Koalitionsvertrag
Bewertung des SoVD zum Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode
„Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land.“
I Präambel
Der SoVD vertritt die sozialpolitischen Interessen der gesetzlich Sozialversicherten, der Rentnerinnen und Rentner sowie der behinderten, der kranken und der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland. Menschen, die soziale Unsicherheit und Ungerechtigkeit erleben, stehen im Zentrum seiner Arbeit.
Vor diesem Hintergrund fällt die Bewertung des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD ambivalent aus. Der Vertrag enthält eine Vielzahl sehr kleinteiliger und technischer Einzelmaßnahmen. Der SoVD erkennt an, dass dabei in einigen Politikfeldern richtige Schritte vereinbart wurden, die die Lebenssituation der vom SoVD vertretenen Menschen verbessern können. Etwa bei der Kinderbetreuung, der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit, der Verbesserung der Personalsituation in der Pflege, der Einschränkung sachgrundloser Befristungen, der Gesundheitsversorgung auf dem Land oder der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Jedoch sind viele Aussagen im Koalitionsvertrag Absichtserklärungen, die sich in ihrer Wirksamkeit noch nicht abschätzen lassen.
Zum Teil bleiben die vereinbarten Maßnahmen hinter dem Notwendigen zurück. Es wird weiterhin keine Abkehr vom gescheiterten Drei-Säulen-Modell in der Alterssicherung und keine Rückkehr zur Lebensstandardsicherung der Gesetzlichen Rentenversicherung geben, keine Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten, keine umfassende Revision zur Überwindung von Hartz IV. Auch die weitere Öffnung der Gesetzlichen Krankenversicherung für Beamtinnen und Beamte oder weitere Schritte zu einer Bürgerversicherung auf Basis der Gesetzlichen Krankenversicherung unterbleiben.
Stattdessen sieht der Koalitionsvertrag vor, dass die Sozialabgaben bei insgesamt unter 40 Prozent stabilisiert werden sollen. Der SoVD betont: Die bewährten Sozialversicherungssysteme müssen finanziell stets so ausgestaltet sein, dass sie ihre Aufgaben verlässlich erfüllen. Ansonsten verlören sie massiv an Legitimität als Zwangsversicherungssysteme und Vertrauen. Eine Festlegung eines Gesamthöchstbeitrages in Höhe von 40 % ist vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll.
Zudem bestimmt der Koalitionsvertrag das Ziel eines weiterhin ausgeglichenen Haushalts. Es soll keine neuen Schulden, keine Erhöhung der Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger und die schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages geben. Demgegenüber setzt sich der SoVD dafür ein, dass Einkommen und Vermögen in Deutschland mit dem Ziel umverteilt werden, Ungerechtigkeit zu beseitigen und Armut wirksam zu bekämpfen. Insoweit vermisst der SoVD Maßnahmen, mit denen Wohlhabende gemäß ihrer Leistungsfähigkeit an den Aufgaben des Staates beteiligt werden. Nötig wären beispielsweise eine Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Reform der Erbschaftssteuer mit dem Ziel, die Steuersätze für große Erbschaften erheblich anzuheben.
Der Einzug der AfD in den 19. Deutschen Bundestag besorgt den SoVD und ist Ausdruck einer voranschreitenden Spaltung der Gesellschaft und einer tiefen Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit der Politik der vergangenen Jahre. Die seit Jahren niedrige Wahlbeteiligung zeigt darüber hinaus, dass offenbar viele Menschen nicht daran glauben, mit ihrer Stimme etwas ändern zu können. Schwer wiegt darum in der Gesamtbetrachtung des Koalitionsvertrages für den SoVD das gänzliche Fehlen umfassender Maßnahmen, um der voranschreitenden Spaltung der Gesellschaft und dem Abwenden großer Teile der Wählerschaft von den etablierten demokratischen Parteien und unserer repräsentativen Demokratie sachgerecht zu begegnen. Hier sind besonders dringend Nachbesserungen notwendig.
II Zu einzelnen Regelungen
a) Arbeitsmarktpolitik
- Langzeitarbeitslosigkeit
Koalitionsvertrag:
- Die Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt soll verbessert werden. Dazu ist insbesondere ein neues Regelinstrument im SGB II mit dem Ziel der Teilhabe von 150.000 Langzeitarbeitslosen vorgesehen. Für diese sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse sollen Lohnkostenzuschüsse gezahlt werden. Auch privatwirtschaftliche Unternehmen sollen als Arbeitgeber fungieren können. Der Eingliederungstitel soll zu diesem Zweck für die Jahre 2018 bis 2021 um 4 Mrd. Euro aufgestockt werden.
- Die Ermöglichung des Passiv-Aktiv-Transfers in den Ländern ist vorgesehen.
SoVD-Bewertung:
Die Fokussierung auf die Situation langzeitarbeitsloser Menschen ist richtig. Die Schaffung von Teilhabeinstrumenten im SGB II ist auch eine Forderung des SoVD. Um der latenten Gefahr der Verdrängung von regulärer Arbeit durch öffentlich geförderte Beschäftigung entgegenzuwirken, fordert der SoVD allerdings, dass nur solche Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden, in deren Rahmen zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten erledigt werden. Der SoVD fordert, dass öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse grundsätzlich sozialversicherungspflichtig sein müssen. Fraglich erscheint darüber hinaus, ob die zusätzlichen 4 Mrd. Euro im Eingliederungstitel ausreichend sind. Um in Zukunft die üblichen Umschichtungen aus dem Eingliederungstitel in den Verwaltungshaushalt der Jobcenter zu vermeiden, muss der Verwaltungshaushalt der Jobcenter erhöht werden.
Hinsichtlich des Passiv-Aktiv-Transfers muss die konkrete Ausgestaltung dieses Instruments abgewartet werden. Für den SoVD ist zentral, dass es sich um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt und eine längerfristige Förderung mit begleitenden Hilfen ermöglicht wird.
- Arbeitslosenversicherung
Koalitionsvertrag:
Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll um 0,3 % abgesenkt werden.
SoVD-Bewertung:
Die freien Mittel der Arbeitslosenversicherung sollten besser für notwendige Leistungsverbesserungen eingesetzt werden. Zum Beispiel eine Aufstockung der Eingliederungstitel.
Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind inzwischen für einen großen Teil der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitslosigkeit nicht erreichbar, weil z.B. die Beitragszeiten innerhalb der gesetzlichen Rahmenfristen nicht aufgebracht werden können oder weil die Bezugsdauer zu kurz ist. Damit verliert die Arbeitslosenversicherung zunehmend an Bedeutung. Die Koalitionsvereinbarung lässt dringend notwendige Korrekturen vermissen, mit denen die Arbeitslosenversicherung gestärkt werden kann. Der SoVD fordert daher, die Bezugszeiten für Arbeitslose zu verlängern. Dar-über hinaus ist eine zusätzliche unbefristete Geldleistung (ALG II Plus), die im An-schluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I beansprucht werden kann, erforderlich.
- Befristungen und Leiharbeit
Koalitionsvertrag:
- Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz soll bis 2020 evaluiert werden.
- Eine sachgrundlose Befristung soll künftig nur noch für längstens 18 Monate (jetzt 24 Monate), eine Verlängerung der Befristung nur einmal (anstelle von jetzt dreimal) möglich sein. Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten sollen nur noch höchstens 2,5 Prozent der Belegschaft ohne Sachgrund befristet beschäftigen dürfen.
SoVD-Bewertung:
Die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen prekärer Beschäftigungsformen sind genügend evaluiert und dokumentiert worden. Jetzt sind gesetzliche Regelungen gefragt, um den negativen Wirkungen eines zunehmend entgrenzten Arbeitsmarkts Einhalt zu gebieten und die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken.
Das Ziel, Befristungen zu begrenzen, ist zu begrüßen. Die geplante Quote von 2,5 Prozent ist durchaus geeignet, die Zahl der sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse erheblich zu reduzieren.
Allerdings müssen weitere wichtige Schritte wie eine umfassende Reform der geringfügigen Beschäftigung sowie die Abschaffung der missbräuchlichen Verwendung von Werkverträgen auf der Tagesordnung einer künftigen Regierung stehen.
- Beitragssatz zur GRV bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und -zustellern
Koalitionsvertrag:
Beabsichtigt ist die Senkung des Beitrages der Arbeitgeber befristet für fünf Jahre (bis 31.12.2021) von 15 auf 5 Prozent.
SoVD-Bewertung:
Damit werden der Rentenversicherung bis zum Jahr 2021 mehr als 500 Mio. Euro entzogen. Bei dieser Maßnahme scheint die finanzielle Entlastung der Verleger Vorrang zu haben gegenüber der politisch notwendigen Eindämmung bzw. Abschaffung geringfügiger Beschäftigung als Instrument, durch das hauptsäch-lich Frauen in Armut und Abhängigkeit gehalten werden.
b) Mindestsicherung
- Bildung und Teilhabe für Kinder aus Bedarfsgemeinschaften
Koalitionsvertrag:
Zum Bereich Bildung und Teilhabe für Kinder aus Bedarfsgemeinschaften: Das Schulstarterpaket (derzeit 100 Euro pro Schuljahresbeginn) soll erhöht werden und die Eigenanteile für Schülerbeförderung sowie zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung (1 Euro pro Mittagessen) in Kitas und Schulen sollen entfallen.
SoVD-Bewertung:
Dies ist positiv. Für den Wegfall des Eigenanteils zur gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung hat sich der SoVD stark eingesetzt. Die Erhöhung des Schulstarterpakets und den geplanten Wegfall der Eigenanteile für Schülerbe-förderung begrüßt der SoVD ausdrücklich. Der Bund muss den Ländern und Kommunen entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, damit die damit ver-bundenen Mehrausgaben ausgeglichen werden können.
Weitere, ganz entscheidende Maßnahmen im Bereich der Grundsicherung wurden von den drei Parteien jedoch vollständig ausgeklammert: Der SoVD fordert die Generalrevision zur Überwindung von „Hartz IV“ und dafür u.a., das ALG I wieder auszubauen, existenzsichernde Regelsätze transparent und bedarfsgerecht zu schaffen und die besonderen Sanktionsregelungen für junge Erwachsene abzuschaffen.
c) Rentenpolitik
- Stabilisierung des Rentenniveaus und des Beitragssatzes („doppelte Haltelinie“)
Koalitionsvertrag:
- Rentenniveau von 48 % und Beitragssatz nicht über 20 % bis 2025
- Bei Rentenniveau: Änderung der Rentenformel
- Bei Beitragssatz: Steuermittel bei Bedarf
- Rentenkommission zum Thema Generationenvertrag mit Bericht bis März 2020 (u.a. mit Vorschlag zur Mindestrücklage in der GRV)
SoVD-Bewertung:
Eine Stabilisierung auf höherem Niveau (mindestens 50 Prozent) und über das Jahr 2025 hinaus wäre besser gewesen. Grundsätzlich sind die Maßnahmen begrüßenswert und dabei vor allem das Vorhaben, den Beitragssatz über zusätzliche Steuermittel zu stabilisieren. Prinzipiell sollte aber das Vertrauen in die gesetzliche Rente schon heute über 2025 hinaus gesichert werden. Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist insofern nur ein erster Schritt. Gerade für die junge Generation ist eine stabile und lebensstandardsichernde Rente ein wichtiges Merkmal für einen funktionierenden und gerechten Sozialstaat.
- „Grundrente“
Koalitionsvertrag:
- Soll für Bestand und Neuzugang gelten und ein Alterseinkommen von zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs garantieren
- Voraussetzung: 35 Jahre Beitragszeiten bzw. Zeiten der Kindererziehung und Pflegezeiten und dann Bedürftigkeitsprüfung wie bei Grundsicherung
- Die Rentenversicherung ist zuständig, arbeitet bei der Bedürftigkeitsprü-fung aber mit den Grundsicherungsämtern zusammen
- Selbstgenutztes Wohneigentum soll von den Betroffenen nicht aufgegeben werden müssen
SoVD-Bewertung:
Die „Grundrente“ bleibt in ihrer konkreten Ausgestaltung unklar und erreicht aufgrund ihrer Anspruchsvoraussetzungen (35 Jahre) viele Menschen nicht. Sie ist deshalb auch nicht zielgenau. Zumindest ist anzuerkennen, dass der Vorschlag zur Verhinderung von Altersarmut bei Niedrigverdienenden Formen an-nimmt. Mit seinen Vorschlägen hat der SoVD jedoch bessere und zielgerichtete Maßnahmen unterbreitet. Die Rente nach Mindestentgeltpunkten und der Renten-freibetrag in der Grundsicherung im Alter sind zwei sich ergänzende Instrumente – mit und ohne Bedürftigkeitsprüfung. Es ist daher nur konsequent, im Falle von Grundsicherungsbezug, die Freibetragsregelung aus dem Betriebsrentenstärkungsgesetz unbedingt auch auf die Leistungen der gesetzlichen Rente auszuweiten. Die Freibetragsregelung ist deutlich vorteilhafter (ca. 200 Euro) als der vorgesehene Zuschlag von 10 Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs (etwa 80 Euro im Bundesdurchschnitt). Dabei käme es auch nicht zu einer systemwidrigen Vermischung von unterschiedlichen Elementen – GRV als beitragsfundierte Versicherungsleistung und Grundsicherung als steuerfinanzierte Fürsorgeleistung. Die Finanzierung sollte aus Steuermitteln erfolgen.
- Erwerbsminderungsrenten
Koalitionsvertrag:
- Anhebung der Zurechnungszeit in einem Schritt von 62 Jahren und drei Monaten auf 65 Jahre und acht Monate
- Danach Anhebung in weiteren Monatsschritten entsprechend der Anhe-bung der Regelaltersgrenze auf das Alter 67
SoVD-Bewertung:
Die Neuregelung kann nur ein kleiner Teil der Lösung sein. Sie lässt mal wieder die Bestandsrentnerinnen und -rentner außen vor. Zumal die Altersarmut dieser Personen vor allem mit der Abschaffung der sozial ungerechten Abschläge bekämpft werden kann, was die bessere Lösung gewesen wäre.
- Drei-Säulen-Modell der Alterssicherung
Koalitionsvertrag:
- Festhalten am Modell und Konsolidierung der dritten Säule (Riester-Rente)
- Dialog mit der Versicherungswirtschaft mit dem Ziel eines standardisierten Riester-Produkts
- Säulenübergreifende Renteninformation für Bürger, um sich über ihre Al-tersabsicherung ganzheitlich informieren zu können
SoVD-Bewertung:
Der SoVD bleibt bei seiner Kritik am Drei-Säulen-Modell. Dieses ist gescheitert und weitere Reparaturen an der Riester-Rente sind deshalb unnötig und Verschwendung von Steuergeldern. Die Idee einer säulenübergreifenden Renteninformation ist unter den gegebenen Umständen sinnvoll.
- Altersvorsorgepflicht für Selbstständige
Koalitionsvertrag:
- Soll für alle Selbstständigen gelten, die nicht bereits anderweitig obligatorisch abgesichert sind
- Sog. Opt-out-Lösung: Wahl zwischen GRV und anderen geeigneten Vorsorgearten
- Ziel: Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus
SoVD-Bewertung:
Dies ist zu begrüßen. Damit wäre ein erster Schritt in Richtung Erwerbstätigenversicherung getan – was der SoVD fordert. Die Opt-out-Lösung ist allerdings eine unzureichende Antwort auf moderne und flexible Beschäftigungsverhältnisse, die zwischen selbstständiger und abhängiger Tätigkeit schwanken. Zu fordern ist hier vielmehr eine generelle Versicherungspflicht in der GRV.
- „Mütterrente II“
Koalitionsvertrag:
Beabsichtigt ist die Anrechnung des dritten Jahres Erziehungszeit pro Kind (für Geburten vor 1992) in der Rente für Mütter und Väter; aber nur für die, die drei und mehr Kinder erzogen haben.
SoVD-Bewertung:
Die „Mütterrente II“ ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber in der Form unzureichend, weil sie zu neuen Ungerechtigkeiten und unterschiedlichen Bewertungen von Erziehungszeiten führt. Die Finanzierung muss aus Steuermitteln erfolgen. Zudem bleibt das Vorhaben in Teilen wirkungslos, wenn die Anrechnung bei der Grundsicherung im Alter erfolgt, so dass diese Mütter und Väter nicht bzw. nur zum Teil in den Genuss der Leistungsverbesserung kommen.
- Übernahme von Kosten für DDR-Sonderrenten durch den Bund
Koalitionsvertrag:
Beabsichtigt ist die Entlastung der ostdeutschen Bundesländer bei der Finanzierung der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme der DDR.
SoVD-Bewertung:
Dies ist grundsätzlich begrüßenswert, weil die neuen Bundesländer entlastet werden.
- Stärkung der Rehabilitation in der GRV
Koalitionsvertrag:
Geplant sind weitere Maßnahmen und die Weiterentwicklung (siehe Flexirentengesetz).
SoVD-Bewertung:
Dies ist grundsätzlich begrüßenswert.
- Grundsicherung im Rentenüberleitungsprozess
Koalitionsvertrag:
Er sieht die Schaffung eines Fonds für Härtefälle vor; dies soll auch für Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge geprüft werden.
SoVD-Bewertung:
Eine Bewertung kann erst dann vorgenommen werden, wenn konkrete Details vorliegen. Wichtig ist, dass etwaige Neuregelungen keine neuen Ungerechtigkeiten schaffen.
d) Kinder- und Jugendpolitik
- Kinderarmut
Koalitionsvertrag:
Ziel soll die Bekämpfung der Kinderarmut sein. Der Kinderzuschlag soll erhöht und die harte Abbruchkante soll abgeschafft werden, dass so dafür gesorgt werden kann, dass die Leistung bei steigendem Einkommen langsam ausläuft, so dass vom Einkommen mehr übrig bleibt.
SoVD-Bewertung:
Insbesondere der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder und Jugendliche reicht nicht aus, um Essen, Kleidung und Schulbedarf zu bezahlen. Deshalb fordert der SoVD eine bedarfsgerechte Neubemessung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und Jugendliche.
Die finanzielle und soziale Situation von Kindern und Jugendlichen ist vom Status der Eltern abhängig. Können beide Eltern erwerbstätig sein oder hat die alleinerziehende Mutter bzw. der Vater eine existenzsichernde Arbeit, so sind deren Kinder nachweislich in geringerem Maße von Armut und deren sozialen Folgen betroffen, als wenn dies nicht der Fall ist. Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind deshalb ein unverzichtbarer und weiter zu verbessernder Baustein, um Kinderarmut zu bekämpfen und zu vermeiden.
- Verständlichere Anträge für familienpolitische Leistungen
Koalitionsvertrag:
Es soll geprüft werden, wie Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschuss bzw. Unterhalt besser aufeinander abgestimmt werden können.
SoVD-Bewertung:
Einen Abbau der bürokratischen Hürden beim Bezug der unterschiedlichen familienpolitischen Leistungen hat der SoVD u.a. im Bündnis Ratschlag Kinderarmut gefordert. Es ist ein Fortschritt, dass die Politik das Problem erkannt hat. Zum Beispiel haben Alleinerziehende mit wenig Geld nur etwas von einem höheren Kinderzuschlag, wenn der Unterhaltsvorschuss nicht mehr angerechnet wird.
- Betreuung von Kindern
Koalitionsvertrag:
Ziele sind, gebührenfreie Kitas und einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder einzuführen sowie Länder und Kommunen bei Angebotsausbau und Qualitätssteigerung von Kitas zu unterstützen und Eltern bei den Gebühren bis hin zur Gebührenfreiheit zu entlasten (2019: 0,5 Mrd. €, 2020: 1 Mrd. €, 2021: 2 Mrd. €).
SoVD-Bewertung:
Dies geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Dadurch wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt und die soziale Integration der Kinder gefördert. Wichtig ist allerdings, dass den Absichtserklärungen Taten folgen. Auch muss die Fachkräfteausbildung deutlich ausgebaut und so der Personalbedarf beispielsweise an Erzieherinnen und Erziehern sowie sozialpädagogischen Fachkräften gedeckt werden. Hierzu gehört nicht zuletzt auch eine angemessene Bezahlung für diese Gruppe.
- Mehr Kindergeld
Koalitionsvertrag:
Das Kindergeld soll in zwei Schritten um 25 Euro pro Monat steigen – und zwar 10 Euro mehr ab 1. Juli 2019 und 15 Euro mehr ab Anfang 2021. Gleichzeitig soll der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend steigen.
SoVD-Bewertung:
Eine Anhebung des Kindergeldes ist grundsätzlich positiv. Allerdings sind 25 € über vier Jahre betrachtet zu wenig. Es bleibt zudem dabei, dass das Kindergeld auf Hartz IV angerechnet wird. Aufstockende und erwerbslose Betroffene haben von der Kindergelderhöhung folglich nichts. Hier sind Nachbesserungen nötig.
- Kinderrechte
Koalitionsvertrag:
Kinderrechte sollen im Grundgesetz ausdrücklich verankert werden.
SoVD-Bewertung:
Dies entspricht einer langjährigen SoVD-Forderung.
- Kinder- und Jugendhilfe
Koalitionsvertrag:
Zur Reform der Kinder- und Jugendhilfe soll in dieser Legislaturperiode ein breiter Dialog mit den beteiligten Akteuren geführt werden.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD befürwortet seit langem die Schaffung eines inklusiven SGB VIII, das Hilfe- und Unterstützungsleistungen für Kinder mit und ohne Behinderungen gleichermaßen gewährt. Es ist bedauerlich, dass keine konkrete Gesetzgebung in diesem Bereich angestrebt wird, sondern nur Vorarbeiten geleistet werden sollen.
- Kinder psychisch kranker Eltern
Koalitionsvertrag:
Die Situation von Kindern psychisch kranker Eltern soll verbessert werden. Die Schnittstellenprobleme bei ihrer Unterstützung soll mit dem Ziel einer besseren Kooperation und Koordination der unterschiedlichen Hilfesysteme beseitigt werden.
SoVD-Bewertung:
Das ist positiv. Den besonderen Bedarfen von Kindern psychisch kranker Eltern kann trotz des Bestehens von Leistungs- und Unterstützungsmöglichkeiten häufig nicht oder nicht in ausreichendem Maße entsprochen werden. Kinder psychisch kranker Eltern laufen deshalb Gefahr, von der gesellschaftlichen Teilhabe zumindest teilweise ausgeschlossen zu sein und ihre individuellen Potentiale und Möglichkeiten nicht in gleicher Weise wie Kinder psychisch gesunder Eltern verwirklichen zu können.
e) Frauen- und Familienpolitik
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – durch Netzwerk
Koalitionsvertrag:
Vereinbarkeit soll mit dem Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ vorangetrieben werden, mit dem sie sich gemeinsam mit den Partnern aus Wirtschaft und Gewerkschaften für eine familienfreundliche Arbeitswelt einsetzen.
SoVD-Bewertung:
Als Mitglied des Unternehmensnetzwerks „Erfolgsfaktor Familie“ unterstützt der SoVD die angestrebten Schritte.
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – durch haushaltsnahe Dienstleistungen
Koalitionsvertrag:
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf von erwerbstätigen Eltern, Alleinerziehenden, älteren Menschen und pflegenden Angehörigen soll durch Zuschüsse für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen verbessert werden. Gleichzeitig soll damit legale, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, insbesondere von Frauen gefördert werden.
SoVD-Bewertung:
Das ist positiv, denn von den bisherigen Regelungen profitieren nur Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Entspricht einer frauenpolitischen Forderung zur Bundestagswahl.
- Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Einbeziehung von Selb-ständigen in Vereinbarkeitsmaßnahmen
Koalitionsvertrag:
Auch bei Unternehmensgründungen soll künftig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden, unter anderem mit einer Gründerzeit analog der Familienpflegezeit und mit Zuschüssen für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen. Für Frauen als Gründerinnen sollen spezielle Unterstützungselemente entwickelt werden.
SoVD-Bewertung:
Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind bisher insbesondere auf Arbeitnehmerinnen ausgerichtet. So können beispielsweise soloselbstständige Schwangere den Mutterschutz nicht in Anspruch nehmen, ohne ihr Geschäft damit zu gefährden. Die Zahl der selbstständigen Frauen ist stark angestiegen, auch veranlasst durch die Arbeitsmarktpolitik. Es ist daher nur folgerichtig, dass für diese Frauen jetzt solche Maßnahmen gesetzlich geregelt und durchgeführt werden.
- Frauenquote
Koalitionsvertrag:
Im Öffentlichen Dienst wird für mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau eine Quote eingeführt. Bis 2025 sollen alle Leitungsposten zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt sein. Bei der regelmäßigen Berichterstattung der Bundesregierung soll ein besonderes Augenmerk auf die Unternehmen ohne Frauen in Führungspositionen gelegt werden, die sich bei der freiwilligen Zielgröße eine „Null“ vorgenommen haben. Künftig soll es sanktioniert werden, wenn Unternehmen ihre Meldepflicht für diese Zielquote oder die Pflicht zur Begründung einer Zielgröße von „Null“ nicht einhalten.
SoVD-Bewertung:
Grundsätzlich positiv. Negativ ist, dass lediglich geprüft werden soll, wie eine Erweiterung des Geltungsbereichs des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst auf Unternehmen mit wesentlicher Bundesbeteiligung umgesetzt werden kann.
- Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit
Koalitionsvertrag:
Im Teilzeit- und Befristungsgesetz wird ein Recht auf befristete Teilzeit eingeführt. Dieses Recht soll jedoch erst in Unternehmen mit mehr als 45 Beschäftigten wirken.
SoVD-Bewertung:
Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung für die zukünftige flexible Arbeitszeitgestaltung. Das vielfach versprochene Rückkehrrecht zur Vollzeit steht aber nach wie vor aus, denn diese Regelung bringt keine Verbesserung für alle Frauen, die aufgrund anderer arbeitsvertraglicher Regelungen in Teilzeit arbeiten. Die meisten Frauen arbeiten zudem in kleinen und mittleren Betrieben. Daher sollte das Recht auf befristete Teilzeit auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Unternehmen mit weniger als 45 Beschäftigten gelten.
In Bezug auf die Gestaltung von Teilzeitbeschäftigungen ist positiv anzumerken, dass zusätzlich die Arbeit auf Abruf sicherer geregelt werden soll.
- Bekämpfung von Gewalt gegenüber Frauen und Kindern
Koalitionsvertrag:
Die Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention sollen umgesetzt und dazu ein Aktionsprogramm zur Prävention und Unterstützung von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern auflegen und die Hilfestrukturen verbessert werden. Um von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern den gesicherten Zugang zu Schutz und Beratung in Frauenhäusern zu ermöglichen, soll ein Runder Tisch von Bund, Ländern und Kommunen einberufen werden. Ziel der Beratungen soll der bedarfsgerechte Ausbau und die adäquate finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und entsprechenden ambulanten Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen sein.
Weiterhin soll u.a. eine bundesweite Öffentlichkeitskampagne zur Ächtung von Gewalt gegen Frauen sowie zur Sensibilisierung und Information der breiten Öffentlichkeit zu Hilfe, Unterstützung und Handlungsmöglichkeiten dagegen durchgeführt werden. Darüber hinaus sollen Sensibilisierungsmaßnahmen für Unternehmen und öffentliche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber entwickelt und mit den beteiligten Akteu-en eine gemeinsame Strategie gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erarbeitet werden.
Menschen mit Behinderungen werden besonders häufig Opfer von Gewalt. Aufklärung und Stärkung der Menschen soll gefördert sowie Gewaltschutzkonzepte in Einrichtungen und eine Verbesserung der Unterbringungsmöglichkeiten nach Übergriffen, z. B. in barrierefreien oder mit speziell geschultem Personal besetzten Frauenhäusern, geschaffen werden.
Bei familiengerichtlichen Verfahren soll – zugunsten der Kinder – künftig stärker die Gefährdungslage durch Gewalt (auch sexualisierte Gewalt) berücksichtigt werden, auch beim festzulegenden Umgangsrecht.
SoVD-Bewertung:
Die beabsichtigten Maßnahmen sind positiv. Der SoVD hat immer wieder insbesondere zusätzliche Wohnkapazitäten und eine bundeseinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser gefordert.
Sexuelle Belästigung ist bei der Arbeit auch in Deutschland seit vielen Jahren ein Problem, aber bislang kaum offen thematisiert worden – bis zur Me too-Debatte.
Der SoVD hat ebenso seit Jahren immer wieder besonders auf die Situation hingewiesen, dass behinderte Frauen mehr von Gewalt betroffen sind als nichtbehinderte Frauen und sich für barrierefreie Frauenhäuser eingesetzt.
Die Regelungen zum Umgangsrecht sind zu begrüßen. Mit entsprechender Begutachtung können Kinder vor elterlicher Gewaltanwendung und sexuellem Missbrauch besser geschützt werden.
- Gleicher Lohn
Koalitionsvertrag:
Strukturelle Ungleichgewichte von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die zur Entgeltlücke wesentlich beitragen, sollen gezielt abgebaut werden. Dazu sollen u. a. finanzielle Ausbildungshürden bei Sozial- und Pflegeberufen abgebaut und Ausbildungsvergütungen angestrebt werden. Im Juli 2019 soll eine erste Evaluation zur Wirksamkeit des Transparenzgesetzes durch die Bundesregierung vorgelegt werden. Augenmerk soll auf der Erfüllung der entsprechenden Berichtspflichten und Auskunftsansprüche liegen. Dann soll über weitere erforderliche Schritte entschieden werden. Weiterhin sollen soziale Grundrechte, insbesondere das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der EU, in einem Sozialpakt gestärkt werden.
SoVD-Bewertung:
Die vereinbarten Maßnahmen sind richtig, reichen aber nicht aus. Insbesondere müsste ein Verbandsklagerecht geschaffen werden. Nötig sind eine zügige Evaluation und eine klare Weiterentwicklung des Transparenzgesetzes zu einem echten Entgeltgleichheitsgesetz. Die Einschränkung, das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der EU zu stärken, ist keine Lösung für Frauen, denn man braucht gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.
- „Mütterrente II“
Siehe Abschnitt c) Rentenpolitik
f) Gesundheit
- Gesundheitsversorgung
Koalitionsvertrag:
Bekenntnis zur Sicherstellung einer guten, flächendeckenden medizinischen und pflegerischen Versorgung für alle, unabhängig vom Einkommen und Wohnort. U.a.:
- Bedarfsplanung zur Verteilung der Arztsitze soll kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler gestaltet werden.
- In ländlichen oder strukturschwachen Gebieten sollen Zulassungssperren für die Neuniederlassung von Ärztinnen und Ärzten entfallen.
- Ärztinnen und Ärzte, die in wirtschaftlich schwachen und unterversorgten ländlichen Räumen praktizieren, werden über regionale Zuschläge besonders unterstützt.
- Die hausärztliche Versorgung und die „sprechende Medizin“ werden besser vergütet.
- Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag wird Vorschläge unterbreiten für die Weiterentwicklung zu einer sektorenübergreifenden Versorgung des stationären und ambulanten Systems im Hinblick auf Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung, Kodie-rung, Dokumentation, Kooperation der Gesundheitsberufe usw.
- Stärkung der Alten- und Krankenpflege im ländlichen Raum, indem eine bes-sere Honorierung der Wegezeiten erfolgt, wenn die Versorgung nur mit länge-ren Anfahrtswegen sichergestellt werden kann.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Gesundheitsversorgung in strukturschwachen und ländlichen Gebieten vielfach unzureichend ist. Ein ungleicher Zugang z. B. zu ärztlicher Versorgung ist vor dem Hintergrund des gleichen Versichertenstatus in der GKV nicht hinnehmbar. Das klare Bekenntnis zur Sicherstellung einer guten, flächendeckenden medizinischen und pflegerischen Versorgung für alle, unabhängig vom Einkommen und Wohnort, wird vor diesem Hintergrund begrüßt. Erforderlich ist insbesondere eine kleinräumige, bedarfsorientierte Planung für eine barrierefreie ambulante und stationäre Versorgung. Von der geplanten Bund-Länder-Arbeitsgruppe erhofft sich der SoVD nun eine detailliertere Ausgestaltung und Weiterentwicklung der angekündigten „nachhaltigen Schritte“ zur Erreichung einer sektorenübergreifenden Versorgung. Demgegenüber wird eine vornehmlich in urbanen Regionen mit hohem Durchschnittseinkommen und Ballungszentren festzustellende Überversorgung oder die Fehlversorgung von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen nicht einmal erwähnt, obgleich die Erkenntnis, dass in Deutschland Über-, Unter- und Fehlversorgung nebeneinander existieren, seit langem besteht.
Die Stärkung der ambulanten Alten- und Krankenpflege ist richtig, um eine Versorgung insbesondere im ländlichen Raum mit längeren Anfahrtswegen bedarfsgerecht sicherzustellen. Dafür ist die bessere Honorierung der Wegezeiten ein erster guter Ansatzpunkt.
- Beiträge und Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung
Koalitionsvertrag:
- Die Parität bei den Beiträgen zur GKV soll wiederhergestellt werden. Ab 1. Januar 2019 sollen die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in glei-chem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden. Der bishe-rige Zusatzbeitrag wird paritätisch finanziert.
- Schrittweise sollen kostendeckende Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversi-cherung für die Bezieher von ALG II eingeführt und aus Steuermitteln finan-ziert werden.
- Um kleine Selbstständige zu entlasten, soll die Bemessungsgrundlage für die Mindestkrankenversicherungsbeiträge von derzeit 2.283,75 Euro auf 1.150 Euro gesenkt werden.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD begrüßt die Wiederherstellung der vollen Beitragsparität bei den Krankenversicherungsbeiträgen sehr. Angesichts der kostenintensiven Gesetzgebungsverfahren der letzten Jahre ist dennoch mit einem weiteren Anstieg der kassenindividuellen Zusatzbeiträge in den kommenden Jahren – trotz der derzeit guten Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation in Deutschland – zu rechnen. Auch die vereinbarten Maßnahmen und geplanten Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag erhöhen zusätzlich den Druck auf den Zusatzbeitrag. Der SoVD fordert die Abschaffung des Zusatzbeitrags.
Richtig ist auch, dass die derzeitigen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für die Bezieher von ALG II zu niedrig bemessen sind und erhöht werden müssen. Die schrittweise Anhebung auf kostendeckende Beiträge sieht der SoVD indes kritisch. Wesensmerkmal der solidarisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherung ist gerade nicht eine kostendeckende Beitragspflicht – anders als in der privaten Krankenversicherung.
Der SoVD sieht bei der Beitragsbemessung freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherter, insbesondere für „kleine“ Selbstständige, einen lange überfälligen gesetzgeberischen Korrekturbedarf. Vor diesem Hintergrund begrüßt der SoVD grundsätzlich die geplante Senkung der Beitragsbemessungsgrenze für „kleine Selbstständige“.
- Auf- und Zuzahlungen
Koalitionsvertrag:
Geplant ist die Anhebung der Festzuschüsse für Zahnersatz um 10 Prozent auf 60 Prozent.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD begrüßt den Entschluss zur Wiederherstellung der Parität zur gesetzlichen Krankenversicherung. Solange aber Zuzahlungen, Aufzahlungen und Eigenanteile für bedarfsdeckende Leistungen erbracht werden müssen, besteht eine einseitige Belastung der Versicherten fort und belastet insbesondere ältere und chronisch kranke Menschen in besonderer Weise. Der SoVD fordert, dass notwendige Gesundheitsleistungen (wie Sehhilfen und nicht verschreibungspflichtige Medikamente) wieder in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden. Die Anhebung der Festzuschüsse für Zahnersatz um 10 Prozent auf 60 Prozent ist nicht ausreichend.
- Arzthonorare
Koalitionsvertrag:
Geplant ist die Schaffung eines modernen Vergütungssystems. Dafür soll eine wissenschaftliche Kommission auf Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums eingesetzt werden, die bis Ende 2019 unter Berücksichtigung aller medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen Vorschläge vorlegt. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.
SoVD-Bewertung:
Auch der SoVD sieht einen Reformbedarf des derzeitigen Vergütungssystems. Gleichwohl wird eine Entscheidung über eine dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung entsprechende Honorarangleichung in der ambulanten gesetzlichen Krankenversicherung (EBM) und der Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) vermieden und mit Einrichtung einer wissenschaftlichen Kommission, deren Ergebnisse nicht übernommen werden müssen, weiter vertagt.
- Versandhandel Arzneimittel
Koalitionsvertrag:
Einsatz für Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.
SoVD-Bewertung:
Ein generelles Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland stößt auf große Bedenken. Ein Verbot darf immer nur der letzte Schritt und andere Lösungsmöglichkeiten ausgeschlossen sein („Ultima-Ratio-Gebot“). Ergänzend zur Versorgung durch Präsenzapotheken ist der Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimitteln mittlerweile seit über 13 Jahren in Deutschland möglich. Viele Patientinnen und Patienten, darunter v. a. chronisch Kranke mit Langzeitmedikation, profitieren vom Versandhandel und haben ihren Bezugsweg zum Teil seit Jahren bereits umgestellt. Ein Verbot dieses Versorgungswegs würde in erster Linie diesen Personenkreis spürbar treffen.
g) Pflege
- Tarifverträge in der Altenpflege
Koalitionsvertrag:
Die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif soll gestärkt werden. Tarifverträge in der Altenpflege sollen flächendeckend zur Anwendung kommen.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD setzt sich dafür ein, dass die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege verbessert werden, um mehr Menschen für eine Tätigkeit im Gesundheitswesen zu gewinnen und die Personalausstattung zu verbessern. Dazu müssen verbindliche Rahmenbedingungen im Gesetz und in den Organisationen geschaffen und die Refinanzierung gesichert werden.
- Behandlungspflege
Koalitionsvertrag:
Beabsichtigt sind 8.000 neue Stellen für medizinische Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen. Die Finanzierung der Stellen soll aus Mitteln der GKV erfolgen.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD begrüßt grundsätzlich die Intention zur personellen Stärkung der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen. Offen bleibt jedoch, warum die Festlegung auf eine Zahl von 8.000 neuen Fachkraftstellen erfolgt und ob es sich bei diesen um Vollzeitstellen handelt. Rechnerisch wären dies bei derzeit rund 13.600 voll- und stationären Pflegeheimen in Deutschland nur 0,6 zusätzliche Stellen pro Einrichtung. Zudem soll der erforderliche finanzielle Mehraufwand für die neuen Stellen durch eine Vollfinanzierung aus Mitteln der GKV erfolgen. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn die Behandlungspflege umfasst medizinische Leistungen zur Sicherung des Ziels ärztlicher Behandlung und ist eine originäre Aufgabe der Krankenversicherung. Für Leistungen in stationären Pflegeeinrichtungen ist sie derzeit systemfremd bei der Pflegeversicherung angesiedelt, was in der Praxis zu erheblichen Unterschieden in der Versorgung von Personen in ambulanter und stationärer Versorgung führt. Es sollten jedoch nicht nur der finanzielle Mehraufwand für die neuen Stellen, sondern die Finanzierung der gesamten medizinischen Behandlungspflege insgesamt aus Mitteln der GKV erfolgen.
- Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhäusern
Koalitionsvertrag:
Der Auftrag an Kassen und Krankenhäuser, Personaluntergrenzen für pflegeintensive Bereiche festzulegen, soll so erweitert werden, dass in Krankenhäusern derartige Untergrenzen nicht nur für pflegeintensive Bereiche, sondern für alle bettenführenden Abteilungen eingeführt werden.
SoVD-Bewertung:
Die Einführung von Personaluntergrenzen über „pflegesensitive Bereiche“ hinaus für alle bettenführenden Abteilungen in Krankenhäusern ist richtig. Anderenfalls wäre zu befürchten, dass Pflegepersonal aus anderen Bereichen abgezogen würde, für die keine Untergrenzen festgelegt wurden. Bei der Festlegung der Höhe der Untergrenzen muss eine bedarfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten Maßstab sein und die Einhaltung nicht nur im Jahresdurchschnitt verlangt werden.
- Pflegemindestlohn
Koalitionsvertrag:
Die Pflegemindestlohnkommission wird gebeten, sich zeitnah mit der Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West zu befassen.
SoVD-Bewertung:
Der Wille zur Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West wird ausdrücklich begrüßt. Zeitgleich sollte der Pflegemindestlohn auch angehoben werden, um dem erklärten Willen nach besserer Bezahlung in der Altenpflege – auch nach Tarif – nachzukommen.
- Entlastungsbudget
Koalitionsvertrag:
Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie auf Ta-ges- und Nachtpflege werden zu einem jährlichen Entlastungsbudget zusammenfasst.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD hat sich bereits im Rahmen der Mitwirkung im Expertenbeirat Pflegebedürftigkeitsbegriff für die Zusammenführung von Einzelleistungen in einem flexiblen Entlastungsbudget eingesetzt. Vor diesem Hintergrund freuen wir uns sehr, dass unser Vorschlag zur Stärkung der häuslichen Pflege in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden soll.
- Elternunterhalt
Koalitionsvertrag:
Auf das Einkommen der Kinder von pflegebedüftigen Eltern soll künftig erst ab einem Einkommen in Höhe von 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden.
SoVD-Bewertung:
Grundsätzlich muss die Pflegeversicherung für die Kosten der Pflege aufkommen. Allerdings sind die Pflegekosten häufig höher, als die gedeckelten Beträge, die von der Pflegekasse übernommen werden. Wenn der Pflegebedarf (noch) nicht hoch genug ist, zahlt die Pflegeversicherung zudem gar nicht. Reichen dann das eigene Einkommen und Vermögen des Elternteils nicht aus, um die ungedeckten Pflegekosten zu begleichen, springt das Sozialamt ein und zahlt die offenen Kosten. Allerdings versucht das Sozialamt, die gewährte Sozialhilfe von den Kindern des Pflegebedürftigen als sogenannten Elternunterhalt zurückzuholen. Ob und in welcher Höhe ein Kind Elternunterhalt zahlen muss, wird vom örtlichen Sozialamt geprüft und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab.
Das Risiko, für die Pflegekosten der Eltern aufkommen zu müssen, führt bei vielen Menschen zu erheblichen Unsicherheiten und Ängsten. Verschärfend kommt hinzu, dass aufgrund der geltenden Selbstbehalte und Freigrenzen der individuell zu leistende Unterhalt im Einzelfall nur schwer überblickt werden kann. Es ist darum ein richtiger Schritt, künftig auf das Einkommen der Kinder von pflegebedüftigen Eltern erst ab einem Einkommen in Höhe von 100.000 Euro im Jahr zurückzugreifen.
h) Politik für Menschen mit Behinderungen
- Inklusive Bildung
Koalitionsvertrag:
Das strikte Kooperationsverbot im Bildungsbereich soll gelockert und eine Investitionsoffensive für Schulen auf den Weg gebracht werden. Diese und der Digitalpakt Schule sollen ausdrücklich auch zu inklusiver Bildung beitragen.
- Ein Nationaler Bildungsrat soll eingesetzt werden.
- In der Bildungsforschung soll inklusive Bildung entlang der Bildungsbiografie ein Schwerpunkt werden.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD begrüßt ganz ausdrücklich die beabsichtigte Lockerung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich, die explizit auch zur inklusiven Bildung genutzt werden soll. Denn es ist dringend erforderlich, dass der Bund jetzt eine Qualitätsoffensive für inklusive Bildung startet und diese auch finanziell unterstützt. Im geplanten Nationalen Bildungsrat müssen – im Interesse der Inklusion – die Behindertenverbände vertreten sein.
- Barrierefreiheit
Koalitionsvertrag:
- Barrierefreies Wohnen und Wohnumfeld in Städten und Gemeinden soll, u.a. mithilfe finanzieller Fördermöglichkeiten aus KfW-Programmen, unterstützt werden.
- Im Mobilitätsbereich will man sich an der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren und der Bund den Prozess zum barrierefreien ÖPNV bis 2022 begleiten.
- Die Digitalisierung soll – zugunsten sinnesbehinderter und mobilitätseingeschränkter Menschen – ein Schwerpunkt im Nationalen Aktionsplan werden. Es soll auf mehr barrierefreie Angebote in Film und Fernsehen hingewirkt werden.
- Bei der Weiterentwicklung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) wird geprüft, wie Private, die Dienstleistungen für die Allgemeinheit erbringen, angemessene Vorkehrungen umsetzen können. Ein erster Schritt soll den Gesundheitssektor betreffen.
SoVD-Bewertung:
Umfassende Barrierefreiheit ist Grundvoraussetzung für Teilhabe. Sie muss sich auf alle Lebensbereiche erstrecken. Die Vereinbarungen zum barrierefreien Wohnen zielen insoweit in die richtige Richtung, jedoch enttäuschen die nur vagen Antworten im Mobilitätsbereich. Auch für die Bereiche Kommunikation und Medien erscheinen die Regelungen nicht weitgehend genug.
Es ist gut, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) novelliert werden soll. Jedoch sind die beabsichtigten Schritte unzureichend. Es braucht klare gesetzliche Verpflichtungen zur Barrierefreiheit für private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen. Die Verweigerung angemessener Vorkehrungen im Einzelfall als Diskriminierung anzuerkennen, ist richtig, aber nicht ausreichend und zudem nur als vager Prüfauftrag formuliert. Gänzlich unzureichend ist es, im Gesundheitssektor statt auf Barrierefreiheit nur auf angemessene Vorkehrungen zu setzen, denn Versicherte haben einen Anspruch auf barrierefreien Zugang zum Gesundheitssystem.
- Ausbildung und Teilhabe an Arbeit
Koalitionsvertrag:
- Ziel ist, allen jungen Menschen einen qualitativ hochwertigen Ausbildungsplatz anzubieten. Die assistierte Ausbildung soll bundesweit ausgebaut werden. Die Einführung eines Budgets für Ausbildung soll geprüft, die assistierte Ausbil-dung um zwei Jahre verlängert und weiterentwickelt werden. Gleichzeitig sol-len die ausbildungsbegleitenden Hilfen gestärkt werden, um bei Lernschwie-rigkeiten oder bei Problemen im sozialen Umfeld zu unterstützen.
- Zudem will man prüfen, inwieweit Teilqualifizierungen helfen können, Men-schen mit Behinderungen einen schrittweisen Einstieg in theoriereduzierte Ausbildungen nach § 66 BBIG oder 42m HwO zu ermöglichen.
- Die Werkstätten für behinderte Menschen sollen unterstützt werden, ihr Profil weiterzuentwickeln und dem Selbstbestimmungsrecht behinderter Menschen besser Rechnung zu tragen.
- Es ist beabsichtigt, die Ursachen der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosig-keit behinderter Menschen zu untersuchen und passgenaue Angebote zu entwickeln.
- Die Meldepflicht für offene, zuvor von behinderten Menschen besetzten Stel-len soll wiedereingeführt und das betriebliche Eingliederungsmanagement ge-stärkt werden.
- Für alle Menschen mit Behinderungen, ob im allgemeinen Arbeitsmarkt oder in Werkstätten beschäftigt, soll der volle Zugang zu medizinisch-beruflicher Rehabilitation verbessert werden.
SoVD-Bewertung:
Es ist zu begrüßen, dass der Teilhabe am Arbeitsleben ein großer Stellenwert eingeräumt und viele, vom SoVD unterstützte, Maßnahmen beabsichtigt sind. Dies gilt auch für den Bereich Ausbildung. Zu kritisieren sind jedoch die beabsichtigten Teilqualifizierungen für theoriereduzierte Ausbildungen nach § 66 BBIG oder 42m HwO. Diese begründen die Gefahr, berufliche Qualifizierungschancen für Betroffene zu reduzieren und deren nachhaltige Erwerbsbeteiligung zu erschweren sowie das Ziel bundesweit einheitlicher Abschlüsse in Frage zu stellen.
Zu begrüßen ist auch, dass die Werkstätten für behinderte Menschen darin untertützt werden sollen, ihr Profil im Interesse der Selbstbestimmungsrechte behinderter Menschen weiterzuentwickeln.
Es ist ein gutes Zeichen, dass die vom SoVD seit langem kritisierte, überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit unter behinderten Menschen endlich anerkannt und nach Lösungen gesucht wird. Um das zu erreichen, muss die verabredete Förderung für 150.000 Langzeitarbeitslose ausdrücklich auch schwer-/behinderte Menschen einschließen. Hier hätte sich der SoVD eine konkrete Aussage im Koalitionsvertrag gewünscht.
Der SoVD übt deutliche Kritik, dass die Erhöhung der Ausgleichsabgabe im Koalitionsvertrag nicht vereinbart ist, obgleich inzwischen über 40.000 Unternehmen trotz Gesetzespflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Gleiches gilt auch für die bedarfsgerechte Anhebung der Beschäftigungspflichtquote.
- Wahlrecht
Koalitionsvertrag:
Mit dem Ziel eines inklusiven Wahlrechts für alle soll der Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beendet werden. Dem Deutschen Bundestag wird empfohlen, in aktuellen Beratungen zu Änderungen im Wahlrecht dieses Thema entsprechend umzusetzen.
SoVD-Bewertung:
Die Abschaffung des menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlusses behinderter Menschen entspricht einer langjährigen Kernforderung des SoVD.
- Behindertenpauschbetrag
Koalitionsvertrag:
Die Anpassung der pauschalen Steuerfreibeträge für Menschen mit Behinderungen soll geprüft werden.
SoVD-Bewertung:
Die Anhebung entspricht einer jahrzehntelangen Forderung des SoVD und ist daher im Grundsatz zu begrüßen. Leider ist hierfür nur ein Prüfvorbehalt vorgesehen.
- Betreuungsrecht
Koalitionsvertrag:
- Modernisierung des Vormundschaftsrechts
- Selbstbestimmungsrecht von Betroffenen stärken
- Ergebnisse der Forschungsvorhaben bei der Verbesserung berücksichtigen
- Vorrang sozialrechtlicher Hilfen vor rechtlicher Betreuung stärken
- Auswahl und Kontrolle von Betreuerinnen und Betreuern verbessern
- Finanzierung stärken (bei Betreuungsvereinen) und die Vergütung verbessern (bei Berufsbetreuerinnen und -betreuern)
SoVD-Bewertung:
Es ist zu begrüßen, dass im Betreuungsrecht weitere Gesetzesinitiativen geplant sind. Bei diesem sensiblen Thema ist es wichtig, eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts betreuter Menschen weiter voranzutreiben. Dazu gehört vor allem die Gestaltung von Unterstützungsprozessen, die eine ersetzende Entscheidung überflüssig machen. Generell ist eine stärkere Orientierung am Erforderlichkeitsgrundsatz nötig.
i) Wohnen
Koalitionsvertrag:
- „Gleichwertige Lebensverhältnisse“
Gemeinsame Kommission aus Bund, Ländern und Kommunen
Neues gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen - Wohnraumoffensive
1,5 Millionen neue Wohnungen und Eigenheime
2 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau
Förderung der energetischen Gebäudesanierung
Im bezahlbaren Mietsegment steuerliche Anreize für freifinanzierten Wohnungsneubau
Baukindergeld in Höhe von 1200 Euro je Kind pro Jahr. - Bezahlbare Mieten
Dämpfung Mietanstieg, u. a. durch Verlängerung des Bindungszeitraumes des qualifizierten Mietspiegels
Absenkung Modernisierungsumlage auf 8 Prozent
Anpassung Wohngeld an individuelle Lebensbedingungen
Kappungsgrenze für Erhöhung von Mieten bei Modernisierungsmaßnahmen
SoVD-Bewertung:
Es geht beim Thema Wohnraum um eines der wichtigsten Güter des menschlichen Daseins. Angemessener Wohnraum ist für jeden Menschen unverzichtbar. Die Wohnung ist für den Menschen Lebensmittelpunkt, Rückzugsbereich und Ruhepol zugleich. Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist gespalten: Während in attraktiven Städten und deren Umland Studenten, Alleinerziehende, Menschen mit schlecht bezahlten Jobs sowie Arbeitsuchende, Rentnerinnen und Rentner sowie zu uns geflüchtete Menschen um das knapper werdende Angebot auf dem Wohnungsmarkt konkurrieren, stehen insbesondere in wirtschaftsschwächeren Regionen circa zwei Millionen Wohnungen leer.
Vor diesem Hintergrund muss sich die kommende Bundesregierung dem Thema Wohnen besonders dringend widmen. Es ist richtig, dass dabei unter dem Oberbegriff „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ sowohl die Revitalisierung ländlicher Gebiete als auch die Schaffung bezahlbaren Wohnraums in den wachsenden Wohnungsmärkten attraktiver Städte in den Blick genommen wird. Der Mangel an bezahlbarem und angemessenem Wohnraum muss aus SoVD-Sicht besonders dringend behoben werden.
Vor allem mit Blick auf den Neubau von Wohnraum gilt aus SoVD-Sicht, dass Barrierefreiheit bzw. Barrierearmut ein zeitgemäßes Ausstattungsmerkmal ist. Viel zu häufig wird Barrierefreiheit ausschließlich mit den Zielgruppen Senioren und Menschen mit Handicaps verbunden. Dabei ist ein durchdachte Barrierefreiheit vor allem Komfort, von dem Nutzer aller Altersklassen und in allen Lebenslagen profitieren. Dieser Komfort sollte im Wohnungsbau selbstverständlich sein, so wie es heute auch eine Toilette in jeder Wohnung zum Komfort gehört. Jeder Neubau ist eine Chance, zeitgemäßen Wohnraum zu schaffen.
j) Europa
Koalitionsvertrag:
Ein Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten soll entwickelt werden.
SoVD-Bewertung:
Der SoVD begrüßt, dass die Forderung nach sozialen Grundsätzen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Die Schaffung verbindlicher europäischer Mindeststandards für die Bereiche Armutsbekämpfung, Zugang zu sozialen Diensten, zu Grundsicherungsleistungen sowie Absicherung bei Arbeitslosigkeit ist eine wichtige Aufgabe, um die soziale Dimension Europas zu stärken. Das Vorhaben, einen „Rahmen für Mindestlohnsicherung sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten“ zu schaffen, unterstützt der SoVD daher ausdrücklich.
k) Bürgerschaftliches Engagement / Zivilgesellschaft
Koalitionsvertrag:
Ziel ist die Stärkung der Zivilgesellschaft / des Ehrenamtes.
- Bürgerschaftliches Engagement soll in Bunderegierung herausgehoben verankert werden
- Entbürokratisierung bestehender Regelungen (insbesondere im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts)
- Gemeinnützigkeitsrecht soll hinsichtlich der Eintragungsfähigkeit von Vereinen mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb überarbeitet werden
- Der Zugang für Menschen mit Behinderungen in die Jugendfreiwilligendienste bzw. den Bundesfreiwilligendienst soll verbessert werden
- Weitere steuerliche Entlastung für ehrenamtlich Tätige
- Veränderungen im Vereinsrecht/Stiftungsrecht sollen erfolgen
- Das Thema „Bekämpfung Einsamkeit/Vereinsamung“ wurde unter dem Passus „Stärkung der Zivilgesellschaft“ in den Koalitionsvertrag aufgenommen.
SoVD-Bewertung:
Dies ist im Grundsatz durchaus positiv. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Punkte wird zeigen, inwieweit es sich um wirksame Instrumente zur Stärkung der Zivilgesellschaft bzw. des Ehrenamtes handelt. Die Entbürokratisierung, insbesondere im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts, stellt eine notwendige Verbesserung der Arbeit von Non-Profit Organisationen dar. Erstrebenswert wäre zudem eine Erweiterung des Zweckkatalogs.
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte das BMFSFJ über die Einrichtung einer Ehrenamtsstiftung oder Service-Agentur gesprochen. Von Interesse ist für den SoVD nach wie vor, welche Aufgaben und Kompetenzen einer solchen Organisation zukommen sollen.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Stellungnahmne: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD [287 KB]