SoVD-Podcast: Solidarität und Zusammenhalt in Krisenzeiten
Welche gesellschaftlichen Folgen haben Krieg, Pandemie, Inflation, wachsende Armut und Wohnungsnot?
Solidarität und Zusammenhalt in Krisenzeiten: Fragen und Inhalte
00:58 Sonntagsumfrage: 13 Prozent der Hamburger:innen würden AFD wählen
03:55 Extreme politische Strömungen: Welche Rolle spielen gesellschaftliche Krisen?
05:32 Wachsende Armut und soziale Spaltung: Spielt das den Rechten in die Hände?
11:22 Soziale Gerechtigkeit, Zuwanderung und Wohlstand in Zeiten des Fachkräftemangels
15:07 Politische Krisen, ökonomische Krisen und Corona: Nagelprobe für den Sozialstaat und das gesellschaftliche Wir-Gefühl?
17:49 Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Wie können wir den sozialen Kitt erhalten?
Es gibt verschiedene Merkmale, die einen stutzig machen sollten, wenn Menschen anfangen, also Politiker oder Anhänger solcher Parteien, bestimmte Teile der Realität zu leugnen. Zum Beispiel den menschengemachten Klimawandel zu leugnen. Das ist eine Form von Leugnung der gesellschaftlichen Realität. Wir sollten stutzig werden, wenn in homogenen Großgruppen gedacht wird, wenn ganz starre Unterscheidungen zwischen wir, die guten Deutschen – und die anderen, die möglicherweise zu uns kommen und uns verdrängen wollen.
“Zu Gast ist Dr. Leo Roepert, Soziologe an der Uni Hamburg. Er forscht unter anderem zum Thema Rassismus und Rechtspopulismus. Gemeinsam diskutieren wir darüber, welche Auswirkungen kriegerische Auseinandersetzungen in Europa und dem Nahen Osten, Corona-Krise und eine angespannte Wirtschaftslage auf uns als Gesellschaft haben: Was machen Krisen mit unserem sozialen Miteinander? Sind wir noch solidarisch und offen für andere Meinungen? Verändert sich unsere Sicht auf die Schwächsten in der Gesellschaft, angesichts der Diskussionen über Flüchtlingskontingente, Inflation und Wohnungsnot? Und was hält unsere Gesellschaft eigentlich zusammen?
Solidarität und Zusammenhalt in Krisenzeiten: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
LR: Leo Roepert
SR: „Sozial? Geht immer!“ Der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Herzlich willkommen! Ich bin Susanne Rahlf.
KW: Ich bin Klaus Wicher, Landesvorsitzender des SoVD in Hamburg.
SR: Heute Zu Gast ist Dr. Leo Roepert, Soziologe an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, Rechtspopulismus, Neue Rechte, Rassismus und Antisemitismus.
LR: Dankeschön für die Einladung.
00:58 Sonntagsumfrage: 13 Prozent der Hamburger:innen würden AFD wählen
SR: Herr Roepert, es gab gerade neue Zahlen zur Sonntagsfrage, also die Frage danach, welche Partei würden Sie am kommenden Sonntag wählen, wenn gewählt werden würde. Laut Umfrage des Instituts Wahlkreisprognose vom 2. Oktober würden sich ein Viertel der Hamburger für die SPD entscheiden. Die Grünen kämen auf 21,5 Prozent, die CDU auf 21 Prozent, die AfD auf 13 Prozent und die Linke auf 8,5 Prozent.
Die FDP wäre mit drei Prozent gar nicht mehr in der Hamburger Bürgerschaft vertreten. Die AfD mit 13 Prozent ist jetzt aber auch nicht gerade wenig. Herr Roepert, ist das eine Momentaufnahme, dass solche Parteien aus politischen Extremen mehr Stimmen bekommen würden oder ist es doch ein langfristiger Trend?
LR: Es ist natürlich erst mal eine Momentaufnahme. Zugleich ist es ein langfristiger Trend, den wir eigentlich spätestens seit 2010 erleben, dass diese sogenannten neuen rechtspopulistischen Parteien an Zustrom gewinnen. Es gab einige sehr herausstechende Ereignisse: der Brexit, der von nationalistischen Kampagnen vorbereitet wurde, oder die Wahl Donald Trumps. Wir haben Parteien wie den Front National oder jetzt Rassemblement National, die Gründung der AfD, die Erfolge der FPÖ, mehrere Regierungsbeteiligungen rechtspopulistischer Parteien.
Wir sehen so einen Gesamttrend über die 2010er Jahre, dass sich das verstärkt. Es ist immer schwierig, Prognosen zu machen. Aber wenn wir uns anschauen, dass die AfD bundesweit auch jetzt bei um die 20 Prozent steht, ich glaube 21 Prozent. Wenn wir uns die Prognosen für die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen nächstes Jahr anschauen, dann ist das sehr beängstigend, dass die AfD da bei über 30 Prozent steht und möglicherweise stärkste Kraft werden könnte.
KW: Wir sehen das als SoVD auch mit Sorge, weil wir denken, dass das, was wir an Werten haben, hier in der Bundesrepublik unbedingt erhalten werden muss. Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat. Hier kann jeder klagen und das sagen, was er möchte und dafür demonstrieren, was er für richtig hält. Das ist ein wichtiger Aspekt, den wir als Demokratie verteidigen und den wir auch verteidigen bei dem russischen Angriff auf die Ukraine. Auch dort steht im Mittelpunkt, dass am Ende natürlich unser erfolgreiches Gesellschaftssystem nicht aufs Spiel gesetzt wird. Es ist dringend erforderlich, dass wir deutlich machen, dass wir mit Menschen, Institutionen und Parteien, die solche Werte nicht vertreten, auch nichts zu tun haben wollen.
03:55 Extreme politische Strömungen: Welche Rolle spielen gesellschaftliche Krisen?
SR: Jetzt haben Sie gerade schon den Ukraine-Krieg angesprochen. Der hat starke Auswirkungen auf Gesamteuropa und hat möglicherweise auch Vertretern extremer politischer Richtungen in die Hände gespielt. Stimmt das, Herr Roepert?
LR: Ich denke, dass jede Form von Krise, die wir erleben, sei sie nun ökonomisch oder politisch, solchen Kräften in die Hände spielt, weil die dafür immer eine bestimmte Deutungsweise vorgeben und bei dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist es natürlich so, dass wir sehen, dass Teile dieser rechten Kräfte der AfD zum Beispiel große Sympathien für Russland zeigen, weil das im Prinzip das Ideal ist, das Vorbild eines autoritären Gesellschaftsmodells, das selbst auch angestrebt wird.
KW: Wir müssen sehr deutlich sagen, dass es natürlich Gründe gibt, die näherliegen. Wir stellen fest, dass wir eine Spaltung in der Gesellschaft vorfinden, die immer tiefer wird. Wir haben immer mehr Menschen, die in Armut geraten und Schwierigkeiten haben, über den Monat zu kommen. Das besonders Bedrückende ist, dass das viele Kinder sind. Eine Zunahme der Kinderarmut ist ein Perspektivverlust für unsere Gesellschaft.
Wir setzen als Sozialverband dort wesentlich an, dass wir sagen, wir müssen es schaffen, dass die Menschen in unserer Gesellschaft wieder eine Perspektive für sich sehen in der Zukunft, in unserem demokratischen Rechtsstaat.
05:32 Wachsende Armut und soziale Spaltung: Spielt das den Rechten in die Hände?
SR: Das sind genau diese Perspektiven, die da verloren gehen, und das Vertrauen in Demokratie. Sie haben gerade diese soziale Spaltung angesprochen. Gibt es da mehr Sympathisanten? Können diese extremen Parteien die Personen mehr einfangen mit ihren Argumenten?
LR: Das ist eine Frage, die auch in den Sozialwissenschaften breit diskutiert wurde. Es gibt da unterschiedliche Einschätzungen dazu. Es gibt diejenigen, die sagen, dass es tatsächlich so ist, dass Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, prekär Beschäftigte oder Arbeitslose, dass die bei diesen sogenannten rechtspopulistischen Parteien überdurchschnittlich vertreten sind. Andere sagen, dass das eigentlich keine so große Rolle spielt, sondern dass es eher eine kulturelle Frage ist, eine Frage von Kulturkämpfen oder von Identitätskonzepten.
Ich glaube, es ist schon was dran, dass rechtspopulistische Parteien soziale Not adressieren und mit ihren Konzepten daran andocken.
SR: Und das auszunutzen ganz klar, oder?
LR: Genau, Sie nutzen das aus und lenken diese soziale Not von Menschen in eine ganz bestimmte Richtung. Ich würde aber nicht so weit gehen, dass es hier einen Automatismus gibt, dass Menschen in schwierigen sozialen Lagen automatisch und intrinsisch dazu neigen, rechte Parteien zu wählen. Diesen direkten Zusammenhang gibt es nicht.
KW: Wir wollen natürlich auch niemanden, der einmal oder zweimal diese Parteien gewählt hat, aufgeben, sondern wir wollen versuchen, sie für unseren demokratischen Rechtsstaat und für die Freiheitsrechte zu gewinnen. Wir sehen, dass Gewerkschaften auf die Straße gehen können und für die Menschen auch vor allen Dingen in den unteren Lohngruppen ein Mehr erreichen können durch Streiks, durch das, was Sie in der Öffentlichkeit sagen können.
Die Freiheitsrechte haben einen enormen Vorteil gegenüber allen anderen Gesellschaftsformen, und wir sind der Meinung, das müssen wir verteidigen. Es kommt im Wesentlichen darauf an, dass unsere Gesellschaft gerecht ist. Da finden wir an vielen Stellen, dass das nicht in Ordnung ist. Ein Beispiel ist die Situation von Alleinerziehenden: Mit zwei und mehr Kindern sind in Hamburg bis zu 43 Prozent der Alleinerziehenden armutsgefährdet.
Das ist eine Situation, die wir dringend ändern müssen, damit junge Menschen und Kinder Perspektiven entwickeln können für die Zukunft und sich in unserer Gesellschaft wohlfühlen.
SR: Genau das denke ich auch. Vor allen Dingen dieses Gefühl, nicht gesehen zu werden und sich abgehängt zu fühlen, ist die Grundvoraussetzung dazu, sich mit anderen außer demokratischen Parteien zu beschäftigen oder auch mit denen zu sympathisieren. Wenn wir uns damit intensiv beschäftigen, merken wir schnell, es werden viele Behauptungen aufgestellt, Belege gegeben, die gar nicht stimmen oder es werden viele Dinge einfach rausgehauen und die Menschen akzeptieren das ganz, ohne das kritisch zu hinterfragen.
Das ist ähnlich wie Donald Trump arbeitet, der auch alle möglichen Behauptungen aufstellt von Wahlen, die manipuliert worden sind und dem ganz viele Personen folgen und dem das auch glauben. Wie arbeiten die denn da eigentlich?
LR: Es gibt verschiedene Merkmale, die einen stutzig machen sollten, wenn Menschen anfangen, Politiker oder auch Anhänger solcher Parteien, bestimmte Teile der Realität zu leugnen. Zum Beispiel den menschengemachten Klimawandel zu leugnen. So eine Art von Leugnung der gesellschaftlichen Realität. Wir sollten stutzig werden, wenn in homogenen Großgruppen gedacht wird, wenn ganz starre Unterscheidungen zwischen wir, die guten Deutschen und die anderen, die möglicherweise zu uns kommen und uns verdrängen wollen.
Wenn so etwas ausgemacht wird und ein drittes wichtiges Element ist so etwas wie Verschwörungstheorien, dass alle sozialen Probleme, die es in der Gesellschaft gibt, einer kleinen, finsteren, bösen Gruppe zugeschrieben werden. Das sind vielleicht so mal drei Merkmale, an denen wir so rechtes Denken, rechtspopulistisches Denken erkennen können.
KW: Wobei wir aus unserer Sicht immer an den konkreten Situationen orientieren müssen. Wir haben einen Fachkräftemangel und dieser Fachkräftemangel ist nicht wegzudiskutieren und der wird sich in der Zukunft fortsetzen. Wenn wir das nicht lösen, dann werden wir unseren Wohlstand verlieren. Um das zu lösen, brauchen wir Menschen aus dem Ausland.
Wir brauchen, wenn es geht, gut qualifizierte Menschen. Wir dürfen auch nicht so egoistisch sein und sagen, wir nehmen nur gut Qualifizierte, sondern wir brauchen auch viele Arbeitskräfte, die einfache Tätigkeiten machen. Wir müssen damit zurechtkommen und damit leben, dass Menschen zu uns kommen aus anderen Kulturkreisen, weil sonst unser Wohlstand nicht mehr gesichert ist.
11:22 Soziale Gerechtigkeit, Zuwanderung und Wohlstand in Zeiten des Fachkräftemangels
SR: Es geht letztendlich um eine Frage der Perspektive. Sehe ich das als negatives Zeichen, wenn so viele Flüchtlinge kommen oder sehe ich die positiven Seiten? Es ist immer eine Frage, welche Haltung dazu eingenommen wird und wie offen wir dafür sind und wie bereit wir sind, auf andere Kulturen zuzugehen.
KW: Wenn egal wer auch immer bei uns arbeitet, dann werden Steuern bezahlt. Aus den Steuern finanzieren wir Schulen, Straßen, Kindergärten oder Hochschulen. Viele wichtige Dinge, die wir brauchen, um unsere Gesellschaft voranzubringen. Es wird auch eingezahlt in die Sozialversicherung.
Jeder, ob jemand aus dem Ausland kommt oder hier in Deutschland geboren ist, der hier arbeitet, zahlt in die Sozialversicherung ein, stützt also unser Renten-, Gesundheits- und Pflegesystem. Wenn das immer weniger werden, die das machen, weil wir nicht genügend Menschen hier in Deutschland haben, dann werden wir erleben, dass diese Kassen, die für uns dringend erforderlich sind und die soziale Gerechtigkeit im Grunde genommen sicherstellen, dass die leer werden.
Dann wird es auch schwierig sein, genügend Krankenhäuser zu haben, genügend Pflegeeinrichtungen zu haben und eine genügend hohe Rente auch zu erwirtschaften.
LR: Wobei wir sagen müssen, dass Rechtspopulisten sich meistens nicht für solche ökonomischen Argumente interessieren, sondern sie haben eigentlich ein rassistisches Bild von den anderen und sagen na ja, die sind eigentlich prinzipiell aus kulturellen oder religiösen Gründen nicht dazu geeignet oder nicht willens, irgendwie arbeiten zu gehen. Die kommen nur her und legen sich hier in die soziale Hängematte. Deswegen haben sie die Position, Migration entweder ganz stark zu begrenzen oder Forderungen nach einem Minus an Migration, also im Prinzip alle Menschen, die keine Staatsbürger sind, aus dem Land schaffen.
KW: Das würde unsere Gesellschaft schwerstens schädigen, denn wenn es nicht genügend Arbeitskräfte gibt, nicht genügend Menschen gibt, die in die Steuern bezahlen, die in die Sozialversicherung einzahlen oder auch die einfach nur konsumieren, dann wird es einen deutlichen Wohlstandsverlust geben. Das muss jeder wissen, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt. Wir brauchen Zuwanderung und wir sind auch ein offener Staat, ein Staat, der human ist und geben jedem, der aus einem Gebiet kommt, wo Krieg oder andere Auseinandersetzungen herrschen die Möglichkeit, hier Asyl zu beantragen.
Das Asylrecht ist aus der Geschichte gewachsen und ist in unserem Grundgesetz fest verankert. Das darf auf keinen Fall gelöst werden. Diese Dinge müssen wir weiterhin schützen und auch dann, wenn es mal schwieriger ist. Wir haben Corona gehabt, wir haben jetzt den Krieg und den daraus folgenden Preiserhöhungen. Wir haben die Probleme, die wir in den öffentlichen Kassen spüren, dass die öffentlichen Kassen leerer werden.
Das alles ist aber in einer starken Gesellschaft mit einer starken Wirtschaft, die wir haben, lösbar. Wir sollten versuchen, auch positiv in die Zukunft zu schauen.
15:07 Politische Krisen, ökonomische Krisen und Corona: Nagelprobe für den Sozialstaat und das gesellschaftliche Wir-Gefühl?
SR: Eigentlich können wir dem nur folgen, aber trotzdem gibt es einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die diese guten Argumente offensichtlich nicht hören wollen oder nicht akzeptieren wollen. Herr Roepert, hat das auch etwas mit Erziehung oder mit Bildung zu tun? Warum sind die Personen für solche Argumente nicht offen, sondern folgt weiterhin eher denjenigen, die diese einfachen Parolen raushauen?
LR: Na ja, also zunächst müssen wir sagen, es gibt diese sozialen Probleme. Es ist nicht so, dass alles super gut ist, sondern es gibt diese zunehmende soziale Ungleichheit. Wir haben ökonomische Krisen und Entwicklungen. Wir haben mit Corona und zum Beispiel mit dem russischen Angriff auf die Ukraine einfach Krisenzeiten.
Die etablierte Politik hat jetzt auch nicht immer die besten Lösungen dafür. Ich denke, diese Verunsicherung von Menschen ist erst mal real, das ist jetzt nichts Eingebildetes und die Frage ist, warum reagieren Menschen dann, indem sie sich rechten Kräften, rechten Parteien zuwenden? Wie gesagt, das ist kein Automatismus. Aus Verunsicherung oder aus einer sozial schwierigen Lage folgt jetzt noch nicht automatisch, dass sich autoritären Kräften zugewendet wird.
Es müssen neue Sachen hinzukommen. Ich denke, es gibt zum einen so etwas wie die Veranlagung, bei manchen Menschen an sozialisierten Haltungen, die dazu neigen, dass sie sich eher mit den Starken identifizieren und dann nach unten treten. Das ist sicherlich ein zentraler Mechanismus. Das andere ist, dass diese rechten Kräfte ganz gezielt ihre Deutungsangebote, ihre Politikangebote, die oftmals zwar nicht sehr realistisch sind, aber die eben bestimmten Bedürfnisse bedienen.
Diese Vorstellung von einer homogenen Wir-Gruppe, aus dem die anderen draußen gehalten werden und damit Probleme löst. Die vorhin angesprochenen Verschwörungstheorien, dass also alles Schlechte in der Welt, alle politischen Probleme bis hin zum Coronavirus, alles eine Erfindung ist, werden von irgendwelchen mächtigen Eliten, die im Verborgenen arbeiten, verbreitet. Da gibt es auch eine ganz klare antisemitische Komponente an diesen Verschwörungstheorien.
All das spricht bestimmte gesellschaftliche Gruppen an und führt sie dann in die Arme der Rechtspopulisten.
KW: Ich möchte aber auch noch mal deutlich sagen: Wenn Menschen aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, dann bereichern sie uns auch. Die Vielfalt möchte ich nicht mehr missen und ich finde es wichtig und richtig, da mal hinzugucken. Nicht nur wo sind die Belastungen, sondern wo wird unsere Gesellschaft dadurch auch reicher?
17:49 Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Wie können wir den sozialen Kitt erhalten?
SR: Herr Roepert, abschließend nochmal meine Frage: Wie gehen wir damit um? Wie können wir dem was entgegensetzen, diesen Strömungen, die bei uns stattfinden? Müssen wir da zusehen und das hinnehmen? Oder wie können wir damit umgehen?
LR: Also ich denke, Aufklärung ist wichtig. Das Perfide an einer Partei wie der AfD ist, dass sie in letzter Zeit zunehmend eine sozialpolitische Karte spielt: Früher hat die Partei den Mindestlohn abgelehnt, seit 2016 steht der in ihren Wahlprogrammen. Sie haben jetzt im Zuge der Energiekrise dafür plädiert, dass Energie bezahlbar gemacht werden soll. Sie wollen die Rente stabilisieren, verbinden das aber immer mit einer sozusagen rassistisch ausschließenden Rhetorik.
Sie nennen das zum Beispiel solidarischer Patriotismus, statt von einer wirklich allgemeinen Solidarität zu sprechen. Das heißt, dass auch auf eine sozialpolitischen Ebene wirklich kritisch zu betrachten, zu diskutieren, zu demaskieren und ansonsten ist es wichtig, von Seiten der Zivilgesellschaft, von antifaschistischen Gruppen Aufklärungsarbeit zu betreiben und als Sozialwissenschaftler sehe ich da meine Rolle eigentlich darin, auf einer wissenschaftlichen eigentlich darüber aufzuklären.
Woher kommen diese Weltbilder? In welcher Tradition stehen sie? Wie haben sie sich historisch verändert und was sind eigentlich gesellschaftliche Mechanismen, die das immer wieder hervor treiben?
KW: Wir müssen prüfen, ob die Lösungen, die angeboten werden, auch realistisch sind. Unsere Gesellschaft ist nicht eindimensional, sondern das ist ein schwieriges Konstrukt. Wir arbeiten international zusammen mit Unternehmen in China, in den USA, in vielen Ländern, in Brasilien und so weiter. Dies ist notwendig, damit wir unseren Wohlstand hier auch erhalten können. Wichtig ist aber auch, dass wir genau hingucken und überlegen, welche Partei bietet eigentlich für mich eine Lösung an, die auch realistisch erreichbar ist, damit es mir in dieser Gesellschaft besser geht?
Ein Beispiel ist der Wohnungsbau. Das ist im Moment richtig schwierig, das wissen alle. Aber es gibt natürlich Perspektiven, die wir gehen können. Wir brauchen mehr Sozialwohnungen. Das ist völlig klar. Dafür treten wir auch ein. Aber es ist auch möglich, diese zu erreichen. Aber nicht gleich jetzt und sofort, sondern das sind Prozesse, die in Gang gesetzt werden müssen.
Hier müssen wir hingucken: Was schlagen die Parteien vor, damit genau dieses Problem gelöst wird? Das Gleiche gilt für Armut. Wie kriegt man Armut aus der Welt? Wir sagen diejenigen, die starke Schultern in unserer Gesellschaft haben, die müssen mehr dazu beitragen, dass in unserer Gesellschaft ein soziales Gleichgewicht entsteht. Das wäre auch möglich. Der Reichtum in der Gesellschaft ist groß. Es gibt übrigens auch auf der Seite eine große Bereitschaft, dies zu tun. Wir müssen durch Steuerpolitik die Umverteilung in Gang setzen und dann wird es vielen bessergehen können.
Natürlich muss unsere Wirtschaft in Gang gehalten werden. Dazu ist es notwendig, nicht den Nationalstaat zu propagieren, das wäre die falsche Richtung. Die richtige Richtung ist, mit den europäischen Partnern, mit den USA, mit China und mit anderen zusammenzuarbeiten, damit unser Wohlstand gemehrt werden kann.
LR: Vielleicht noch als Ergänzung: Wenn wir uns anschauen, was die AfD in der Steuerpolitik vorschlägt, dann ist definitiv nicht die Partei der sozialen Umverteilung, also die Steuerpolitik, die obere Einkommensschichten entlasten will. Die AfD will die Erbschafts- und Schenkungssteuer abschaffen und den Soli abschaffen, lehnt das neue Bürgergeld ab und will Langzeitarbeitslose drangsalieren.
Einerseits spielt die AfD die soziale Karte, andererseits ist sie, wenn wir uns das näher anschauen, definitiv nicht die Partei, die irgendwas für die Interessen von Menschen in sozialer Not tut.
KW: Das müssen wir auch nochmal ganz deutlich machen. Das Bürgergeld ist nicht so ausgelegt, dass Personen dadurch reich werden können, sondern es dient dazu, das Notwendigste für sich zu besorgen und das Notwendigste zum Essen und Trinken und für die Kinder zu haben. Das ist das Wesentliche am Bürgergeld und an der Grundsicherung. Wir müssen daran festhalten, damit unsere Gesellschaft nicht auseinanderfliegt.
SR: Ich denke, auch heutzutage macht es doch deutlich mehr Sinn als früher, sich mit den Programmen der Parteien auseinanderzusetzen. Da sind sehr viele aufschlussreiche Informationen drin und gerade in heutigen Zeiten haben wir auch eine gewisse Verantwortung, mit unserer Stimme auch eine Entscheidung zu treffen.
Insofern sollten wir am Ball bleiben und miteinander reden. Kommunikation ist sehr wichtig. Vielen Dank, Herr Roepert, dass Sie heute hier waren. Vielen Dank, Herr Wicher.
KW: Ich danke auch Herrn Roepert und wir finden es toll, dass Sie sich mit dieser Sache auseinandersetzen und ein bisschen dazu beitragen, dass das Ganze versachlicht wird.
LR: Vielen Dank. Danke für die Einladung.
SR: Das war „Sozial? Geht immer!“ der Podcast vom SoVD Hamburg. Sie können uns abonnieren bei allen gängigen Podcast Anbietern oder hören Sie bei uns rein auf unserer Webseite sovd-hh.de