SoVD-Polittalk mit der SPD Hamburg
Am 2. März 2025 wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft. Doch wie stehen die Kandidierenden und ihre Parteien zur Sozialpolitik? Wir werfen einen Blick in die Wahlprogramme und beleuchten, wie die Weichen für die Zukunft gestellt werden könnten. Immer im Fokus: Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Chancengleichheit.
Zu Gast ist Dirk Kienscherf, MdHB SPD. Im Gespräch mit SoVD-Landeschef Klaus Wicher nimmt der Fraktionsvorsitzende Stellung zu den drängenden sozialpolitischen Baustellen der Stadt Hamburg. Er zeigt auf, an welchen Stellschrauben er drehen möchte, um diese zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren und macht Vorschläge für eine soziale Politik, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick hat.
00:58 Stadtentwicklung/Wohnen
05:37 Wärmeplanung
14:40 Mobilität
20:18 Gesundheit
22:37 Pflege
25:10 Öffentliche Verwaltung
SoVD-Polittalk mit der SPD Hamburg zum Lesen
NT: Nicola Timpe
KW: Klaus Wicher
DK: Dirk Kienscherf
NT: Der SoVD-Polittalk zur Wahl. Klaus Wicher im Gespräch mit Hamburger Spitzenpolitiker:innen. Am 2. März wird die Bürgerschaft neu gewählt. In unserer Podcast-Reihe zur Wahl fragen wir nach: Wie wollt ihr in den kommenden Jahren die sozialen Problemlagen in der Stadt angehen? Ob Wohnungsnot, Armut oder Pflege – wir wollen Antworten. Sie wollen keine Folge verpassen. Dann abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcast-Plattformen.
NT: Herzlich willkommen zu unserem Podcast. Mein Name ist Nicola Timpe.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher, ich bin Landesvorsitzender des SoVD in Hamburg.
NT: Heute zu Gast bei uns ist Dirk Kienscherf. Sie sind ein waschechter Hamburger aus Hamm und Borgfelde und seit 2018 Fraktionsvorsitzender der SPD. Herzlich willkommen! Toll, dass Sie da sind!
KW: Herzliches Willkommen.
DK: Ja, ich freue mich über die Einladung.
00:58 Stadtentwicklung/Wohnen
NT: Herr Kienscherf, ein Thema, das vielen Menschen in Hamburg Sorgen bereitet, ist fehlender bezahlbarer Wohnraum. Wie will die SPD dieses Problem in den nächsten Jahren angehen?
DK: Wir waren im letzten Jahrzehnt sehr erfolgreich, wir haben weit über 100.000 Wohnungen gebaut. Es sind mehr Menschen nach Hamburg gekommen und deswegen müssen wir weiterhin in bezahlbaren Wohnraum investieren, den sozialen Wohnungsbau weiter vorantreiben, aber auch Bauvorschriften ändern, so dass Wohnungsbau wieder bezahlbar ist. Also beides: A) mehr Geld bereitstellen für mehr Sozialwohnungen und B) besser und günstiger bauen.
KW: Da sind wir einer Meinung. Es müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden, zum Beispiel beim Thema Klimaschutz. Wir finden, dass viele Dinge dort nicht auf die Realität hin angeguckt worden sind. Gibt es dort Bewegung in der Politik in Hamburg?
DK: Ja, wir haben das, was auf Bundesebene geschehen ist, massiv kritisiert, weil wir in der Tat gesagt haben, es muss das Klima schützen, aber es muss wirklich sinnvoll sein, und es muss eine soziale Komponente haben. Beides hat es nicht. Der Bund hat es jetzt korrigiert. Der Wirtschaftsminister hat eingesehen, dass die Neubauförderung EH40 nicht das Richtige ist und deswegen wird dieser Standard ausgesetzt. Wir müssen alles daransetzen, dass es mehr Fördermittel gibt, damit Wohnungseigentümer, aber auch Mieter sich das leisten können.
KW: Wir haben in Hamburg sehr viele Menschen, die eine bezahlbare Wohnung suchen. Da ist es notwendig, dass der bezahlbare Wohnraum, also Sozialwohnungen, stärker gefördert wird. Das ist das, was wir von der Hamburger Politik verlangen: 5000 Sozialwohnungen pro Jahr. Das wäre ein Weg, um die Zahl der sich in der Bindung befindenden Sozialwohnungen zu steigern.
DK: Wir sind froh, dass wir die 3000 Wohnungen ehrlich gesagt halten können. Damit sind wir bundesweit an der Spitze. Wir hatten einen sogenannten Förderbarwert von 250 Millionen Euro vor drei Jahren, jetzt sind wir bei 800 Millionen. Wir geben erheblich mehr Geld aus, damit wir den sozialen Wohnungsbau stabilisieren. Alles darüber hinaus ist utopisch. Dann müssen sich die Rahmenbedingungen auf Bundesebene deutlich ändern. Dann können wir darüber reden. Für uns ist wichtig, dass insbesondere Saga und Genossenschaften sozialen Wohnungsbau betreiben. Dann bleiben die Wohnungen auch günstig, wenn sie aus der Bindung fallen.
KW: Das ist richtig. Das sehen wir auch so, wir sollten auch über die Vorhaben von Stadtentwicklungssenatorin Frau Pein sprechen. Sie ist an diesen Punkten dran und will einiges bewegen. Das, was Politik bewegen muss, ist, dass es schneller wird, dass die Behörden schneller arbeiten, dass die Genehmigungen schneller erstellt werden. Alles das, was dort langsam ist, kostet viel Geld.
DK: Das ist richtig. Deswegen machen wir das Baugenehmigungsverfahren jetzt digital, bilden das ab. Frau Pein ist mit vielen anderen dabei, auch Bauvorschriften zu entschlacken. Auf der einen Seite, auf der anderen Seite haben wir rechtliche Vorgaben, die schlecht zu verändern sind. Das muss auf Bundesebene gemacht werden. Wir in Deutschland müssen insgesamt begreifen: Wir müssen schneller und günstiger bauen. Das ist die entscheidende soziale Frage. Ich finde, dass Hamburg innerhalb unserer Stadt schon ganz viel macht und die entsprechenden Impulse nach draußen gibt.
KW: Wir erwarten allerdings auch, dass ein bisschen mehr Geld in die Hand genommen wird. Sie haben schon gesagt, es ist viel Geld in die Hand genommen worden. In der Zwischenzeit ist alles teurer geworden. Es kostet mehr. Es hilft nicht zu sagen, wir haben mehr Geld in die Hand genommen, wenn trotzdem nicht mehr Wohnungen gebaut werden. Da ist die Stadt ein Stück mehr gefordert.
DK: Die Zielvorgaben sind erhöht worden von 2000 auf 3000 Sozialwohnungen. Um dieses Ziel zu erreichen, geben wir das Dreifache an Fördermitteln mittlerweile aus. Von daher tut da die Stadt unheimlich viel. Mehr kann immer gefordert werden, da sind wir, im Vergleich zu anderen Städten, schon auf einem sehr guten Weg. Gemeinsam muss es einfach darum gehen, die Rahmenbedingungen zu ändern. Dann kommt automatisch mehr Wohnungsbau.
KW: Ob es automatisch passieren wird, da haben wir unsere Zweifel. Wir denken schon, es muss mehr Fördermittel geben und da wünschen wir uns mehr Engagement vonseiten der Hamburger Politik.
DK: Wir sind ganz stark engagiert, muss ich sagen. Wie gesagt, wir sind bei 800 Millionen Förderbarwert. Wir haben Modernisierungsprogramme, wir geben jetzt noch 100 Millionen Euro für das Thema energetische Sanierung aus, damit das sozial adäquat erfolgen kann. Hamburg macht da eine ganze Menge. Ich gebe Ihnen recht, darauf können wir uns nicht ausruhen, sondern wir müssen neue Impulse setzen und wir müssen gemeinsam daran arbeiten.
05:37 Wärmeplanung
KW: Thema Fernwärme: Das bewegt im Moment eine ganze Menge Menschen hier in der Stadt. Es wurde gesagt, maximal können 35 Prozent der Haushalte in der Zukunft angeschlossen werden. Wann diese Zukunft sein wird, wissen wir nicht ganz genau. Was geschieht mit den anderen? Wir brauchen bezahlbare Heizungen und nicht jeder kann sich ein neues Heizungsgerät, so wie es verlangt wird, auch leisten.
DK: Da muss es die sogenannte Wärmeplanung, eine kommunale Wärmeplanung geben. Wir haben dazu ein entsprechendes Papier vorgelegt, das wirklich verbindlich darstellt, wie die Möglichkeiten sind. Es gibt städtische und private Fernwärmenetze. Vielleicht muss es zusätzliche kommunale Fernwärmenetze geben, ob es jetzt in Wandsbek oder in Harburg ist. Dann müssen wir darüber reden, ob es Alternativen gibt. Es kann tatsächlich auch eine Wärmepumpe sein. Wichtig ist einfach nur, dass wir die Leute nicht alleine lassen und dass wir Transparenz schaffen, dass wir sie mitnehmen und gemeinsam mit den Bürgern darüber redet, was das Beste für das Quartier ist.
KW: Bei der Wärmepumpe sind viele Ängste im Umlauf. Wir nehmen das Beispiel: Zwei Menschen haben sich zusammengetan, geheiratet, haben ein Haus für die Altersvorsorge gebaut. Der Mann ist gestorben und die Frau sitzt davor und sagt: Ich muss das renovieren – das kostet 4.000 bis 6.000 Euro. Das Geld hat sie nicht. Jetzt kommt vom Bund die Anforderung, dass sie eine Wärmepumpe einbauen muss – kostet 25.000 bis 40.000 Euro. Das Geld hat sie natürlich nicht. Wie kommen diese Menschen zurecht? Was muss sich da ändern?
DK: Wenn wir jetzt in einem sehr hohen Alter sind, würde ich nicht sagen, dass wir da noch 80.000 oder 90.000 Euro ausgeben. Ich finde, das verschreckt ganz viele private Haushalte. Ich habe das auch in der eigenen Familie erlebt. 6.000 Euro, aber auch 10.000 bis 30.000 Euro sind zu viel. Also A) Fördersumme bereitstellen und B) müssen wir gucken, wo wir wirklich erneuern müssen. Das müssen wir nicht, wenn die Heizung weiterhin Bestand hat. Da geht es dann darum, wie wir die höheren CO2-Preise abfedern können? All das muss mit den Bürgern beraten werden. Ganz wichtig ist, gerade in Zeiten der Verunsicherung, dass wir die Bürger erst mit ins Boot nehmen und auf Fördermöglichkeiten hinweisen. Wir müssen sagen, wenn der Bestand weiterhin so bleibt wie bei dir, dann kannst du damit noch 10 bis 20 Jahre leben. Diese Verunsicherung, dazu zählt das sogenannte Heizungsgesetz. Wir haben es in Hamburg anders gemacht. Ich glaube, das war ein großer Fehler.
KW: Da gibt es große Verunsicherung in der Bevölkerung. Was helfen könnte, wäre, wenn ganz deutlich gesagt wird, so an dem Beispiel, was ich genannt habe: Wir helfen dir, so, dass du es dann kannst, wenn du in die Lage kommst, dass du es musst. Das ist nicht so, dass wir das immer freiwillig machen, sondern die alte Heizung geht tatsächlich kaputt, ist nicht reparierbar. Da muss ich eine neue Heizung einbauen. Die Wärmepumpe wird an der Stelle empfohlen, sie ist aber sehr teuer. Was mache ich, wenn ich diese finanziellen Mittel nicht aufbringen kann? Auch nicht mehr, weil ich alt bin und keinen Kredit von der Bank bekomme?
DK: Da gibt es verschiedene Mittel, wo darüber nachgedacht wird, die Fördersumme zu erhöhen und die anspruchsberechtigten Kreise erweitert. Das müssen wir auf der einen Seite sehen. Auf der anderen Seite müssen wir tatsächlich dann gucken, wenn wir 70, 75 sind, dass wir darüber nachdenken, wie sieht eigentlich die Gasheizung jetzt noch aus? Da müssen wir tatsächlich darüber nachdenken und mit der Stadt darüber sprechen, welche Fördermöglichkeiten es gibt. Ich kann jetzt hier aber nicht versprechen, dass jeder Hausbesitzer automatisch alle möglichen Fördermöglichkeiten kriegt. Das muss im Einzelfall geschehen. Es sind eigentlich relativ wenige Fälle. Es geht jetzt erst um das Grundsätzliche, also müssen Perspektiven aufgezeichnet werden und da müssenwir mit Sorgen und Nöten ernsthaft umgehen. Das sieht die kommunale Wärmeplanung aus unserer Sicht vor. Dann müssen wir in den nächsten ein, zwei Jahren tatsächlich diese Wege aufzeigen.
KW: Gut, wenn die kommunale Wärmeplanung auf dem Tisch liegt und richtig ausgearbeitet ist, dann bedarf es aus unserer Sicht noch einer richtigen, vernünftigen Information. Es bedarf Wege wie Menschen, die in so schwieriger Lage sind, damit zurechtkommen.
KW: Es gibt die Idee, Blockheizkraftwerke zu installieren, die früher mit Gas oder mit Öl betrieben wurden. Heute soll versucht werden, das dann nachher auf Wasserstoff umzustellen. Ist das ein realistischer Planungsweg ergänzend zur Fernwärme?
DK: Wir haben auf Bundesebene geplant, dass wir noch diverse Gaskraftwerke bauen, die dafür gedacht sind, falls wir wirklich Probleme haben – nicht genügend Wind- und Solarenergie, also die Grundlast. Ich weiß nicht, ob Wasserstoff, wir setzen das für so viele Dinge ein, ob sich das rechnen wird oder ob das überhaupt funktioniert. Blockheizkraftwerke müssten wir anders machen. Da gibt es Holz, da gibt es andere Dinge, die wir verwerten können. Daher müssen wir das alles in Ruhe planen und berücksichtigen. Das ist das Thema Wärmenetze, wo wir gerade im Harburger Bereich, da gibt es überhaupt gar keine Fernwärme. Da müssen wir über solche Wärmenetze, auch städtische, noch sprechen.
KW: Es geht immer um die Bezahlbarkeit. Die Stadt muss bezahlbare Fernwärme zur Verfügung stellen. Ein ähnliches Problem tritt auch bei Strom auf. Wir haben als Verband gerade gefordert, auf 100.000 Dächern Photovoltaik anzubringen. Da gab es eine sehr ambitionierte Planung, aber die ist nicht in Gang gekommen. Ist das etwas, was wir für die Zukunft nutzen können?
DK: Im Neubau ist sie natürlich in Gang gekommen. Bei uns ging es zuletzt darum, dass wir insbesondere bei öffentlichen Gebäuden ansetzen, weil wir natürlich viel von Privaten verlangen können und die Privaten sagen dann berechtigterweise: Liebe Leute, macht es doch bei euch erst selber. Da sind wir jetzt mittlerweile auf einem guten Weg. Hier gibt es diverse Fördermaßnahmen, auch auf Bundes- und Landesebene. Es geht darum, wie wir damit umgehen, wenn zu viel Strom eingespeist wird und wenn was ins Stromnetz gegeben wird. Welche organisatorischen Hemmnisse gibt es da noch? Das muss alles geregelt werden. Natürlich ist es sinnvoll, dort, wo es geeignet ist, diese Maßnahmen umzusetzen. Da müssen wir besser werden.
KW: Da könnten die stadteigenen Gebäude Vorreiter sein. Dort könnten wir Photovoltaik aufs Dach setzen. Das wäre unter Klimagesichtspunkten sinnvoll. Für die Menschen, die privat wohnen, ist es sinnvoll, dass sie preiswerten Strom bekommen können.
DK: Da gibt es entsprechende Förderprogramme bei den öffentlichen Gebäuden. Wie gesagt, sind wir jetzt dabei. Das ist alles etwas zu langsam gegangen. Da sind jetzt die Gebäude analysiert worden, auch die Dachflächen. Da geht es jetzt entsprechend los. Bei den anderen Themen gibt's, wissen wir alle, das entsprechende Förderprogramm, aber da ist immer dieses Thema, was passiert gegebenenfalls mit überschüssigem Strom. Da müssen wir praktikable Lösungen finden.
KW: Der wird ins öffentliche Netz eingespeist und dafür bekommen wir Geld. Das ist die Information, die die Menschen haben. Dann sagen sie, dann schaffe ich mir das an, dann kann ich darüber auch was finanzieren.
DK: Wenn es zum Beispiel bei Sportvereinen ist und die produzieren sehr viel, weil die Dachflächen sehr groß sind, da ist es noch nicht so geregelt. Da heißt es dann, Sie sind jetzt ein Stromerzeugungsunternehmen und da muss es Regelungen geben auf Landes- und Bundesebene, die das pragmatischer machen.
KW: Im normalen Wohnhaus ist das im Wesentlichen geregelt. Da wünschen wir unsmehr Engagement, um die Dinge umzusetzen. Vor allen Dingen, dass der Strom hinterher wirklich preiswerter wird. Kann man das so schon sagen? Wenn das gemacht wird, wird der Strom preiswerter.
DK: Sie machen es preiswerter. Wenn wir davon ausgehen, dass das andere viel teurer wird. Das ist, was auf EU-Ebene vorgeschlagen ist, über die CO2-Abgabe wird das andere teurer und dieses wird weniger teuer. Aus wirtschaftlichen Gründen ist es durchaus erfolgreich. Das zweite ist der Klimaschutz, das müssen wir dazu sagen, der kommt noch obendrauf.
KW: Die anderen Energien, die teurer werden, verursachen Ängste bei den Menschen, weil viele damit noch heizen, aber auch Strom erzeugt wird. Da würden wir uns wünschen, dass da die Information ein bisschen klarer wird, auch für die Zukunft, für die Sicherheit der Menschen, dass sie sagen können: Ich kann auf jeden Fall, egal was ich mache, dass ich dort relativ sicher preiswerten Strom und preiswerte Heizung haben wollen.
14:40 Mobilität
KW: Das Thema Verkehrspolitik kommt mir in jedem Gespräch, wenn ich in die Ortsverbände und Treffs bei uns gehe, entgegen, die sagen: Das ist so scheußlich, ich komm nirgends mehr hin. Wenn ich zum Arzt fahre, finde ich vor der Praxis kaum Parkplätze. Wenn ich in die Stadt fahre, fahre ich in ein Parkhaus. Das kann ich mir gar nicht leisten. Wird sich da in der Zukunft was tun? Die SPD hat schon sehr deutlich gesagt, sie will wieder mit den Grünen zusammen eine Regierung bilden. Gibt es da Anforderungen an die neue Regierung in dieser Richtung, dass das ein bisschen besser wird?
DK: Wir brauchen da etwas mehr Pragmatismus als Dogmatismus und die unterschiedlichen Bereiche von Hamburg brauchen auch unterschiedliche Antworten. Wir haben in der Stadt in der Tat schon abnehmenden Straßenverkehr. Das ist auch ganz gut, weil die Innenstadt sehr gut erschlossen ist. Mittlerweile ist die Innenstadt barrierefrei zum Großteil erreichbar. In den Außengebieten stellt sich die Situation etwas anders dar und da müssen wir schon gucken, dass nicht Parkplätze einfach so immer wieder abgebaut werden, sondern das muss hinterlegt werden mit einem attraktiven Angebot. Der Autoverkehr wird trotzdem eine Rolle spielen. Wir kennen das ganze Thema E-Mobilität. Wir werden beim Thema autonomes Fahren sicherlich noch einen Schub haben. Gerade für diejenigen, die wirklich sagen, ich muss zur Arztpraxis und dann ist es parkplatzmäßig immer sehr schwierig, dass wir darüber ein Angebot schaffen. Bis das soweit ist, müssen wir mit anderen Dingen eher behutsam umgehen und es muss verschiedene Konzepte geben. Das eine ist in dem einen Bereich gut geeignet, aber es bedeutet nicht, dass es in allen anderen Bereichen auch so ist. Da müssen wir bei den Planungen die Bürger besser mitnehmen.
KW: Besser mitnehmen heißt auch, dass es zum Beispiel eine Baustellenkoordination gibt. Die gibt es wahrscheinlich, aber wenn ich durch die Stadt fahre, so kommt mir das oft entgegen. Dann kommt eine Verengung, dann sagt das Navigationsgerät: Vorsicht, Baustelle! Ich habe das Gefühl, dass es eine ständige Behinderung gibt. Ich will noch ein Beispiel geben in Richtung Hamburg Nord. Dort gibt es Verhandlungen zwischen den verschiedenen Parteien, die in der Bezirksversammlung sind, um genau dieses Problem noch anzugehen und eine neue Richtung zu eröffnen.
DK: Ich weiß jetzt nicht, ob in Hamburg Nord unbedingt das Thema Baustellen das Thema war, sondern eher, dass an der ein oder anderen Stelle eigenmächtig Massen von Parkplätzen einfach gestrichen worden sind und die Bürger vorher nicht mitgenommen wurden. Wir werden einen gewissen Umfang von Baustellen weiterhin haben. 70 Prozent sind keine klassischen Straßenbaustellen, sondern sind aufgrund von Leitungsarbeiten verursacht.
KW: Das kann aber trotzdem koordiniert werden.
DK: Wir haben mittlerweile über 100 Mitarbeitende, die damit beschäftigt sind. Die müssen schon wieder koordiniert werden, damit das mit der Koordinierung klappt. Das können wir besser machen. Sicherlich können wir die Genehmigungsverfahren verschlanken. Wir müssen die Bürger besser informieren. Der Autofahrer weiß gar nicht, ob die Straße drei Monate gesperrt ist oder länger. Das müssen wir ein bisschen besser erklären und sagen, das liegt da und daran, dann sorgt das für mehr Akzeptanz. Wir müssen die Menschen da mitnehmen. Wir alle wissen gleichzeitig, dass wir einen riesigen Instandsetzungsbedarf haben bei der Infrastruktur in Deutschland insgesamt. Wenn wir daran denken, dass wir das Fernwärmenetz noch viel stärker ausbauen wollen, wenn wir das Stromnetz noch stärker ausbauen wollen, das ist alles, was im Straßenraum stattfindet, stehen wir weiterhin vor großen Herausforderungen. Besser koordinieren, aber auch einfach besser informieren.
KW: Neulich sagte mir jemand in einem Ortsverband bei uns: Warum verhandelt die SPD mit den Grünen nicht, dass die SPD wieder die Verkehrsbehörde bekommt? Das wäre doch ein Weg, möglicherweise in die richtige Richtung.
DK: Dann wollen die bestimmt was anderes haben. Es ist auch immer so, aber wir sind dabei.
KW: Das wird nicht immer diskutiert. Das ist ein Hinweis, wo wir vielleicht verhandeln könnten. Das Thema Rufbusse oder Ruftaxis, das bewegt viele. Die sagen: Ich will irgendwo hin. Das ist oft nicht so einfach, weil der ÖPNV da nicht immer präsent ist. Warum gibt es das im Hamburger Westen nicht mehr, bspw. ioki? Das war eine sehr gut angenommene Verkehrsanbindung, die allerdings den Nachteil hatte, dass sie nur digital genutzt werden kann.
DK: Ja, und sie war relativ teuer. Trotzdem war sie sinnvoll, würde ich einfach sagen. Das wurde dann nach Harburg umgeschichtet. Da setzen wir ganz klar auf das Thema autonomes Fahren. Das ist jetzt auch nicht etwas, wo man sagen kann, da reden wir dann irgendwie über fünf oder zehn Jahre, sondern da sind wir relativ kurz davor. Wir rechnen damit, dass wir im nächsten Jahr damit anfangen in Hamburg, und das ist so das Klassische, was gerade in Gebieten, die nicht in der inneren Stadt sind, eigentlich zu einer deutlichen Verbesserung der Beförderungsqualität beitragen kann.
20:18 Gesundheit
KW: Wenn ich an die vielen Senioren denke, an Menschen, die eine Behinderung haben, für die wäre es in der Tat eine deutliche Erleichterung.
Wollen wir auf das Thema Gesundheit kommen. Es gibt eine sehr starke Ungleichverteilung der Arztsitze in Hamburg und da sind wir auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Gespräch – die Stadt Hamburg auch. Es gibt einen ersten Schritt, die haben einen Kassensitz eingerichtet, dazu ist die KV verpflichtet. Wie ist die Stellungnahme der Stadt? Was will die Stadt da unternehmen, um das zum Beispielin Finkenwerder zu realisieren, dass wir da nicht kilometerweit fahren müssen, bis wir zu einem Facharzt kommen.
DK: Letztendlich ist es tatsächlich ein altes Ärgernis. Da hat unsere damalige Gesundheitsministerin Prüfer-Storcks schon mit angefangen. Wir sind da in einer starken Auseinandersetzung mit der KV, weil Hamburg als Gesamtbezirk gilt, als ein Bezirk. Das bringt uns nicht weiter. Wir haben es in Harburg erreicht, aber trotzdem besteht im Hamburger Osten großer Handlungsbedarf. Die KV muss da anders handeln und das Thema, dass irgendwelche Krankenhäuser Arztsitze aufkaufen, damit muss endlich Schluss sein.
KW: Das ist richtig, da sind wir einer Auffassung. Die KV ist verpflichtet, die ambulante Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Eigentlich müssten wir den Druck erhöhen.
DK: Fragen Sie unsere Gesundheitspolitiker, fragen Sie aber auch die KV. Die haben schon manchmal das Gefühl, so freundlich wie früher sind sie nicht mehr. Wir sind schon seit einem Jahr nicht mehr. Da muss der Druck weiter erhöht werden. Es kann nicht sein, dass gerade wenn es um Hausärzte und Kinderärzte geht, wir Lücken in bestimmten Bereichen haben. Daran müssen wir einfach arbeiten.
KW: Die Notfallversorgung ist auch Sache der KV. Dort gibt es viele Defizite. Das müssen wir einfach so sehen. Gibt es da Gespräche? Gibt es Dinge, die da vorangebracht werden?
DK: Da führen wir immer Gespräche. Da gibt es sicherlich das eine oder andere, was die KV dort ganz anders machen will. Da sind wir jetzt auf einem guten Weg, dass wir das jetzt erst stabilisieren. Da bedarf es Reformen. Da gibt es auf Bundesebene entsprechende Vorschläge, die wir zum Teil sehr kritisch sehen.
22:37 Pflege
KW: Das Thema Pflege ist für viele ein Schreckgespenst. Die hohen Sätze, die wir zuzahlen müssen, wenn wir in eine Senioreneinrichtung oder Pflegeheim gehen müssen, das schreckt schon sehr. Kann Hamburg da etwas dazu beitragen, dass das für die Menschen etwas angenehmer wird?
DK: Wenn wir die Frage so stellen, können wir sagen, jeder kriegt noch 100 oder 200 Euro mehr. Das ist ein grundsätzliches Thema. Das reicht aber nicht. Wir haben eine erhebliche Kostensteigerung. Wir haben eine Kostensteigerung, weil wir viel besser bezahlen, was auch notwendig ist. Auch da muss es einfach darum gehen, andere Strukturen zu schaffen. Wir haben folgende Situation: Auf der einen Seite wird vorhandenes Vermögen aufgezehrt, wenn wir uns das noch leisten können, auf der anderen Seite können wir, das ist wiederum das Gute, wenn wir relativ wenig haben, trotzdem in entsprechende Pflegeheime oder stationäre Einrichtungen kommen.Da wird nicht unterschieden, da gibt die Stadt entsprechend viel Geld aus. Das ist sehr schön. Wir müssen tatsächlich ran. Wie bleibt Pflege bezahlbar für diejenigen, die es halt selber zahlen müssen.
KW: Früher wurden den Menschen, die in Grundsicherung waren oder dort hineinkommen mussten, ein Zuschlag gezahlt, um die Investitionskosten im Heim abzudecken. Das gibt es nicht mehr. Ich habe noch nachgelesen, Herr Kienscherf, dass Sie früher sehr gegen diese Abschaffung die Stimme erhoben haben. Wo ist jetzt Ihre Stimme geblieben?
DK: Es war damals das Thema Pflegewohngeld. Es ist 2010, glaube ich, abgeschafft worden. Aus meiner Sicht ist das immer etwas, wo wir drüber reden können. Wir müssen allerdings sagen, dass der Anteil viel kleiner geworden ist. Personalkosten und andere Kostenpunkte sind viel größer geworden. In dem Einzelfall würde es etwas Entlastung bringen. Den Effekt, den es damals gehabt hat, hätte es heute nicht mehr. Aus meiner Sicht geht es da nach wie vor um eine große Strukturreform bei der Pflege.
KW: Das sehen wir auch so, aber es gibt hier in Hamburg im Moment 11.500 Menschen, die in Pflegeheimen sind und sich das nicht mehr leisten können und Grundsicherung beziehen. Den könnten wir natürlich ordentlich helfen. Der Durchschnittssatz für Investitionskosten in den Heimen bei der Zuzahlung liegt bei ungefähr 550 bis 570 Euro. Das wäre eine richtige Erleichterung. Die Stadt dürfte das.
DK: Die Stadt dürfte das. Genau das sind aber Finanzierungsdinge. Damals wurde das System abgeschafft. Heute ist es relativ schwierig, das wieder neu aufzulegen. Wir müssen uns dann genau angucken: Wie haben sich eigentlich die einzelnen Bedarfe für die einzelnen Gruppen entsprechend verändert?
25:10 Öffentliche Verwaltung
KW: Ein letztes Thema ist die Arbeit der Behörden in Hamburg. Da kommt viel Kritik auf uns zu. Es gibt auch kleine Anfragen der Abgeordneten in der Hamburgischen Bürgerschaft, die deutlich machen, dass es in vielen Behörden nicht läuft. Zu wenig Beschäftigte, zu wenig digitale Infrastruktur, zu viele Langzeiterkrankte usw. und so fort. Wie will die Stadt da gegensteuern, damit die Menschen vor allen Dingen, die das brauchen, also Grundsicherungsempfänger, Hilfe bei ihren Anträgen für Wohngeld, Grundsicherung und andere bekommen und so schneller an ihr Geld kommen.
DK: Das Thema Digitalisierung ist nach wie vor sehr wichtig, gerade in der hamburgischen Verwaltung. Es ist von Ihnen schon angesprochen worden, dass wir eigentlich relativ wenig Personal haben. Wir haben schon viele eingestellt. Durch Digitalisierung kann die Qualität verbessert werden, wenn wir nicht nur Papierprozesse einfach abbilden in digitale Prozesse, sondern tatsächlich Strukturen verändert. Die Verwaltung selber muss noch viel zugewandter werden. Das kann sie auch. Ich weiß, da gibt es das Potenzial, wirklich darüber nachzudenken. Was muss es eigentlich an Verordnung geben? Wo könnten wir Dinge verändern? Gerade jetzt ist es der richtige Zeitpunkt, das zu machen. Wir alle kennen das. Wir haben weniger Ressourcen. Auf der anderen Seite brauchen wir eine größere Beratungsqualität, damit die Menschen noch mehr an die Hand genommen werden, bestimmte Dinge ausfüllen und bewältigen können. Ich setze da eine große Hoffnung auf der einen Seite in die Verwaltung und auf der anderen Seite, glaube ich, ist es jetzt ein Prozess, wo wir uns alle aktiv daran beteiligen müssen.
KW: Die Anträge und Bescheide sind nicht immer kundenfreundlich, das wissen wir. Ich weiß es, weil wir das hier bearbeiten. Wir haben sieben Juristinnen und Juristen, die den ganzen Tag das machen und die Rückmeldung sind entsprechend.
KW: Am Ende wollen wir ihnen Gelegenheit geben zu sagen, was die großen Vorhaben der SPD für die neue Legislaturperiode sind? Es geht um die Wahlen am 2. März. Was sind die großen Vorhaben der SPD für die nächsten vier Jahre?
DK: Wir sind vor ein paar Jahren mit dem Thema “Wir haben die ganze Stadt im Blick” angetreten. Wir haben daran kräftig gearbeitet. Wir haben in Bildung, Betreuung und in die mobile Stadt für alle investiert. Das beinhaltet auch das Thema Barrierefreiheit. Wir haben wichtige Zukunftsinvestitionen ermöglicht, das ist das, wo wir weiter daran arbeiten mit Hochdruck gerade vor dem Hintergrund der multiplen Krisen den gesellschaftlichen Zusammenhalt letztendlich garantieren, gewährleisten und dafür zu sorgen, dass in jedem Stadtteil letztendlich gute Lebensqualität erreichbar ist und dass Hamburg insgesamt bezahlbar bleibt. Das sind schon große Herausforderungen. Ich hoffe, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, wird Hamburg da in den nächsten Jahren auch gute Fortschritte machen.
NT: Herr Kienscherf, vielen Dank, dass Sie da waren. Vielen Dank für das spannende Gespräch und ich danke den Zuhörenden.
KW: Ich danke ebenfalls für den Besuch und für die klaren Aussagen. Vielen Dank, Herr Kienscherf.
DK: Herr Wicher, vielen Dank für die Einladung.
NT: Das war der SoVD-Polittalk zur Wahl. Der Podcast des SoVD Hamburg. Abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcast-Plattformen. Über eine gute Bewertung würden wir uns freuen. Oder schicken Sie uns Ihr Feedback an info@sovd-hh.de. Wir freuen uns, wenn Sie auch das nächste Mal wieder reinhören. Bis dahin halten wir Sie über unsere Social Media Kanäle auf dem Laufenden oder besuchen Sie unsere Webseite sovd-hh.de.