Starke-Familien-Gesetz (StaFamG)
Stellungnahme des SoVD zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.11.2018 zum Entwurf eines Gesetzes zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe
I Vorbemerkungen
13,4 Millionen Menschen in Deutschland waren im Jahr 2016 armutsgefährdet. Dies entspricht 16,5 %, also jeder sechsten Person der Bevölkerung Deutschlands und liegt leicht unter dem EU-Durchschnitt von 17,3%.
Bei Kindern ist die Armutsrisikoquote sogar noch höher. Laut Mikrozensus lag die Armutsrisikoquote von unter 18-Jährigen im Jahr 2015 bei 19,7 Prozent. Damit waren rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Im Vergleich zum Jahr 2010 hat sich die Armutsrisikoquote um 1,5 Prozentpunkte erhöht.¹
Im fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird zur Bekämpfung von Kinderarmut unter anderem vorgeschlagen, den Bekanntheitsgrad familienbezogener Leistungen wie des Kinderzuschlags zu erhöhen und Familien mit niedrigem Einkommen auf diese Leistung hinzuweisen sowie dafür zu sorgen, dass Leistungen wie das Bildungs- und Teilhabepaket noch mehr Kinder aus Haushalten mit geringen Einkommen erreichen und dazu bürokratische Hürden abzubauen.²
Im Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, Kinderarmut zu bekämpfen, indem der Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien und Alleinerziehende erhöht und leichter zu beantragen sein wird sowie das Schulstarterpaket für Schulmaterial von Kindern aus einkommensschwachen Familien aufgestockt wird.
Mit dem vorliegenden Referentenentwurf sollen Familien mit kleinen Einkommen finanziell bessergestellt und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets ausgeweitet werden. Damit will die Regierungskoalition eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Wesentliche Inhalte des Entwurfs sind die Neugestaltung des Kinderzuschlags sowie Verbesserungen der Leistungen für Bildung und Teilhabe.
II Zu den Regelungen im Einzelnen
1) Kinderzuschlag
Der Kinderzuschlag ist eine Leistung für Familien und Alleinerziehende mit kleinem Einkommen, die besonders von Armutsrisiken bedroht sind. Er beträgt nach geltendem Recht bis zu 170 Euro pro Kind und Monat. Der Kinderzuschlag als Familienleistung zielt auf eine Überwindung oder Vermeidung eines Grundsicherungsbezugs.
Referentenentwurf:
Der Referentenentwurf sieht vor, den Kinderzuschlag in zwei Stufen zum 1. Juli 2019 und zum 1. Januar 2020 neuzugestalten. Der Kinderzuschlag soll künftig - zusammen mit dem Kindergeld - den durchschnittlichen Bedarf eines Kindes in Höhe des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimums (mit Ausnahme des Betrages für Bildung und Teilhabe) decken. Der monatliche Höchstbetrag des Kinderzuschlags beträgt vom 1. Juli 2019 bis zum 31. Dezember 2020 einheitlich 183 Euro. Kindeseinkommen soll den Kinderzuschlag künftig nur noch zu 45 Prozent, statt bisher zu 100 Prozent, mindern. Die Inanspruchnahme von Kinderzuschlag wird durch einen einheitlichen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten und konkrete Bemessungszeiträume wesentlich vereinfacht/entbürokratisiert. Die sogenannte Abbruchkante, an der der Kinderzuschlag nach geltendem Recht schlagartig entfällt, soll abgeschafft werden, indem die oberen Einkommensgrenzen aufgehoben werden. Zusätzliches Einkommen der Eltern soll den Gesamtkinderzuschlag nur noch zu 45 Prozent mindern, statt bisher zu 50. Das bisher bestehende Wahlrecht für Personen mit bestimmten Mehrbedarfen wird durch einen erweiterten Zugang zum Kinderzuschlag für Familien aus der verdeckten Armut ersetzt. Berechtigte sollen auch dann den Kinderzuschlag erhalten können, wenn sie bisher kein Arbeitslosengeld II beziehen und ihnen mit ihrem Erwerbseinkommen, dem Kinderzuschlag und gegebenenfalls dem Wohngeld höchstens 100 Euro fehlen, um Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu vermeiden.
Bewertung:
Nach geltendem Recht erhalten viele Eltern, die rechnerisch einen Anspruch auf Kinderzuschlag hätten, den Zuschlag überhaupt nicht. Das liegt auch daran, dass das Familieneinkommen in einem bestimmten Korridor über einer Mindestgrenze und unter einer Höchstgrenze liegen muss. Die Höchstgrenze muss für jede Familie neu errechnet werden und ist von vielen Variablen abhängig.
Der Kinderzuschlag erreicht heute nur rund 250.000 Kinder. Gründe für die geringe Reichweite des Kinderzuschlags liegen in der geringen Einkommensspanne, in der der Kinderzuschlag bezogen werden kann, und darin, dass in der Vergangenheit für den Kinderzuschlag die Erhöhungen der Grundsicherungsleistungen nicht nachvollzogen wurden und so Familien wieder unter die Bedarfsschwelle der Grundsicherung für Arbeitsuchende gerieten. Mit den vorgesehenen Neuregelungen sollen künftig rund 470.000 Kinder erreicht werden. Davon sollen rund 40.000 Kinder und ihre Familien anders als bisher ohne Grundsicherungsleistungen auskommen können.
Die im Referentenentwurf vorgesehenen Maßnahmen sind vor diesem Hintergrund zu begrüßen.
Weitere, ganz entscheidende Maßnahmen im Bereich der Grundsicherung unterbleiben jedoch: Der SoVD fordert die Generalrevision zur Überwindung von „Hartz IV“ und dafür u.a., das ALG I wieder auszubauen, existenzsichernde Regelsätze transparent und bedarfsgerecht zu schaffen und die besonderen Sanktionsregelungen für junge Erwachsene abzuschaffen.
Insbesondere der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder und Jugendliche reicht nicht aus, um Essen, Kleidung und Schulbedarf zu bezahlen. Deshalb fordert der SoVD eine bedarfsgerechte Neubemessung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Jugendliche.
Die finanzielle und soziale Situation von Kindern und Jugendlichen ist vom Status der Eltern abhängig. Können beide Eltern erwerbstätig sein oder hat die alleinerziehende Mutter bzw. der Vater eine existenzsichernde Arbeit, so sind deren Kinder nachweislich in geringerem Maße von Armut und deren sozialen Folgen betroffen, als wenn dies nicht der Fall ist. Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind deshalb ein unverzichtbarer und weiter zu verbessernder Baustein, um Kinderarmut zu bekämpfen und zu vermeiden.
2) Bildungs- und Teilhabepaket
Referentenentwurf:
Beim sogenannten Bildungspaket werden die Leistungen für den persönlichen Schulbedarf, das gemeinschaftliche Mittagessen in Schule, Kita und Kindertagespflege sowie die Schülerbeförderung verbessert. Der Geldbetrag für den persönlichen Schulbedarf wird auf nunmehr 150 Euro erhöht. Bei den Bedarfen für gemeinschaftliches Mittagessen sowie der Schülerbeförderung werden die bislang notwendigen Eigenanteile abgeschafft. Bei der Lernförderung ist eine Klarstellung vorgesehen, nach der die Lernförderung unabhängig von einer Versetzungsgefährdung in Betracht kommt. Die Änderungen zum Bildungspaket sollen zum 1. Juli 2019 in Kraft treten.
Bewertung:
Die Leistungsverbesserungen beim sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket sind zu begrüßen. Insbesondere für den Wegfall des Eigenanteils beim Mittagessen hatte sich der SoVD in der Vergangenheit gegenüber dem BMAS und dem BMFSFJ sehr stark gemacht, da Praxiserfahrungen gezeigt hatten, dass das gemeinsame Schulmittagessen wegen der mit dem Eigenanteil verbundenen bürokratischen und finanziellen Hürden überwiegend nicht in Anspruch genommen wurde.
Grundsätzlich müssen die Leistungen für Bildung und Teilhabe den Familien schnell und unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind ein unkompliziertes Antragsverfahren und genügend Personal in den einzelnen Jobcentern, wo die Anträge hauptsächlich bearbeitet werden.
Der SoVD fordert, sämtliche Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets als Geldleistung zu gewähren. Denn die Gutscheinregelung gestaltet sich als bürokratisch sehr aufwändig; darüber hinaus halten wir sie für stigmatisierend und diskriminierend.
III Schlussbemerkungen
Der SoVD begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für Arbeit und Soziales Kinderarmut mit zielgenauen Maßnahmen bekämpfen wollen.
Kinder sind unsere Zukunft. Für die Chancen von Kindern und Jugendlichen an gesellschaftlicher Teilhabe, Bildung und Gesundheit darf es keine Rolle spielen, welchen sozialen Status die Familie des Kindes hat. Investitionen in Kinder- und Familienförderung sind Investitionen in die Zukunft, in die Zukunft unserer Gesellschaft, in die Zukunft unseres Landes.
Die vorgesehenen Maßnahmen sind Schritte in die richtige Richtung, bleiben teilweise aber hinter dem Notwendigen zurück.
Die Verhinderung und die Bekämpfung von Kinderarmut erfordern nicht nur materielle Unterstützung. Lösungsansätze, die allein auf die Beseitigung der finanziellen Bedürftigkeit abzielen, übersehen die Komplexität unterschiedlicher Lebenswelten von Kindern. Zur Beseitigung von Kinderarmut ist vielmehr ein differenziertes und bereichsübergreifendes Vorgehen notwendig.
Angesprochen sind insbesondere die Arbeits- und Beschäftigungspolitik. Eine darüberhinausgehende nachhaltige Förderung von Kindern durch entsprechende Infrastruktur und Bildungsförderung sowie soziale Unterstützungsleistungen für die gesamte Familie sind weitere Maßnahmen, mit denen dem Problem Kinderarmut zu begegnen ist. Die Familienpolitik, Bildungspolitik, Gesundheitspolitik sowie die Jungendhilfe und Sozialpolitik müssen sich mit dem Thema Kinderarmut auseinandersetzen und Lösungen zur Verbesserung der Situation von Kindern aus sozial benachteiligten Familien entwickeln. Notwendig sind gezielte und miteinander vernetzte Maßnahmen im Rahmen einer konzertierten Aktion, die sich als eigenständige Kinder- und Jugendpolitik versteht.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Stellungnahmne: Starke-Familien-Gesetz (StaFamG) [120 KB]
¹ BMFSFJ (2017): Familienreport 2017, S.54
² Lebenslagen in Deutschland. Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. XXIII
Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch die kürzlich veröffentlichte Stellungnahme des SoVD Hamburg zum Lebenslagenbericht Familien in Hamburg des Senats der Freien und Hansestadt.