SoVD-Podcast: Armut, Einsamkeit und Teilhabe
Wie können der Senat, aber auch Verbände wie ASB und SoVD, die Herausforderungen unserer Zeit schultern und den Sorgen und Nöten der Menschen begegnen?
Armut, Einsamkeit und Teilhabe in Hamburg: Fragen und Inhalte
01:43 ASB Hamburg: Säulen der Hilfsorganisation
06:56 Zukünftige Schwerpunkte und Herausforderungen für den ASB in Hamburg
09:33 Seniorenpolitik: Wie können wir die wachsende Einsamkeit bekämpfen?
16:38 Starke Bezirke vor Ort: Schlüssel für eine wirksame Sozialpolitik?
19:01 Inflation und Preissteigerungen verschärfen Armut in Hamburg
24:58 Was kann und muss der Hamburger Senat jetzt tun, um Menschen in Not zu helfen?
Appell an den Senat und an die politisch Verantwortlichen: Holt die Verbände, die Träger, die Engagierten, die Ehrenamtlichen, die Samariter, die die kirchlich organisiert sind, die die aus einer historischen Entwicklung ihres Verbandes heraus eine große Verantwortung haben, holt die alle zusammen, denn diese Stadtgesellschaft muss diese schwierige Situation meistern können.
“Zu Gast ist Marcus Weinberg, der neue Landesvorsitzende des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) in Hamburg. Gemeinsam mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten diskutieren wir drängende Herausforderungen unserer Zeit und zeigen auf, wie wir der wachsenden Armut und Einsamkeit in Hamburg die Stirn bieten können. Nicht nur die Politik im Allgemeinen und der Senat im Speziellen sind hier gefragt. Auch die starken Verbände unserer Hansestadt können zusammen etwas bewegen. Was ist der Schlüssel für eine wirksame Sozialpolitik nah am Menschen? Wie können Senior:innen langfristig an der Gesellschaft teilhaben? Welche Maßnahmen können und müssen mit Blick auf Inflation und Preissteigerungen ergriffen werden, um den Menschen ihre Existenzsorgen zu nehmen und ihre Nöte zu lindern?
Armut, Einsamkeit und Teilhabe in Hamburg: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
MW: Marcus Weinberg
SR: „Sozial? Geht immer!“ Der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Herzlich willkommen zu unserem Podcast “Sozial? Geht immer!” vom Sozialverband SoVD in Hamburg. Herzlich willkommen, Herr Wicher!
KW: Herzlich willkommen! Ich freue mich auch, dass heute Herr Weinberg bei uns ist. Der neu gewählte Vorsitzende des Arbeiter Samariter Bunds (ASB) hier in Hamburg.
SR: Herzlich willkommen, Herr Weinberg.
MW: Vielen Dank! Ich freue mich, dass ich eingeladen wurde und freue mich jetzt noch viel mehr auf die nächsten Minuten mit Ihnen gemeinsam.
SR: Ein paar kurze Eckdaten aus dem Steckbrief von Herrn Weinberg. Er ist ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und war für die CDU als Landesvorsitzender und in der Bürgerschaft in Hamburg aktiv. Er ist eigentlich gelernter Lehrer für Geschichte, Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaften und seit Juli 2022 der neue Landesvorsitzende beim ASB in Hamburg.
KW: Ich möchte da auch noch mal die Gelegenheit nutzen, Herr Weinberg, Ihnen herzlich zu gratulieren und Ihnen alles Gute zu wünschen für diese sehr wichtige Aufgabe des großen Verbandes hier in Hamburg.
MW: Vielen Dank! Es war für mich große Ehre, vorgeschlagen gewesen zu sein. Und dann auch gewählt zu werden mit einem doch tollen Ergebnis. Eine große Ehre, eine große Aufgabe und ich hoffe auch auf eine gute Zusammenarbeit in den nächsten Monaten und hoffentlich Jahren.
01:43 ASB Hamburg: Säulen der Hilfsorganisation
KW: Das denken wir auch, dass das passieren wird. Auf jeden Fall ist das auch eine Verpflichtung, die Sie übernommen haben. Das ist keine Kleinigkeit. Ein großer Verband mit über 60.000 Mitgliedern.
MW: Wir haben 64.000 Mitglieder und mittlerweile 1,2 Millionen Mitglieder bundesweit. Es ist tatsächlich ein Verband, der groß in Hamburg vertreten ist. Wir stehen nicht nur den Mitgliedern zur Seite, sondern sind auch in vielen anderen Bereichen engagiert. Wir haben 1.400 Mitarbeiter und 900 ehrenamtlich Engagierte. Jeder, der durch Hamburg geht, der wird auf den ASB stoßen: Ob im Katastrophenschutz, ob im Rettungsdienst oder sie sehen eine Pflegestation, eine Kita oder eine Kinder- und Jugendhilfe Einrichtung. Wir sind in allen gesellschaftlichen, sozialpolitischen Themen vertreten.
KW: Können Sie ein bisschen mehr über die Bereiche erzählen, die Sie in der Sozialpolitik seit vielen Jahren in Hamburg machen?
MW: Der ASB ist auf verschiedenen einzelnen Säulen gebaut. Ich erwähne die erste Säule gerne, weil sie gerade mit Blick auf die letzten Monate so wichtig geworden ist. Wir sind natürlich Teil des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes und da legen wir großen Wert darauf.
KW: Ich finde, das ist eine der wichtigsten Aufgaben, denn gerade im Rahmen des Klimaschutzes brauchen wir Verbände wie Ihren ganz besonders. Wir reden in Hamburg über Überflutungen, große Regengüsse, aber auch über lange Trockenzeiten. Da kommen große Aufgaben auf Sie zu.
MW: Wir sind Teil des Katastrophenschutzes und das war in den letzten 20 bis 30 Jahren weit weg. Der Kalte Krieg war vorbei, Europa war friedlich und alles ging so seinen Gang. Einer der ersten Punkte, die ich als neuer Landesvorsitzender des ASB Hamburg formuliert habe, war, dass wir die Fähigkeiten im Katastrophen- und Zivilschutz wieder deutlich erhöhen müssen. Das richtet sich nicht nur an Bedrohungen von außen. Mit Blick auf den Klimaschutz wird immer mehr Starkregen vorkommen, das können wir uns gar nicht vorstellen. Die Elbchaussee war letztens unterspült. Wir werden mehr und mehr den Klimawandel in Hamburg spüren. Und es wird mehr und mehr den Bedarf geben, dass auch Hilfsorganisationen wie der ASB, aber auch andere Hilfsorganisationen, möglicherweise gerufen werden, um die Infrastruktur zu schützen oder wieder aufzubauen.
Im Übrigen, wenn ich das so sagen darf, als Fußballfan: Wir helfen auch beim Hamburger Sportverein (HSV), gelegentlich bei Sankt Pauli oder beim HSV Handball. Das gehört auch zu unseren Aufgaben, und das ist natürlich ein wichtiger gesellschaftlicher Teil.
KW: Sie decken noch sehr viel mehr ab. Sie haben den Kinder- und Jugendhilfebereich erwähnt. Auch im Bereich der Seniorenarbeit sind Sie tätig. Können Sie darüber noch ein bisschen berichten?
MW: Ja, das sind die weiteren großen Säulen des ASB. Die eine Säule ist die Pflege – wir sind der größte Anbieter im ambulanten Pflegebereich. Wir haben über ein Dutzend Einrichtungen. Zudem haben wir eine große stationäre Pflegeeinrichtung, die Lupine in Lurup.
Wir überlegen, wie wir innovative Lösungen finden können, um Fachkräfte zu gewinnen und wie wir die Arbeit in diesem Bereich verbessern können. Wir haben das EVA-Prinzip eingeführt, das sich auf das eigenverantwortliche, selbstständige Arbeiten bezieht. Wir haben erkannt, dass wir als ASB auch Innovationsträger im Pflegebereich sind. Es kommt darauf an, dass die Menschen, die in der Pflege arbeiten, zufrieden sind und nicht nur unter Zeitdruck stehen, nicht nur ihre Abrechnungen machen, nicht nur gucken, dass man 1, 2 Minuten für die Pflegeperson X hat. Wir wollen die Pflege weiterentwickeln.
Wir sind auch flächendeckend im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe unterwegs, haben Wohnungen für Jugendliche und Jugendhilfeeinrichtung. Zudem verwaltet der ASB Hamburg 15 Werkstatt-Kitas. Das ist die dritte große Säule.
Außerhalb dieser Bereiche organisieren wir sehr viele präventive niedrigschwellige Angebote, bspw. Senioreneinrichtungen oder Seniorencafés. Zwei große Projekte, in denen sich Menschen engagieren können, sind die Zeitspender und der Wünschewagen. Wenn Sie Zeit für Engagement und Ehrenamt spenden wollen, bitte zu uns kommen. Der Wünschewagen ist in Hamburg ein wichtiges Angebot für Menschen, die sich auf ihrem letzten Lebensweg noch einen Wunsch erfüllen möchten. Da bieten wir mit dem Wünschewagen an, diesen Wunsch zu erfüllen. Das sind Menschen, die, ich muss es ganz offen sagen, kurz vor dem Ende ihres Lebens sind und da haben wir gesagt, wir wollen diesen Menschen noch einen letzten Wunsch erfüllen. Viele weitere Angebote auf allen Ebenen können wir gerne vertiefen.
06:56 Zukünftige Schwerpunkte und Herausforderungen für den ASB in Hamburg
SR: Das ist sehr vielfältig, was Sie für die Stadt und für die Menschen in der Stadt anbieten. Gibt es Schwerpunkte, die Sie sich als neuer Landesvorsitzender gesetzt haben oder gucken Sie sich erst mal die ganze Lage an?
MW: Ich habe für mich vier Hauptpunkte definiert. Der erste Punkt wurde bereits angesprochen: Es geht um die Stabilisierung und den Ausbau der Angebote im Bereich Katastrophen- und Zivilschutzes. Da müssen wir vom Hamburger Senat mehr Unterstützung einfordern, aber auch von Seiten Berlins, was diese Bereitstellung betrifft.
Der zweite Punkt bezieht sich auf den Bereich Pflege und Kitas. Wir müssen das System stabilisieren. Wir brauchen dringend Fachkräfte. Wir müssen Menschen gewinnen, die hauptamtlich und mit Engagement in diesem Bereich arbeiten. Hier kommt das EVA-Prinzip, mehr Selbstständigkeit und mehr Eigenverantwortlichkeit, ins Spiel. Das muss allerdings auch finanziell ausgeglichen sein. Die Arbeit am Menschen, in der Erziehung, in der Pflege, in der Betreuung muss besser bezahlt werden. Das ist für uns auch wichtig als ASB.
Den dritten Punkt habe ich mir persönlich vorgenommen: Einsamkeit im Alter. Die Angebote für Senioren müssen über einen niedrigschwelligen Zugang das Thema Einsamkeit aufnehmen. Immer mehr Menschen leiden unter Einsamkeit. Das wird ein Schwerpunkt sein. Das habe ich auch aus der politischen Arbeit übernommen. Da können wir noch viele neue Ideen entwickeln, wie wir wieder den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken und insbesondere wie wir Menschen aus der Einsamkeit holen.
Noch ein Satz zum Thema Einsamkeit: Diese Radikalisierung, dieses aggressive, teilweise mit Hass getränkte, was so in der Gesellschaft erlebt wird, ist auch in Teilen ein Ausbruch von Einsamkeit. Wenn nicht mehr kommuniziert werden kann, muss kein Konsens mehr gefunden werden. Es werden Menschen für die eigene Lebenssituation verantwortlich gemacht.
Beim vierten Punkt, den ich noch ansprechen will, geht es um das Thema Armut und Kinderarmut. Wir haben in Hamburg weiterhin viel zu viele Menschen in Armut, viel zu viele Kinder in Armut. Das hat mich in Berlin politisch bewegt. Wir haben das Familienstärkungsgesetz und das Gute-Kita-Gesetz auf den Weg gebracht. Wir haben schon viel getan. Kinderarmut ist in Hamburg aber immer noch gravierend – in einer so reichen Stadt. Da haben wir viel vor und da müssen wir auf Seiten des Engagements viel machen, auch als ASB. Ich fordere ein, und ich glaube, da sind der Sozialverband Deutschland und der ASB eng beieinander, dass hier von Seiten der Verantwortlichen in der Stadt mehr getan wird.
09:33 Seniorenpolitik: Wie können wir die wachsende Einsamkeit bekämpfen?
KW: Wir sind da ganz dicht bei Ihnen. Ich möchte zunächst mal das Thema Einsamkeit aufnehmen: der SoVD bietet eine ganze Menge Möglichkeiten. Wir haben 25 Ortsverbände und Treffs, wo Mitglieder regelmäßig zusammenkommen, miteinander sprechen, zu Themen diskutieren und wo das Angebot besteht, auch mal kostenfrei Kaffee zu trinken. Das Thema Einsamkeit wird im Moment von der Stadt aufgenommen. Es wird gerade die sogenannte Global-Richtlinie diskutiert. Es geht um die Weiterentwicklung der Seniorentreffs zu Quartierszentren. Das ist eine ganz alte Forderung von uns. Diese Forderung basiert auf dem Gedanken, der in München umgesetzt worden ist. In München gibt es 32 solcher Zentren. Das sind große Einrichtungen mit 350 qm und immer mit drei bis vier Hauptamtlichen. Alle Angebote für Senioren sind dort zusammengefasst. Der Hausbesuch bspw. findet dann im Quartier statt.
Wir würden gerne wissen, wie da ihre Positionen sind. Ich weiß, sie haben Seniorentreffs, die sie betreiben. Diese Weiterentwicklung, das muss ich auch kritisch sagen, die muss natürlich auch bezahlt werden. Ich habe den Eindruck, nachdem ich auch mit dem einen oder anderen in den Bezirken gesprochen habe, dass die finanzielle Ausstattung dafür natürlich überhaupt nicht ausreicht. Wir brauchen vor allen Dingen Hauptamtliche und Ehrenamtliche. Die hauptamtliche Arbeit stabilisiert das Ganze. Wie ist die Position des ASB?
MW: Wir haben über ein Dutzend Seniorentreffs allein in Altona, in Osdorf haben wir drei. Allein der Ortsverband West hat drei Seniorentreffs.
Die Global-Richtlinie finde ich spannend. Sie liegt aber in der Wissenschaftsbehörde, weil auch davon ausgegangen wird, dass es neue Anforderungen an diejenigen geben sollte, die mit Senioren zusammenarbeiten. Da habe ich ein Problem mit. Wir wissen schon, wie Seniorenarbeit gemacht wird und was gewisse Anforderungsprofile sind. Das dann wissenschaftlich von der Wissenschaftsbehörde begleiten zu lassen ist sicherlich hochspannend.
Wir müssen es runterbrechen auf die Ebene, Basis und Umsetzung. Es ist meines Erachtens falsch bei der Wissenschaftsbehörde. Und dass zwei Behörden miteinander verbunden sind, halte ich für problematisch. Ich weiß gar nicht, wie hoch die Finanzierungssumme jetzt war. 20.000 Euro, das ist zu wenig. Das können wir aus unseren Mitteln, wie wahrscheinlich der Sozialverband Deutschland auch aus seinen Mitteln, immer etwas kompensieren. Unsere Mittel sind aber auch begrenzt.
Wenn wir ernsthaft das Thema Seniorenpolitik betreiben wollen, müssen wir auch Geld in die Hand nehmen. Deswegen ist unsere Forderung auch Richtung Senat, dass das sozusagen stärker finanziell unterlegt wird. Wir brauchen keine großen abstrakten Theorien über die Fähigkeiten und Kompetenzen von Mitarbeitern in diesem Bereich. Die werden wir niemals bezahlt bekommen. Wir wollen eigentlich, dass der Menschenverstand, das barmherzige Samariter-Wesen sozusagen, die Grundlage bildet.
Noch ein Punkt zur Weiterentwicklung der Seniorenzentren. Ich halte das Thema Bekämpfung der Einsamkeit für spannend. Ich überspitzt das jetzt etwas: Es reicht nicht aus, zu sagen, wir haben Seniorencafé und dann haben wir das Thema Einsamkeit bekämpft. Es reicht übrigens auch nicht aus „Essen auf Rädern“ anzubieten. Nein. Senioren wollen beteiligt werden und das auf allen Ebenen und nicht nur einmal im Monat oder einmal in der Woche im Seniorencafé.
Im Bereich der Stadtentwicklung müssen wir uns mit der Frage beschäftigen: „Wie baue ich eigentlich gerechte Quartiere für Senioren?“ Es geht nicht nur um Wohnungen, die seniorengerecht sind. Da gibt es tolle, tolle Angebote. Es heißt auch, dass wir Senioren integrieren, dass es von sich aus eine Beteiligung dieser Menschen gibt. Ich bin nicht der Anhänger, der sagt: „Oh toll, da sind Menschen einsam, da packen wir ein Seniorencafé hin, da gibt es einmal pro Woche einen Treff und alles ist gut.“ Nein, es ist wirklich eine Haltung der Gesellschaft zu sagen, wir kümmern uns um die Menschen, die alleine sind.
Wir reden nicht nur über Einsamkeit, die Senioren betreffen, sondern wir reden auch über die Menschen, die zum Beispiel für ein halbes Jahr nach Hamburg kommen, weil sie ein Projekt haben. 43 Jahre alt, Projekt irgendwo bei Airbus. Diese Menschen sitzen in ihrem Hotelzimmer. Hier brauchen wir gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie können wir Strukturen entwickeln, dass wir dieses Gemeinwesen wieder stärken? Das ist ein Kernelement. Das ist dann auch ein Teil der Bekämpfung von Einsamkeit.
KW: Ja, es ist richtig, aber die Idee der Bildung von Quartierszentren beinhaltet, die Wünsche der Menschen mit einzubeziehen. Das heißt, wir kommen mit ihnen ins Gespräch. Wir überlegen gemeinsam, was wollen wir tun und was wollen die Senioren selber tun? Ideen, die sie haben, können dort umgesetzt werden. Es ist einerseits auch eine Frage von Armutsbekämpfung, die Frage „Wie komme ich aus der Einsamkeit raus?“ Es ist vor allen Dingen auch eine Frage der Beteiligung der Betroffenen. Jetzt sage ich das noch mal ganz kritisch: Die Bezirksämter sollen zuständig werden. Das ist auch in Ordnung, denn die Bezirksämter kennen sich vor Ort aus. Sie müssen dann natürlich sehr stark mit uns zusammenarbeiten, mit dem ASB und mit anderen, wie bspw. mit dem SoVD. Sie müssen vor allen Dingen auch finanziell so aufgestellt werden, dass das, was dort geleistet werden muss, entlohnt werden kann.
MW: Einen Satz zu den Erfahrungen in München: Ich war in Schweden, in Stockholm. Stockholm hat eine ganz andere Seniorenpolitik. Das ist wirklich Beteiligung, dort ist die Seniorenpolitik wirklich als Aktivierungspolitik entwickelt worden. Es ist wichtig, das ernst zu nehmen, was die Menschen wollen. Wirklich ernst zu nehmen, auch politisch. Es braucht natürlich finanzielle Untermalung. Da bin ich bei Ihnen.
16:38 Starke Bezirke vor Ort: Schlüssel für eine wirksame Sozialpolitik?
Jetzt komme ich aber zu einem Grundproblem auch der Sozialpolitik, der Kinder- und Jugendhilfepolitik. Entscheidend wird sein, dass wir vor Ort die Strukturen stärken müssen. Die werde ich aber nicht stärken können, wenn ich gerade da spare, wo das sozusagen in der Fläche entwickelt wird. Da sind die Bezirke ganz zentral. Meines Erachtens muss es eine deutliche Stärkung der Bezirke mit finanziellen Mitteln und auch eine gewisse Entscheidungsautonomie geben. Seniorenpolitik oder Jugendhilfepolitik findet in den Bezirken statt. Die Jugendeinrichtungen sind in den Bezirken. Wir als ASB haben in Altona Seniorentreffs und Jugendhilfeeinrichtungen. Ich halte es für äußerst problematisch, bei den Bezirken zu sparen, auch in schwierigen Zeiten, wo alle gucken müssen, wo das Geld bleibt. Das betrifft nicht nur die Themen Parkscheibe oder Hochzeitstermin, sondern es betrifft im Kernelement die Sozialpolitik. Deswegen müssen wir eigentlich richtig massiv in den Bezirken investieren, weil da das Geld ohne große Bürokratie ankommt. Das wäre eigentlich wünschenswert.
Am Beispiel des Holsten Quartiers können wir sehen, wie so ein Quartier entwickelt werden kann. Bei solchen Projekten müssen alle Parteien berücksichtigt werden, auch der Investor hat Rechte und seinen Bedarf, den er durchsetzen will. Wie können wir ein neues Smart-City-Quartier entwickeln, bei dem es nicht nur um Digitalisierung und Mobilität geht, sondern bei dem das Gemeinwesen auch eine Rolle spielt. In der Architektur, in der Fassadengestaltung und von der Einrichtung wurde ein lebendiger Stadtteil geplant. In dem lebendigen Stadtteil sollen Angebote bereitgestellt werden, die die Bedarfe gerade von Senioren abdecken. Das ist eine Stärkung, das muss einhergehen mit einer Stärkung der Bezirke. Sie kennen sich auch gut in der Bezirkspolitik aus. Da findet das soziale Leben statt und deswegen müssen diese stark sein, damit sie auch die Bedarfe abdecken können.
KW: Die Bezirke kranken an einer ganz bestimmten Stelle. Sie haben eigentlich keinen eigenen Haushalt, sie bekommen Geldmittel zugewiesen. Wenn Bezirke gestärkt werden sollen, dann geht das über Haushaltsautonomie in diesen Bereichen, wo sie selbstständig und eigenverantwortlich die Dinge entwickeln können.
19:01 Inflation und Preissteigerungen verschärfen Armut in Hamburg
Ich komme nochmal auf das Thema der steigenden Armut in Hamburg zurück. Es gibt eine Reihe von neueren Studien, zum Beispiel vom Sparkassen- und Giroverband, die gesagt haben, 40 Prozent aller können nicht mehr sparen und haben nichts mehr auf dem Konto. Das heißt, sie können nichts mehr einsetzen. Das ist ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass wir nicht mehr nur über die 15 bis 20 Prozent sprechen können. Es sind 40 Prozent der Bevölkerung. Das ist eine große Zahl von Menschen in Hamburg, die von Armut betroffen sind. Und jetzt kommen noch die Preissteigerungen dazu. Das heißt: Diese Menschen kommen in Wahrheit nicht mehr über die Runden. Da ist jetzt die Frage: Was schwebt dem ASB vor, gesellschaftspolitisch in Hamburg voranzubringen, damit diese Menschen die Möglichkeit haben, nicht nur sich zu ernähren, sondern auch an der Gesellschaft teilzuhaben. Das ist mit der finanziellen Ausstattung, die diese Menschen haben, im Moment nicht gewährleistet.
MW: Der Staat ist verantwortlich für die Grundversorgung der Menschen. Das sind diese Hartz-IV-Sätze, über die heute immer wieder gestritten wird. Ich bin ganz bei Ihnen, dass es mehr ist als nur der Kauf von Nahrungsmitteln. Bildung und Teilhabe sind insbesondere für Kinder wichtig. Im Familienstärkungsgesetz haben wir dafür gesorgt, dass für eine Mitgliedschaft im Sportverein, die alleine schon 13,98 Euro kosten kann, 15,00 Euro bezuschusst werden, anstatt 10,00 Euro aus dem Teilhabepaket. Auch das Schulstarterpaket haben wir erhöht.
Die Frage ist jetzt: Was sichert die Existenz des Menschen ab? Zurzeit sichert das Hartz IV, dann das kommende Bürgergeld, die Menschen ab. Ich glaube, dass wir hier politischen Handlungsbedarf haben. Die 10 Prozent Inflation und die Preissteigerungen werden sich gravierend auswirken. Der Hartz-IV-Satz muss deutlich erhöht werden. Menschen haben es gerade in dieser Notsituation, wie Sie gesagt haben, übrigens auch im Mittelstand, nicht mehr so leicht.
Es ist nicht mehr so, dass diejenigen, die kein Einkommen haben, die einzigen Menschen sind, die von Armut betroffen sind. Die momentane Armutssituation wird massiv zunehmen, weil der Mittelstand betroffen ist. Früher wurde gesagt, dass in Hamburg ein Drittel von dem Einkommen für Miete zu rechnen ist. Mittlerweile liegen die Mieten bei 50 Prozent des Einkommens. Wenn jetzt die Mieten immer weiter steigen, werden die Menschen diese Mieten möglicherweise gar nicht mehr bezahlen können. Das heißt, die Angebote der Tafel und andere Teilhabe-Angebote gerade für Kinder und für Jugendliche müssen aufrechterhalten und intensiviert werden.
Ich bin der Meinung, dass wir in diesem Winter einen Hamburger Aufschrei zur Bekämpfung der Armut brauchen. Da können wir grundsätzlich lange darüber diskutieren, ob es eine originäre Aufgabe der Tafel ist, Menschen mit Lebensmittel zu versorgen. Nein. Die Grundversorgung muss der Staat gewährleisten. Diese Menschen brauchen jetzt etwas, weil sie hungern und weil sie unter Armut leiden. Da erwarte ich auch vom Senat, dass er rechtzeitig auf die Verbände, die Träger, den Sozialverband und den ASB zukommt und einfach mal sagt: „Wir müssen die Dinge hier jetzt entwickeln. Wie können wir dafür sorgen, dass es zu keiner Hunger-Situation kommt?“
Der Bürgermeister hat gesagt, „keiner wird durch den Rost fallen“. Daran werden wir ihn gerne erinnern, denn es kann tatsächlich die Situation auftreten. Weniger Spenden und Ehrenamtliche, die wirklich am Ende ihrer Arbeitsfähigkeit sind, weil sie sagen: „Wir können nicht mehr, wir müssen Menschen abweisen“. Das ist auch psychologisch schwierig. Da haben wir hier eine akute Notsituation beim Thema Armut und Versorgung der Menschen mit den Dingen, die für ihre Existenz wichtig sind.
KW: In Hamburg wird gehungert und gefroren. Wir betreiben im Osdorfer Born ein Sozialkaufhaus. Dort bin ich regelmäßig mit den Menschen im Gespräch und ich weiß, welche Not im Moment dort herrscht. Das, was im Moment gemacht wird, sowohl von Bundesseite aus als auch von Hamburger Seite, wird nicht ausreichen. Ich finde Ihre Worte gut, Herr Weinberg, dass Sie sagen, wir müssen einen gemeinsamen Aufschrei in Hamburg haben. Es ist natürlich wichtig, dass der Senat auf alle relevanten Institutionen zugeht, wie ASB und Sozialverband, und mit ihnen zusammen mit den Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, Perspektiven entwickelt, die den Menschen jetzt kurzfristig helfen.
24:58 Was kann und muss der Hamburger Senat jetzt tun, um Menschen in Not zu helfen?
Ich nenne mal zwei Punkte, die uns wirklich auf dem Herzen liegen. Das eine ist der Härtefallfonds. Keiner weiß bis heute, wie wir dran kommen und wer dort Ansprüche hat. Ein zweiter Punkt ist das Wohngeld. Das wird erhöht und auf viele Menschen, die bisher keinen Anspruch hatten, ausgeweitet.
Das Problem liegt in der Verwaltung. Die Verwaltung ist gar nicht in der Lage, die ganzen Anträge zu bearbeiten. Bei uns in der Sozialrechtsberatung liegen Schreiben aus einem Bezirksamt vor, in dem geschrieben wird: „Wir bearbeiten Ihren Antrag. Wir bitten um Verständnis, dass es 20 bis 22 Wochen dauern wird.“ Wie wird der Hamburger Senat darauf reagieren? In dieser Notsituation müssen die Menschen an das Geld kommen.
MW: Wir haben beim Thema Härtefallfonds ähnliche Erfahrungen gemacht. Der ASB hat Einrichtungen, die nicht in der Lage sind, Rücklagen so zu bilden, dass wir einen großen Puffer haben. Wir sind dann tatsächlich auch auf den Senat zugegangen und haben gesagt: „Was ist mit dem Härtefallfonds?“ Wir brauchen schnelle, unbürokratische Zugangsmöglichkeiten zu diesem Härtefallfonds. In unserer Pflegeeinrichtung Lupine heizen wir mit Gas. Wir warten jetzt dringend darauf, dass wir möglichst schnell und zeitnah eine klare Botschaft haben.
In der Zeit der Corona-Pandemie, da war ich noch Abgeordneter des Deutschen Bundestages, haben wir die Sozialeinrichtungen zunächst auch vergessen, wie beispielsweise Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Wir haben dafür gesorgt, in dem Fall die Familienpolitiker, dass es da einen Schutzschirm gab, der auch wirklich gut abgesichert wurde. Das erwarte ich jetzt auch in dieser Situation. Zum einen für die Einrichtungen des Härtefallfonds und zum anderen für den zu erwartenden Anstieg von Armut.
Es wäre jetzt gut, wenn wir mit Politik, Verwaltung und Verbänden zusammenkommen und etwas tun, was ungewöhnlich ist. Wir sollten uns nicht die Frage stellen: „Wer hat die Kompetenz und die Macht?“ Sondern die Frage: „Was ist jetzt bedarfsorientiert für den Menschen wichtig?“ Da ist es wichtig, dass die Menschen tatsächlich nicht frieren und nicht hungern. Wenn wir in einer Stadt wie Hamburg eine Situation haben, in der Menschen frieren und hungern, ist das nicht tragbar. Das ist das Wesen des Samariters, dass wir hier helfen und das machen wir gerne.
Jetzt komme ich zu einem letzten, entscheidenden Punkt: Es sind Menschen, die Menschen helfen. Diese Menschen müssen auch das Gefühl haben, dass ihnen auf allen Ebenen der Arbeit Wertschätzung entgegengebracht wird. Wir haben als Beispiel diesen Welcome Point damals am 1. März errichtet, wenige Tage nach dem Angriff Putins auf die Ukraine. Der wurde am 30. Mai von Seiten des Senates geschlossen. Viele haben gesagt: „Wir haben keine Dankbarkeit von Seiten der Politik erlebt.“ Es muss diese Anerkennung geben. Die ehrenamtlichen Engagierten gehen an ihre Reserven. Sie haben die Corona-Pandemie und die Flüchtlingskrise erlebt. Jetzt erleben sie das Thema Armut. Was ich brauche, sind diese Menschen. Diese Menschen müssen wissen, dass es keine Einbahnstraße ist, sondern dass ihnen gedankt wird. Es geht nicht nur um finanzielle Vergütung, es geht darum, dass die Ehrenamtlichen die Wertschätzung kriegen. Diese Menschen, die Ehrenamtlichen, sind der Goldschatz dieser Gesellschaft und die müssen gestärkt werden.
Ehrenamtliche Arbeit ist beispielsweise bei der Hamburger Tafel sehr wichtig. Hier kommt die Frage auf: „Wie kann ich den Flüchtlingen helfen?“ Da wünsche ich mir eine große solidarische Aktion, die politisch unterstützt wird. Ich würde mir auch wünschen, dass an dieser Stelle eine wichtige Botschaft des Senats in Richtung Sozialverband, ASB, Diakonie, Malteser und all diejenigen, die da mit im Spiel sind, geht. Es muss nicht geguckt werden, wer wo und an welcher Stelle ist. Ich lade sie alle ein und dann wird die Tür zugemacht. Da wird auf den Tisch gelegt, was wir brauchen und es wird auf den Tisch gelegt, was wir leisten können. Dann wird überlegt, wie wir schnellstmöglich diese Hilfe für diesen Winter hinbekommen. Denn es ist eine gefährliche Situation, die im Winter, wenn es richtig kalt wird, gerade in der Ukraine noch weiter eskalieren kann.
KW: Ich will noch mal kurz darauf eingehen, was der Senat hier in Hamburg sofort tun kann, um zumindest Teilen der Menschen unmittelbar zu helfen. Der Senat könnte die Grundsicherung im Alter aus eigenen Mitteln erhöhen. Das macht München übrigens. Das könnte Hamburg auch leisten. Machen sie aber im Moment nicht. Wenn ältere Menschen in Armut kommen, dann kommen sie da nie wieder raus. Das müssen wir jetzt wirklich stark angehen. Ich finde, das ist eine Forderung an den Senat, die sinnvoll ist.
Ich habe jetzt gehört, dass der SPD-Parteitag beschlossen hat, ein 29,00 Euro Ticket zu machen. Das finde ich gut, muss ich jetzt uneingeschränkt sagen. Der Punkt, der allerdings nicht beachtet wird, ist, dass die Menschen, die in Armut sind, auch die 29,00 Euro gar nicht aufbringen können. Deswegen ist es wichtig, dass bedürftige Menschen in Hamburg kostenfrei fahren können. Das sind Entlastungen, die der Senat macht.
Er kann übrigens auch im Bereich Pflege etwas tun, zum Beispiel für diejenigen, die in einem Pflegeheim sein müssen. Das sind Menschen, die schon relativ stark angeschlagen sind. Die Investitionskosten könnte der Senat vollständig übernehmen. Das sind Leistungen, die der Senat sofort machen kann. Das wäre sofort eine Entlastung.
MW: Das können wir alles diskutieren. Wir haben jetzt möglicherweise eine Notsituation, wo es um den allerersten Zugang zum Menschen geht, was gewisse Themen angeht. Da lege ich jetzt Priorität drauf und das wäre nochmal ein letzter Appell an den Senat und an die politisch Verantwortlichen: Holt die Verbände, die Träger, die Engagierten, die Ehrenamtlichen, die Samariter, die die kirchlich organisiert sind, die die aus einer historischen Entwicklung ihres Verbandes heraus eine große Verantwortung haben, holt die alle zusammen, denn diese Stadtgesellschaft muss diese schwierige Situation meistern können. Das können wir auch. Das Geld ist da. Es ist nur wichtig, dass wir uns mit diesen Menschen zusammen entwickeln. Das wäre eine gemeinsame große Initiative der Hamburger Gesellschaft in dieser Notsituation.
SR: Menschen, die keine Lobby haben, die zu wenig haben, müssen besser unterstützt werden. Ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, dass wir auf eine Notsituation zusteuern. Das kommende Jahr wird noch brisanter werden. Das ist erst ein kleiner Vorgeschmack auf das, was auf uns noch zukommen wird. Ein Zusammenschluss mit den Organisationen hier in Hamburg wäre auf jeden Fall sinnvoll. Da arbeiten der Sozialverband und der ASB sehr darauf hin.
Schön, dass Sie da jetzt unterstützend tätig sind und die Geschicke als neuer Landesvorsitzender steuern. Herr Weinberg, vielen Dank, dass Sie da waren. Wir haben viele Themen nicht angesprochen. Trotzdem: Vielen Dank.
MW: Ich freue mich darauf und bedanke mich, dass ich heute bei Ihnen sein durfte. Vielen Dank für die spannende Diskussion. Es gibt viel zu bewegen.
KW: Auch von meiner Seite noch herzlichen Dank fürs Kommen, Herr Weinberg. Viel Erfolg in Ihrer neuen Funktion.