SoVD-Polittalk mit Die Linke Hamburg
Am 2. März 2025 wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft. Doch wie stehen die Kandidierenden und ihre Parteien zur Sozialpolitik? Wir werfen einen Blick in die Wahlprogramme und beleuchten, wie die Weichen für die Zukunft gestellt werden könnten. Immer im Fokus: Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Chancengleichheit.
Zu Gast ist Cansu Özdemir, MdHB Die Linke. Im Gespräch mit SoVD-Landeschef Klaus Wicher nimmt die Fraktionsvorsitzende und Fachsprecherin für Frauen, Justizpolitik, Inklusion und Antifaschismus Stellung zu den drängenden sozialpolitischen Baustellen der Stadt Hamburg. Sie zeigt auf, an welchen Stellschrauben sie drehen möchte, um diese zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren und macht Vorschläge für eine soziale Politik, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick hat.
00:57 Stadtentwicklung/Wohnen
07:59 Armut
10:45 Arbeitsmarkt
13:37 Senior:innen
16:27 Gesundheit
20:26 Pflege
23:53 Gleichstellung
25:27 Mobilität
29:18 Öffentliche Verwaltung
SoVD-Polittalk mit Die Linke Hamburg zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
CÖ: Cansu Özdemir
SR: Der SoVD-Polittalk zur Wahl. Klaus Wicher im Gespräch mit Hamburger Spitzenpolitikern. Am 2. März wird die Bürgerschaft neu gewählt. In unserer Podcastreihe zur Wahl fragen wir nach: Wie wollt ihr in den kommenden Jahren die sozialen Problemlagen in der Stadt angehen? Ob Wohnungsnot, Armut oder Pflege – wir wollen Antworten. Sie wollen keine Folge verpassen? Dann abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcastplattformen. Herzlich willkommen zu unserem Polittalk zur Hamburger Bürgerschaftswahl. Heute zu Gast ist Cansu Özdemir. Sie ist die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburger Bürgerschaft und steht auf Platz eins der Kandidatenliste. Herzlich willkommen, Cansu Özdemir!
KW: Ein herzliches Willkommen von mir. Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD hier in Hamburg.
CÖ: Vielen Dank, Herr Wicher.
00:57 Stadtentwicklung/Wohnen
SR: Frau Özdemir, als erstes möchten wir mit Ihnen über ein Thema sprechen, was sehr viele Menschen hier in Hamburg bewegt und betrifft: Wohnen und Wohnungsmarkt. Es gibt eine immer größer werdende Zahl von Menschen hier in der Stadt, die bis zur Hälfte ihres Einkommens inzwischen für die Miete bezahlen müssen. Wie steht die Linke dazu?
CÖ: Die Koalition bzw. die SPD setzt seit Jahren darauf, den Drittelmix umzusetzen. Was wir beobachten ist, dass der Drittelmix die Situation auf dem Wohnungsmarkt überhaupt nicht entschärft – im Gegenteil. Uns fehlen Sozialwohnungen, also bezahlbarer Wohnraum, wo noch mal ganz konkret zu sehen ist, dass die Mieten nicht so rapide steigen, wie wir sie bei anderen Wohnungen haben, die von der privaten Wirtschaft gebaut werden. Die Problematik ist, dass viele Menschen einen Berechtigungsschein bekommen, aber nicht an diese Wohnung rankommen. Zum anderen haben wir viel zu viele Wohnungen aus dem privaten Sektor, was konkret bedeutet, dass die Netto Kaltmiete beginnt bei 16, 17, 18, 19 oder 20 Euro pro Quadratmeter. Das ist für die Hamburger einfach nicht bezahlbar.
KW: Der soziale Wohnungsbau, aber der Wohnungsbau insgesamt, ist ziemlich rückläufig. Nun ist die Frage: Wie kriegen wir das in Gang?
CÖ: Wir brauchen viel mehr sozialen Wohnungsbau. Die Stadt muss bauen. Das heißt, die Saga muss in die Pflicht genommen werden.
KW: Die Saga baut doch schon?
CÖ: Wir brauchen viel mehr, das ist ganz klar. Wir müssen von diesem Drittelmix weg, weil der gar nicht den Bedarf deckt. Die meisten Hamburger haben gar nicht den Bedarf nach teuren Mieten, nach teuren Wohnungen und auch nicht in diesem Umfang, wie er gebaut wird. Wir haben keinen Mangel an Eigentumswohnungen, die gebaut werden. Da sehen wir, wie die Preise in die Höhe schießen. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist und das fordern wir wirklich seit Jahren auf Bundesebene, ein Mietendeckel. Die Mieten müssen vernünftig gedeckelt werden. Deshalb fordern wir den Hamburger Senat immer wieder auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen.
KW: Wie kriegen wir denn den Wohnungsbau in Hamburg in Gang?
CÖ: Das habe ich versucht nochmal deutlich zu machen. Wir müssen weg von dem Konzept Drittelmix. Das heißt, wir setzen da fast vollständig auf den Sozialwohnungsbau. Das heißt, die Stadt muss auch investieren, damit der Sozialwohnungsbau zustande kommt. Dann müssen wir uns angucken, welche Wohnungen die Hamburger brauchen. Es muss am Bedarf orientiert sein. Wenn wir uns die Familien angucken, Familien mit drei Kindern, dann ist ganz klar: Da reicht eine Zweizimmerwohnung nicht aus. Wenn die bei 2.000 Euro Warmmiete liegt, dann ist die natürlich nicht am Bedarf orientiert. Dementsprechend ist das, was wir wirklich seit Jahren in der Bürgerschaft machen, deutlich zu sagen: Leute, baut jetzt endlich mehr Sozialwohnungen.
KW: Die Frage, die sich stellt, ist: Wer soll denn das machen? Es ist nicht nur die Saga GWG, die am Markt ist, sondern es gibt viele Mitstreiter. Wie kriegen wir die dazu, dass sie jetzt wirklich mehr bauen? Meistens ist es so, dass nicht nur Sozialwohnungen gebaut werden, sondern ein Interesse daran besteht, freie Wohnungen zu bauen oder auch Eigentum.
CÖ: Es ist wichtig, dass gerade dann bei der Saga, als städtisches Wohnungsbauunternehmen, der Wohnungsbau angekurbelt wird, in dem der Staat bzw. die Stadt Hamburg auch die Kosten trägt. Im Endeffekt haben wir das Geld. Wir haben zwar eine Schuldenbremse, bei der es ganz oft heißt: Aufgrund der Schuldenbremse können wir dieses oder jenes Projekt gar nicht fördern. Das aber im Endeffekt nicht der Wahrheit entspricht, denn wir haben genug Rücklagen, wir haben genug Steuermehreinnahmen in der Stadt. Insofern muss der Schwerpunkt auf dem sozialen Wohnungsbau liegen, weil viele Menschen in die Stadt kommen und bleiben. Viele Menschen haben den Bedarf an Wohnungen. Da zeigt sich ganz deutlich, dass Hamburg hier die Priorität setzen muss.
KW: Der Senat hat den zweiten Förderweg entwickelt. Das sind etwas teurere, aber bezahlbare Wohnungen. Was halten Sie davon?
CÖ: Wir sehen an der aktuellen Situation, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, nicht sehr hilfreich sind. Wir ziehen immer wieder Bilanz und schauen uns das an. Der Senat bleibt hinter demVersprechen, Wohnungen zu bauen, und das zeigt sich immer wieder ganz deutlich. Die versprochenen günstigen Wohnungen werden nicht gebaut oder nicht genehmigt. Wenn wir langfristig die Wohnungsnot, die Problematik Obdach- und Wohnungslosigkeit sowie die Situation von Frauen, die in Frauenhäuser sind und da nicht mehr raus kommen, bekämpfen wollen, brauchen wir bezahlbare Wohnungen.
KW: Diese günstigen Wohnungen werden nicht erstellt. Sie sagen, jetzt muss Hamburg mehr Geld in die Hand nehmen, um das zu leisten. Das ist nicht das einzige Problem. Das weitere Problem ist, dass Hamburg bis 2045 klimaneutral werden soll. Dafür brauchen wir viel Geld. Das wird aus dem Neubau genommen. Die Behörden arbeiten nicht so, wie wir uns das wünschen. Die Ausweisung von B-Plänen, da ist Ihre Partei in den Bezirken auch beteiligt, könnte schneller gehen. Was können wir denn da in Gang setzen, damit diese Rädchen besser ineinandergreifen?
CÖ: Eine Koordination bezirkeweit ist einfach sehr wichtig. Sie kennen die Konflikte in einzelnen Bezirken, der Konflikt zwischen Grünfläche oder Wohnungsbau, das sind Konflikte, mit denen wir konfrontiert werden, was passiert ist. Es ist wichtig, dass wir den Wohnungsbau wirklich gut koordinieren, dass wir uns die einzelnen Bezirke angucken und miteinander sprechen.Wir sehen auch gerade in puncto Stau- und Baustellenkoordination, dass da die Gespräche bezirkeweit nicht so laufen, wie sie eigentlich hätten laufen müssen. Das würde schon viel beschleunigen.
07:59 Armut
KW: Der Wohnungsbau ist eine wichtige soziale Frage, weil die Menschen müssen wohnen und es muss bezahlbar sein. Das ist nicht das einzige Thema in der Stadt. Die Entwicklung der Armut ist nach oben gerichtet, das heißt, es werden immer mehr Menschen abgekoppelt. Was können wir aus Ihrer Sicht dagegen tun?
CÖ: Es ist total wichtig, dass wir es endlich schaffen, in Hamburg eine behördenübergreifende Anti-Armut-Strategie zu erstellen. Wir haben unglaublich viele Fakten in den letzten Jahren und Jahrzehnten sammeln können. Es ist ganz klar, welchen Bedarf es vor allen Dingen in einzelnen Stadtteilen gibt. Wenn wir uns das anschauen: Die Armutsquote in den Städten ist eine ganz andere als in Mümmelmannsberg oder im Osdorfer Born. Was heißt diese Armut in der alltäglichen Situation der Menschen? Da ist zum Beispiel die alleinerziehende Mutter, die drei Kinder hat, die arbeitet in Vollzeit und muss am Ende des Monats feststellen, dass nicht genug Geld da ist, um für die Kinder mal ein gesundes Essen zu kochen. Das sind die Senioren, die zur Tafel gehen müssen, weil sie von ihrer Rente nicht leben können und keine Grundsicherung im Alter ausreichend bekommen. Die Erhöhung der Grundsicherung im Alter wäre zum Beispiel mal eine kleine Maßnahme, die Hamburg machen könnte. Das würde auf jeden Fall etwas erleichtern. Deshalb braucht es diese Anti-Armut-Strategie, weil wir uns die einzelnen Bereiche angucken müssen – von Kinderarmut bis hin zu Seniorenarmut und natürlich die Obdach- und die Wohnungslosigkeit
KW: Was gehört in so eine Armutsbeseitigungsstrategie alles aus Ihrer Sicht mit hinein?
CÖ: Es ist ganz wichtig, dass wir uns die Mietenpolitik angucken, weil die Miete frisst natürlich einen Großteil des Einkommens, wenn ein Einkommen besteht. Die Problematik ist dann, dass wir im Endeffekt Strom- und Wassersperren in der Stadt haben. Das sind Grundrechte, was den Menschen dann verwehrt wird, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Dann gibt es die Situation der Kinderarmut, die resultiert aus der Armut der Eltern. Da finde ich es ganz wichtig, dass gerade bei Familien, die benachteiligt sind, die nicht so viel Geld haben, an allen Ecken und Kanten versucht wird, zu unterstützen. Das ist das A und O. Wir müssen die Elternarmut bekämpfen, damit die Kinder nicht unter der Armut leiden. Dazu gehören sozialversicherungspflichtige Jobs, von denen wir mehr brauchen in dieser Stadt, von denen die Eltern auch leben können.
10:45 Arbeitsmarkt
KW: Wo kommen die sozialversicherungspflichtigen Jobs her? Im Moment haben wir eine sehr schwierige Wirtschaftslage. Die Arbeitslosenzahlen steigen eher an und wenn Sie sagen, wir brauchen Jobs, wo gut verdient wird, wo kommen die her?
CÖ: Ich glaube, wir haben genug Jobs. Die müssen aber auch gut bezahlt werden. Ich möchte Ihnen mal ein Beispiel nennen. Das ist ein Punkt, der mich unglaublich ärgert. Die Armut bei (schwer-)behinderten Menschen steigt immer weiter an. Wir haben eine Ausgleichsabgabe, die die Unternehmen zahlen müssen, damit sie keine (schwer-)behinderten Menschen einstellen müssen. Da muss die Ausgleichsabgabe so erhöht werden, dass es den Unternehmen wirklich wehtut. Wir haben die Digitalisierung und ich finde, als eine etwas jüngere Generation, die Digitalisierung total gut. Sie darf natürlich nicht dazu führen, dass Menschen durch Computer ersetzt werden. Es muss so sein, dass bestimmte Jobs erhalten bleiben. Da gehört immer staatliche Förderung auch dazu.
KW: Die Arbeitslosenzahlen steigen, aber auch die der Langzeitarbeitslosen. Wir haben in Hamburg rund 60.000 Langzeitarbeitslose. Wir wissen alle, es ist nicht einfach, diese Menschen in Arbeit zu bringen. Welche Vorschläge haben Sie dort, um diesen Menschen zu helfen? Oft hängen da ganze Familien dran.
CÖ: Total. Es gibt langzeitarbeitslose Menschen, die eine schwere Krankheit hinter sich haben, die vielleicht einen schweren Unfall erlebt haben und dadurch nicht in der Lage waren zu arbeiten oder nicht mehr in der Lage sind, ihren alten Job zu machen. Da braucht es immer wieder Alternativen, die auch gut bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass die Menschen, die ihren alten Job nicht mehr machen können, dann plötzlich in einen Job geraten, wo sie unterbezahlt werden oder wo sie am Ende des Monats feststellen, das reicht nicht mehr aus. Deshalb braucht es da aus unserer Sicht immer wieder unterschiedliche Programme, die vom Senat aufgestellt werden, um eine Reintegration in gesicherte Arbeitsverhältnisse hinzubekommen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Während der Corona-Pandemie wurden nicht die großen Unternehmen getroffen, sondern es hat die größtenteils kleinen Gewerbetreibenden und die etwas größeren Gewerbetreibenden in Hamburg in den einzelnen Bezirken getroffen. Was konkret bedeutet, dass viele ihre Angestellten entlassen mussten, weil vielleicht nur die Fixkosten von staatlicher Seite refinanziert wurden. Am Ende mussten die Gewerbetreibenden dieses Geld wieder an den Staat zurückzahlen. Das ist aus meiner Sicht überhaupt keine große Unterstützung.
13:37 Senior:innen
KW: Im Moment ist die seniorengerechte Stadt im Gespräch. Da diskutieren viele und laden auch zu großen Konferenzen ein, um die Menschen zu beteiligen. Wir werden eine älter werdende Stadt. Nicht sofort, aber so nach und nach. Was ist da notwendig, damit wir da gut aufgestellt sind?
CÖ: Ich berichte mal aus meinen Haustürgesprächen, die ich in regelmäßigen Abständen, vor allem im Osdorfer Born, mache. Da hat mir eine Frau die Tür geöffnet in den Hochhaussiedlungen, sie war schon halb erblindet. Das war genau der Zeitpunkt, in dem die Haspafiliale im Osdorfer Born dicht machen sollte. Sie sagte dann, ich bin schwerbehindert, ich kann nicht einfach mal so in den Bus steigen und zum Eckhoffplatz fahren, um dort meine Überweisung zu machen. Mit Digitalisierung komme ich leider auch nicht weiter. Das hilft mir nicht, also bin ich aufgeschmissen. Ich finde es wichtig, dass wir eine gute Infrastruktur im Stadtteil haben. Wenn wir von Age-friendly sprechen, damit werben vor allen Dingen Grüne und SPD sehr stark, dann ist es wichtig, dass die Menschen auch in ihrem Stadtteil die Möglichkeit haben, ihr Leben so gut wie möglich zu leben. Dazu gehören Angebote, die vor Vereinsamung schützen, weil wir ein großes Problem damit haben, wenn Menschen ganz alleine sind.
KW: In München wird sehr gut gearbeitet mit den Seniorenzentren – Sie kennen das Projekt. Was halten Sie davon, wenn sich Seniorenzentren in Hamburg etablieren?
CÖ: Ich finde es total gut, wenn Senioren die Möglichkeit haben, sich an einem Ort zu vernetzen, gemeinsam zu essen, zu trinken und sich zu unterhalten. Das Wichtigste gerade in ärmeren Stadtteilen ist, dass es eine Vernetzung gibt, ein Ort der Vernetzung, ein Ort, an dem sich Unterstützung geholt werden kann und wo die Senioren auch mal Beratung bekommen können. Das meine ich mit einer gut vernetzten sozialen und kulturellen Infrastruktur, denn das gehört für mich zum Leben. Wichtig wäre dann auch, genau hinzugucken, wenn sie im Osdorfer Born bei der Tafel vorbeigehen. Sie sehen extrem viele Rentner und das macht mich wirklich extrem traurig. Es macht mich sehr wütend, weil wir da Menschen haben, die jahrzehntelang wirklich hart gearbeitet haben. Größtenteils dann ihre Kinder großgezogen haben und am Ende an der Schlange der Tafel stehen, damit sie am Ende des Monats ihren Enkelkindern noch ein Geschenk kaufen können. Das ist eine bittere Realität dieser Stadt Hamburg. Es macht mich wütend, wenn diese Realität einfach ignoriert wird.
16:27 Gesundheit
KW: Gesundheitspolitik und Pflege ist nicht nur was für ältere Leute, aber auch für ältere Leute. Es wird bundesweit diskutiert, das Gesundheitssystem neu aufzustellen. Was bedeutet das für Hamburg? Worauf muss Hamburg achten, um das Gesundheitssystem nach wie vor leistungsfähig zu halten?
CÖ: Ich finde es total wichtig, dass die Stadtteile gut ausgestattet werden. Das heißt, wir haben im Bereich der Gesundheit, wenn wir uns die einzelnen Stadtteile angucken, in den reicheren Stadtteilen viel mehr Angebote, also viel mehr Praxen als in ärmeren Stadtteilen. Das darf natürlich nicht sein, weil sich hier immer wieder stark zeigt, dass ärmere Menschen oft kränker sind als Menschen, denen es finanziell gut geht. Ich finde die Konzepte der Poliklinik in Wilhelmsburg oder des Gesundheitskiosks sehr gut. Ich finde diese alternativen Angebote einfach total spitze, weil sie sich im Stadtteil gut etablieren und gut angenommen werden. Was ich im Bereich der Gesundheit auch sehr wichtig finde, ist, dass wir barrierefreie und barrierearme Arztpraxen haben. Das haben wir viel zu wenig in dieser Stadt.
KW: Wie kriegen wir das hin, dass die Praxen barrierefreier werden?
CÖ: Wir können seitens der Gesundheitsbehörde endlich stärker auf die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zugehen. Wir können finanzielle Unterstützung anbieten. Es ist nicht sehr preisgünstig, wenn Gynäkologen eine gynäkologische Praxis eröffnen, die komplett barrierefrei ist, also nicht nur rollstuhlgerecht zugänglich ist. Barrierefreiheit bedeutet noch viel mehr und da könnte mit Zuschüssen gearbeitet werden.
KW: Sie meinen, die Stadt müsste dort helfen? Was ist denn die Aufgabe aus Ihrer Sicht der KV? Was kann die KV tun, um die Probleme zu lösen?
CÖ: Ich würde es wichtig finden, diese Diskussion unter Ihnen zu führen, sich den Morbiditätsatlas anzuschauen und zu gucken, in welchen Stadtteilen es besondere Bedarfe gibt? In welchen Stadtteilen sehen wir, dass Praxen unterrepräsentiert sind, vor allem Kinderarztpraxen. Da haben wir Stadtteile, wo sich rund 30.000 Menschen, 30.000 Familien, einen Kinderarzt teilen müssen. Das finde ich total bedenklich. Daher würde ich es wichtig finden, auch als KV ein Konzept zu haben, wie die unterschiedlichen Stadtteile gleich gut behandelt werden und dafür sorgen, dass es für Ärzte attraktiv ist, in diese Stadtteile zu gehen.
KW: Die KV hat gerade einen Kinderarztsitz in Rahlstedt eröffnet. Ist das ein Weg, den wir woanders gehen sollten?
CÖ: Das Problem ist nicht nur, dass wir soziale Probleme haben. Im Endeffekt können wir uns ganz oft den Atlas angucken und schauen, in welchem Stadtteil sich die Versorgung an welchem Bedarf orientieren muss. Wenn ich sehe, im Osdorfer Born ist eine Kinderarztpraxis, dann weiß ich doch, dass das viel zu wenig ist.
20:26 Pflege
KW: Das Thema Gesundheit ist ein wichtiges für ältere Menschen, aber auch natürlich für jüngere, eigentlich für alle. Pflege kommt immer mehr in den Blick. Sowohl im Gesundheitswesen werden Defizite aufgebaut als auch im Pflegebereich. Wir sehen, in Hamburg brechen die Pflegestrukturen ein bisschen zusammen, es werden Pflegeeinrichtungen geschlossen. Was können wir tun? Wo müssen wir ansetzen?
CÖ: Ich finde es wichtig, dass wir im Pflegebereich vernünftig bezahlen, damit die Menschen diesen Job machen und machen können. Was ich immer wieder im Pflegebereich sehe, ist, dass die Mitarbeitenden, die Angestellten ganz oft selber krank werden, weil die Belastung so enorm ist, dass ich es wichtig finde, dass wir eine interkulturelle Öffnung brauchen der Pflege. Es gibt ein Beispiel: In Lurup finde ich es ganz gut, dass wir da eine interkulturelle Öffnung hingekriegt haben. So etwas muss es mehr geben. Da braucht es natürlich eine gewisse staatliche Unterstützung, um diese Strukturen da etablieren zu können.
KW: Wir sprechen vom Pflegenotstand, weil es zu wenig Pflegekräfte gibt. Die Frage ist, wie kriegen wir das hin?
CÖ: Ich war letztens im Krankenhaus Rissen und bin durch das Krankenhaus gelaufen. Vom Café bis hin zur Station, vom Empfang zur Station. Ich habe da eine interkulturelle Öffnung gesehen, die ich so toll fand. Im Café waren Angestellte, die einen Fluchthintergrund haben. Wirklich viele. Auf der Station habe ich mindestens drei Pfleger gesehen, die Bilal heißen. Dann habe ich bei den Ärzten gesehen, dass da total viele sind, die eben nicht deutsch deutsch sind, sondern einen anderen Hintergrund haben. Das habe ich auch am Empfang gesehen. Ich finde, das ist ein tolles Beispiel, wie gerade im Pflegebereich der Fachkräftemangel bekämpft werden kann, indem wir Menschen gut ausbilden und sie hier integrieren.
KW: Zuzug von Menschen aus dem Ausland wäre für sie ein Thema, was wir mehr in den Blick nehmen sollten. Gibt es Möglichkeiten, die wir hier in Deutschland eröffnen könnten, um hier zu helfen?
CÖ: Es wäre wichtig, einen Schwerpunkt zu setzen und Menschen auch in diesem Bereich weiterhin auszubilden. Wir müssen natürlich die Ausbildung schmackhaft machen und wir müssen die Menschen gut bezahlen. Wir müssen den Menschen endlich die Wertschätzung geben, die sie auch verdienen. Das ist ein knallharter Job, als Pflegekraft zu arbeiten oder als Krankenschwester zu arbeiten. Insofern müssen wir da wirklich mal hinschauen. Ich bin mir sicher, dass die Privatisierung der Krankenhäuser ein großer Fehler war, unter dem wir jetzt noch weiter leiden. Das sehen wir in den einzelnen Krankenhausstrukturen. Wenn Sie von Zuzug sprechen, die Menschen kommen, sie sind da. Dann braucht es natürlich auch eine Integration. Es braucht auch eine Integration in den Arbeitsmarkt, aber genauso bei Menschen, die eigentlich Lust haben, diesen Job zu machen. Ich möchte da wirklich dran anknüpfen. Die Bezahlung ist einfach ein sehr wichtiges Anliegen.
23:53 Gleichstellung
KW: Es gibt die sogenannte stille Reserve. In der stillen Reserve sind auch oft Frauen, die einen Job suchen, aber die nicht annehmen können, weil die Rahmenbedingungen für sie nicht stimmen. Was wäre denn der Weg, den Sie vorschlagen, um diese stille Reserve für den Arbeitsmarkt sozusagen zu aktivieren?
CÖ: Es ist leider 2024 immer noch so, dass Frauen größtenteils Sorgearbeit leisten und diese dann noch mit dem Job vereinen müssen. Das ist noch mal eine größere Belastung, als viele Männer sie haben. Es gibt auch sehr viele Frauen, die Vollzeit arbeiten und dann noch die Sorgearbeit komplett übernehmen. Ich finde es wichtig. Das war ein Beispiel aus einem Ausschuss. Wir hatten eine Anhörung in Bezug auf die Situation der Gerichte und da sagte ein Gerichtsvertreter: Ja, wir haben es mittlerweile gang und gäbe gemacht, dass es für Frauen oder auch für Väter, die sich mehr um ihre Kinder kümmern möchten, die Sorgearbeit übernehmen möchten, Teilzeitjobs einzurichten und ihnen das zu ermöglichen. Das kennen wirklich viele Frauen, wenn sie Teilzeit arbeiten möchten, weil es einfach nicht anders geht mit der ganzen Sorgearbeit, dass sie gleich abgelehnt werden, weil sie dann nicht als vollwertige Arbeitskraft gezählt werden. Das muss auf jeden Fall verändert werden. Wir sprechen hier von Gleichberechtigung und von gleicher Verteilung der Aufgaben. Wenn wir dieses Ziel erreichen möchten, dann müssen wir auf jeden Fall auf dem Arbeitsmarkt anfangen.
25:27 Mobilität
KW: Ich möchte einen Sprung in Richtung Verkehrspolitik machen. Hamburg wird manchmal etwas böse als Staustadt bezeichnet. Wenn ich durch Hamburg fahre, ist das auch nicht ganz verkehrt.Welche sind da Ihre Vorschläge, um den Verkehr insgesamt unter dem Gesichtspunkt der Klimaneutralität, die wir bis 2045 erreichen wollen, zu entwickeln?
CÖ: Wir brauchen eine Straßenbahn, da sind wir seit Jahren hinter dieser Forderung.
KW: Wo soll die Straßenbahn fahren? Die Verkehrsfläche ist nicht erweiterbar.
CÖ: Wir hatten schon mal in Hamburg eine Straßenbahn.
KW: Ja, aber da waren die Verkehre auch viel geringer.
CÖ: Ich nenne mal ein Beispiel: Sie wohnen auch in Richtung Osdorf. Wenn Sie da in den Bus steigen, wie schnell sind Sie in der Innenstadt? Das dauert.
KW: Der Bus darf natürlich nicht schneller fahren als die im Stau stehenden Autos.
CÖ: Mit der Straßenbahn hätten wir das Problem nicht. Wir hätten eine viel größere Kapazität.
KW: Wo soll die denn fahren?
CÖ: Wir haben noch die Schienen. Da sind noch die Muster, die Schienen aus der alten Zeit. Wir sind wirklich überzeugt davon, dass das die Alternative ist, um auch den Osdorfer Born oder auch andere Stadtteile, die Abgehängten, anzubinden. Wir hätten eine viel größere Kapazität, Menschen mitzunehmen und sie würde vor der Tür stehen. Wir hätten viel mehr Haltestellen. Das kann die U5 alles gar nicht leisten. Das sehen wir jetzt auch, nachdem der Osdorfer Born wieder enttäuscht wurde in Bezug auf die Anbindung.
KW: Manche Menschen fühlen sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr so sicher, sind nicht mehr so gut auf den Beinen. Sie sind wackelig, müssen schnell einsteigen, schnell Platz nehmen, was nicht immer möglich ist. Was schlagen Sie vor, um sich diesem Problem zu nähern bzw. dieses Problem aus der Welt zu schaffen?
CÖ: Es wäre sehr wichtig, dass wir eine Straßenbahn haben, die barrierefrei ist. Das heißt, sie wäre ebenerdig. Die Menschen hätten nicht das Problem, wenn der Aufzug kaputt ist und sie nicht runterkommen. Das Problem haben wir ganz oft an Bahnhöfen. Wir haben bei den Bussen natürlich auch die Problematik, dass sie sehr oft überfüllt sind und die Menschen Angst haben, nicht mehr reinzukommen und dadurch stolpern können.
KW: Das kann bei einer Straßenbahn aber auch passieren.
CÖ: Ja, das kann natürlich auch passieren. Wenn sie alt sind und wenn sie nicht mehr so gut auf den Beinen sind, dann haben sie ein Problem. So, dann kommen sie einfach nicht rein und dann fährt der dritte Bus vorbei und dann ist es irgendwann abends, bis sie am Ziel sind. Der HVV hat natürlich eine gewisse Arbeitsgruppe. Sie setzen sich mit dem Thema Barrierefreiheit und natürlich auch seniorengerechten ÖPNV auseinander. Ich finde es wichtig, dass diese Ängste da mit einfließen. Im Endeffekt müsste es natürlich eine gewisse Unterstützung geben. Das heißt, Busfahrer müssen dementsprechend so geschult werden, dass Barrierefreiheit immer ein Thema ist, das mit berücksichtigt wird.
KW: Es gibt das Konzept der Rufbusse und der Ruftaxen. Hier ist oft das Problem, dass sie nur digital gerufen werden können, das heißt per Internet und das können nicht immer alle. Wie können wir ein solches Problem sozusagen aus Ihrer Sicht angehen?
CÖ: Die Digitalisierung ist für manche ein Segen, für andere ein Fluch. Das wissen wir. Ich habe jetzt kein Geheimrezept, wie wir das Problem lösen können. Mein Geheimrezept wäre, um wirklich vielen Menschen den Zugang zu gewährleisten, dass es zum Beispiel nicht nur drei Moyas in der Stadt gibt, die barrierefrei sind, sondern alle Alternativen auch barrierefrei sind.
29:18 Öffentliche Verwaltung
KW: Kurz am Ende unseres Gesprächs möchte ich über die Arbeit in den Behörden sprechen. Uns erreichen viele Beschwerden darüber, dass die Menschen keinen Termin mehr bekommen, dass es überfüllt ist, dass die Behörden nicht immer geöffnet haben. Welche Position haben Sie dazu?
CÖ: Wir haben immer wieder gesagt, dass es wichtig ist, den Personalmangel mittel- und langfristig zu beheben. Gerade wenn wieder Sommer ist, die Menschen in den Urlaub fliegen möchten, einen (Ersatz-)Pass brauchen, müssen die Menschen Termine bekommen. Da gehört natürlich auch hinzu, dass da genug Geld investiert wird, damit das Personal angestellt werden kann. Es ist eine Zeit lang etwas besser geworden. Bei den Sozialgerichten haben wir Wartezeiten von Monaten, das wird mittlerweile normalisiert. Wo wir ganz stark der Auffassung sind, die Gerichte können nur mit dem arbeiten, was ihnen gerade vorliegt, also auch an Personal. Wir merken, dass es an allen Ecken und Kanten fehlt und es genug Investition braucht.
SR: Frau Özdemir, vielen Dank für die Information über die Sozialpolitik, die die Linke in den kommenden Jahren hier in Hamburg vorantreiben will. Es sind viele wichtige Themen dabei. Vielen Dank dafür, dass Sie hier bei uns waren.
KW: Auch noch mal schönen Dank von meiner Seite.
CÖ: Ich danke Ihnen.
SR: Das war der SoVD-Polittalk zur Wahl, der Podcast des SoVD Hamburg. Abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcastplattformen. Über eine gute Bewertung würden wir uns freuen. Oder schicken Sie uns Ihr Feedback an info@sovd-hh.de. Wir freuen uns, wenn Sie auch das nächste Mal wieder reinhören. Bis dahin halten wir Sie über unsere Social Media Kanäle auf dem Laufenden oder besuchen Sie unsere Webseite sovd-hh.de.