SoVD-Podcast: Gleichstellung von Frauen
Wie kann der Gender Pay Gap geschlossen werden und welche gesellschaftspolitischen Hürden gilt es zu überwinden?
Gleichstellung von Frauen: Fragen und Inhalte
00:35 Equal Pay Day und Gender Pay Gap: Was bedeutet das?
02:39 Lohnungleichheit: Sind Tarifverträge die Lösung? Welche Faktoren befeuern die Differenz?
12:45 Wie kann der Gender Pay Gap geschlossen werden? Welchen Effekt haben Kinderbetreuung, Sorgearbeit und Rückkehrrecht?
17:27 Was muss in Gesellschaft und Politik passieren, um die Gleichstellung voranzutreiben?
25:36 Wie können wir die wachsende Altersarmut von Frauen bekämpfen?
30:13 Häusliche Gewalt: Wie können Schutz und Hilfen verbessert werden?
Der Equal Pay Day soll daran erinnern, wann im Jahr der Tag ist, an dem Frauen genauso viel verdient haben, wie Männer schon zum 31. Dezember des Vorjahres. Deswegen ist dieser Tag auch immer jedes Jahr an einem anderen Tag. Es hängt davon ab, wie hoch die genaue statistische Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist. Dieses Jahr ist der Equal Pay Day am 7. März.
“Laut Statistischem Bundesamt liegen zwischen Männer und Frauen 18 Prozent. Das heißt, auch bei gleicher Arbeit verdienen Männer im Schnitt 18 Prozent mehr. Dieses Jahr steht der Equal Pay Day unter dem Motto „Die Kunst der gleichen Bezahlung“. Denn in Kunst- und Kultureinrichtungen liegt der Lohnabstand zurzeit sogar bei 30 Prozent. Das ist ein ganz, ganz großer Unterschied.
“Zu Gast sind Sandra Goldschmidt, Landesbezirksleiterin ver.di Hamburg, und die Hamburger SoVD-Landesfrauensprecherin Susanne Langhagel. Gemeinsam diskutieren wir aktuelle Herausforderungen rund um das Thema Gleichstellung und Frauenpolitik. Denn: Wie der Equal Pay Day am 7. März 2023 offenbart, klafft zwischen den Geschlechtern noch immer eine Lohnlücke von 18 Prozent – rein rechnerisch arbeiten Frauen im Vergleich zu Männern 66 Tage umsonst. Doch was sind die Ursachen für diesen geschlechtsspezifischen Verdienstunterschied? Was muss in Politik und Gesellschaft angestoßen werden, um die Gleichstellung voranzutreiben, die Lohnungleichheit zu überwinden und der wachsenden Altersarmut von Frauen entgegenzuwirken?
Gleichstellung von Frauen: Der SoVD-Podcast zum Lesen
Die Podcast-Episode wurde am 13. Februar 2023 aufgezeichnet. Seit dem 24. Februar ist Sandra Goldschmidt Landesbezirksleiterin von ver.di Hamburg.
KW: Klaus Wicher
SG: Sandra Goldschmidt
SL: Susanne Langhagel
KW: „Sozial? Geht immer!“: Der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg. Herzlich willkommen! Ich bin Klaus Wicher, Landesvorsitzender des SoVD in Hamburg. Heute sind Sandra Goldschmidt, stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di Hamburg, und Susanne Langhagel, Landesfrauensprecherin des SoVD in Hamburg, zu Gast. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie beide heute hier sind.
00:35 Equal Pay Day und Gender Pay Gap: Was bedeutet das?
Gleichstellungspolitik ist ein wichtiges Thema. Es geht um die Ungleichheit zwischen Männer und Frauen. Am 7. März 2023 findet der Equal Pay Day statt. Viele kennen den Tag gar nicht. Worum geht es dabei, Frau Goldschmidt?
SG: Der Equal Pay Day soll daran erinnern, wann im Jahr der Tag ist, an dem Frauen genauso viel verdient haben, wie Männer schon zum 31. Dezember des Vorjahres. Deswegen ist dieser Tag auch immer jedes Jahr an einem anderen Tag. Es hängt davon ab, wie hoch die genaue statistische Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist. Dieses Jahr ist der Equal Pay Day am 7. März.
KW: Die Lohnlücke muss immer wieder neu berechnet werden. Frau Langhagel, wie hoch ist der Lohnabstand mittlerweile?
SL: Laut Statistischem Bundesamt liegen zwischen Männer und Frauen 18 Prozent. Das heißt, auch bei gleicher Arbeit verdienen Männer im Schnitt 18 Prozent mehr.
Dieses Jahr steht der Equal Pay Day unter dem Motto „Die Kunst der gleichen Bezahlung“. Denn in Kunst- und Kultureinrichtungen liegt der Lohnabstand zurzeit sogar bei 30 Prozent. Das ist ein ganz, ganz großer Unterschied. Wobei dieser von Branche zu Branche schwankt. In den Gesundheits- und Sozialberufen beträgt der Lohnabstand zurzeit 21 Prozent und im Gastgewerbe, in dem auch viele Frauen arbeiten, bei neun Prozent.
02:39 Lohnungleichheit: Sind Tarifverträge die Lösung? Welche Faktoren befeuern die Differenz?
KW: Frau Goldschmidt, das ist ja merkwürdig. Es gibt doch vermutlich überall Tarifverträge oder zumindest Abstimmungen darüber, dass zwischen Männern und Frauen kein Unterschied gemacht werden darf. Wie kommt es zu diesen Unterschieden?
SG: Erst mal gilt festzuhalten: Dort, wo Tarifverträge gelten, sind diese Unterschiede geringer. Es ist gerade in Tarifvertragsbereichen so, dass der Grundsatz gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Solange Frauen und Männer dort die gleichen Tätigkeiten ausüben, ist der Unterschied auch meistens fast bei Null. Aber: Diese Unterschiede kommen dennoch auch in den Betrieben mit Tarifverträgen zustande, wenn wir den Durchschnittsverdienst von Frauen und Männern angucken. Hier geht es dann darum: Welche Tätigkeiten üben Frauen aus? Frauen sind seltener in Führungspositionen und haben deswegen seltener gehobene Gehälter. Viele Frauen üben schlechter bezahlte Berufe aus als Männer. Sie arbeiten oft in der Pflege oder Erziehung und sie sind öfter in Teilzeit oder in Minijobs beschäftigt. Diese ganzen Faktoren bewirken also auch in tarifvertragsgebundenen Unternehmen, dass es einen Unterschied gibt.
KW: In Europa ist Deutschland damit ziemlich am Ende der Rangskala. Was machen die anderen eigentlich besser?
SL: Die Haltung, dass Frauen gleichberechtigt arbeiten, ist in den skandinavischen Ländern per se praktisch von der Muttermilch mitgekommen. Da haben wir hier in Deutschland von der Historie noch ein ganz großes Problem. Auch können viele Frauen wegen mangelnder Kinderbetreuung oder als Alleinerziehende einfach nicht mehr in dem Beruf arbeiten, den sie eigentlich ausgeübt haben.
KW: Wir wollen noch mal die Ursachen für die Differenz hervorheben. Sie haben gesagt, Frau Goldschmidt: Dort, wo es Tarifverträge gibt, ist der Unterschied gar nicht so hoch. Wieso gibt es eigentlich nicht überall Tarifverträge?
SG: Das ist ein Grundsatzproblem in der Frage, wo sich Menschen zusammenschließen. Ob in Koalitionen bzw. Gewerkschaften, um dann gemeinschaftlich Tarifverträge zu verhandeln. Und dann ist das aber auch oft eine Frage der Stärke.
Frauen arbeiten zum Beispiel ganz oft im Einzelhandel. Dort gibt es zwar vereinzelt Tarifverträge, aber im Moment auch eine starke Erosion des Tarifvertrags. Gleichzeitig arbeiten dort viele in Teilzeit oder Minijob und bekommen sich so nur schwerlich organisiert, um eine wirkliche Gegenmacht gegenüber dem Arbeitgeber zu entwickeln – und dann letztlich Tarifverträge durchzusetzen. Das ist immer auch eine Machtfrage. Und je prekärer ich beschäftigt bin, desto schwieriger ist es, in der Frage Stärke zu entwickeln.
KW: Aber es gibt in den Betrieben doch Betriebsräte oder Aufsichtsräte, in denen Arbeitnehmervertreter drin sind. Können die helfen?
SG: Aufsichtsräte können natürlich insofern helfen, als dass die Arbeitnehmervertreter versuchen, auf der Arbeitgeberseite dafür zu werben, dass es Sinn macht, im Tarifvertrag zu sein – aus Konkurrenzgründen und so weiter. Dort wird aber in der Regel nicht über Tarifverträge entschieden. Betriebs- und Personalräte können natürlich helfen, bei der Umsetzung von Tarifverträgen, aber nicht bei der Verhandlung der Tarifverträge. Verhandelt werden diese ganz klassisch zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber.
KW: Aber wenn es um die Eingruppierung geht – da haben die Betriebsräte doch ein Mitbestimmungsrecht.
SG: Auf jeden Fall. Deswegen ist der Lohnunterschied auch tatsächlich dort geringer, wo es Tarifverträge gibt und wo es um Eingruppierung geht. Wenn auf gleicher Ebene gearbeitet wird, liegt der Lohnunterschied oftmals auch bei Null. Der Unterschied im Betrieb entsteht dann zum Beispiel durch unterschiedliche Funktionen, die ausgeübt werden.
Aber: Leider haben wir Tarifverträge nicht überall.
KW: Das ist ein wichtiger Hinweis: Tarifverträge gibt es nicht überall. Liegt das an den Gewerkschaften, an den Unternehmen oder an beiden?
SG: Natürlich liegt es immer an beiden. Weil Arbeitgeber natürlich freiwillig Tarifverträge schließen können, auch wenn nicht viele ihrer Beschäftigten Gewerkschaftsmitglied sind. Am Ende liegt es aber natürlich vor allem an den Beschäftigten. Je mehr Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied sind, je mehr sie sich zusammenschließen, desto eher gibt es Tarifverträge.
KW: Ich komme noch mal auf die Ursachen zu sprechen, Frau Langhagel. Die Lohnungleichheit kann nicht allein darin begründet liegen, dass es nicht überall Tarifverträge gibt. Gibt es da noch andere Ursachen, die wir uns genauer angucken müssen?
SL: Ja, selbstverständlich. Frauen gehen nach wie vor in traditionelle Frauenberufe. Das ist leider immer noch so, auch bei den Jugendlichen können wir das feststellen.
KW: Was sind eigentlich Frauenberufe? Berufe sind doch offen für alle.
SL: Natürlich. Das würden wir uns auch wünschen. Aber: Zum Beispiel der Beruf als Krankenschwester oder Erzieherin, ist per se immer noch unterbezahlt. Das sind traditionelle Frauenberufe, die historisch lange unbezahlt waren.
Es ist so wichtig, dass Frauen sich die große Palette an Berufen genau anschauen und sich dann für einen Beruf entscheiden. Rein von der Bezahlung her ist ein Facharbeiter in der Industrie höher angesehen als eine Krankenschwester, obwohl die Schwere der Arbeit vergleichbar ist.
KW: Frau Goldschmidt, Sie haben vorhin gesagt, Frauen sind weniger in Führungspositionen. Das verstehe ich nicht. Wenn wir uns die Abiturabschlüsse ansehen, dann sind es doch sogar viel mehr Frauen, die richtig gute Abiturabschlüsse machen. Die Voraussetzungen bei den Frauen sind doch viel besser, oder?
SG: Definitiv. Wenn wir rein auf den Bildungsabschluss gucken, sind meistens die Frauen im Vorteil. Der Knick entsteht spätestens dann, wenn sie Kinder kriegen und dann aus dem Betrieb aussteigen oder eine Zeit lang nicht mehr da sind.
Zusätzlich gibt es tatsächlich das Phänomen, dass Frank eher Frank befördert und Thomas eher Thomas. Aus der Tradition heraus blicken Männer eher auf Männer. Da wissen sie, was sie haben, damit kennen sie sich aus. Das ist ein Reflex, der bis heute besteht. Trotz aller Diskussion um Quoten und die vielen Schritte, die wir schon gegangen sind.
KW: Frau Langhagel, Frau Goldschmidt hat gerade die Frage der Unterbrechungen angesprochen: Durch Familienarbeit, also Kindererziehung oder die Pflegearbeit zu Hause. Wieso kommt es durch eine solche Unterbrechung zu dieser Lohnungerechtigkeit?
SL: Viele müssen die berufliche Tätigkeit aufgeben, wenn sie zum Beispiel pflegende Angehörige zu Hause haben. Das ist nach wie vor meistens eine unbezahlte Arbeit. Das heißt, das Rentenansprüche für später fehlen. Die Rente ist der Spiegel des Erwerbslebens – und das findet während dieser Wochen, Monate oder auch Jahre nicht statt. Zudem haben die Frauen oft Schwierigkeiten, wieder voll einzusteigen. Durch das Rückkehrrecht gibt es da jetzt zwar eine Möglichkeit. Aber: Viele Frauen gehen dann doch eher in Teilzeit zurück, um die Familie weiter versorgen zu können.
12:45: Wie kann der Gender Pay Gap geschlossen werden?
KW: Die Teilzeitarbeit ist sicherlich ein Grund für die ungleiche Bezahlung. Wir können noch so einen hohen Stundenlohn haben, wenn wir nur die Hälfte der Arbeitszeit arbeiten. Was können wir eigentlich tun, um der Ungleichheit entgegenzuwirken?
SG: Ganz grundsätzlich muss die Kinderbetreuung besser werden. Das ist ein Schlüssel zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen, die sonst aus Erziehungsgründen weniger arbeiten würden. Wenn Frauen wissen, dass ihre Kinder gut und ausreichend betreut werden, dann gehen sie auch beruhigter wieder arbeiten – und können vor allem auch arbeiten gehen. Obwohl wir da wir schon einiges erreicht haben, gibt es immer noch genug zu tun. Es geht um flexiblere Zeiten, um Möglichkeiten Kinder früher abzugeben und später abzuholen, aber auch um das Wissen, dass dort eine gute Betreuung stattfindet.
KW: Hamburg behauptet doch immer, dass jede Frau, die einen Kindergartenplatz haben möchte, auch ein kriegt. Ist das so nicht?
SG: Theoretisch ist das so, praktisch ist es schwieriger. Familien müssen trotzdem erstmal einen Kindergartenplatz finden, der in der Nähe ist, der funktioniert mit auf dem Weg zur Arbeit bringen und abholen. Das ist auch eine Zeit-Frage: Passen die Öffnungszeiten der Kita zu meinen Arbeitszeiten? Diese Punkte bringen Frauen oft dazu, dann doch in Teilzeit zu arbeiten.
KW: Der Mindestlohn liegt jetzt bei zwölf Euro. Hat das geholfen?
SG: Im Hinblick auf Altersarmut hat das auf jeden Fall geholfen. Weil die Menschen jetzt am Ende des Lebens deutlich mehr haben, als das vorher der Fall war. Dennoch müssen wir sagen: Wenn jemand 45 Jahre zum Mindestlohn arbeitet, kommt am Ende eine Mindestrente raus und nicht mehr. Auch bei 45 Jahren Vollzeittätigkeit ist das noch lange keine gute Rente. Da sind wir dann wieder beim Thema Ausfallzeiten oder Arbeit in Teilzeit. Dann rutschen die Menschen wieder automatisch unter die Grenze der Mindestrente.
Wir müssen uns fragen: Wie bekommen wir Frauen dazu, mehr als Teilzeit zu arbeiten? Das hat oftmals auch mit der Ansprache im Betrieb zu tun: Wie reagiert mein Vorgesetzter darauf, dass ich schwanger bin, dass ich erstmal aussteigen möchte? Wird da seitens des Arbeitgebers Interesse daran und auch die Möglichkeit signalisiert, wieder arbeiten zu kommen? Werden entsprechende Gelegenheiten geschaffen oder gefragt: Was brauchst du, damit du wieder arbeiten kannst? Sobald da mehr Zuwendung und mehr Offenheit besteht, fängt in der Regel auch die Diskussion bei den Ehepartnern stärker an – in der Frage, wie die Erziehungs- oder Sorgearbeit verteilt wird.
Natürlich spielt da auch die Lohnfrage wieder eine Rolle. In der klassischen Verteilung verdient der Mann womöglich ohnehin schon mehr als die Frau, weil er einen höher bezahlten Beruf hat. Dann wird bei der Verteilung entsprechend abgewogen, wer zurücksteckt und die Arbeitszeit reduziert. Am Ende ist das dann diejenige Person, die weniger verdient – und das ist in vielen Fällen die Frau, weil dann der „Verlust“ am geringsten ist.
KW: Verhindert das Rückkehrrecht nicht eigentlich auch die Lohnungleichheit? Und ist die Ansprache des Unternehmens an sich nicht egal, wenn ich das Recht habe, zurück zu kommen?
SG: Das Rückkehrrecht ist auf jeden Fall dann ein Faustpfand, wenn ich zumindest eine Zeit lang in Teilzeit gearbeitet habe und dann gerne wieder zurück in Vollzeit kommen möchte. Zum Beispiel, weil die Kinder groß genug sind oder die Pflegesituation anders organisiert ist. Wenn ich dann ein Rückkehrrecht habe, dann kann ich das einfach einfordern. Es ist aber ganz oft so, dass die Teilzeit unbefristet genommen wurde. Wenn ich dann sage, dass ich aufstocken möchte, stellt sich für den Arbeitgeber immer erstmal die Frage, ob es gerade auch entsprechende Möglichkeiten gibt – das ist also schwieriger. Insofern ist das Rückkehrrecht auf jeden Fall ein Faustpfand, das dazu beiträgt, die Lohnlücke geringer zu halten.
17:27 Was muss in Gesellschaft und Politik passieren, um die Gleichstellung voranzutreiben?
KW: Frauen suchen sich oft sogenannte Frauenberufe aus, wie Pflegeberufe. Gibt es eine Möglichkeit, diese aufzuwerten, damit die Frauen in diesen Berufen möglicherweise weniger Nachteile erleiden?
SL: Die Berufe sind teilweise schon aufgewertet. Allerdings bewegen sich die Löhne, gerade in Branchen oder Berufen, in denen mehr Frauen tätig sind, auf einem niedrigen Niveau.
Als Gesellschaft müssen wir schon viel früher, im Kindergarten und in der Schule, vermitteln, dass Frau und Mann wirklich gleichgestellt sind. Wir müssen klassische Rollenbilder wie „Papa ist Ingenieur, Mama ist Pflegerin“ aufbrechen – und gleiche Berufschancen für alle vermitteln. Da muss noch sehr viel mehr getan werden. Die Berufswahl von Jugendlichen wird auch heute noch sehr traditionell getroffen.
SG: Die Frage ist aber auch: Warum sind diese Berufe schlechter bezahlt als andere? Der Beruf als Erzieher ist zum Beispiel ein total herausfordernder, anspruchsvoller Beruf. Unsere Kinder sollen gut gebildet, gefördert und fit für die Zukunft gemacht werden. Und die meisten Erzieher haben auch eine großartige Ausbildung, dafür kann man inzwischen auch studieren. Insofern ist das mit anderen Facharbeiterberufen durchaus vergleichbar. Facharbeiter in Industrieberufen werden aber deutlich höher bezahlt. Und das ist der Blick der Gesellschaft: Kinderbetreuung wird schnell als leichte Arbeit abgetan. Das hat ganz viel damit zu tun, wie wir diese Arbeit bewerten und was uns wert ist, dass dort gute Arbeit gemacht wird.
KW: Warum kommt es durch gewerkschaftliches Engagement nicht dazu, dass in diesen Berufen mehr gezahlt wird?
SG: Gerade bei im Erzieherbereich haben wir die letzten Jahre riesen Schritte gemacht. Wir stecken aber immer noch fest an dem gesellschaftlichen Blick auf diese Berufsgruppe. Die Lohnerhöhungen sind in den letzten Jahren nur über Streiks erreicht worden. Und wenn wir in diesem vulnerablen Bereich streiken, dann sitzen die Eltern plötzlich mit den Kindern zu Hause – und die Stimmung kippt schnell. Gleichzeitig sind die Erzieher oftmals in einer Zwickmühle: Die haben ein großes Herz und wollen sich eigentlich auch um ihre Kinder wieder kümmern.
Hier ist definitiv die Politik gefordert. Denn am Ende entscheidet die Politik über die Frage: Einigen wir uns mit den Gewerkschaften – ja oder nein? Wie viel Steuergelder stellen wir dafür zur Verfügung? Da muss die Politik endlich einen Schritt gehen.
KW: Muss die Politik nicht auch eingebunden werden in der Frage, wie viel Rentenansprüche man in Erziehungs- oder Pflegzeiten erwirbt? Soweit mir bekannt ist, gibt es da ja Rentenansprüche. Woran hapert es also eigentlich?
SG: Ja, wir haben dort Rentenansprüche. Die orientieren sich am Durchschnittslohn und an der Mindestpunktzahl usw. In Sachen Erziehung werden zum Beispiel nur die ersten drei Jahre angerechnet, danach wird es kompliziert. Es gibt also Anrechnungen, das ist besser als nichts. Aber natürlich gibt es hier noch viel zu tun. Grade bei dem Thema Altersarmut sind Frauen deutlich häufiger betroffen – genau aufgrund dieser Kindererziehungszeiten, Pflegzeiten, Teilzeitarbeit etc.
KW: Frau Langhagel, was können wir an den Hamburger Senat und auch an die Stadt als großen Arbeitgeber, für Anforderungen stellen, damit diese Ungleichheit auch beseitigt werden kann?
SL: Wir müssen weiter politische Forderungen stellen. Rollen-Stereotype müssen aufgebrochen werden. Das Entgelttransparenzgesetz ist eine gute Grundlage, um der Ungleichheit entgegenzuwirken und Fortschritte zu machen. Hier muss aber nachgebessert werden auf Bundesebene, weil es in erster Linie für Betrieb gilt, die über 200 Arbeitnehmende haben. Im Gesetz muss ein Verbandsklagerecht verankert werden, dass im Fall von Lohndiskriminierungen dabei unterstützt, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erhalten.
Aber auch in der Basis müssen wir immer wieder auf das Thema Lohngerechtigkeit aufmerksam machen und Gleichstellung auf die Tagesordnung setzen. In den Schulen und durch Aktionen. Es gibt einmal im Jahr den Equal Pay Day – das reicht nicht.
KW: Hier ist das Engagement des Senats gefordert, sehr viel häufiger auf diese Problematik hinzuweisen. Im öffentlichen Dienst, Frau Goldschmidt, ist aber diese Lohnungleichheit nicht so groß wie in der Privatwirtschaft. Stimmt das?
SG: Es stimmt zum Teil. Theoretisch ist das so, weil der öffentliche Dienst auch stark an Tarifverträgen orientiert ist und deswegen dort Lohnungleichheit seltener vorkommt.
Aber trotzdem finden wir auch hier Lohnunterschiede. In dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) sind typische Frauenberufe in den unteren Lohngruppen und typische Männerberufe in den oberen Lohngruppen wiederzufinden. Das erstreckt sich über ganz viele Bereiche. Im öffentlichen Dienst finden sich diese Unterschiede immer noch wieder und das ist aus diesen alten tradierten Rollenbildern hervorgegangen. Wir versuchen das über die Tarifverhandlungen zu verändern.
KW: Die Gewerkschaften sind also dran, allen voran ver.di, als sehr große und starke Einzelgewerkschaft. So höre ich das hier heraus.
25:36 Wie können wir die wachsende Altersarmut von Frauen bekämpfen?
Thema Altersarmut, Frau Langhagel: Die Armut im Alter wird bei Frauen deutlich zunehmen. Ist das eine Dramatik, der man – auch als Bundesregierung – entgegenwirken kann?
SL: Natürlich. Die Altersarmut wächst ja schon länger. Das Thema ist nur noch nicht so in die Öffentlichkeit gerückt. Durch die welt- und gesamtpolitische Lage ist das vielen jetzt erst klargeworden.
Das hängt damit zusammen, dass Frauen nach wie vor zu wenig verdienen, dass die Sorgearbeit noch nicht gleich aufgeteilt ist zwischen den Geschlechtern. Deshalb engagiert sich der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) zum Beispiel im Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“. Dafür, dass Männer und Frauen gleichwertig die Sorgearbeit übernehmen. Im Grunde genommen, wollen viele Eltern auch zu gleichen Teilen die Sorgearbeit übernehmen. Aber: Die Rahmenbedingungen dafür müssen geschaffen werden. Nicht nur durch bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten, auch in Sachen Wertschätzung seitens Unternehmen. Mit persönlich wird immer wieder zugetragen, dass es für Väter nicht einfach ist, zu sagen: Ich möchte mein Kind erziehen und zuhause zu bleiben. Es herrscht eine große Verunsicherung und teils auch Stigmatisierung.
KW: Frau Goldschmidt, mehr als die Hälfte der vollzeitbeschäftigten Frauen werden mit einer Rente von 1.200 Euro abgespeist – das ist dramatisch. Was können wir am Rentensystem ändern, um das zu verbessern? Die FDP möchte zum Beispiel am Aktienmarkt spekulieren. Ist das ein Weg? Wo würden Sie ansetzen?
SG: Von der Idee, mit der Rente am Aktienmarkt zu spekulieren, halte ich überhaupt nichts. Da wundere ich mich auch immer mal wieder, wie vergesslich die Politik und anscheinend auch die Gesellschaft ist. Ich finde, spätestens seit 2007 und der Finanzkrise müsste allseits bekannt sein, dass die kapitalgedeckte Rente nicht zukunftsfähig ist. Wie viele Rentner haben damals ihre private Altersvorsorge verloren? Ich finde das bringt überhaupt nichts und es bringt vor allem nichts in Ungleichheit. Das ist eine Frage der Finanzierung der Rente. Damit ist die Ungleichheit noch lange nicht beseitigt.
Wenn wir da etwas verändern wollen, müssen wir dringend an das Rentensystem an sich ran. Wie können wir das System sozial gerechter gestalten? Explizit für Frauen, aber natürlich auch für Menschen, die im Moment einen sehr geringen Rentenanspruch haben, weil sie im Niedriglohnbereich arbeiten.
KW: Gibt es da Vorstellungen, was wir machen können?
SG: Ja, da gibt es diverse Vorstellungen. Es muss zum Beispiel eine höhere Mindestsicherungsrente geben, die für alle gilt.
KW: Sprechen Sie von einer Mindestrente, die jeder haben soll?
SG: Unbedingt. Das ist wirklich das größte Problem in der Rente überhaupt. Selbst jemand der 45 Jahre Vollzeit gearbeitet hat, hat im Zweifel nur eine Rente auf Sozialhilfeniveau. Das finde ich, das kann nicht sein. Das ist unseres Rentensystems und unserer Gesellschaft unwürdig, angesichts dessen, wie viel Geld grundsätzlich eigentlich da ist.
Natürlich geht es um die Frage des Rentenniveaus. Das Rentenniveau liegt inzwischen bei 48 Prozent. Das ist wirklich ein Problem. Aber alleine die Erhöhung des Rentenniveaus hilft nicht. Das hilft vor allem denen, die ohnehin schon eine gute Rente haben. Wenn es darum geht, dass wir eine bestimmte Menge an Geld zu verteilen haben, dann müssen wir es explizit zu denen bringen, die eh schon wenig haben. Deswegen müssen wir über Themen wie Mindestrente diskutieren, die hoch genug sein muss, dass man ein menschenwürdiges Leben davon leben kann. Erst recht die, die ihr Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Menschen gepflegt haben.
KW: Wir müssen am Rentensystem ordentlich was tun, damit diese Ungleichheit am Ende, wenn die Menschen alt sind, wenn die Frauen alt sind, nicht mehr so zum Tragen kommt.
30:13 Häusliche Gewalt: Wie können Schutz und Hilfen verbessert werden?
Am Ende unserer Diskussion, Frau Langhagel, möchte ich auf ein recht schwieriges Thema eingehen: Frauen sind in besonderem Maße häuslicher Gewalt ausgesetzt. Gerade in Zeiten von Corona war das ein prekäres Thema. Ist das weniger geworden nach Corona?
SL: Leider ist es nicht weniger geworden. Das Thema häusliche Gewalt ist dafür mehr in die Öffentlichkeit gerückt. Dafür hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ganz viel getan. Die Aktion „Hilfe bei Gewalt gegen Frauen“ hat während der Pandemie für viel Aufmerksamkeit und Unterstützung gesorgt.
Unser Kontakt zu Frauenhäusern, zu Fachexperten, und auch der Fachdialog von der Sozialbehörde, Referat Opferschutz, hat leider hervorgebracht, dass Frauen, vor allem Frauen mit Behinderung, nach wie vor sehr, sehr gefährdet sind.
Die öffentliche Kommunikation muss sich hier auch wandeln. In den Zeitungen wird oft von Beziehungsgewalt geschrieben. Aber diese geschlechtsspezifische Gewalt, das heißt, ich werde nur bedroht oder umgebracht, weil ich eine Frau bin, muss auch als ein solcher Femizid bezeichnet werden. Nur dann kann sowas auch in die Kriminalstatistiken einfließen. Das ist bisher noch zu wenig der Fall.
Vor allen Dingen muss aber auch mehr niedrigschwellige Aufklärung und Prävention geleistet werden. Es muss zudem mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden und mehr Plätze in den Frauenhäusern, für Frauen, die Schutz suchen und entsprechende Begleitung benötigen. Zurzeit ist die Nachfrage derartig hoch, dass die Frauenhäuser sowohl personell als auch räumlich überfordert sind.
KW: Häusliche Gewalt findet hinter verschlossenen Türen statt. Es gibt in Hamburg aber das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“. Was ist das Besondere an diesem Projekt und was muss der Hamburger Senat tun, damit dieses Projekt noch mehr wirkt?
SL: In dem Projekt sollen mit Hilfe von Studierenden der HAW Nachbarschaften sensibilisiert werden. Das heißt, dass ich persönlich weiß: Ich kann Hilfe holen, ich werde unterstützt und werde vor allem auch ernst genommen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Damit ist es in verschiedenen Stadtteilen schon gelungen, dass eine gewisse Solidarität gegen Gewalt, auch von Männern, gezeigt wird. Das Projekt muss aber anders, vor allem kontinuierlich, finanziert werden, damit der Projekterfolg nicht hinfällig wird. Es muss mehr Fachlichkeit Einzug finden und es muss auch in mehr Stadtteilen verbreitet werden – nicht nur in Steilshoop oder Osdorf, sondern auch in Blankenese. Auch da passiert häusliche Gewalt.
KW: Frau Goldschmidt, angesprochen wird die Frage, dass dort mehr Beschäftigung stattfinden muss. Das ist ein sehr gewerkschaftliches Thema. Was kann die Gewerkschaft tun, damit dieses Projekt sich über Hamburg ausweiten kann?
SG: Wir unterstützen das total. Wir brauchen auf jeden Fall mehr Frauenhäuser. Die Platznot ist dramatisch. Die Häuser sind überfüllt, weil Frauen keine Anschlusswohnung finden, aber auch, weil es zu wenig Frauenhäuser gibt. Wir müssen auch das Personal aufstocken. Wir brauchen dringend mehr Personal, um in den Frauenhäusern gute Arbeit leisten zu können und um die Frauen dort entsprechend auffangen zu können.
KW: Sie werden auf den Hamburger Senat zugehen, so verstehe ich das – und auch diese Problematik ins Gespräch bringen.
Herzlichen Dank Ihnen beiden, dass Sie heute hier gewesen sind. Herzlichen Dank Ihnen für das wirklich spannende Gespräch. Vielen Dank denjenigen, die uns zugehört haben. Bis zum nächsten SoVD-Podcast „Sozial? Geht immer!“