SoVD-Podcast: Hilfe im Pflegealltag
Welche Unterstützungs- und Entlastungsangebote gibt es für pflegende Angehörige und was kann Hamburg noch tun, um Betroffenen gezielt zu helfen?
Hilfe im Pflegealltag: Fragen und Inhalte
00:50 Häusliche Pflege in Hamburg
06:11 Pflegekasse: Finanzielle Hilfen für Angehörige
08:04 Haushaltsnahe Dienstleistungen: Kleine Hilfen im Alltag
12:22 Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
14:23 Was muss eine Pflegereform hin zur Pflegevollversicherung leisten?
16:36 Pflegegrad beantragen? Auch bei leichten Einschränkungen sinnvoll!
18:38 Haushaltshilfe, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt: Was kann Hamburg verbessern?
Darum geht es eigentlich bei den meisten pflegenden Angehörigen: Die brauchen mal ein paar Stunden für sich, die brauchen mal Zeit. 43 Prozent der Angehörigen haben Rückenbeschwerden. 55,9 Prozent haben Verdacht auf Depressionen. Es gibt eine ganze Liste von Krankheiten, die durch die Pflege, durch diese private Pflege, entstehen.
“Zu Gast ist Martin Moritz, Geschäftsführer von der ANGEHÖRIGENSCHULE – DAnS. Pflegende Angehörige sind im Alltag häufig starken psychischen wie physischen Belastung ausgesetzt und mit einer Vielzahl von Fragen und Problemen konfrontiert. Sie selbst und das soziale Umfeld kommen dabei oftmals zu kurz. Gemeinsam mit dem Pflegeexperten wollen wir darüber aufklären, welche Hilfen zur Unterstützung und Entlastung es gibt – und diskutieren, was die Hamburger Politik noch tun könnte, um Betroffenen gezielt zu helfen.
Hilfe im Pflegealltag: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
MM: Martin Moritz
SR: „Sozial? Geht immer!“ – der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Herzlich willkommen zu „Sozial? Geht immer!“ dem Podcast des SoVD Hamburg. Ich begrüße Klaus Wicher den Hamburger SoVD-Landeschef. Hallo, Herr Wicher.
KW: Guten Tag!
SR: Dritter in unserer Runde ist heute Martin Moritz von der ANGEHÖRIGENSCHULE – DAnS. Sie sitzen in Barmbek und betreuen und unterstützen Menschen in Hamburg, die ihre Angehörigen pflegen. Sie sind auch bei uns Kooperationspartner und machen Schulungen für pflegende Angehörige in unserer Landesgeschäftsstelle in Barmbek. Herzlich willkommen!
MM: Hallo!
00:50 Häusliche Pflege in Hamburg
SR: Das Thema Pflege und pflegende Angehörige ist ein ziemlich großes Thema. Rund 80.000 Menschen in Hamburg haben Pflegebedarf und müssen gepflegt werden. Davon werden 2/3 zuhause gepflegt und sind nicht in Pflegeheimen. Insgesamt sind es rund 65.000 Menschen, die von Angehörigen gepflegt werden. Das ist eine große Zahl an Menschen, die nicht in professionellen Heimen betreut wird, sondern von Angehörigen, die alles tun, um die Menschen gut zu betreuen. Warum ist das eigentlich so?
MM: Das hat sicherlich mehrere Gründe. Zum einen können viele Menschen, grade im Alter, nicht mehr so viele Veränderungen ab. Das heißt, sie möchten nicht so gerne die Umgebung wechseln, weil sie in einer fremden Umgebung meistens schlechter zurechtkommen. Für viele ist das ein Grund, dass sie diese Veränderung nicht wollen. Zum anderen befürchten sie, dass ihnen das ans Geld geht, dass sie auch ihr Vermögen verlieren, wenn sie eins haben. Wenn sie keins haben, dass sie in die Sozialhilfe fallen und dass sie schlechtere lebenswerte Lebensgrundlagen haben.
Das dritte ist die Furcht davor, dass sie bevormundet werden. Dass sie in ein Pflegeheim kommen, in dem nicht genügend Personal beschäftigt wird. Sie haben Angst, schlecht versorgt zu werden. Das sind sicherlich so die drei Hauptfaktoren. Vielleicht hat Herr Wicher auch noch einen Faktor, den er nennen kann.
KW: Sich wohlfühlen ist Lebensqualität und trägt dazu bei, dass sie sich gesünder und besser fühlen. Das ist einer der wichtigen Gründe, warum sie zuhause sind. Das hat was mit Gesundheit zu tun. Es hat was mit dem gewohnten und sicheren Lebensumfeld zu tun, in dem sie sich bewegen. Das sind wichtige Entscheidungen undGründe, warum das Zuhause schöner ist als in einer eher fremden Umgebung zu sein.
MM: Wir haben mit einer ganzen Reihe von Demenzkranken zu tun bei diesen über 80.000 Pflegebedürftigen. Für Demenzkranke ist es zusätzlich eine Erschwernis, in eine fremde Umgebung zu gehen. Sie können sich noch eine ganze Zeit lang häufig in ihrer gewohnten Umgebung mit Routineabläufen zurechtfinden und kommen in der bekannten Wohnung, in der sie 40 oder 50 Jahre zum Teil gelebt haben, zurecht. Sie müssen nicht nachdenken, wo die Toilette ist, sie gehen da einfach hin und das funktioniert auch noch eine ganze Weile.
KW: Es ist so, dass es relativ schwer ist, Demenzkranke zu betreuen. Es ist eine große Herausforderung sie zuhause zu pflegen. Demenzkranke können sich oft nicht mehr orientieren und gehen auch mal raus. Dann sind sie auf der Straße, im gefährdeten Bereich. Worin liegen diese besonderen Herausforderungen? Wie lösen das die Menschen zuhause?
MM: Das ist ein sehr vielfältiges Thema. Eines der Hauptprobleme ist, dass sich die Wahrnehmung der Erkrankten verändert und dass dadurch die Kommunikation extrem erschwert ist, weil sie einfach vieles von der eigenen Krankheit auch nicht wahrnehmen. Das heißt also, wenn die Angehörigen nicht vorbereitet sind oder sich auch nicht in so einem Kurs schlau gemacht haben, wie sie mit den zu Pflegenden anders kommunizieren können.
Dann gibt es viele Konflikte und ich denke, dass das einer der Hauptbelastungsfaktoren ist. Der zweite Punkt ist die starke Eingebundenheit. Je mehr die Erkrankung fortschreitet, können die Erkrankten nicht mehr alleine gelassen werden und es muss immer jemand da sein muss. Dann braucht es viele Helfer zuhause. Es müssen Menschen gefunden werden, die da sind, wenn man selber mal weg will. Das ist ein Thema, das in jedem Kurs aufkommt.
KW: Wenn ich in einer solchen Situation bin, dann kann ich mich bei Ihnen zu einem Kurs anmelden. Was nehme ich aus so einem Kurs mit?
MM: Es kommt darauf an, welchen Kurs ich besuche. Wenn ich zum Beispiel in einen Orientierungskurs „Demenz“ gehe, dann kann ich dort etwas über das Krankheitsbild erfahren: Was ist überhaupt Demenz und was unterscheidet das von unserer Vergesslichkeit, die wir so kennen?
Man lernt Schritt für Schritt etwas über diese Wahrnehmungsveränderungen, von denen ich eben gesprochen habe. Man lernt ein bisschen was über die veränderte Kommunikation. Was kann man anders machen, damit man nicht so viele Konflikte hat. Wir können uns zum Beispiel nicht mehr so auf die sprachlichen Inhalte verlassen, sondern sind viel auf Mimik und Gestik angewiesen. Wie kann ich mir Entlastung organisieren? Da geht es dann um Geldtöpfe der Pflegeversicherung, die man nutzen kann, die viele gar nicht kennen.
6:11 Pflegekasse: Finanzielle Unterstützung für Angehörige
KW: Demenzkranke zuhause zu pflegen ist etwas Besonderes. Also das ist sicher sehr schwierig, aber es gibt auch die normale Pflege zuhause. Da treten natürlich auch starke Belastung für Pflegende auf. Welche Möglichkeiten bietet eigentlich die Pflegekasse, um solche Menschen richtig gut zu unterstützen?
MM: Es gibt eigentlich eine ganze Menge, was die Pflegekasse bietet. Es gibt fünf Pflegegrade. Der zweitniedrigste bedeutet schon, dass man Geld aufs eigene Konto bekommen kann, wenn man die Pflege privat macht oder man kann mehr Geld bekommen, wenn man einen Pflegedienst nutzt.
Das sind aber so die Dinge, die die meisten kennen. Was sie oft nicht kennen, sind zusätzliche Geldtöpfe, die sie dann bei Pflegegrad 1 zum Teil schon bekommen können, aber auch sehr viele bei Pflegegrad 2. Es gibt die Verhinderungspflege, das sind bis zu 2.418 Euro im Jahr. Damit kann man jemanden bezahlen der mal einspringt, wenn der pflegende Angehörige mal Freizeit braucht oder einfach mal was für sich tun will. Dann gibt es die Kurzzeitpflege. Das ist auch noch mal ein Geldtopf, den man nutzen kann, um den Pflegebedürftigen mal in einem Pflegeheim unterzubringen, wenn es wirklich nötig ist.
KW: Auch die, die zu Hause pflegen, brauchen ja mal Urlaub und könnten so zwei oder drei Wochen wegfahren, ohne in Sorge zu sein, dass der Mensch, den sie pflegen, jetzt irgendwie in Unsicherheit kommt. Ist das dafür gedacht?
MM: Sie können beide Töpfe dafür nutzen. Sie können also entweder jemanden haben, der zuhause wohnt oder es kann auch eine Freundin oder ein Nachbar sein, der dann einspringt. Der kriegt für diese Zeit Geld von mir und ich kriege das Geld von der Kasse wieder unter diesem Stichwort Verhinderungspflege.
8:04 Haushaltsnahe Dienstleistungen: Kleine Hilfen für den Alltag
SR: Ganz schön viel Arbeit, die die pflegenden Angehörigen haben. Schön, dass es diese Hilfsmaßnahmen gibt. Wir müssen sie aber nicht gleich den zu Pflegenden zur Tagespflege geben, manchmal sind es auch Kleinigkeiten, die schon helfen und unterstützen. Da gibt es beispielsweise die haushaltsnahen Dienstleistungen.
MM: Es gibt sogenannte Alltagshelfer in verschiedener Form. Es gibt zum Beispiel Haushaltshilfen, angeboten von Pflegediensten und Pflegeanbietern. Es gibt auch Nachbarschaftshelfer. Das ist eine ehrenamtliche Form der Unterstützung und da kriegt auch die Nachbarschaftshilfe nicht so viel Geld. Diesem Helfer, der ins Haus kommt, kann man sogar schon ab Pflegegrad 1 125 Euro im Monat zukommen lassen.
Wenn er allerdings als Gegenleistung dann 25 Stunden im Monat unterstützt, sind das fünf Euro die Stunde in Hamburg. Das ist Ländersache, muss ich dazu sagen. Das heißt, jedes Bundesland hat eine eigene Regelung für die Nachbarschaftshilfe. Sie merken schon, wie kompliziert das alles ist und das viele Beratung brauchen, um da überhaupt noch durch zu steigen.
In Hamburg hat man sich entschieden, die Nachbarschaftshilfe von maximal 5 Euro pro Stunde zu belegen. Die Regeln besagen, dass sie sich bei einer Servicestelle des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in der Hoheluftchaussee vorstellen müssen, um dann registriert zu werden. Es gibt nur diese eine Anlaufstelle. Das heißt, Personen aus Neuwiedenthal oder aus Bergedorf müssen in die Hoheluftchaussee fahren um sich dort vorzustellen und den Pflegebedürftigen mitbringen.
Das ist etwas, wo ich tatsächlich ein bisschen die Krise gekriegt habe, als ich das das erste Mal gehört habe. Aber es war ernst gemeint. Ich habe extra bei der Behörde nachgefragt. Das ist jetzt neu, dass man auch einen Bevollmächtigten mitbringen darf. Aber die Idee war wirklich, dass die sich persönlich zu zweit auf den Weg nach Hoheluft begeben und sich dort vorstellen.
KW: Der Pflegebedürftige ist vielleicht auch gar nicht mehr so mobil und auch diesen Transport muss man bezahlen. Wer ist denn eigentlich auf so eine Idee gekommen?
MM: Das ist die Stadt Hamburg, in dem Fall war es die Gesundheitsbehörde. Es war damals eine Landesverordnung. Die nennt sich Hamburgische Pflege-Engagement-Verordnung. Das ist auch ein schöner Name für das, was wir da so bekommen haben und dass sie Engagement in eine Verordnung gepackt haben. Mich hat besonders gestört, dass es so unpraktisch ist. Welcher Nachbarschaftshelfer aus Neuwiedenthal fährt wirklich in die Hoheluftchaussee und stellt sich vor, um dann hinterher fünf Euro zu bekommen.
KW: Das ist nun eine Sache für den Sozialverband Deutschland. Da werden wir tätig werden und die Behörde anschreiben.
Fünf Euro entspricht nicht mal dem Mindestlohn. Eigentlich eine gute Sache, den Mindestlohn einzuführen. Aber wenn man eine so wichtige Aufgabe für die Gesellschaft erledigt, kriegt man nur fünf Euro. Das doch nicht in Ordnung?
MM: Ja, jein. Es ist so, dass das in dem Fall eine Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit ist. Das muss tatsächlich schon in Rechnung gestellt werden, dass die Länder versuchen, das zu trennen. Die versuchen, Dienstleistung und Ehrenamt noch ein bisschen auseinander zu halten. Zu sagen, wenn das ehrenamtlich ist, dann darf es nicht über dem Mindestlohn sein. Das heißt, wir haben dann fünf Euro in Hamburg, aber andere Länder wieNiedersachsen sagen 85 Prozent des Mindestlohns. In Schleswig-Holstein werden acht Euro gegeben. In Nordrhein-Westfalen kann man sogar bis zum Mindestlohn gehen. Wir sehen die Bandbreite zwischen fünf und zwölf Euro. Dann fragt man sich natürlich, warum es die einen so und die anderen so machen. Warum setzen die sich nicht einfach zusammen und machen zumindest hier für den Norden eine Regelung, die übergreifend gilt. Das ist ja nicht verboten. Auch im Föderalismus darf man sich auf Dinge einigen und ich glaube, das wäre im Sinne aller Nachbarschaftshelfer, die sich engagieren wollen. Wir brauchen diese Nachbarschaftshilfe.
12:22 Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
KW: Hamburg hat hier sichtbar eine schlechtere Lösung als andere.
Ich habe noch eine andere Frage, Herr Moritz. Wenn jemand zuhause pflegt und zusätzlich im Beruf ist, dann muss diese Person sich entweder eine Zeit lang freistellen lassen oder aber, wenn es über Jahre geht, ganz rausgehen.Wie ist das eigentlich mit Rentenzahlung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder Arbeitslosenversicherung? Werden da Leistungen erbracht?
MM: Zum Teil. Es ist so: jemand, der mindestens zehn Stunden in der Woche pflegt und nicht mehr als 30 Stunden arbeitet, bekommt Zahlungen in die Rentenkasse und die Höhe der Zahlungen in die Rentenkasse richtet sich nach dem Pflegegrad des Betroffenen. Das heißt, wenn der Betroffene Pflegegrad 2 hat, kriegt die Person weniger als bei Pflegegrad 3, 4 und 5.
Was inzwischen geht ist, dass auch Rentner noch Zahlungen in die Rentenkasse bekommen könnten. Wenn sie sich für die sogenannte Flexi-Rente entscheiden, dann müssten sie auf ein Prozent ihrer Rente verzichten, können aber im Gegenzug weiter Zahlungen von der Pflegeversicherung in die Rentenkasse bekommen.
Bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist es tatsächlich so, dass im Grunde jede Auszeit selber bezahlt werden muss. Das heißt, ich kann höchstens ein zinsfreies Darlehen bekommen, wenn ich zum Beispiel ein halbes Jahr aus dem Job rausgehe. Das ist aber auch an Betriebe mit mehr als 15 Mitarbeitenden gebunden. Das heißt, die kleinen Betriebe, die zehn, zwölf Mitarbeitende haben, die können das gar nicht machen. Da kann der Mitarbeitende nicht kommen und sich freistellen lassen, da brauchen wir tatsächlich mehr Unterstützung, damit Menschen nicht in eine Armutsfalle reinrutschen, wenn sie Pflege übernehmen.
14:23 Was muss eine Pflegereform hin zur Pflegevollversicherung leisten?
KW: Zuhause zu pflegen ist nun eine sehr wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Damit entlasten wir in Wahrheit die Pflegekasse und eigentlich auch die Steuerzahlenden, die Arbeitnehmenden, die Unternehmen, die da einzahlen. Aus meiner Sicht müsste dieses besser ausgestattet sein und wir sind als Verband unterwegs und fordern dies auch immer nachdrücklich. Was wären so die wesentlichen Punkte? Wo müssten jetzt dringend Verbesserungen sein, wenn wir jetzt diesen Bereich Pflege zuhause angucken?
MM: Wenn wir jetzt dieses Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ von eben noch mal anschauen, müsste es Zuschüsse geben, wenn jemand sich von der Arbeit freistellen lässt oder teilweise freistellen lässt. Es kann nicht sein, dass das nur über ein Darlehen funktioniert. Das heißt, es muss zumindest der Staat ein Teil des Defizits mit ausgleichen.
Im Augenblick ist es so, dass das alles privat getragen werden muss. Dann müssten wir auch schauen, wenn pflegende Angehörige tatsächlich Arbeitszeit reduzieren, um zu pflegen, ob man dann nicht sagen kann, wir machen es wie bei den Pflegediensten. Sie bekommen dann auch die sogenannten Sachleistungen, das heißt diese zweieinhalbmal höheren Geldbeträge, die ein Pflegedienst sonst abrechnen kann.
Denn es macht einen Unterschied, ob ich dann auch noch auf ein eigenes Gehalt verzichte oder ob ich schon eine Rente bekomme und vielleicht auch einigermaßen zurechtkomme. Aber wenn ich auf persönliche Dinge verzichte, um die Pflege machen zu können, müssten wir das auffangen.
Ich habe auch keine Patentlösung, aber das wäre aus meiner Sicht angemessen. Zu sagen, die bekommen dann das Gleiche wie ein Pflegedienst, weil die auch höhere Kosten haben.
KW: Ja, das sehen wir genauso. Wir haben ja ein Potpourri von Forderungen an dieser Stelle. Eigentlich möchten wir eine Pflegevollversicherung. Das ist, glaube ich, der Weg dahin.
16:36 Pflegegrad beantragen? Auch bei leichten Einschränkungen sinnvoll!
KW: Es gibt sehr viele Menschen, eine steigende Zahl, die pflegebedürftig sind und gleichzeitig Grundsicherung beziehen. Wie kommen die zurecht im häuslichen Bereich?
MM: Es kommt drauf an: Wie sind Sie informiert? Kommen die überhaupt dazu, einen Pflegegrad zu beantragen? Ich war gerade vor kurzem in Tostedt beim Sozialverband und habe vor 30 Personen zum Thema Pflegeversicherung referiert. Ich sehe immer in erstaunte Gesichter, wenn ich sage: „Es geht gar nicht darum, dass sie gebrechlich sein müssen. Es kann auch sein, dass sie einfach nur in bestimmter Hinsicht ein bisschen unselbstständig sind, dass Sie ein bisschen Assistenz brauchen, wenn Sie zum Arzt fahren. Dass Sie vielleicht Dinge vergessen und jemand Sie erinnern muss. Oder wenn Sie eine psychische Erkrankung haben, wenn jemand eine Depression entwickelt und immer jemanden braucht, der so ein bisschen anschiebt und motiviert. Das sind auch schon Gründe, warum man einen Pflegegrad bekommen kann.“
Das heißt, in vielen Fällen sieht man das demjenigen gar nicht an, dass er pflegebedürftig ist. Ich bringe auch gerne das Beispiel von Dr. Wolfgang Schäuble: Man kann auch mit einer Pflegebedürftigkeit arbeiten gehen. Das finde ich, ist auch ein wichtiger Punkt. Dass der Betroffene nicht raus aus der Gesellschaft ist, wenn ein Pflegegrad beantragt wird. Du bist kein Pflegefall, wie man ihn sich früher vorstellte, sondern du hast einfach ein paar Ansprüche und ein paar Möglichkeiten mehr, die Situation zu bewältigen.
Das muss sich auch wirklich mehr ins Bewusstsein rücken! Weil es wirklich ganz, ganz viele gibt, die noch gar keinen Antrag gestellt haben, aber die schon lange Geld bekommen könnten und das Leben ein bisschen leichter hätten. Ich merke immer in solchen Runden, dass da 30 Personen sitzen, die merken „Oh ja, eigentlich könnten wir auch mal so einen Antrag stellen.“ Auf einmal trauen sie sich das, weil da einer ist, der sagt, das können Sie gerne machen, das bringt Ihnen keine Nachteile, selbst wenn es abgelehnt wird, dann stellen sie wieder einen Antrag.
18:38 Haushaltshilfe, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt: Was kann Hamburg verbessern?
KW: Es zeigt, wie wichtig Ihre Arbeit ist, dass Aufklärung geschieht, dass ich überhaupt erst mal weiß, welche Rechte ich habe. Ich möchte noch mal kurz zurückkehren zu dem Thema „Haushaltsnahe Dienstleistungen“. Vielleicht können Sie erklären, was dazu alles gehört? Wie muss das eigentlich ausgestaltet sein? Also müssen die vielleicht kostenfrei erbracht werden?Darf das was kosten? Muss das gestaffelt sein nach Bedürftigkeit? Wie ist da so Ihre Erfahrung?
MM: Das hängt sehr vom Einzelnen ab, was gebraucht wird. Das heißt, wenn jemand eine Einkaufshilfe braucht, dann kann die haushaltsnahe Kraft die Person zum Einkaufen begleiten. Man kann auch bei der Reinigung der Wohnung Hilfe bekommen. Allerdings muss man tatsächlich zwischen den haushaltsnahen Dienstleistungen und der ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfe unterscheiden.
Das ist tatsächlich wichtig, dass wir das auseinanderhalten. Haushaltsnahe Dienstleistungen können auch eine Hauswirtschaftskraft sein, die die Wohnung reinigt, zweimal die Woche oder alle zwei Wochen ein paar Stunden. Das kann auch über Pflegedienste in Anspruch genommen werden. Es gibt zugelassene Haushaltshilfe-Agenturen, die von den Kassen anerkannt sind.
Es gibt die Nachbarschaftshelfer, die ein bisschen in dem Bereich machen dürfen, aber eben nicht den Charakter einer Dienstleistung haben sollen. Aufgaben können hier die Begleitung zum Arzt, zur Ärztin sein, Einkäufe machen, Spiele spielen, Zeit haben, Zeit mitbringen.
KW: Hier ist doch Hamburg auch im Spiel. Wenn jemand den Antrag stellt und sagt, ich möchte eine solche Leistung erbringen, dann wird das geprüft. Wenn jemand diese Prüfung besteht, kann diese Person das machen. Ist das eher eine Verhinderung oder ist das mehr für die Sicherheit, dass die das auch können?
MM: In Hamburg ist es so, dass es keinen Kurs mehr gibt, also nicht bei der Nachbarschaftshilfe. Bei den haushaltsnahen Dienstleistungen gibt es Fortbildungsverpflichtungen. Es gibt, je nachdem was ein Anbieter anbieten will, bestimmte Bedingungen, die erfüllt werden müssen.
Die Stadt gibt deutlich mehr bei den haushaltsnahen Dienstleistungen vor. Für die Anbietenden ist es nicht das große Problem das zu realisieren, weil sie geübt darin sind, solche Verfahren so zu überstehen. Die Anbietenden bekommen auch Fördermittel. Ich sehe das Problem tatsächlich bei den einzelnen Nachbarschaftshelfern.
Man kann als wirklicher Einzelhelfer das auch machen. Ein einzelner Helfer wäre der konkrete Nachbar oder eine Freundin aus der Umgebung, der oder die einmal in der Woche kommt und mit einkaufen geht. Der könnte auch zumindest jetzt mal diese fünf Euro bekommen pro Stunde, wenn er bestimmte Bedingungen erfüllt. Das hatte ich ja gesagt, der muss sich persönlich vorstellen beim DRK in der Hoheluftchaussee. In Hamburg gibt es nur diese eine Stelle. Eine Variante wäre gewesen, das Angebot bei den Pflegestützpunkten anzudocken, also eine Anlaufstelle in jedem Bezirk. Da wird es irgendwelche Gründe geben, die die Stadt daran gehindert haben. Das ist bestimmt diskutiert worden und ich kenne die Gründe jetzt nicht, warum das nicht gemacht worden ist.
In Schleswig-Holstein machen die sogar in Zukunft die Vermittlung. Also da können sich Nachbarschaftshelfer in Zukunft, freiwillig melden und dann werden die mit Angehörigen, die den Bedarf haben, zusammengebracht. Das dürfte auch für Hamburg möglich sein. Deshalb kann geguckt werden, wie das andere Bundesländer machen. Dann können alle gemeinsam sehen: wo haben wir gute Lösungen, die wir zusammenbringen können? Das wäre aus meiner Sicht das Beste. In Niedersachsen muss ein Führungszeugnis vorliegen. Es ist auch sinnvoll, wenn so jemand dann öffentlich anbietet, dass ein Führungszeugnis mit eingereicht wird.
Nur eins müssen wir sagen: Wir brauchen diese Helfer. Wenn wir die Hürden zu groß machen, dann kriegen wir die Helfer nicht. Dann machen die das zum Teil einfach, natürlich ohne Geld. Die Frage ist: Wie nachhaltig ist das dann? Sie sind da ein paar Mal und dann haben sie vielleicht irgendwann die Zeit und die Motivation nicht mehr. Wenn ich ein Taschengeld von 125 Euro im Monat dafür kriegen kann, was auch nicht viel ist, ist das eine kleine Anerkennung, eine kleine Motivation, und im Gegenzug kommt da jemand, der Zeit mitbringt. Darum geht es eigentlich bei den meisten Angehörigen: Die brauchen mal ein paar Stunden für sich, die brauchen mal Zeit um einen Arzttermin zu machen. 43 Prozent der Angehörigen haben Rückenbeschwerden. 55,9 Prozent, hat die BARMER herausgefunden, haben Verdacht auf Depressionen. Es gibt eine ganze Liste von Krankheiten, die durch die Pflege, durch diese private Pflege, entstehen.
Da braucht es diese Entlastungshelfer einfach. Sie werden meistens besser angenommen als eine professionelle Kraft von außen. Also wenn der Freund kommt und dann mal ein paar Stunden da ist, das wird von den Pflegebedürftigen häufig sehr viel leichter akzeptiert, als wenn da jetzt jemand kommt, den die Person gar nicht kennt.
KW: An dieser Stelle wird der SoVD Hamburg tätig werden. Grade was das Melden an einer Stelle in Hamburg betrifft. Das ist ein guter Hinweis. Hier können wir vielleicht erreichen, dass es Erleichterungen geben wird für diesen großen Kreis der Menschen, die etwas ganz aufopferungsvolles in der Gesellschaft tun.
SR: Ohne Engagement und Ehrenamt geht es bei der privaten Pflege von Angehörigen auf gar keinen Fall. Da lädt die Stadt allerhand Verantwortung und Bürde an die Betroffenen ab. Im Prinzip sollte wirklich Ehrenamt und Engagement an allen Stellen unterstützt und gefördert werden. Das wünschen wir uns gemeinsam mit Ihnen, Herr Moritz. Vielen Dank, dass Sie da waren und bis zum nächsten Mal.
KW: Vielen Dank. Auf Wiederhören.