundesgebiet sind sehr unterschiedlich. Alle haben Vorteile und Nachteile. Es gibt Städte, die sind sehr gut in der humanitären Unterbringung und es gibt Städte, die sind gut im Angebot, was Housing First anbelangt. Gucken wir nach Berlin oder so, da hat Hamburg nachgezogen. Ich kann aber insgesamt feststellen, dass Hamburg ein durchaus gutes Hilfesystem hat und dennoch reicht es nicht.
Es reicht nicht, weil die Angebote, die da sind, viel mehr ausgeweitet werden müssen. Wir wissen natürlich auch darum, dass ein Angebot, was gänzlich ausgelastet ist, wie zum Beispiel eine gute Hilfe, wo Wohnen und Beratung in einem erfolgt. Wenn ich Menschen da habe, die da sehr lange sind und es da keinen sogenannten Abfluss gibt, da bin ich auch nicht offen für Neue, die sozusagen im System entstehen und wir haben ein großes Problem damit, dass die Einrichtungen alle sehr voll sind und sehr gut genutzt werden. Wir haben ein Thema damit, dass es Menschen gibt, die immer noch nicht ausreichend versorgt sind und dass wir hier noch mehr Angebote brauchen.
KW: Wir haben das Thema: Selbstversorgung ohne Mittel. Wie schwer ist das Leben auf der Straße?
AH: Das Leben auf der Straße ist zweifelsohne hart. Wir müssen immer dabei auch bedenken, dass nicht alle Menschen auf der Straße, die dort leben, Einkommen haben. Die meisten Menschen auf der Straße haben einen Migrationshintergrund, insbesondere einen aus Osteuropa. Die meisten davon haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das bedeutet auch immer, im Alltag über kein Bargeld zu verfügen, also überhaupt nicht in der Lage zu sein, sich selbst etwas zu kaufen. Das betrifft Lebensmittel, das betrifft aber auch so etwas wie ein HVV-Ticket zu haben oder Wahlmöglichkeiten zu haben.
KW: Eine Stelle, wo die Menschen hingehen können und sagen, ich brauch für heute mal 10 Euro, was ja nicht viel ist, das gibt es nicht.
AH: Das gibt es so nicht.
KW: Aber das wäre doch eine Hilfe.
AH: Wir haben immer mal wieder Spender, die Gutscheine ausstellen oder uns die Möglichkeit geben, dass wir Lebensmittelgutscheine kaufen oder auch Bargeld zur Verfügung stellen können. Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
08:55 Mangelnde Gesundheitsversorgung: Humanitäre Hilfe braucht strukturierte Unterstützung
KW: Ich würde noch mal auf die Gesundheit zu sprechen kommen. Wie gehen Menschen, die eigentlich kein Geld haben und wahrscheinlich auch gar keine Krankenkassenversicherung haben, zum Arzt?
AH: Also wenn ich nicht in Bezug von Leistungen bin, habe ich auch keinen Krankenversicherungsschutz. Es gibt in Hamburg eine Vielzahl von medizinischen Projekten.
KW: Wenn ich mir das vorstelle, für mich gibt es ein medizinisches Projekt, dann würde ich an die Decke gehen. Für mich muss es eine Regelleistung medizinischer Versorgung geben. Das ist doch der Standard in Deutschland. Warum für diese Menschen nicht?
AH: Wenn ich nicht krankenversichert bin, dann werde ich auch nicht in der regelhaften Arztpraxis versorgt. Da gibt es gar keine Basis.
KW: Es gibt doch eine Krankenversicherungspflicht. Wenn ich als Staat sage, alle müssen sich krankenversichern, dann muss ich auch dafür sorgen, dass diejenigen, die in besonders schwieriger Lage sind, auch eine Krankenversicherung haben.
AH: Aber ich bekomme eine Krankenversicherung nur, wenn ich Beiträge zahle. So ist unser System. Das System hat durchaus Lücken und wenn ich nicht in Bezug von Leistungen bin, also von Transferleistungen, sagen wir mal Bürgergeld, Sozialgeld oder Sozialhilfe, dann kann ich die Krankenkassenbeiträge nicht zahlen oder ich komme dann auch nicht mehr rein, wenn ich schon mal draußen war. Damit bin ich nicht versichert. Wir haben einfach eine unglaublich hohe Anzahl von Menschen, die nicht krankenversichert sind.
KW: Was schätzen Sie von den 3000 Obdachlosen? Wie viel sind das? Also genau wissen wir es ja nicht, weil es nicht gezählt und nicht richtig erfasst wird.
AH: Also wenn wir davon ausgehen, dass zwei Drittel momentan im Schnitt gerade bei den Obdachlosen Menschen aus Osteuropa sind oder Migrationshintergrund haben, dann würde ich sagen, davon sind mindestens 75 Prozent nicht versichert. Das heißt, wir reden von vielleicht 2000 nicht versicherten Menschen.
KW: Ich finde, dass die Würde der Menschen ja eigentlich hier nicht richtig in den Blick kommt. Wenn Sie von Projekten sprechen, dann sind die Projekte wahrscheinlich auch zeitlich befristet oder hängen an anderen Dingen. Wie macht das eine obdachlose Frau oder ein obdachloser Mann, wenn Sie krank sind, wie funktioniert das?
AH: Es gibt diese medizinischen Projekte, das sind rollende Hausarztpraxen, das Krankenmobil der Caritas, aber auch durchaus andere. Die fahren verschiedene Stellen in der Stadt an und dort können dann Menschen, die nicht krankenversichert sind oder die noch nicht den regelhaften Hausarzt aufsuchen können, hingehen. Dann gibt es eine Vielzahl von Tagesaufenthaltsstätten, die medizinische Angebote anbieten. Das heißt, da ist dann ein Hausarzt da, während geöffnet ist. Oder es gibt andere Einrichtungen, Malteser-Migranten-Medizin oder Praxis ohne Grenzen.
KW: Hat die Praxis ohne Grenzen täglich geöffnet?
AH: Nein, die hat nur einmal in der Woche geöffnet. An diesem einen Tag haben sie so eine Art Poliklinikversorgung. Die haben viele Ärzte aus unterschiedlichen Disziplinen da, von daher machen sie schon ein gutes Angebot. Das gilt es auch aus meiner Perspektive immer zu würdigen, dass unterschiedliche Träger medizinische Leistungen bereithalten, die in der Regel gar nicht finanziert werden, die über Spendengelder finanziert werden, durch ehrenamtliche Arbeit und die natürlich diese Lücken im System, die sie ja gerade sehr gut erkannt haben, dann einfach füllen.
Im ersten Schritt geht es auch immer darum, wenn es eine Lücke im System gibt, müssen wir das natürlich anprangern und sagen: Mensch, da gibt es noch was. Das wurde nicht ausreichend gesehen. Aber es braucht auch immer humanitäre Hilfe. Es braucht immer dann im Hier und Jetzt erst mal eine medizinische Versorgung und die Möglichkeit, dass Ärzte draufschauen, aber auch, dass Medikamente gegeben werden, dass es auch strukturiert passiert.
KW: Im Grundgesetz steht drin, die körperliche Unversehrtheit ist gesichert. Das ist doch hier gar nicht der Fall. So ein Verstoß gegen das Grundgesetz geht doch gar nicht.
AH: Die körperliche Unversehrtheit von Menschen, die auf der Straße leben, kann gar nicht gesichert sein. Das geht per se nicht. Das sehen wir auch schon daran, dass immer wieder Menschen auf der Straße einfach erfrieren oder so zu Tode kommen.
13:26 Wohnungsmangel: Was kann die Stadt Hamburg tun?
KW: Der Weg ist doch eigentlich, dass die Menschen von der Straße wegkommen in eine eigene Wohnung.
AH: Im besten Fall genau, in einer eigenen Wohnung.
KW: Oder in einer Unterkunft, wo man wohnungsähnlich wohnen könnte. Das kann auch eine Übergangslösung sein. Woran scheitert das eigentlich?
AH: Also die eigene Wohnung mit einem eigenen Mietvertrag ist für mich die normalste Lösung. Das ist das, was in meiner Welt der Normalität entspricht. Unterbringung ist eine Notlösung, ist eine Form von humanitärer Hilfe, aber nicht die Normalität. Wir können immer selbst ganz bei sich gucken, was ist denn für mich normal? Wenn wir das zur Maxime erklären, weiß ich auch, was für obdachlose, wohnungslose Menschen normal sein kann.
Wir haben über das Winternotprogramm gesprochen, das ist eine Notunterbringung. Dann gibt es auch ganz normale Unterkünfte, die sind aber auch alle voll. Dann haben wir natürlich das Nadelöhr Wohnraum.
KW: Housing First ist auch eines ihrer Vorzeigeprojekte.
AH: Housing First ist eine Möglichkeit, die momentan sehr gehypt wird, sowohl im Bundesgebiet als auch in Hamburg. Diese Projekte sind auf Kooperation angewiesen, um Wohnraum zu bekommen. Aber es gibt nicht genug Wohnraum. Das liegt nicht an den Trägern. Wir haben einfach de facto nicht genug Wohnraum. Hier ist es in den letzten Jahrzehnten einfach versäumt worden, ausreichend Wohnraum zu bauen und zur Verfügung zu stellen. Vor allen Dingen fehlt es uns an günstigen Wohnraum.
KW: Wieso würde das die Stadt nicht sowieso bezahlen? Die Menschen sind doch mittellos und wenn da jemand in eine Wohnung kommt, muss die Stadt das doch sowieso übernehmen. Da ist ja nicht die Frage, ob es nun besonders teuer oder besonders billig ist. Da geht es natürlich immer um die Frage der Angemessenheit einer Wohnung. Wenn die Stadt sowas zur Verfügung stellt, dann muss sie das auch übernehmen. So würde ich das aus meinem Verständnis heraus sagen.
AH: Was muss sie übernehmen? Den Wohnraum gibt es ja nicht, nicht in ausreichendem Maße.
KW: Wenn eine Wohnung da ist und die Menschen dort einziehen, dann kann es nicht am Preis für die Wohnung scheitern, sondern es muss dann finanziert werden, und zwar einschließlich der Nebenkosten. Dann muss man dafür sorgen, dass die Menschen genügend Einkommen haben, über Grundsicherung oder wie auch immer oder Bürgergeld und darüber muss das auch finanziert werden.
AH: Das ist auch unbestritten. Das tun sie auch. Nur leider sind die Grenzen für das, was bezahlt wird, immer noch zu gering, obwohl sie schon hochgesetzt worden sind. Dafür gibt es nahezu gar keinen Wohnraum. Also wenn wir da mal bei uns selber schauen und einfach auch im Freundes- und Bekanntenkreis schauen. Das Spektrum, was sich uns als Normalbürger zeigt, dann werden wir alle sehen, dass der fehlende Wohnraum für uns ein ganz normales Thema ist.
KW: Es werden speziell Wohnungen gebaut für Menschen, die aus der Obdachlosigkeit in Wohnungen kommen. Wie viel sind das eigentlich im Jahr?
AH: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es sind auf jeden Fall zu wenige.
KW: Das heißt, wenn wir eine Forderung stellen würden, dann wäre das doch so, dass man sagt, die Menschen können sich gar keine Wohnung leisten. Hier muss der Staat zwingend eintreten und der Staat muss über seine Wohnungsbaugesellschaft Saga GWG genügend Wohnungen bauen, damit die Obdachlosen von der Straße kommen.
AH: Genau das wäre eine gute Möglichkeit, damit umzugehen. Bezweifle, dass sie ausreichend wäre, aber es ist eine Möglichkeit.
KW: Ich finde, das sollten wir vielleicht auch gemeinsam angehen, also Caritas und SoVD zusammen, dass wir auf die Stadt nochmal zugehen und sagen, wir gucken uns jetzt mal an, da sind 3000 Menschen auf der Straße. Für diese Menschen, die eine Wohnung wollen, muss Wohnraum geschaffen werden, und zwar sozialer Wohnungsbau und das, was es kostet, hat die Stadt zu übernehmen.
AH: Das wäre eine mögliche Forderung. Aber diese Forderung kann nur für einen Teil dieser Menschen gelten, weil die meisten davon ja gar nicht in Bezug von Leistungen sind und dann die Miete quasi über eigenes Einkommen erwirtschaftet werden kann. Das bräuchte dann wiederum Maßnahmen, um diese Menschen in Arbeit zu bringen. Wir müssten auch gucken, wie wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente so gestalten, dass Menschen, die keine Arbeit haben, hier auch die Möglichkeit haben, in Arbeit zu kommen. Sie wollen ja auch arbeiten.
18:01 Hilfesysteme, Anlaufstellen und Straßensozialarbeit
KW: Man kann nicht sagen, eine Maßnahme für alle und dann ist die Sache erledigt. Wir müssen auf jeden Einzelnen gucken und individuelle Hilfen anbieten. Da gibt es die Straßensozialarbeit und weitere Anlaufstellen. Warum gelingt es jetzt erst mal nicht, mit den Menschen dauerhaft ins Gespräch zu kommen und Wege aufzuzeigen, wie sie von der Straße kommen können?
AH: Da würde ich Ihnen jetzt widersprechen wollen. Natürlich gelingt es den Kollegen gut, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Das wird auch so beschrieben. Man muss anerkennen, dass wir viele Einrichtungen, Dienste und Projekte in Hamburg haben, die eine Art von Straßensozialarbeit anbieten, sei es die Sozialberatungsstellen oder eigene Einrichtungen, die nur Straßensozialarbeit machen. Die sind gut mit den Leuten im Gespräch. Aber natürlich können sie nicht mit allen im Gespräch sein, weil die Ressourcen begrenzt sind und es ist zweifelsohne so, dass es etwas schwieriger ist, mit Menschen, die auf der Straße sind, in eine gute Arbeitsbeziehung zu kommen. Die muss ich auch erst mal dafür gewinnen. Gerade da sind die Kollegen der Straßensozialarbeit unglaublich motiviert und ganz befähigen, auch hier eine gute Arbeitsbeziehung aufbauen zu wollen. Dann haben Sie mit ihnen Kontakt und können auch mal Anträge stellen, auch andere Dienste wie die medizinischen Projekte vermitteln. Denen fehlt natürlich auch der Zugriff auf Unterbringung, auf Wohnraum. Dann ist es irgendwann auch so, dass ich gerne beraten würde, aber mir die weiteren Mittel und Möglichkeiten fehlen. Wie komme ich denn zu einer Wohnung? Dann müssen die Sozialarbeiter auch sagen, ich kann dich mal in Housing First vermitteln, ich kann dich mal in einem Containerprojekt vermitteln, aber diese Menschen können den Wohnungslosen dauerhaft gar nicht ausreichend etwas anbieten.
KW: Gibt es von der Stadt ein systematisches Programm? Diese Probleme, die auf dem Tisch liegen, müssen gelöst werden. Wir können jetzt sagen, die Stadt hat jetzt ein Programm für 3000 Obdachlose und beschafft Wohnungen. Das kann ein mehrjähriges Projekt sein, aber dann haben wir es auch geschafft und dann werden diese Menschen weiter begleitet. Ich ahne auch förmlich, dass die Stellen nicht alle besetzt sind in der Stadt, die hier zuständig sind. Das gilt in ganz vielen Bereichen. Es gibt viel Unterbesetzung. Dann sind die Mitarbeiter dann überfordert, dann können sie nicht mehr schaffen. Wenn wir uns das mal angucken, was wäre da so eine Rahmenbedingung für ein solches Projekt, damit es gelingt?
AH: Ich würde nicht von Rahmenbedingungen sprechen wollen. Ich würde von einem guten Rahmen sprechen. Der muss in meiner Welt beinhalten, dass es eine Grundhaltung in dieser Stadt gibt, die sagt: Ja, wir machen uns auf den Weg, Obdachlosigkeit zu beseitigen.
20:56 Keine Armut bis 2030: Was können wir tun?
KW: Finden Sie diese Haltung in der Politik hier in Hamburg, beim Senat, in der Bürgerschaft, in den Bezirken?
AH: Ich persönlich würde sagen, sie reicht nicht. Die anderen würden das möglicherweise aber auch anders sehen. Und dann gucken wir alle aus unterschiedlichen beruflichen Perspektiven auf eine Situation. Aus meiner Perspektive und in meiner Welt würde ich sagen, ist es noch nicht ausreichend.
KW: Das heißt, wir müssen am Bewusstsein der Menschen arbeiten. Es gibt überall sozialpolitische Sprecher. Es gibt beim Senat die zuständigen Personen: Sozialsenatorin, Bildungssenatorin und Wohnungsbassenatorin. Drei starke Frauen.
AH: Könnte eine Möglichkeit sein.
KW: Jetzt gucken wir nochmal auf das, was die Caritas ja schon lange in den Blick nimmt. Was sind Ihre Grundforderungen an die Stadt, damit wir dieses Problem lösen? Wir haben gesagt, dass wir Wohnungen brauchen, spezielle Wohnungen. Damit ist es nicht getan. Es muss auch Geld her, damit diese Menschen unterstützt werden können, dass sie die Wohnung selbst halten können. Was muss man da tun und an welcher Stelle muss man ansetzen?
AH: Ich kann jetzt nicht sagen, was die Caritas da fordert. Das ist auch ein bisschen schwierig. Ich kann auch nicht so für alle Verbände oder so was sprechen. Ich kann sagen, was aus meiner Sicht wichtig wäre. Aus meiner Sicht braucht es Wohnraum, der de facto zur Verfügung steht. Das braucht es. Es braucht sozialrechtliche Grundlagen, damit die Wohnung, die Miete auch bezahlt werden kann. Das bedeutet zum einen, dass die Mietobergrenzen so sein müssen, dass sie der Realität entsprechen. Einerseits. Andererseits müssen soziale Leistungen so ausgestattet sein, dass die Miete übernommen werden kann. Dann brauchen wir dringend eine Umsteuerung, dass Menschen aus Osteuropa oder Menschen, die hier sind, die keine Sozialleistungsansprüche haben, dass wir die in eine Position bringen, dass die Miete gezahlt werden kann und das wird die Stadt Hamburg oder auch Deutschland nicht alleine auf den Weg bringen, sondern da muss EU weit was passieren. Dann brauchen wir Möglichkeiten, dass wir Menschen gerade aus Osteuropa, die hier sind, die hier eigentlich arbeiten wollen, dass wir schauen, wie kommen die in eine reguläre, abgesicherte Arbeitsperspektive und darüber hinaus neben sozusagen Wohnraum und den strukturellen Möglichkeiten dort auch diesen Wohnraum haben zu können, braucht es für viele Menschen auch Beratung und Unterstützung und Begleitung, um auch persönliche Schwierigkeiten angehen zu können.
KW: Sie haben jetzt einige Punkte aufgezählt. Was wäre davon sozusagen in nächster Zeit das Wichtigste, damit wir an der Stelle vorankommen können? Das wird überall, an allen Stellen was getan. Aber wo muss man sozusagen verstärkt angreifen, damit es auch in absehbarer Zeit gelingt?
AH: Was braucht es? Es braucht in dieser Stadt eine Grundhaltung. Also, da war ich schon bei der Politik dran. Wir als Gesellschaft, wir als Stadtgesellschaft müssen anerkennen, dass wir Menschen haben, die in dieser Stadt benachteiligt und ausgegrenzt sind. Wir müssen auch für uns begreifen, dass sie Teil des Ganzen sind. Es geht nicht darum, dass wir gucken, wie wir sie aus dem Blickfeld kriegen. Wir alle nehmen sie nicht nur als Störer wahr, sondern ich glaube, wir als Gesellschaft müssen einfach uns dafür einsetzen, dass wir für Menschen, die ausgegrenzt sind, Räume schaffen, an dem sie genauso gleichberechtigt leben können, wie wir das auch tun. Solange wir immer denken, wir nehmen sie als störend wahr, solange ist es schwierig zu überlegen, wie wir sie integrieren können. Also wenn wir darüber diskutieren, dass Einrichtungen, die neu geschaffen werden für Obdachlose mit Pflegebedarf, in einem Stadtteil wie Niendorf angstbesetzt wahrgenommen werden und sofort darüber sprechen, ob die eine Gefahr für den Stadtteil darstellen, dann stimmt in unserer Gesellschaft etwas nicht. Da müssen wir schauen, wie wir da anders drauf gucken können. Ich finde auch, dass man Ängste wahrnehmen muss, dass wir darüber ins Gespräch kommen müssen. Aber ich kann Ihnen sagen, von Obdachlosen geht per se keine Gefahr aus. Ich glaube, es braucht hier eine Bewegung und nicht nur dann, wenn Wahl ist, sondern grundsätzlicher Art und Weise. Dann ist es natürlich so, dass es realistischerweise nicht so ist, dass Wohnraum schnell geschaffen wird. Aber wir müssen uns auf den Weg machen, dass wir Wohnraum schaffen und dass wir Möglichkeiten finden, dass alle in dieser Stadt eine eigene Wohnung haben können, die eine eigene Wohnung haben wollen.
SR: Ein bisschen mehr Mitmenschlichkeit. Es ist nicht mehr nur die Politik, sondern es sind auch wir alle als Gesellschaft gefordert. Frau Hniopek, vielen Dank für diesen Input und auch für diese Denkanstöße, die sie uns jetzt mitgegeben haben. Vielen Dank dafür und ich wünsche Ihnen sehr viel Erfolg weiterhin für Ihre Arbeit.
KW: Ich danke auch sehr herzlich. Es hat mir Spaß gemacht mit Ihnen zu sprechen, auch wenn das ein wirklich sehr ernstes Thema ist, was man jeden Tag angehen muss, damit den Menschen wirklich richtig gut geholfen werden kann. Herzlichen Dank! Weiterhin viel Erfolg!
AH: Vielen Dank!
SR: Das war “Sozial? Geht immer!” - Der Podcast des SoVD Hamburg. Abonnieren Sie uns auf den gängigen Plattformen und wenn es Ihnen gefallen hat, geben Sie uns dort gerne eine gute Bewertung ab. Oder Sie schicken uns Ihr Feedback an info@sovd-hh.de. Wir freuen uns, wenn Sie auch das nächste Mal wieder reinhören. Bis dahin halten wir Sie auf unseren Social Media Kanälen auf dem Laufenden oder besuchen Sie unsere Webseite sovd-hh.de