PKW-Maut
Stellungnahme des SoVD zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen aus Sicht von Menschen mit Behinderungen
Mit der vorliegenden Stellungnahme nimmt der SoVD die Gelegenheit wahr, den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (im folgenden: PKW-Maut-Gesetz) insbesondere aus Sicht von Menschen mit Behinderungen zu würdigen und zu bewerten.
1. Gesamtbewertung der PKW-Maut aus Sicht behinderter Menschen
Bereits in seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag vom 17. Januar 2014 hat der SoVD seine Sorge ausgedrückt, eine PKW-Maut könne eine Schlechterstellung für behinderte Menschen bedingen. Denn der – für behinderte Menschen wichtige – Nachteilsausgleich der KFZ-Steuererleichterung bzw. -befreiung könnte entwertet werden, wenn eine Verrechnung der Maut mit der KFZ-Steuer erfolgt. Mit Nachdruck betont der SoVD daher weiter die Zusage der Koalition, dass durch die Maut „kein Fahrzeughalter in Deutschland stärker belastet wird als heute“.
Dieser Forderung sieht der SoVD – aus Sicht behinderter Menschen – mit dem vorliegenden Referentenentwurf Rechnung getragen und es gilt, dies auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren konsequent zu berücksichtigen, wenngleich europarechtlich problematische Folgewirkungen (Gefahr diskriminierender Benachteiligungen schwerbehinderter Menschen im EU-Vergleich) bleiben.
2. Ausnahmetatbestände zugunsten schwerbehinderter Menschen, deren KFZ im Inland zugelassen ist
Nach Art. 1, § 1 des PKW-Maut-Gesetzes soll eine grundsätzliche Pflicht zur Entrichtung einer sog. Infrastrukturabgabe (PKW-Maut) begründet werden.
§ 2 des PKW-Maut-Gesetzes sieht hiervon Ausnahmen vor. So ist nach § 2 Abs. 1, Satz 1, Ziffer 12 die Maut nicht zu entrichten für die Benutzung von Straßen mit
Kraftfahrzeugen, die für schwerbehinderte Personen zugelassen sind, die durch einen Ausweis im Sinne des SGB IX oder des Art. 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im ÖPNV vom 9. Juli 1979
a) mit dem Merkzeichen „H“, „Bl“ oder „aG“ nachweisen, dass sie hilflos, blind oder außergewöhnlich gehbehindert sind oder
b) mit orangefarbenem Flächenaufdruck nachweisen, dass sie die Voraussetzungen des § 145 Abs. 1, Satz 1 SGB IX erfüllen.
Diese Ausnahmetatbestände sind zu begrüßen. Sie knüpfen deckungsgleich an die Regelungen des § 3a Kraftfahrzeugsteuergesetz an, der die Voraussetzungen für die KFZ-Steuerbefreiung bzw. -ermäßigung für schwerbehinderte Menschen normiert. Diese „Deckungsgleichheit“ gewährleistet, dass, wer als schwerbehinderter Mensch eine KFZ-Steuer-Befreiung oder -ermäßigung für sich in Anspruch nimmt, nicht „über den Umweg“ der PKW-Maut belastet wird. Damit wird eine Entwertung dieses Nachteilsausgleichs für behinderte Menschen verhindert.
3. Ausnahmetatbestände zugunsten schwerbehinderter Menschen, deren KFZ im Ausland zugelassen ist
§ 2 Satz 2 sieht eine weitere Ausnahme von der PKW-Maut zugunsten schwerbehinderter Menschen vor. Danach gilt die Ausnahme nach Satz 1 Nr. 12 auch
„für Kraftfahrzeuge, die im Ausland auf Halter zugelassen sind, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben oder sich aus beruflichen oder privaten Gründen regelmäßig mit ihrem Kraftfahrzeug in die Bundesrepublik Deutschland begeben und die nachweisen können, dass sie hilflos, blind, gehörlos, außergewöhnlich gehbehindert oder infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, sowie für Kraftfahrzeuge, die die Voraussetzungen des § 17 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes erfüllen.
Damit werden zwei weitere Ausnahmen von der PKW-Maut begründet.
a) Zum einen wird von der PKW-Maut freigestellt, wer zwar in Deuschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt/Wohnsitz, aber z. B. einen Zweitwohnsitz im Ausland hat und dort ein KFZ zulässt, mit dem er nach Deutschland pendelt. Diese Personengruppe ist, wäre ihr KFZ in Deutschland zugelassen, berechtigt, die KFZ-Steuerbefreiung/-ermäßigung für schwerbehinderte Menschen in Anspruch zu nehmen. Sie darf bei der PKW-Maut nicht schlechter gestellt werden gegenüber der vergleichbaren Personengruppe, deren Auto in Deutschland zugelassen ist.
Jedoch stellt sich die Frage, wer im Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen prüfen soll. Nach § 4 obliegt die Erhebung der PKW-Maut, und damit auch die Entscheidung über Ausnahmen nach § 2 dem Kraftfahrt-Bundesamt. Es führt nach § 5 ein Infrastrukturabgaberegister, in welchem nach Abs. 2 Nr. 9 auch Daten zu Ausnahmen und Vergünstigungen nach § 2 erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen.
Es kann nicht richtig sein, dem Kraftfahrt-Bundesamt die versorgungsmedizinisch komplexen Fragestellungen zur Entscheidung zu überantworten, ob eine Person hilflos, blind, gehörlos, außergewöhnlich gehbehindert oder infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind. Diese Feststellungen setzen umfangreiche, medizinisch und rechtlich komplexe Kenntnisse voraus, die in der Versorgungsverwaltung vorhanden, beim Kraftfahrtbundesamt jedoch mitnichten erwartet werden können. Zwar ist die Sachlage unproblematisch, wenn die Person einen Schwerbehindertenausweis mit entsprechenden Merkzeichen vorlegen kann. Da der Schwerbehindertenausweis jedoch keine Leistungsvoraussetzung sein soll, obläge in den anderen Fällen dem Kraftfahrtbundesamt die Prüfung, ob die Nachweise des Antragsstellers (z. B. medizinische Gutachten) ausreichen, um die Vignette ohne Abgabe zu erteilen.
b) Besonders evident wird die vorstehende Problematik in Bezug auf Halter, deren KFZ im Ausland zugelassen ist und die sich aus beruflichen oder privaten Gründen regelmäßig mit ihrem KFZ in der Bundesbepublik Deutschland aufhalten (§ 2 Abs. 1, Satz 2, 2. Alternative). Diese Menschen haben, da sie über keinen Aufenthaltstitel in Deutschland verfügen, im Gros der Fälle gar keine Möglichkeit, einen Schwerbehindertenausweis in Deutschland zu erhalten. Daher bleibt es ihnen verwehrt, über dort vermerkbare Merkzeichen den Nachweis zu führen, ob sie hilflos, blind, gehörlos, außergewöhnlich gehbehindert oder infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind. Hier muss stets zwingend das Kraftfahrtbundesamt versorgungsrechtlich prüfen, ob der Ausnahmetatbestand erfüllt ist. Nachweiserschwernisse und versorgungsrechtlich falsche Entscheidungen gingen zulasten der schwerbehinderten Menschen. Angesichts der erwartbaren erheblichen Schwierigkeiten wird diese Personengruppe vom Ausnahmetatbestand deutlich seltener Gebrauch machen (können) und folglich die PKW-Maut – in der Praxis – entrichten. Dies bedeutet eine – zumindest mittelbare – Benachteiligung schwerbehinderter EU-Bürgerinnen und EU-Bürger gegenüber den in Deutschland lebenden schwerbehinderten Menschen durch die PKW-Maut.
Der SoVD befürchtet insoweit Verwerfungen hinsichtlich des Diskriminierungsverbots nach Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Es erscheint fraglich, ob die Förderung der Mobilität und sozialen Integration von behinderten Menschen in die inländische Gesellschaft als Ziel, wie es vom EuGH (vgl. Urteil vom 1.10.2009, AZ: C-103/08) gefordert wird, vorliegend behindert statt gefördert wird.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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