E-Scooter
Stellungnahme des SoVD zum Entwurf eines Erlasses zur Regelung von Mindestanforderungen an die Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV
Mit Schreiben vom 16.12.16 erhielt der SoVD Kenntnis vom Deutschen Behindertenrat (DBR), dass ein Erlass zur „Regelung von Mindestanforderungen an die Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV“ geplant sei und die Gelegenheit zur Stellungnahme bestehe.
Der SoVD war an den politischen Auseinandersetzungen zur Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen engagiert beteiligt und nimmt als Mitglied im Deutschen Behindertenrat die Möglichkeit einer eigenständigen Stellungnahme daher vorliegend gern wahr.
1 Zusammenfassende Gesamtbewertung
Der SoVD hat sich seit längerem für eine politische Lösung zur Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV eingesetzt. Denn in einigen Städten und Verkehrsverbünden wurden sie systematisch und generell von der Beförderung ausgeschlossen. Als Grund wurden Sicherheitsbedenken angegeben. Der Beförderungsausschluss schränkte die Mobilität älterer, behinderter Menschen in erheblicher Weise ein.
Vor diesem Hintergrund hat der SoVD sich mit Nachdruck für eine bundesweit einheitliche Lösung eingesetzt, die den generellen Beförderungsausschluss von E–Scootern, wie er in einigen Kommunen praktiziert wurde, beendet und rechtssichere Beförderungsansprüche im Interesse der Menschen mit Behinderungen gewährleistet.
Der SoVD anerkennt und würdigt den politischen Willen in Bund und Ländern, mit dem vorliegenden Erlassentwurf endlich eine bundesweit einheitliche Regelung zur Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV zu schaffen. Damit sollen generelle Beförderungsausschlüsse für E-Scooter verhindert und Rechtssicherheit für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Busfahrer und andere Beteiligte geschaffen werden. Diese Intention begrüßt der SoVD.
Die Inhalte des vorliegenden Erlasses bewertet der SoVD als noch tragbaren Kompromiss. Er verweist darauf, dass mit den normierten Anforderungskriterien nur 25 – 30 % der derzeit am Markt befindlichen vierrädrigen E-Scooter mitnahmefähig wären. Jedoch stellt der SoVD seine Bedenken im Interesse der Rechtssicherheit sowie in der Erwartung, dass sich der Markt entsprechend der neuen Vorgaben anpassen wird und zukünftig mehr E-Scooter beförderungsfähig sein werden, vorläufig zurück.
2 Zu den Erlassnormen im Einzelnen
2.1 Bewertung des einleitenden Vorwortes
Der SoVD begrüßt den im Vorwort zum Ausdruck kommenden politischen Willen, die Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV nunmehr bundesweit verlässlich zu regeln und damit rechtssichere Beförderungsansprüche für mobilitätseingeschränkte Menschen zu normieren.
Gelungen ist auch die ausgewogene Darstellung und Abwägung zwischen der allgemeinen Beförderungspflicht und den möglichen Gefahren durch die Mitnahme von E-Scootern. Zugleich weist das Vorwort zu Recht auf die Feststellungen des BGH (Urteil vom 2.10.12, AZ VI ZR 311/11) hin, wonach eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, im praktischen Leben nicht erreichbar sei und insoweit ein abstraktes vollständiges Verbot, andere nicht zu gefährden, utopisch wäre. Unmögliche Sicherheitsgarantien dürfen insoweit nicht verlangt werden.
Der SoVD stellt fest, dass es sich bei E-Scootern um ein medizinisches Hilfsmittel handelt und würde es sehr begrüßen, wenn dieses Verständnis auch den vorliegenden Regelungen zugrunde gelegt würde.
2.2 Bewertung der Anforderungen an E-Scooter (Ziffer 1)
Inhalt der Regelung u.a.: E-Scooter dürfen nicht länger als 1200 mm sein und müssen vierrädrig sein. Die Gesamtmasse des E-Scooters (incl. Nutzer) darf 300 kg nicht überschreiten. Überdies werden Bodenfreiheit und Steigfähigkeit des E-Scooters für 12 % geneigte Rampen und die Eignung für die Rückwärtseinfahrt in Linienbusse verlangt.
Bewertung: Die vorgeschlagenen Mindestanforderungen entsprechen dem Kompromiss des „Runden Tisches“ NRW, an dem der SoVD und andere Behindertenverbände beteiligt waren. Die dortigen Beratungsergebnisse haben die Verbände, wenn auch mit Bedenken, noch mitgetragen.
Der SoVD verweist darauf, dass gemäß dem 1. ergänzenden StuVA-Gutachten mit den normierten Anforderungskriterien nur 25 – 30 % der derzeit am Markt befindlichen vierrädrigen E-Scooter mitnahmefähig wären. Damit blieben die Mehrzahl der E-Scooter-Nutzer (z.B. verkehrssichere vierrädrige E-Scooter ohne formellen Nachweis oder verkehrssichere dreirädrige E-Scooter) von der Beförderung ausgeschlossen, was seitens des SoVD auf erhebliche Bedenken stößt. Jedoch stellt der SoVD seine Bedenken im Interesse der Rechtssicherheit sowie in der Erwartung, dass sich der Markt entsprechend der neuen Vorgaben anpassen wird und zukünftig mehr E-Scooter beförderungsfähig sein werden, zurück und bewertet die vorliegenden Kompromiss-Regelungen als gerade noch vertretbar.
Zwingend erforderlich ist jedoch eine Revisionsklausel, mit der die vorliegenden Normen spätestens nach drei Jahren überprüft und die Kriterien ggf. veränderten Erkenntnissen und dem technischen Fortschritt angepasst werden.
Zudem fordert der SoVD ein begleitendes Monitoring, um den sich verändernden E-Scooter-Markt mit dem Ziel zu beobachten, dass künftig ein wachsender Anteil von E-Scootern die Kriterien zur Mitnahme in Linienbussen des ÖPNV erfüllt.
2.3 Bewertung der Anforderungen an Linienbusse des ÖPNV (Ziffer 2)
Inhalt der Regelung u.a.: Mindestlänge für Aufstellfläche, normgerechter Rollstuhlstellplatz mit Rückhalte- bzw. Sicherheitseinrichtungen.
Bewertung: Die getroffenen Festlegungen entsprechen den Vereinbarungen des Runden Tisches und werden insoweit mitgetragen.
Der SoVD weist jedoch darauf hin, dass derzeit unklar ist, wie groß die Zahl und der Anteil der Linienbusse ist, die den Kriterien entsprechen. Hier sind im vorgeschlagenen Monitoring unbedingt Zahlen zum Ist-Zustand und zu künftigen Entwicklungen zu erheben.
Überdies sind die Aufgabenträger zu verpflichten, ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Erlass-Vorschriften bei Neuanschaffungen ausschließlich solche Linienbusse zu bestellen, die den im Erlass benannten Kriterien genügen. Eine Nachrüstung der im Betrieb befindlichen Linienbusse ist, soweit dies technisch möglich ist, vorzunehmen. Auch dies sollte im Monitoringprozess transparent werden; eine entsprechende Berichtspflicht der Aufgabenträger wird befürwortet.
2.4 Bewertung der normierten Voraussetzungen für die Nutzerinnen und Nutzer des E-Scooters (Ziffer 3)
Inhalt der Regelung u.a.: bei Mehrheit von E-Scooter-Nutzern Vorrang für schwerbehinderte Menschen mit Merkzeichen G und nachrangig E-Scooter mit Kostenübernahme durch die Krankenkasse; keine zusätzlichen Anbauten am E-Scooter, die rückwärtiges Aufstellen an der Anlehnfläche verhindern; ggf. Anlegen des Sicherheitsgurtes.
Bewertung: Die Festlegungen entsprechen den Ergebnissen des Runden Tisches. Diese werden, auch wenn sie eine Einschränkung des Personenkreises bedeuten können, seitens des SoVD mitgetragen.
2.5 Bewertung der zusätzlichen Empfehlungen (Ziffer 4)
Inhalt der Regelung u.a.: Einweisung und Schulung der Nutzer bezüglich Ein- und Ausfahrt sowie Aufstellung des E-Scooters; Anbringen eines E-Scooter-Siegels zur Mitnahme; Bescheinigung, dass Nutzer und E-Scooter zur Mitnahme berechtigt.
Bewertung: Die Inhalte entsprechen den Festlegungen des Runden Tisches. Der SoVD begrüßt ganz ausdrücklich den gewählten Weg, hier anstelle verbindlicher Vorgaben den Weg der Empfehlungen zu gehen und bezieht dies sowohl auf das E-Scooter-Siegel als auch auf die Schulungen für die Nutzer.
Die von den Verkehrsunternehmen und –verbünden angebotenen Schulungsveranstaltungen sind ein wichtiges Angebot, um für Menschen mit Behinderungen Mobilität zu sichern. Diese Angebote sollten unter Beteiligung der Behindertenverbände fortgeführt und auch E-Scooter mit aufgenommen werden.
2.6 Weitergehende Forderungen und abschließende Bemerkungen des SoVD
Die Frage, welche E-Scooter in Linienbussen des ÖPNV mitgenommen werden, ist eng mit der Frage der Verordnungsfähigkeit von E-Scootern als Hilfsmittel durch die Krankenkassen verknüpft. Es muss unbedingt sichergestellt sein, dass mitnahmefähige E-Scooter von den Krankenkassen auch verordnet und finanziert werden können. Die Mobilitätsbedürfnisse der Betroffenen dürfen nicht durch eine restriktive, einseitig auf Kostensenkung abzielende Bewilligungspraxis der Kassen unterlaufen werden. Insoweit sollte deren Bewilligungspraxis im Bereich E-Scooter beobachtet und in das vorgeschlagene Monitoringverfahren einbezogen werden.
Zugleich müssen, im Interesse aller mobilitätseingeschränkter Menschen mit Behinderungen, die infrastrukturellen Anforderungen verbessert und mit den Gegebenheiten der Linienbusse abgestimmt werden. Ziel muss sein, über die Bus-Bahnsteige einen ebenengleichen Zu- und Ausstieg in den Linienbus zu ermöglichen. Hier sind die Aufgabenträger in der Pflicht, sich mit den Kommunen abzustimmen und Lösungen vor Ort zu entwickeln. Die im Erlass vorgesehene Steigfähigkeit von 12 % für E-Scooter sieht der SoVD insoweit mit erheblicher Kritik, aber aufgrund der jetzigen Sachlage als akzeptable Zwischenlösung, um perspektivisch die in den DIN-Normen festgelegten, maximalen 6 % zu erreichen.
Die Notwendigkeit eines begleitenden Monitorings betont der SoVD nochmals. Dabei muss nicht nur der sich verändernde Markt von E-Scootern beobachtet und bewertet werden, inwieweit der Anteil mitnahmefähiger E-Scooter steigt. Zugleich sollte der Bereich der Busse in das Monitoring aufgenommen werden (Zahl und Anteil der aktuell E-Scooter mitnehmenden Linienbusse, Entwicklung durch Neuanschaffungen). Auch die Bewilligungspraxis der Krankenkassen sowie die Weiterentwicklung der Infrastruktur sollte beobachtend einbezogen werden.
Für den SoVD bleibt die Frage offen, warum vorliegend der Weg des Erlasses gewählt wurde. Zwar sichert dieser ein zügiges Inkraftsetzen der Regelungen, jedoch fehlt es ihnen an bindender Außenwirkung im Interesse der betroffenen Menschen mit Behinderungen. Hierfür könnte ggf. das Instrument der Rechtsverordnung ein gangbarer Weg sein.
Abschließend anerkennt und würdigt der SoVD nochmals den politischen Willen, eine bundesweit einheitliche Regelung zur Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV zu schaffen.
Der vorliegende Erlass normiert eine Beförderungspflicht nach § 22 PBefG für E-Scooter, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Er verhindert generelle Beförderungsausschlüsse für E-Scooter und schafft Rechtssicherheit für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Busfahrer und andere Beteiligte. Die ist zu begrüßen.
Gleichwohl bleiben die Inhalte des Erlasses ein Kompromiss, der aus Sicht des SoVD noch Potenzial für Verbesserungen hat. Daher betont der SoVD abschließend nochmals die Notwendigkeit einer Revisionsklausel, mit der die vorliegenden Normen spätestens nach drei Jahren zwingend überprüft und das Recht ggf. veränderten Erkenntnissen anpasst werden.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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