SoVD-Podcast: Zukunft des Sozialstaats
Was muss ein nachhaltig gerechter Sozialstaat leisten und welchen Einfluss haben die Klima-, Finanz- und Steuerpolitik?
Zukunft des Sozialstaats: Fragen und Inhalte
00:37 Aufgaben und Arbeitsalltag einer finanzpolitischen Sprecherin
04:48 Energiekrise: Impulse und Anschübe statt Restriktionen für Unternehmen
08:52 Kindergrundsicherung: Chancen und Teilhabe ermöglichen
16:34 Bildungspolitik: Wie können wir dem Fachkräftemangel entgegenwirken?
20:23 Rentenpolitik: Wie können wir erreichen, dass alle Menschen im Alter gut leben können?
26:16 Klima- und Umweltschutz: Wie werden wir bis 2045 sozialverträglich klimaneutral?
32:12 Solidarische Steuerreform: Wir tragen alle Verantwortung
Als finanzpolitische Sprecherin der Grünen verantworte ich unsere Finanzpolitik, die wir im Bundestag auf der Bundesebene verhandeln und gemeinsam als Koalition miteinander austarieren. Das besteht darin, unsere grünen Positionen nach mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit immer wieder zu vertreten.
“Zu Gast ist Katharina Beck, seit 2011 Mitglied des Deutschen Bundestages und Finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Über sich selbst sagt sie, dass ihre Berufung das Thema „Nachhaltigkeit und ein schönes Leben für alle“ ist. Gemeinsam diskutieren wir, welche finanzpolitischen Stellschrauben dringend angefasst werden müssen und wie eine solidarische Steuerreform aussieht, wir sprechen über Steueranreize für eine gute Industrie und Wirtschaft, über fehlende Fachkräfte und darüber, wie der Klima- und Umweltschutz sozialverträglich gestaltet werden kann.
Zukunft des Sozialstaats: Der SoVD-Podcast zum Lesen
KW: Klaus Wicher
NT: Nicola Timpe
KB: Katharina Beck
NT: Herzlich willkommen zu unserem Podcast “Sozial? Geht immer!” Mein Name ist Nicola Timpe.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD Hamburg.
NT: Heute zu Gast bei uns ist Katharina Beck, seit 2011 Mitglied des Deutschen Bundestages und finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Schön, dass Sie heute hier sind. Willkommen!
KB: Es freut mich hier zu sein und ich freue mich sehr auf das Gespräch mit Ihnen.
KW: Auch von meiner Seite, herzlich willkommen!
00:37 Aufgaben und Arbeitsalltag einer finanzpolitischen Sprecherin
NT: Frau Beck, Sie sagen selbst, das Thema „Nachhaltigkeit und ein schönes Leben für alle“, das ist Ihre Berufung. Wie Sie das im Beruf verfolgen und was es zu tun gibt in der Finanz- und Steuerpolitik, darüber wollen wir heute mit Ihnen sprechen. Und da setze ich gleich mit meiner ersten Frage an: Worin besteht Ihre Aufgabe als finanzpolitische Sprecherin der Grünen?
KB: Als finanzpolitische Sprecherin der Grünen verantworte ich unsere Finanzpolitik, die wir im Bundestag auf der Bundesebene verhandeln und gemeinsam als Koalition miteinander austarieren. Das besteht darin, unsere grünen Positionen nach mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit immer wieder zu vertreten. Sie können sich sicher schon vorstellen, dass das im Moment eine anspruchsvolle Aufgabe ist, in der es Beharrlichkeit braucht.
Wir sind nur sieben Mitglieder des Bundestags der Grünen im Finanzausschuss und diese Gruppe leite ich. Da hat jede Person ihre eigenen Themen und ihre eigenen Schwerpunkte. Insgesamt beantworte ich alles, was mit Steuern, mit Bankenregulierung zu tun hat.
KW: Wenn Sie den finanzpolitischen Bereich der Grünen steuern, steuern Sie auch Wesentliches der Regierungspolitik.
KB: Wir können durchaus sagen, dass die Finanzpolitik natürlich einer der zentralen Hebel und Diskussionspunkte in der aktuellen Koalition, aber auch insgesamt ist. Natürlich haben die Themen Geld, Finanzen und Steuern Wirkung auf alle Politikbereiche. Es ist, so hart die Verhandlungen auch oft sind, und so sehr schmerzhafte Ergebnisse aus meiner persönlichen und grüner Sicht, zum Teil dann in den Verhandlungen, gerade im Finanzbereich, dann auszuhalten sind, eine erfüllende Rolle, weil ich eben einen Beitrag leisten kann, der auch eine Wirkung hat und wo ich tatsächlich den Hebel in der Hand habe.
NT: Und wie sieht so ein typischer Tag in Ihrem politischen Arbeitsleben aus? Wie können wir uns das vorstellen?
KB: Für Menschen, die Routine und immer das Gleiche wollen, wäre dieser Job nichts. Ich habe aber auch festgestellt: Ich liebe Dynamik. Es gibt nicht den einen Arbeitstag. Eine Unterscheidung, die super wichtig ist, ist, dass die Wochen des Jahres ungefähr zur Hälfte aufgeteilt sind. Ein bisschen weniger als die Hälfte sind sogenannte Sitzungswochen. Die haben eine recht ähnliche Struktur. Aber auch da ist jeder Tag anders. Montags morgens geht es los mit dem Fachbereich Wirtschaft und Finanzen der Grünen. Dann habe ich Verhandlungen mit den Koalitionspartnern und dann haben wir den erweiterten Fraktionsvorstand. Dienstags leite ich die Arbeitsgruppe Finanzen, nachmittags ist die Fraktionssitzung. Am Mittwoch ist immer in diesen Sitzungswochen der Finanzausschuss, wo dann die ganzen finanzpolitischen Themen mit allen Fraktionen im Detail debattiert werden. Ab Mittwoch mittags bis freitags gehen dann die Plenardebatten los.
KW: Viele Menschen sehen den Deutschen Bundestag mit leeren Rängen. Gearbeitet wird woanders?
KB: Gearbeitet wird auch im Plenum. Aber das findet immer in diesen Sitzungswochen von Mittwoch mittags bis Freitag abends statt. Ich verantworte so viele Themen, dass ich nicht zweieinhalb Tage im Plenum sitzen kann, weil ich in dieser Zeit auch die Themen vorbereiten und verhandeln muss. Wir haben ungefähr sieben Stunden dieser zweieinhalb Tage die Verantwortung dorthin zu gehen. Es gibt auch wichtige Abstimmungen, da kommen wir dann alle oder fast alle. Aber ansonsten teilen wir uns das ein bisschen auf, so dass wir die fachliche Arbeit, die wir in den Ausschüssen und den Verhandlungen zu Gesetzen parallel haben, auch leisten können.
04:48 Energiekrise: Impulse und Anschübe statt Restriktionen für Unternehmen
NT: Sie haben sicherlich ganz viele Themen, die Sie zeitgleich bearbeiten. Aber woran arbeiten Sie gerade?
KB: Wir arbeiten ganz konkret im Moment daran, wie wir es schaffen, aus dieser Energiekrise herauszukommen, um noch mehr Anreize für klimaneutrale Zukunftstechnologien zu setzen. Die USA haben mit dem sogenannten Inflation Reduction Act ganz viele Steueranreize für Solar-, Batterie- und Ladestellen-Produktion geschaffen und wir sehen gleichzeitig, dass bisher sehr viel davon in China stattfindet. Wir brauchen für unseren Standort auch Anreize, dass wir hier wieder mehr davon herstellen. 97 Prozent dieser Solar Wafer, die in Solarpanelen drin sind, werden im Moment in China hergestellt. Da müssen wir jetzt in der Steuerpolitik ein positives Umfeld schaffen, dass sich wieder mehr Unternehmen hier ansiedeln, dass wir diese Transformation auch unabhängig machen und souverän werden. Super-Abschreibung heißt das.
KW: Über Abschreibung kann das ein bisschen angeregt werden, aber eigentlich bedarf es doch mehr Geld.
KB: Ja, also wir diskutieren auch gerade, ob eine Abschreibung reicht, denn das funktioniert nur für Unternehmen, die schon Gewinne machen und gerade auch für neue Investitionen. Da geht man dann auch mal ins Risiko.
Wir diskutieren gerade, in Richtung Zulage zu gehen. Sowohl für Unternehmen mit Gewinn als auch Verluste, die am Anfang nicht unbedingt schlecht sind, sondern es wird mehr Geld investiert, als man noch einnimmt. In der Zukunft wird das Geld eingenommen. Bei Zulagen würden auch solche Unternehmen profitieren. Wir diskutieren auch Verlustrückträge nochmal zu verlängern. Das sind dann andere generelle Regelungen. Diese Anreize mit der Zulage würden sich auf Zukunftstechnologien spezialisieren.
KW: In den USA wird sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Unternehmen dort zu platzieren. Wenn man dem sich entgegenstellen will, dann kann man das hier nicht mit 3,50 Euro. Da brauchen Sie viel Geld. Ist da die Schuldenbremse unter Umständen ein Hemmnis, um viel Geld in die Hand zu nehmen. Man spricht ja gar nicht von Schulden, sondern immer von Sondervermögen. Dass man hier vielleicht Sondervermögen, also mehr Schulden über bestimmte Haushaltskonstrukte aufnimmt, um dieses zu fördern. Sie haben gesagt 97 Prozent wird in China produziert – eine riesen Abhängigkeit.
KB: Das ist die Situation, und zwar nicht nur bei Solar Wafern, sondern auch bei vielen anderen kritischen Rohstoffen und Elementen, deren Namen man zum Teil noch gar nicht kennt, die man trotzdem braucht, zum Beispiel in der chemischen Industrie. Deswegen ist es ja so wichtig, hier auch zu investieren. Bei den Steueranreizen ist die Schuldenbremse nicht das zentrale Problem, denn dort würde es sich im Endeffekt primär auch um Mindereinnahmen handeln bei der Zulage. Die Schuldenbremse ist einer der Aspekte, der im Moment uns limitiert, wirklich marshallplanartig zu investieren, wenn man das denn will. Und das ist unsere Überzeugung, dass es wichtig ist, wirklich Impulse und Anschübe zu geben und nicht restriktiv zu agieren. Im Moment. Und ein anderes Problem sozusagen ist aber auch die absolute Absage dazu, am Steuersystem etwas zu verändern, sodass man womöglich auch mit mehr Einnahmen agieren könnte.
08:52 Kindergrundsicherung: Chancen und Teilhabe ermöglichen
KW: Ich würde gerne noch mal auf einige sozialpolitische Themen zu sprechen kommen, die uns natürlich ganz besonders dringlich erscheinen. Da ist zum Beispiel das Thema der Kindergrundsicherung. Kommt die Kindergrundsicherung und wie hoch wird diese sein?
KB: Genau, neben diesen Steueranreizen für eine gute Industrie und Wirtschaft ist die Kindergrundsicherung eines der zentralen Themen, an dem wir arbeiten. Sie wird kommen und die Diskussion ist jetzt, wie sie kommen wird. Ich und wir Grünen machen uns extrem stark dafür, dass sie so kommen wird, dass sie ihren Namen verdient.
KW: Wann wird die Kindergrundsicherung kommen?
KB: Also geplant ist sie 2025 im Haushalt tatsächlich enthalten zu sein. Wir müssen jetzt nach dem Sommer ein Gesetz auf den Weg bringen, damit sie auch aufgesetzt werden kann. Das ist der Zeitplan.
KW: Viele Menschen können das, was an Möglichkeiten für Kinder existieren, im Moment gar nicht abfragen. Es gibt glaube ich 150 verschiedene Fördermöglichkeiten für Kinder. Das kennt keiner. Selbst unsere Fachjuristen müssen da immer nachschlagen und sagen, was gibt es denn da noch?
Es ist eine der Grundforderung alles zusammenzufassen, sodass nur noch ein Antrag gestellt werden muss und dann kriegt man alles. Da wäre es doch besser, das nicht ab 2025 zu machen, sondern früher. Die Menschen leiden doch jetzt, vor allen Dingen die Kinder. Sie müssen einen guten Start in die Gesellschaft bekommen. Und da ist es doch wichtig, jetzt viel zu fördern.
KB: Also das wäre mir natürlich auch total recht, wenn wir es früher hinbekommen könnten. Gerade in diesem Verwaltungs- und Antragsbereich gibt es ein System, das aus Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgesetzbuch II und XII, Leistungen für Kinder-Teilhabe, Bildungspaket und vieles mehr besteht. Ich glaube, dass durchschnittlich nur ungefähr ein Drittel der Leistungen abgerufen wird.
Alles in einem Zugang zu ermöglichen, Kenntnisse darüber zu verbessern, ist super wichtig. Es braucht dann leider ein bisschen Zeit, das zu organisieren, weil auch heute schon die ganzen Anträge und Stellen, die das ausgeben, unterschiedlich sind. Deswegen ist da ein bisschen Vorlauf nötig. Wenn wir gerade das, was schon da ist, vereinfacht früher hinbekommen, ist das mit Sicherheit. Wir haben aber noch andere Aspekte, die uns wichtig sind, wie zum Beispiel auch einen Garantiebetrag einzuführen und einen Zusatzbetrag zu ermöglichen. Auch eine Angleichung von Kindergeld und Kinderfreibetrag hinzubekommen. Heute können Menschen, die viel verdienen, durch den Freibetrag mehr entlastet werden als Menschen, die Kindergeld bekommen und weniger verdienen.
KW: Das ist doch sozial ungerecht.
KB: Das ist ja genau der Punkt. Wir wollen an dieser Stelle auch gerechter werden. Regressive Wirkung, heißt, dass Vielverdienende oder Menschen, die viel haben, mehr bekommen als diejenigen, die wenig haben. Das wollen wir auch ändern. Das ist der zentrale Unterschied zwischen dem, was von der FDP gesagt wird: Wir wollen einfach digitalen Zugang machen. Da wäre zum Beispiel womöglich diese Zusammenfassung der Leistungen noch gar nicht drin.
Das ist bei uns das Wichtige, dass wir diese ungerechten Unwuchten, die es im Moment in der Kinderförderung gibt, auflösen und das umdrehen, dass es wirklichen, belastbaren Ausweg aus der Armut gibt.
KW: Sie sprechen an und sagen, Sie haben Unterschiede zur FDP. Es gibt noch einen Koalitionspartner, die SPD. Sind Sie sich denn da in allen Punkten einig oder muss man da auch noch in Verhandlungen treten?
KB: Meine Wahrnehmung an der Stelle ist, dass das nicht ganz klar ist. Also im Endeffekt würde eine solche belastbare Kindergrundsicherung mindestens 12 Milliarden Euro kosten und man müsste jetzt auch als Kanzler, als SPD Kanzler sagen, das wird gemacht. Aber das habe ich noch nicht wahrgenommen. Ich kenne sehr viele, sehr engagierte Sozialpolitiker bei der SPD, die sehr viele Sympathien für eine Kindergrundsicherung haben, die ihren Namen verdient. Aber ich habe das jetzt noch nicht so wahrgenommen, dass das wirklich verlässlich von der SPD unterstützt wird. Ich hoffe sehr, dass wir da gut vorankommen. Jetzt sind auch Gespräche, die gerade geführt werden, die in die Richtung deuten.
KW: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann wollen Sie nicht nur, dass das, was es schon gibt, alle bekommen, sondern Sie wollen ein Mehr für alle. Ist das so richtig verstanden, Frau Beck?
KB: Für alle nicht, sondern für diejenigen, die wirklich armutsbetroffen sind.
KW: Das heißt, sie wollen eine Staffelung einführen. Für die, die wenig haben, soll es mehr geben und für die, die genug oder zu viel haben, die erhalten sozusagen das, was es jetzt schon gibt.
KB: Genau. Es gibt einen Garantiebetrag und einen Zusatzbetrag. Den Garantiebetrag sollen alle bekommen und diejenigen, die besonders bedürftig sind, sollen eben auch den Zusatzbeitrag.
KW: Wo ist da die Grenze?
KB: Die ist noch nicht final definiert. Da ist gerade die Abstimmung zwischen den verschiedenen Ministerien noch im Gange. Eine ganz konkrete Zahl kann ich Ihnen da an dieser Stelle nicht nennen.
KW: Das, was wir im Moment in der Gesellschaft beobachten, ist, dass die Spaltung in der Gesellschaft deutlich spürbar wird. Das heißt, die, die eigentlich an den unteren Rand gedrängt sind, werden mehr. Wir möchten ihnen gern mit auf den Weg geben, dass sie noch mal darüber nachdenken, dass diese Grenze der besonderen Förderung nicht zu tief angesetzt wird, sondern es sind mehr, die jetzt betroffen sind.
KB: Da ist es mir wichtig, von Ihnen auch zu verstehen, wo Sie diese Grenze sehen würden. Mittelstand ist auch ein Begriff, der tendenziell eingesetzt werden kann, bei allem, was nicht im DAX gelistet ist. Da würde ich zum Beispiel mal ein Fragezeichen dran setzen. Aber wenn wir von mittleren Einkommen sprechen, vom Medianeinkommen, das so niedrig ist, dass ich mich frage, wie 50 Prozent der Menschen in Hamburg sich überhaupt noch Wohnungen leisten können. Indexmieten sind ein großes Problem. Ich sehe sehr stark die immer größer werdenden Unterschiede, die wir gerade jetzt auch im Rahmen der Inflation und Preissteigerungen im Energie- und Lebensmittelbereich, wobei das glücklicherweise ein bisschen abnimmt, erleben. 50 Prozent der Menschen in Deutschland haben gar keine Rücklagen. Ich mache mir sehr große Sorgen. Darum besprechen wir sehr viel, dass wir da gut drauf vorbereitet sind, dass das Thema Inflation und steigende Wohnkosten, nur weil es jetzt nicht mehr neu ist, im Gedächtnis bleibt. Das ist eine sehr große soziale Frage.
16:34 Bildungspolitik: Wie können wir dem Fachkräftemangel entgegenwirken?
KW: Es geht ja nicht um alle, sondern es geht ja vor allen Dingen um die Kinder, dass die Kinder optimal gefördert werden, dass sie gut durch die Schule kommen, tolle Ausbildung machen, studieren können, sodass unsere gesamte Gesellschaft davon profitiert.
KB: Jedes Kind in Deutschland sollte vom Staat Unterstützung bekommen und diejenigen, die besonders armutsbetroffen sind, brauchen womöglich etwas mehr finanzielle Unterstützung, auch um sozial teilhaben zu können, um sich sozial entfalten zu können oder um den Besuch im Schwimmbad, aber auch ein Geschenk oder eine Klassenfahrt mitmachen zu können, ermöglicht zu bekommen.
Ich möchte noch einen Punkt sagen, der vielleicht nicht so sozial herzlich ist, aber der mich einfach auch total umtreibt. Der Punkt: Schulabbrecher-Quote. Die Bertelsmann Stiftung belegt immer wieder, dass einer der beiden Hauptgründe dafür Armut ist. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut. Wir haben jetzt eine Schulabbrecher-Quote von 11,6 Prozent. Wenn man das mal überschlägt bei einer Kohorte von ungefähr 600.000 Kindern im Jahr, sind es knapp 80.000 Personen, die dann nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wie gesagt, es klingt vielleicht ein bisschen unherzig, aber wenn ich mir angucke, dass wir ein Arbeitskräfte- und Fachkräfteproblem haben, ganz großer Natur, dann ist es einfach auch wichtig, Kinderarmut aus der Wohlfahrts-Ecke heraus und in die Gesellschafts-Ecke hinein zu holen. Und es ist mir wichtig, das zusammen zu denken.
KW: Das sehen wir übrigens genauso und das finden wir auch nicht unsozial, sondern dass es richtig ist, genau diese Kinder in den Blick zu nehmen. Es ist nicht nur Armut, sondern auch Bildungsferne von Elternteilen. Das kommt nicht immer zusammen. Manchmal gibt es auch sehr bildungsstarke Familien, die arm sind. Dieses in einen Ausgleich zu bringen, das ist natürlich eine wichtige Sache. Da müsste man nochmal über Bildungsinvestitionen sprechen. Was schwebt Ihnen da vor? Wir müssen die Kinder unabhängig vom Elternhaus besonders fördern. Das geht in der Krippe, in den Kitas los, setzt sich über die Schule fort bis hin in den Beruf. Welche Ideen gibt es da?
KB: Bildungspolitik ist nicht mein Kerngebiet und es ist auch ein Landesthema. Deswegen kann ich eher im Prinzip sprechen. Was mir wirklich ein totales Anliegen ist, ist, dass eben Potenziale früher erkannt werden. Das ist mir sehr wichtig, weil ich jetzt selber eine kleine Tochter habe.
Ich habe aber auch die Möglichkeiten: Ich gehe jetzt mit der Kleinen zum Eltern-Kind-Musik-Kurs am Freitagnachmittag, auf den ich gewartet habe, bis er am Freitagnachmittag frei ist, weil ich das sonst mit dem Beruf nicht vereinbaren kann. Es gibt aber eben auch einige gesellschaftliche Gruppen, die vielleicht gar nicht wissen, dass es solche Angebote gibt, die vielleicht nicht die 45 Euro im Monat oder sogar sehr sicher nicht die 45 Euro im Monat haben, wo man wirklich jeden Cent umdrehen muss. Das sind leider nicht nur manche, sondern extrem viele. Wenn ich mir angucke, dass jedes fünfte Kind von Kinderarmut lebt, dann sind es wirklich extrem viele. Das darf und muss und sollte uns viel mehr umtreiben, auch im Sinne des gesellschaftlichen und im Endeffekt auch demokratischen Zusammenhalts.
20:23 Rentenpolitik: Wie können wir erreichen, dass alle Menschen im Alter gut leben können?
KW: Wir kommen jetzt auf ein Thema, was Bundespolitik ist, aber auch eben eine starke, eine starke Hinwendung zur Sozialpolitik: Die Renten. Die Renten werden ungefähr mit 80 Milliarden aus dem Steuersäckel im Jahr bezuschusst. Ist das denn gesichert? Ich meine, Herr Lindner, der Finanzminister sagt immer, wir haben nicht das Geld in der Zukunft und alle müssen ein bisschen von ihrem Haushaltsansatz runter. Alle Ressorts können nicht so viel ausgeben, wie sie eigentlich wollen, weil das Geld offenbar aus der Sicht von Herrn Lindner nicht da ist.
So, nun ist die Frage: Ist der Steuerzuschuss zur Rentenversicherung gesichert?
KB: Ich habe den tatsächlich noch gar nicht in der Diskussion wahrgenommen, dass der jetzt nicht gesichert sei. Wir haben bald perspektivisch eine große Herausforderung, weil auch ein als ambitioniert dargestelltes Rentenniveau von 48 Prozent, wenn man es mal zusammenfasst. Wenn man dann in die Rente eintritt, hat man deutlich weniger als man vorher hatte. Da ist schon ein bisschen die Frage berechtigt, wie schafft man es, dass man dann nicht so stark fällt, wenn man in die Rente reingeht.
KW: Wir haben uns von der Deutschen Rentenversicherung die Rentenzahlungen für Hamburg geben lassen. Das ist erschreckend. Hamburg ist ein Hochlohnland. Eigentlich müssen ja hohe Renten hier gezahlt werden. 53 Prozent aller Rentner in Hamburg bekommen eine Rente bis 1.000 Euro. Das haben wir auch nicht gedacht, dass es so schlecht ausgestattet ist. Ich würde gern mit Ihnen mal über das Thema Mindestrente sprechen. Müsste es nicht aus der Sicht der Grünen eine Rente geben, die nicht unterschritten wird, die oberhalb des Existenzminimums liegt.
KB: Natürlich ist das unsere Haltung, also dass man auch im Alter genug hat. Man kann eigentlich in diesem Staat nicht gegen eine Sicherung des Existenzminimums sein.
KW: Das Existenzminimum wird aber unterschritten.In Hamburg sind ungefähr 30.000 Rentner nicht mehr in der Lage, von ihrer Rente leben zu können und müssen Grundsicherung im Alter, die nicht ausreichend ist, beantragen.
KB: Womöglich ist die Grundsicherung im Alter nicht ausreichend. Wahrscheinlich nicht, um in Hamburg zu leben. Ich kann Ihnen jetzt hier auf diese Stein-der-Weisen-Frage keine komplett zufriedenstellende Antwort geben, weil wir einfach ein ganz riesiges Thema haben, was jetzt viele Jahre verschleppt wurde und wir eben schauen müssen, was der Staat hier tatsächlich leisten kann. Sie haben auch gerade gesprochen, dass auch die Milliarden, die dort konsumtive für die Rente ausgegeben werden, dass das nicht besonders in Aussicht steht, aufgestockt zu werden. Die Gefahr ist gerade eher zu sinken. Das zu sichern ist erstmal wichtig.
Ich möchte gerne, dass Menschen im Alter gut leben können. Die Frage ist: Was kann der Staat leisten und wie kann man das zum Beispiel in die dritte Säule, also in die private, reinkriegen. Da hätten wir eine Idee für ein Basisprodukt, wo es einen staatlichen Fonds gibt und alle sind automatisch da drin. Dann ist man quasi nicht in der ersten Säule der gesetzlichen Rente, sondern in der privaten Säule. Ein System, in dem auch Selbstständige erstmal drin wären, die dann auch freiwillig wieder rausgehen können. Viele Selbstständige haben auch Probleme in ihrem Alter.
Wir reden jetzt nicht hier über Schlaraffenland und das ist alles das Tollste. Da wäre es natürlich total schön, wenn alles automatisch durch die erste Säule abgedeckt wäre. Aber das wäre zum Beispiel ein Vorschlag, den ich sehr, sehr gut finde im Vergleich zur Aktienrente, die diskutiert wird und die wir mit 10 Milliarden jetzt auch beginnen. Die hat eine echt große Herausforderung, weil sie auch in der ersten Säule drin ist und dort Dinge auch irgendwann perspektivisch von der Meinung unseres Koalitionspartners ersetzen soll. Dann nimmt man Geld als Schulden auf und investiert es dann und gerade mit den hohen Zinsen. Wir haben da wirklich ein ganz großes Problem, weil es super schwierig ist, überhaupt ein Plus zu erwirtschaften, was dann in die Rentenkasse kommt. Deswegen bin ich, auch wenn ich in dieser dritten Säule ja durchaus für einen staatlichen Fonds bin, an der Stelle kritisch und frage mich, was das auch wirklich einfach schlicht finanziell bringt.
KW: Die Aktienrente lehnen wir als SoVD ab, die halten wir für den ganz falschen Weg. Es ist ganz falsch, die Aktienrente in die erste Säule zu bringen, weil dann Geld der Versicherten umgewandelt werden kann. Es wird auch geäußert, von einem Ihrer Koalitionspartner, in sozusagen Aktienfonds anzulegen. Das sind Punkte, da sind wir uns völlig einig. Wir könnten das noch vertieft diskutieren, aber wir sind ja eigentlich im Bereich Finanzpolitik.
KB: Wie gesagt, Geld und Finanzen sind fast überall drin. Es ist sehr natürlich, dass wir uns jetzt durch alle Politikfelder bewegen.
26:16 Klima- und Umweltschutz: Wie werden wir bis 2045 sozialverträglich klimaneutral?
KW: Aber es gibt natürlich Dinge, die Sie ganz besonders bewegen wollen, wie bspw. Klima- und Umweltschutz. Die Herausforderungen sind da: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein und auch dafür brauchen Sie sehr viel Geld und müssen sehr viele Ressourcen einbinden. Gibt es Überlegungen, wie Sie das schaffen wollen? Wie ist die Position der Grünen im Vergleich zu den anderen Koalitionspartnern? Was muss da aus Ihrer Sicht finanzpolitisch bewegt werden?
KB: Erstens ist ganz wichtig festzustellen, dass es viel günstiger sein wird, jetzt zu investieren, als nichts zu tun. Wir haben jetzt beim Ahrtal gesehen, dass wir 30 Milliarden Euro in Fonds tun mussten, um die Folgen einer Flutkatastrophe und leider müssen wir von mehr Folgen ausgehen, die mit dem Klimawandel zu tun haben, wenn wir nichts machen. Das ist schon so extrem teuer deswegen, das fehlt mir oft in der Debatte. Es ist einfach viel günstiger, jetzt was zu machen, als zu warten, weil dann kommen die Kosten und dann sind es nur Problemkosten. Jetzt kann man zukunftsfähig investieren.
KW: Was sind die ersten wichtigen Schritte? Die Anschaffungen kosten ja und das muss aufgebracht werden. Sie haben auf der anderen Seite Herrn Lindner, der sagt: "Nun nicht so viel Geld geben jetzt im Moment.”
KB: Also diese immensen Kosten, die vor allen Dingen in vier Branchen anfallen: Energie-, Gebäude-, Verkehrs- und Landwirtschaftsbranche. Es geht darum, die Produktionsprozesse so zu verändern, dass sie klimafreundlich werden. Das sind dann auch privatwirtschaftliche Kosten, also Investitionen. Der Staat und wir hatten am Anfang schon über diese Steueranreize gesprochen. Je nachdem, wie die ausgestaltet sind, kosten die so oder so viele Milliarden, dann im Sinne von Mindereinnahmen, die dann eben als Steuern nicht gezahlt werden müssen, die sich positiv auf das Geschäftsergebnis auswirken. Ansonsten gibt es Förderprogramme, die so oder so ausgestaltet werden können. Da sind wir gerade in der Diskussion. Das ist alles nicht komplett nur auf eine Zahl zu beziffern.
KW: Was auch sozial ausgewogen ist, sagt man immer. Wir sagen, die Menschen müssen sich Klimaschutz leisten können, sonst gehen sie gar nicht mit. Das ist ja die Gefahr dabei.Die spalten sich ab. Und wir haben Probleme, auch in unserer Gesellschaft, dass die Ränder immer größer werden.
KB: Das meinte ich gerade mit der Einstellung dazu. Natürlich gibt es jetzt auch bei den Wärmepumpen Anfangsinvestitionen und ich finde es auch sehr schade, dass das in unserer Kommunikation nicht ausreichend gut rübergekommen ist. Natürlich bedeutet das am Anfang eine Veränderung, dass es am Anfang ein Kostenpunkt ist. Aber dieser Kostenpunkt ist nicht einer, der komplett on top kommt. Auch wenn dieser Kostenpunkt kommt, werden erneuerbare Energien viel günstiger sein. Eine Wärmepumpe wird mit Strom betrieben, nicht mehr mit fossilen Energien und kostet drei- bis fünfmal so wenig. Das zieht sich über Zeit und wir müssen am Anfang diese Transformation viel behutsamer und viel stärker unterstützen für die Menschen, damit es möglich ist. Das Wichtige ist dieser Zeit Aspekt, dass es langfristig sogar günstiger wird, auch für den einzelnen, aber jetzt am Anfang eben eine große Investition ansteht. Das haben wir noch nicht ausreichend gut gesagt und da müssen wir noch viel stärker auch finanziell begleiten.
KW: Sie haben vorhin gesagt, dass ungefähr 40 Prozent aller gar kein Geld mehr auf dem Konto haben. Wenn ich Mitte 70 bin, dann kriege ich auch keinen Kredit mehr von Sparkassen und Banken. Das ist das Problem, dass Menschen haben, die jetzt im Moment kein Geld haben. Das ist eine zunehmende Zahl. Es wäre egal, ob die sowieso finanzieren müssten, was sie gar nicht können oder nicht. Der Umbau in eine klimaneutrale Gesellschaft muss doch jetzt passieren und ist da nicht sinnvoll, diesen Menschen noch mehr unter die Arme zu greifen, damit sie auch sicher sind.
KB: Genau das habe ich gerade versucht, zumindest zu sagen, dass es wichtig wäre, diese Anfangsinvestitionen, also das, was dann beim Wechsel auch an Zusatzkosten auf die Menschen zukommt, finanziell zu unterstützen.Da bin ich gerade in Gesprächen. Das ist genau der blinde Fleck, der bisher nicht ausreichend adressiert wurde.
Ich glaube eine Sache, die noch ganz wichtig ist. Sie meinten ja gerade, mich treibt vor allem Umwelt und Klimapolitik um. Ja, das treibt mich sehr um. Was mich aber auch extrem umtreibt, ist die Ungleichheit in Deutschland, weil sie einfach zu einer Demokratie-Erosion auch beiträgt.
32:12 Solidarische Steuerreform: Wir tragen alle Verantwortung
KW: Leider schaffen wir das Thema zeitlich nicht mehr. Ich würde am Ende gerne noch fragen wollen: Um eine solidarische Steuerreform, das heißt, diejenigen, die viel haben, stärker zu belasten, um das, was das Gemeinwesen leisten muss, auch wirklich auf die Schiene zu bringen. Haben Sie da Ideen?
KB: Also ich hätte ja gehofft, dass durch so was Extremes wie ein Krieg in der Ukraine nicht nur die Grünen mal ihre Grundsätze, wie keine Waffenlieferungen, überprüfen, sondern womöglich auch die FDP mal überprüft, ob es wirklich sinnvoll ist in diesen Zeiten, wo die Menschen so stark leiden. Wir haben es gerade gesehen. Es geht nicht nur um die Wärmepumpen. Die Energiepreise sind krass durch die Decke gegangen, die Lebensmittelpreise steigen, 50 Prozent der Menschen haben keine Rücklagen und wir haben eine Konzentration von 5 bis 10.000 Milliarden Euro Privatvermögen bei den obersten Prozenten. Die mehr zu beteiligen und daran, wie wir das abfedern. Wir hatten ja die Energiepreis-Pauschale beispielsweise. Über so etwas, finde ich, müssen wir noch einmal nachdenken. Das ist definitiv ein Vorschlag. Ich sehe gerade nicht realistisch, dass es zu machen ist. Nur da würde ich mir einfach mal wünschen, dass es eine gewisse Gesamtstaatsverantwortung bei allen Koalitionspartnern gibt.
KW: Einführung der Vermögenssteuer, Verbesserung der Erbschaftssteuer, Einkommensteuer und Spitzensteuersatz erhöhen. Sind das Themen, die Sie bewegen wollen? Jetzt mal unabhängig von dieser Koalition.
KB: Eine stärkere Beteiligung von Menschen mit großem Vermögen. Da arbeiten wir gerade dran. Wir diskutieren das auch miteinander. Eine stärkere Unterstützung auch des Vermögensaufbau überhaupt oder der Kreditwürdigkeit, wie Sie gerade schon gesagt hatten, bei den unteren 50 Prozent definitiv. Das ist das, woran wir Tag und Nacht arbeiten. Was aber, wenn das Kriterium ist, was in dieser Koalition durchsetzbar ist? Leider ist das eine große Herausforderung.
NT: Liebe Frau Beck, wir könnten jetzt noch 100 weitere Fragen stellen. Die Zeit ist leider um. Wir danken Ihnen sehr, dass Sie da waren. Vielen Dank auch an unsere Zuhörenden.
KW: Auch von meiner Seite noch herzlichen Dank fürs Kommen und es war eine wirklich interessante Diskussion mit Ihnen. Dafür auch noch mal herzlichen Dank.
KB: Mit Ihnen auch, vielen Dank für die Einladung.
NT: Das war “Sozial? Geht immer!” der Podcast des SoVD Hamburg. Sie können uns bei allen guten Podcast-Anbietern abonnieren oder Sie hören bei uns rein auf unserer Website www.sovd-hh.de.