SoVD-Podcast: Teilhabe und Chancengleichheit
Wie gelingt es, in Hamburg soziale Teilhabe für alle zu ermöglichen – trotz Wohnungsnot, Pflegekosten und wachsender Armut?
Teilhabe und Chancengleichheit: Fragen und Inhalte
01:06 „Wir für Hamburg“: Diakonie zwischen Nächstenliebe und sozialem Engagement
04:24 Chancen für alle: Eingliederungshilfe und Teilhabe am Arbeitsleben
07:20 Herausforderungen für die Diakonie: Pflegekrise, Fachkräftemangel und Integration
11:55 Ankommen in Hamburg: Integration, Armut und Bürokratie
14:45 Armut in Hamburg: Wie die Diakonie Kindern und Alleinerziehenden hilft
18:24 Tarifverhandlungen und Finanzierungslücken: Wenn gute Pflege teuer wird
21:28 Pflege muss bezahlbar bleiben: Wer trägt die Verantwortung?
24:43 Einsamkeit, Jugend und Teilhabe: Wie die Diakonie junge Menschen stärkt
Uns allen ist das Evangelium das, worum es geht. Das ist unser Herz. Evangelium heißt für mich, den Nächsten so zu lieben und anzunehmen, wie er oder sie ist, und das Bestmögliche zu tun, dass die Menschen gut leben können, dass es ein gutes Miteinander gibt und dass ich Achtung und Toleranz meinem Nächsten gegenüber habe.
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Zu Gast ist Landespastorin Annika Woydack, Vorstandsvorsitzende Diakonische Werk Hamburg. In dieser Folge sprechen wir über die aktuellen sozialen Herausforderungen der Stadt. Wir beleuchten, wie sich Wohnungslosigkeit, Pflegekosten und der Einsatz für ein starkes Miteinander in Hamburg entwickeln. Welche Rolle spielt die Diakonie dabei? Und wie können gemeinsame Anstrengungen von Wohlfahrtsverbänden und Sozialverbänden positive Veränderungen bewirken?

Teilhabe und Chancengleichheit : Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
AW: Annika Woydack
SR: “Sozial? Geht immer!” – Der Podcast des SoVD Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Einmal im Monat diskutieren wir soziale Fragen und Problemlagen, haken nach und geben Antworten. Immer im Blick: Soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Chancengleichheit. Sie wollen keine Folge mehr verpassen. Dann abonnieren Sie uns auf den gängigen Podcast-Plattformen. Herzlich willkommen zu unserem Podcast “Sozial? Geht immer!” vom Sozialverband SoVD hier in Hamburg. Mein Name ist Susanne Rahlf.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD.
SR: Heute begrüßen wir ganz herzlich Annika Woydack. Frau Woydack ist seit November vergangenen Jahres die neue Landespastorin des Diakonischen Werks hier in Hamburg. Davor war sie leitende Pastorin des Hauptbereiches Generationen und Geschlechter und die Landesjugendpastorin. Herzlich willkommen, Frau Woydack.
KW: Auch von meiner Seite. Herzlich willkommen! Wir freuen uns.
01:06 „Wir für Hamburg“: Diakonie zwischen Nächstenliebe und sozialem Engagement
SR: Frau Woydack, Sie haben in Ihrer Antrittsrede betont, dass Ihnen das Wir und das Miteinander ganz stark am Herzen liegt. Wo wollen Sie das jetzt in der nahen Zukunft und auch in der längeren Zukunft natürlich umsetzen innerhalb der Diakonie?
AW: Mir liegt total daran, dass Wir in unserer Stadt Hamburg noch mehr zu stärken, als es schon ist. Es ist an vielen Stellen, gerade in den diakonischen Unternehmen sieht man, wie alle Kollegen das versuchen zu stärken. Weil wir verstanden haben, dass nur wenn jeder gut leben kann und auch eine Wohnung hat und die Möglichkeiten hat, sich zu entwickeln und zu entfalten. Dass dann unsere Stadt und unser Miteinander gut gelingen kann. Daran haben wir alle ein ganz hohes Interesse. Das muss unser Ziel sein.
KW: Wir wollen uns noch ein bisschen mit der Diakonie befassen, denn die Menschen, die uns zuhören, sollen auch wissen: Was ist das für ein Bereich? Wenn man an Diakonie denkt, denkt man an die evangelische Kirche. Wie hängt das zusammen?
AW: Das hängt beides insofern miteinander zusammen, dass die Diakonie sozusagen der tätige Arm der Kirche ist. Wir setzen das konkret um, was wir unter Nächstenliebe verstehen. Das machen wir auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen. Einerseits in großen Unternehmen, in Hamburg wie in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf oder im Rauhen Haus. Das geschieht natürlich auch in kleineren Einrichtungen oder auch in kirchlichen Einrichtungen. Wir haben auch zum Beispiel Mittel, bspw. Kirchensteuermittel, um Obdachlosenhilfe zu finanzieren. Da sind wir ganz stark. Wir sind natürlich auch im Bereich Pflege ganz stark.
KW: Bleiben wir doch mal an einem kleinen Moment dabei, wie die Kirche sich bei Ihnen engagiert. Die Kirche ist sozusagen ein Teil für sich. Die Diakonie ist, wenn man so will, das soziale Werk der Kirche. Wie können wir uns das vorstellen? Sind die Mitarbeiter der Kirche auch bei Ihnen tätig? Gibt es da so ein Zusammenwirken?
AW: Da gibt es auf jeden Fall ein Zusammenwirken. Jetzt muss man ein bisschen sortieren. Verfasste Kirche ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und Diakonie ist in der Regel sortiert und organisiert in Vereinen und Stiftungen. Da gibt es ein Zusammenwirken, aber kein direktes Reinfunken im klassischen Sinne. Das geht nicht.
KW: Man hilft sich, unterstützt sich.
AW: Uns allen ist das Evangelium das, worum es geht. Das ist unser Herz. Evangelium heißt für mich, den Nächsten so zu lieben und anzunehmen, wie er oder sie ist, und das Bestmögliche zu tun, dass die Menschen gut leben können, dass es ein gutes Miteinander gibt und dass ich Achtung und Toleranz meinem Nächsten gegenüber habe. Das versuchen wir in all den unterschiedlichen Einrichtungen, die wir haben, dort, wo es Bedürftige gibt, die zu begleiten und zu stützen.
04:24 Chancen für alle: Eingliederungshilfe und Teilhabe am Arbeitsleben
KW: In welchen Bereichen ist die Diakonie in Hamburg tätig?
AW: In ganz vielen Bereichen: Zum Beispiel sind wir in der Eingliederungshilfe tätig.
KW: Die Eingliederungshilfe hat mit behinderten Menschen zu tun. Sie kümmern sich also um behinderte Menschen. Was kann ein behinderter Mensch bei Ihnen bekommen, sozusagen erwarten?
AW: Unterstützung, Assistenz, Begleitung im Alltag. Manchmal, je nachdem, wie die Bedürfnisse sind, wie die Wünsche sind in der Wohnsituation, viel in Werkstätten.
KW: Eine Werkstatt haben Sie in der Stiftung Alsterdorf, die ist auch groß. Da gibt es auch gewisse Grundschwierigkeiten. Menschen, die dort arbeiten, möchten da auch raus, möglichst auf den ersten Arbeitsmarkt. Gelingt das?
AW: Das lässt sich jetzt nicht so allgemein sagen. Das gelingt sicherlich immer in bestimmten Fällen, aber vermutlich auch in anderen Fällen nicht. Das ist immer die Frage: Was ist gut für den oder die konkrete und wie ist die Situation und wie können wir bestmöglich begleiten, dass genau das gelingt? Natürlich wäre das das Ziel, auf jeden Fall.
KW: Die Bezahlung der Mitarbeiter – so nennen sie die behinderten Menschen in den Werkstätten – ist nicht so gut. Da ist es auch gut, wenn man ein bisschen mehr Einkommen hat. Das könnte man auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verdienen.
AW: Kein Widerspruch. Genau. Die Frage ist: gelingt das? Das ist natürlich die Herausforderung, die die Kollegen, die in Alsterdorf arbeiten, täglich haben und die sie versuchen, bestmöglich zu meistern, um da einen ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
KW: Sie kümmern sich auch um obdachlose Menschen. Da gibt es so Zahlen, die durch die Gegend wabern. Man hat mal gezählt, das waren 2000, das glaubte dann keiner. Wie viel Menschen, glauben Sie, sind in Hamburg ungefähr obdachlos?
AW: Sie haben jetzt die Zahl genau parat.
KW: Genau nicht, aber es sind sehr viel mehr als 2000.
AW: Hamburg gilt sozusagen als die Hauptstadt der Obdachlosigkeit. Wenn wir das vergleichen mit anderen Städten und das ist schon krass . Das eine ist die Obdachlosigkeit, das andere ist die Wohnungslosigkeit bzw. die ganzen Wohnungsnotfälle. Da gibt es echt eine Hausaufgabe. Wohnen ist mit allem verknüpft. Es fehlt den Menschen an Möglichkeiten, zu wohnen. Da sehe ich sozusagen schon auch eine der Kernaufgabe auch an der Schnittstelle, weil ganz banal, was ich gerade neulich bei meinem Besuch im Frauenhaus noch mal mitbekommen habe: Wir haben Frauen in dem Frauenhaus, die eigentlich jetzt ausziehen könnten, weil sie so gut wieder gestützt und wieder angekommen sind in ihrem eigenen Leben. Jetzt finden sie keine Wohnung. Das ist äußerst kompliziert und das lässt sich überall auf allen Bereichen, wo Menschen in Notunterkünften leben, also nicht auf der Straße leben, aber auch keine eigene Wohnung haben. Da müssen wir in Hamburg wirklich gucken, dass wir Wohnraum schaffen. Das braucht es so dringend.
07:20 Herausforderungen für die Diakonie: Pflegekrise, Fachkräftemangel und Integration
KW: Ja, das geben wir mal Frau Pein, der Stadtentwicklungssenatorin, mit auf den Weg. Wir gucken jetzt noch mal so ein bisschen in die Diakonie. Wir haben jetzt zwei Bereiche: behinderte Menschen und obdachlose Menschen. Gibt es noch andere Bereiche? Pflege, das sieht auch die Regierung gerade so, das ist das soziale Thema für die nächsten Jahre. Wir werden älter und es werden immer mehr pflegebedürftige Menschen geben. Wie soll das gehen? Jetzt alle gerade in Ruhestand. Die Frage nach der Pflege kommt erst dann: Wie soll das eigentlich alles gehen? Wie ist es finanziert?
KW: Wenn jemand in ein Pflegeheim geht, muss er zuzahlen. Es gibt keine Vollversicherung. Die Zuzahlungen sind relativ hoch. Wie sieht das bei Ihnen aus?
AW: Die Diakonie arbeitet im gleichen System. Wir wollen konkret daran verdienen. Unsere Mitarbeiter sollen auch anständig Geld verdienen. Das ist ein Problem und da müssen wir auf Bundesebene und auch in Hamburg ran. Das Problem ist erkannt und steht in beiden Koalitionsverträgen drin. Was man natürlich schon vermissen kann, also sowohl auf Bundesebene als auch in Hamburg, wie die Umsetzung dann konkret aussieht. Das wird spannend. Menschen müssen gut gepflegt werden können, aber dass auch die Arbeitsbedingungen so sind, dass wir genügend Fachkräfte haben. Das ist eine andere große Herausforderung. Wo kommen die Menschen her? Wir brauchen die Menschen bei uns in den Pflegenden.
KW: Haben Sie da eigene Anwerbeprogramme? Im Moment ist man unterwegs in ganz Europa, aber auch über Europa hinweg Menschen zu suchen und zu sagen, bei uns kannst du in der Pflege arbeiten und der Verdienst auch gut.
AW: Ja, diakonische Unternehmen haben teilweise Programme. Die Herausforderung, vor der wir überall stehen, ist, wenn wir ausländische Fachkräfte haben oder Mitarbeiter haben, müssen wir sie gut halten können, sodass das Klima, in dem sie hier leben, auch so ist, dass sie sich wohlfühlen und gerne bleiben.
KW: Da haben wir große Probleme in Deutschland. Menschen, die auch nicht aus unserem Kulturkreis kommen und sich vielleicht ein bisschen anders verhalten. Gibt es da Herangehensweisen jetzt innerhalb der Diakonie, um das besonders gut zu machen?
AW: Alle diakonischen Unternehmen haben eine diversitätsorientierte Profilbildung also und christliches diversitätsorientiertes Profil. Das heißt, die Willkommenskultur ist überall groß.
KW: Sie gehen mit ausgebreiteten Armen auf die Leute zu kommen.
AW: Das ist total wichtig. Das ist wesentlich, finde ich. Das, woran es natürlich hakt, sind dann die äußeren Umstände. Meine Kollegen, die im Welcome Center arbeiten, arbeiten zusammen auch eng mit der Arbeitsagentur, die versuchen, all diese Wege zu klären. Zum Beispiel welche Abschlüsse anerkannt sind? Es ist echt ganz schön viel zu buckeln und ganz schön viele Dinge, die zu beachten sind.
KW: Das ist Bürokratie, die Sie ansprechen. Sie sind, wenn ich das richtig verstehe, auch eine Freundin davon, dass man die Bürokratie erleichtert, dass man die Menschen schneller eingegliedert und dass man mehr dazu tut, dass sie sofort arbeiten können. Ohne große Probleme.
AW: Selbstredend. Gleichzeitig müssen wir natürlich auch gucken: Wir brauchen auch Fachkräfte, also welche Abschlüsse sind wo anerkannt? Da war ich jetzt auch gerade erst. Das hat mich total beeindruckt, wie sie dann wirklich recherchieren. Okay, was hast du in deinem Heimatland gelernt? Wie ist deine Ausbildung da? Was brauchst du noch von hier, damit du hier arbeiten kannst und dann auch gut integriert?
KW: Was wäre Ihre Forderung an Hamburg an dieser Stelle?
AW: Da müssen wir auf jeden Fall Zeit und Geld rein investieren – Hamburg auch, das haben Sie verstanden. Das ist so eine wertvolle Einrichtung, weil da Menschen hinkommen, die werden relativ schnell weitergeleitet und der jeweils konkrete Fall angeguckt, um dann zu gucken, okay, wie kann es gehen, was braucht es noch? Es ist ganz viel schon da, aber es braucht da noch einzelne Nachschulung, einzelne Weiterbildung und da dann genau zu gucken, was passt und was nicht passt.
11:55 Ankommen in Hamburg: Integration, Armut und Bürokratie
KW: Probleme kommen immer auf, wenn man die Ausländerbehörde anguckt. Ich weiß nicht, wie Ihre Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde ist. Hätten Sie da Ideen, was man da ändern könnte? Ist das zu formal? Hängen sie zu sehr an ihren Paragraphen? Wo kann man was tun, damit die Menschen sozusagen schneller, besser integriert werden und sich hier aufgenommen fühlen?
AW: Ja, das ist eine Sache, die auch auf Bundesebene bearbeitet werden muss, nicht unbedingt nur in Hamburg. Das hängt alles miteinander zusammen. Da braucht es ganz viele Stellschrauben, um da eine veränderte Haltung hineinzubringen und das Gefühl: Ich bin hier willkommen und arbeite hier gerne. Das ist eine Seite, die Bürokratie, die mir das Ankommen schwer macht, aber natürlich auch die Atmosphäre, die möglicherweise Menschen entgegenschlägt, die aus dem Ausland hierher kommen. Das ist, vermute ich, fast noch wesentlicher. Wenn ich in einer Stadt lebe, wo ich merke, hier ist Weltoffenheit. Hamburg ist in aller Regel weltoffen und eine Stadt, in der Menschen gut miteinander leben und auch diverse Menschen in aller Regel gut miteinander leben können. Das braucht es unbedingt und das müssen wir stärken an den Zusammenhalt.
KW: Sie haben gesagt, die Menschen müssen hier gut leben können. Damit befassen wir uns als Sozialverband auch sehr. Da fällt mir die Frage der zunehmenden Armut ein. Offenbar ist es so, wenn man sich den Koalitionsvertrag hier in Hamburg durchliest, aber auch den im Bund. Da kommt das Wort Armut entweder gar nicht oder nur selten vor. Sind Sie als Diakonie da unterwegs, dass Sie der Politik auch mal deutlich machen: Das sind Menschen, denen geht es nicht so gut.
AW: Das ist unser Hauptkernaufgabe, würde ich sagen. Unsere Hauptaufgabe ist, dahin zu gucken, wo vielleicht blinde Flecken sind und die Stimmen derer, die nicht gehört werden, noch mal laut zu machen. Wir haben zum Beispiel den Referenten für Armut, der genau diese Themen noch mal aufgreift und es gab eine Rathauspassage.
KW: Was ist die Rathauspassage?
AW: Das ist eine Einrichtung, die finanziert wurde. Diese Einrichtung befindet sich unter der Erde. Das ist total schön. Wenn Sie noch nie da waren, gehen Sie dahin, trinken Kaffee würde ich eine ganz schöne Einrichtung ersparen. U-Bahn-Eingang Rathausmarkt. Ist mittlerweile der Blick offen. Ich finde es wirklich schön gestaltet und ist eine gemeinnützige gGmbH ins Leben gerufen von den beiden Kirchenkreisen und der Diakonie zusammen. Das ist sozusagen der soziale Ort und gleichzeitig wirklich auch ein ganz, ganz schöner Ort. Dort gab es eine Veranstaltung mit Menschen. Eben nicht über Armut reden, sondern Mitmenschen reden, die von Armut betroffen sind.
KW: Das ist sehr wichtig.
AW: Das Reden darüber war sehr berührend, weil parallel auch die Politiker fast aller Parteien da waren. Das war ein so wertvoll lauter Dialog, weil da wirklich Menschen gehört worden sind und auch mal die Themen zur Sprache kamen.
14:45 Armut in Hamburg: Wie die Diakonie Kindern und Alleinerziehenden hilft
KW: Wir sind jetzt bei dem Thema, dass eine Menge Menschen auch ausgegrenzt werden. Wenn man sich die offiziellen Statistiken anguckt, dann ist das in Hamburg, um es mal plastisch zu machen, jeder Fünfte ist armutsgefährdet. Die Wahrheit ist wahrscheinlich viel größer. Jedenfalls gehen wir davon aus.
AW: Es sind überproportional Frauen und vor allen Dingen alleinerziehende Frauen Betroffene.
KW: Ja, das ist richtig. Alleinerziehende Frauen mit zwei und mehr Kindern sind zu über 43 Prozent in Hamburg arm. Was könnten wir da tun? Was wären jetzt so die Forderungen der Diakonie, um den Menschen, die in Armut sind, zu helfen? Was machen Sie selbst?
AW: Wir versuchen einfach wirklich darauf hinzuweisen, immer wieder und genau da zu gucken, dass die Beratungs- und Unterstützungsangebote, die angemessen ausgestattet sind. Ich habe in einem Interview gehört, dass Armut sich vererbt. Wenn ich das selber so erlebt habe, dann ist die Energie, die ich brauche, um da rauszukommen, so viel höher als aus einem Elternhaus, wo ich gut gestützt und auch finanziell gut gestützt bin. Da zu gucken, wie kann Chancengleichheit einstehen, das ist tatsächlich total wichtig. Das fängt wirklich bei den Kindern und Jugendlichen an, fängt in der Kita an, geht über Schule weiter und Kinder- und Jugendhilfe ist da. Das sind echt wesentliche Punkte.
KW: 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 25 sind offiziell armutsgefährdet. Wir gehen davon aus, die Zahl ist größer. Wir müssen jetzt gucken, wie wir die sozusagen aus der Armut raus holen. Ganz einfaches: Ja, wir geben ihnen Geld, dann sind sie nicht mehr arm. So einfach ist es aber leider nicht. Was sind da Ihre Ansätze? Jetzt innerhalb der Diakonie? Wie schaffen Sie es, den Menschen zu helfen? Wie kriegt man sie aus der Armut raus? Sie hatten vorhin von Wohnungen gesprochen. Wie kriegt man die Menschen, die eine Wohnung suchen, jetzt sozusagen in eine preiswerte Wohnung, die sie sich auch leisten?
AW: Wir versuchen, Beratung zu machen und das gleichzeitig immer wieder in der Politik deutlich zu machen. Sie sprachen gerade an: Wir brauchen mehr Wohnungen oder wir brauchen mehr Wohnraum. Das hat die Senatorin selber sehr auf dem Zettel. Sie war jetzt gerade noch mal neulich bei einer Veranstaltung, hat das auch noch mal deutlich gemacht und das müssen wir stützen und da richtig gut gucken.
KW: Ja, das ist richtig. Da ist die Stadt ganz gut unterwegs. Es hat noch nicht so richtig gefruchtet, da fehlt noch einiges. Jetzt gucken wir uns noch mal an: Wenn die Menschen ausgegrenzt werden, dann sind die Chancen, das haben sie angesprochen, begrenzt. Wir sind ganz schlecht beraten, wenn wir das bei den Kindern nicht ändern. Die Kinder sind die Zukunft und die Gegenwart. Die Kinder sind diejenigen, die Facharbeiter werden sollen. Die sollen die Gesellschaft in der Zukunft stützen. Da würde ich gern noch mal wissen, welche Wege schlagen Sie davor, dass wir das schaffen? Die sind erst mal anonym in den Familien. Sie haben von Alleinerziehenden gesprochen?
AW: Sie sind nicht anonym. Wir haben sie in den Kitas und in den Schulen. Da gibt es wirklich auch gute Programme. Sprachkitas hat Hamburg jetzt noch mal wieder aufgesetzt. Da gibt es viel und da braucht man natürlich wirklich auskömmliche Refinanzierung. Das ist exakt der Punkt. Wir haben immer ein bisschen allgemein in allen Bereichen das Problem. Wir haben einen Tarifvertrag und der muss natürlich refinanziert werden. Wenn wir unseren Erziehern angemessen bezahlen, dann muss es auch eine Refinanzierung geben, was wir dann an die Mitarbeiter auszahlen.
18:24 Tarifverhandlungen und Finanzierungslücken: Wenn gute Pflege teuer wird
KW: Gibt es denn da Probleme? Zahlt die Stadt zum Beispiel die Tariferhöhungen nicht? Nicht richtig. Sagen Sie mal ganz deutlich, was da los ist.
AW: Das ist wirklich, egal welchen Bereich wir nehmen, das ist immer wieder eine Sache, die wir aushandeln. In manchen Bereichen gelingt es, in manchen Bereichen nicht.
KW: Was machen Sie dann?
AW: Wir gehen in die Verhandlung.
KW: Wenn die Stadt Nein sagt, das können wir im Moment nicht zahlen. Sie müssen doch die Löhne und Gehälter bezahlen.
AW: Genau. Dann haben wir da kein Geld. Da müssen wir ran. Das ist sehr, sehr mühselig. Es gilt das sogenannte Besserstellungsverbot und das heißt, wir dürfen nicht besser zahlen als die Stadt. Das finde ich erst mal logisch. Der Tarifvertrag ist ausgehandelt und dann sind manche Entgeltgruppen ein bisschen besser bezahlt und andere schlechter. Da, wo es schlechter ist, freut sich die Stadt. Da, wo es dann mal besser ist, zahlen sie es nicht. Gerade in den Bereichen Erziehung und Pflege haben wir richtig einen Sprung nach oben gemacht. Im Tarifvertrag ist immer alles noch viel mehr wert. Die Arbeit, für die Sie Geld bekommen, auf jeden Fall. Neulich Vergleich mit einer Bankkauffrau in der Ausbildung und der Pflegeausbildung. Da ist die Pflege besser. Zahlen wir besser gerade laut Tarifvertrag. Wir haben nachgelegt. Die anderen Verbände natürlich auch. So, das ist auch richtig. Das heißt, es muss auch so sein. Das, was ich für uns dann mühselig finde, sind immer die Verhandlungen und das ist, das ist wirklich nervig und das sieht auch die Stadt.
KW: Das verstehe ich nicht. Wenn jetzt Tarifabschlüsse gemacht werden, so, da sitzen jetzt auf der einen Seite die Gewerkschaften, auf der anderen Seite sie. Kommen da raus, meinetwegen 4 Prozent. Was wollen Sie da noch? Verhandeln muss durch die Stadt, um das zu refinanzieren, wie Sie sagen, 4 Prozent Lohnerhöhung bezahlen, sonst geht das doch.
AW: Wenn Sie das so weitergeben, dann sparen wir alle sehr viel Zeit.
KW: Ich meine, das ist selbstverständlich.
AW: So funktioniert es leider nicht. Das müssen wir verhandeln. Im schlechten Fall, wenn es nicht funktioniert, wird an was anderem gespart, weil wir die Mitarbeiter haben. Wir sind fest angestellt. Der kann sagen: So, du kriegst jetzt leider 10 Prozent weniger oder weniger, so geht das nicht. Die Mitarbeiter sind unser kostbarstes Gut, in 99 Prozent der Fälle sind es hoch engagierte, identifizierte Menschen, die für andere Menschen da sein wollen und die Menschen begleiten und stützen wollen. So, das ist so wesentlich, dass wir da gut und angemessen bezahlen und auch das wertschätzen, so dass wir dann immer gucken, wo wir an anderen Stellen sparen. Das macht natürlich auch keinen Spaß. Man guckt okay, dann geben wir Flächen ab in der Miete. Wenn sowas geht, dann machen wir andere Einsparungen. In der Pflege, wo wir gerade drüber gesprochen haben, ist die Steigerung dessen, was die Einzelnen jetzt zahlen müssen, entstanden durch die Erhöhung in den Tarifverträgen. Da gab es bittere Beschwerden, die ich total nachvollziehen kann, weil die Mitarbeiter jetzt mehr Geld bekommen, aber das nicht von der Pflegeversicherung gedeckt wird. Den Gap bezahlt sozusagen die pflegende Person. Das ist bitter. So kann es eigentlich nicht sein.
21:28 Pflege muss bezahlbar bleiben: Wer trägt die Verantwortung?
KW: Der Betrag wird immer höher und auch die Zahl derjenigen, die sich das nicht leisten können und dann Grundsicherung in der Pflege beziehen, ist auch höher geworden. Sind insgesamt fast 12.000 Menschen in Hamburg. Und das ist im Grunde genommen unerträglich in Fragen, wie ihre Haltung dazu ist. Eigentlich müsste die Stadt die Investitionskosten für den Pflegebereich bezahlen. Tut sie auch, zu einem Teil aber nicht ganz. Wie ist Ihre Haltung? Müsste die Stadt das eigentlich voll machen?
AW: Ja, na sicher. Auf jeden Fall. Hinzu kommt gerade als Einrichtung, als kirchliche Einrichtung oftmals, die schon sehr, sehr lange da sind, haben wir oftmals Gebäude, die energetisch, wie soll man sagen, da ist noch Luft nach oben und.
KW: Das müssen Sie sowieso machen, Sie müssen bis 2045 klimaneutral sein.
AW: Ja genau, das wollen wir auch. Das ist unser Auftrag: Bewahrung der Schöpfung, das wollen wir unbedingt. Manche Themen spielen sich überall ab, in der Kita das gleiche, also dann differenziert es sich anders, weil das andere Systeme sind. Die Problematik ist sehr ähnlich. Wir müssen eigentlich in die Gebäude investieren, damit wir die Klimaneutraler bekommen. Das funktioniert nicht, weil wir gar nicht die Mittel dafür haben.
KW: Sie müssen das dann weitergeben an ihre Bewohner.
AW: Versuchen wir natürlich, möglichst nichts zu tun.
KW: Wenn die Stadt das voll übernehmen würde, dann würde im Durchschnitt jeder 570 Euro weniger bezahlen. Das heißt, sie können sich dann mehr als bisher sich Pflege im Pflegeheim leisten können. Das wäre doch toll. Das geben wir mal weiter an Frau Schlotzhauer, die weiß das natürlich. Hamburg ist so schlecht nicht gestellt, das weiß ich. Sie haben ja außer Pflege noch weitere Bereiche. Sie sprachen von Kindertagesstätten. Wie läuft das?
AW: Wir sind überall da in Verhandlung. Wir sind überall im guten Gespräch mit der Stadt. Dann sind da natürlich andere, die müssen ihr Geld irgendwie zusammenhalten und gucken, dass auch alles finanziert ist. Wir haben da natürlich unsere Interessen. Bei den Kitas ist es genauso und wir sind der größte Träger mit den Elbkindern zusammen. Natürlich haben wir da auch eine Wucht in der Verhandlung. Momentan gehen sie gerade voran, aber da sind wir hart am Verhandeln. Dass einerseits Tarifverträge fehlen und dann ist da die Frage nach Gebäuden.
KW: Eigentlich ist es doch klug, wenn wir uns alle zusammentun. Wenn wir alle zusammen die Verhandlung führen würden und sagen: Wenn die Diakonie das macht, dann stehen wir dahinter. Das wäre doch klug. Das heißt, würden sich die Wohlfahrtsverbände, die Sozialverbände, die Gewerkschaften zusammen tun, wäre es doch einfacher.
AW: Ja, wir sind aber auch im Guten Miteinander. Die Wohlfahrtsverbände sind organisiert in der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände. Einiges ist ein wenig spezifisch diakonisch, kirchlich, aber das meiste sind Themen, die alle Wohlfahrtsverbände vertreten.
24:43 Einsamkeit, Jugend und Teilhabe: Wie die Diakonie junge Menschen stärkt
SR: Wir haben jetzt sehr viel über die Organisation der Diakonie gesprochen, die Strukturen. Ein ganz großer Aspekt, die Sie mit den Menschen hier in Hamburg machen. An so vielen unterschiedlichen Stellen. Ich habe gerade vor kurzem gelesen, das Thema Einsamkeit wird immer mehr zum Thema. Das betrifft nicht nur Ältere, die alleine zu Hause sitzen, sondern quer durch unsere gesamte Gesellschaft. Haben Sie das auch so empfunden?
AW: Ja, sehr. Das ist erschreckend. Der Einsamkeitsbarometer wird nachgewiesen in allen Studien, seit Corona gibt es sehr unterschiedliche Studien zum Thema Kinder und Jugendliche. Jetzt gerade ist noch mal eine neue Bertelsmann Studie veröffentlicht worden. Das zeigt eklatant an, dass Kinder und Jugendliche unter Einsamkeit leiden. Das ist so wichtig, dass wir gucken, was für Wege es aus der Einsamkeit gibt. Da schlägt sehr mein Herz zu gucken, was stärkt junge Menschen? Wenn man noch mal guckt, ein bisschen was verursacht das? Natürlich hat es seinen Teil dazu beigetragen. Auch soziale Medien sind dazu da, um gut miteinander in Kontakt zu bleiben. Man kann natürlich auch sagen, das TikTok mit seinem Algorithmus auch in gewisse Tunnelsituationen einführt und Dinge verstärkt, nach denen ich suche. Das ist schon erschreckend. Das heißt, es braucht von allen Seiten eine hohe Akzeptanz, junge Menschen besser im Blick zu nehmen, noch mal wirklich zu stärken. Was wollt ihr also wirklich? Junge Menschen fragen: Was braucht ihr? Was wollt ihr, sie teilhaben zu lassen? Hamburg plant oder ist in vorsichtigen Ansätzen in der Planung dabei, so eine Art Kinder- und Jugendparlament zu überlegen. Sowas ist total hilfreich. Wirklich die Stimme von jungen Menschen mit hineinzunehmen. Welche Räume können wir eröffnen, dass junge Menschen das Gefühl haben: Hier sind sie willkommen, hier können sie was umsetzen und das, was sie umsetzen können, ist auch hilfreich und bringt etwas. Gerade deshalb sind sozusagen Jugendverbände, die Systeme stärken, in dem junge Menschen Verantwortung übernehmen können. Pfadis und Pfadfinder sind so hilfreich und stärken und stützen die Resilienz. Ich würde sagen, als Kirche noch mal mehr ist das sozusagen echt unsere Aufgabe. Da in der Arbeit mit jungen Menschen genau zu gucken, wo könnt ihr wirksam sein, wo könnt ihr eure Ideen auch wirklich umsetzen und in der Tat umsetzen? Für die Stadt gilt wirklich, welche Räume, also Kinder- und Jugendarbeit, wurden echt auch gekürzt, da Räume zu öffnen, wo junge Menschen einfach sein können und wo sie auch gerne sind, nicht abgeschoben im letzten Haus. Das ist echt wirksam und wichtig und braucht es ganz dringend. Kinder sind jetzt und hier wichtig und sind aber in der Zukunft natürlich umso wichtiger. Wenn da jetzt schon Kinder psychische Probleme haben, dann ist klar, wenn wir jetzt von uns nicht unterstützend dabei sind, dann wird es nicht besser.
SR: Gerade was Armut angeht, ist auch noch die Frage, inwieweit ist da eine Teilhabe möglich? Sind Sie da eigentlich so ganz aktiv? Sie betreiben viele Kitas, viele Einrichtungen, die auch für junge Menschen Angebote macht. Können Sie da selber auch aktiv werden?
AW: Als Diakonie haben wir tatsächlich auch Wohngruppen. Pestalozzi Stiftung zum Beispiel. SOS Kirchenkreis Hamburg Ost hat richtig viel im Bereich. Da macht die Jugendhilfe genau das: Familien zu stützen, zu gucken, was brauchst du? Genau zu prüfen und zu gucken, was braucht der junge Mensch? Ist das System oder ist es besser, jemanden auch aus einer Familie rauszunehmen und dann ein System zu ermöglichen, in dem junge Menschen erwachsen werden können und die Begleitung bekommen, die ihnen hilft? Groß im Sinne von seelisch groß werden.
KW: Es ist auch so, wenn die bei Ihnen in der Arbeit merken, Sie gehören dazu, dann sind Sie auch bereit, sich für die Gesellschaft und für den Erhalt der Gesellschaft einzusetzen. Das ist in der heutigen Zeit auch sehr wichtig.
AW: Es wird noch wichtiger. Das was tatsächlich in Studien auch sich zeigt, ist, dass junge Menschen, wenn sie aktiv waren als Teamer, als Jugendgruppenleiter oder so, dann sind sie tatsächlich nachher politisch viel, viel aktiver und setzen sich mehr ein. Es bestätigt genau das, was Sie gerade gesagt haben und ich finde das total faszinierend. Das kann man richtig sehen. Wir brauchen dieses freiwillige soziale Jahr weiter und dass das freiwillig auskömmlich finanziert ist.
SR: Wichtig ist, glaube ich, oder das zeichnet die Diakonie aus, die Menschen zu sehen, von jung bis alt, alle mit ihren Problematiken und Befindlichkeiten. Ihnen da Angebote zu machen, das war schon sehr interessant. Vielen Dank für den Einblick, den Sie uns hier gegeben haben und viel Erfolg für Sie in Ihrem neuen Posten als Landespastorin.
KW: Herzlichen Dank von meiner Seite und auch viel Erfolg für Sie, für die zukünftigen.
SR: Das war “Sozial? Geht immer!” – Der Podcast des SoVD Hamburg. Abonnieren Sie uns auf den gängigen Plattformen und wenn es Ihnen gefallen hat, geben Sie uns dort gerne eine gute Bewertung ab. Oder Sie schicken uns Ihr Feedback an info@sovd-hh.de. Wir freuen uns, wenn Sie auch das nächste Mal wieder reinhören. Bis dahin halten wir Sie auf unseren Social Media Kanälen auf dem Laufenden oder besuchen Sie unsere Webseite sovd-hh.de.









