Soziales Entschädigungsrecht (SER)
Stellungnahme des SoVD zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts
Inhalt
A Zusammenfassende Bewertung
B Vier zentrale Forderungen des SoVD
C Zu den Bewertungen im Einzelnen – hier: für Kriegsopfer mit Ansprüchen nach BVG
I. Leistungen nach Besitzstandsrecht (Kap. 23)
II. Bestandsschutz für Hinterbliebene, insbesondere Witwen
III. Einschränkungen beim Bestandsschutz
IV. Restriktionen beim Wahlrecht § 152
D Zu den Bewertungen im Einzelnen – hier: Besitzstand für andere Leistungsberechtigte, insbesondere Gewaltopfer nach OEG
E Zu den Bewertungen im Einzelnen - hier: neues Soziales Entschädigungsrecht nach Art. 1, Kap. 1- 22
I. Kapitel 1- Allgemeine Vorschriften
II. Kapitel 2 – Anspruch auf Leistungen der sozialen Entschädigung
III. Kapitel 3 – Leistungsgrundsätze
IV. Kapitel 4 – Schnelle Hilfen
V. Kapitel 5 – Krankenbehandlung der Sozialen Entschädigung
VI. Kapitel 6 – Leistungen zur Teilhabe
VII. Kapitel 7 – Leistungen bei Pflegebedürftigkeit
VIII. Kapitel 8 – Leistungen bei Blindheit
IX. Kapitel 9 – Entschädigungszahlungen
X. Kapitel 10 – Berufsschadensausgleich, § 89 ff.
XI. Kapitel 11 – Besondere Leistungen im Einzelfall
XII. Kapitel 12 – Überführung und Bestattung
F Übergangsvorschriften und abschließende Bemerkungen
A Zusammenfassende Bewertung
- Der SoVD unterstützt die mit dem neuen SGB XIV beabsichtigte grundlegend Neugestaltung des sozialen Entschädigungsrechts. Es ist zu begrüßten, dass Leistungen zielgerichteter und schneller zur Verfügung gestellt sowie neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen, z.B. in Bezug auf Terroropfer oder Opfer psychischer Gewalt, Rechnung getragen werden. Die Zusammenführung bisheriger Einzelgesetze im neuen SGB XIV kann das Soziale Entschädigungsrecht stärken.
- Auch im neuen Recht muss die Idee des Sonderopfers anspruchsprägend bleiben. Ziel des neuen Rechts muss es sein, gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen der Schädigung umfassend auszugleichen und umfassende Selbstbestimmung sowie volle und wirksame Teilhabe der Betroffenen (wieder-)herzustellen. Dies sollte – über § 4¹ hinaus - im SGB XIV ausdrücklich verankert werden.
- Keinesfalls dürfen die oft hochbetagten Kriegsopfer und ihre Angehörigen künftig schlechter gestellt werden als bisher. Jegliche (Rechts-)Unsicherheiten zu ihren Lasten sind zu vermeiden. Ansprüche nach Bundesversorgungsgesetz (BVG) müssen gewährleistet bleiben. Der SoVD kritisiert Ausnahmen vom Besitzstandsschutz und die eng ausgestaltete Wahlrechte ohne amtsseitig zu leistende Günstigkeitsprüfung für die Betroffenen.
- Im Interesse der Hinterbliebenen, insbesondere der Witwen von Kriegsopfern, ist die vorgesehene besondere „Beihilferegelung“ bei nicht schädigungsbedingtem Tod. Es fehlt jedoch ein eigenständiges, nicht akzessorisches, d.h. vom Partner unabhängiges Wahlrecht zwischen altem und neuem Recht zugunsten Hinterbliebener in Kapitel 23.
- Der SoVD hält die die Ausweitung der Tatbestände zur Opferentschädigung für richtig. Die Ausweitung auch auf Formen psychischer Gewalt ist dringend erforderlich, auch aus frauenpolitischer Sicht. Jedoch sollte der neue strafrechtliche Ansatz „Nein heißt Nein“ im Sexualstrafrecht ins soziale Entschädigungsrecht übertragen und sämtliche Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung entschädigungsrechtlich erfasst werden. Positiv würdigt der SoVD ebenso, dass mittels KFZ begangene Angriffe künftig umfasst werden.
- Die neuen „Schnellen Hilfen“ sind positiv. Traumaambulanzen können Gewaltopfern zeitnah und niederschwellig Hilfe bieten. Die Angebote sollten nicht nur zukünftigen, sondern allen Gewaltopfern zur Verfügung stehen. Das vorgesehene Fallmanagement ist umso unverzichtbarer, als Ansprüche künftig in diversen Rechtskreisen (SGB VII, XI, XII, XIV u. a.) wurzeln und damit Zuständigkeiten komplexer werden. Der SoVD fordert, Leistungen „wie aus einer Hand“ sicherzustellen.
- An die Stelle der differenzierten Versorgungsleistungen nach BVG (Grund-/Ausgleichsrente, Schwerstbeschädigtenzulage, Ehegatten-/Kinderzuschlag u. a.) treten monatliche Entschädigungszahlungen, die positiverweise so bemessen sind, dass Geschädigte nicht schlechter stehen als nach BVG. Für besonders schwer geschädigte und blinde Betroffene sind zu Recht besondere Normen vorgesehen, um Härtefälle zu vermeiden.
- Die vorgesehenen Entschädigungen für Hinterbliebene sind im Grundsatz zu begrüßen. Hier wurde im Vergleich zum Referentenentwurf deutlich nachgebessert. Dies gilt für den Leistungsumfang wie auch den anspruchsberechtigten Personenkreis. Jedoch fehlt weiterhin eine Witwen-/Waisenbeihilferegelung gemäß BVG, mit der Ehepartner, die Geschädigte über lange Zeit begleitet, betreut und gepflegt haben, Leistungen auch dann erhalten, wenn Geschädigte nicht an den Folgen der Schädigung, sondern aus anderen Gründen versterben, was bei älteren Geschädigten oft der Fall sein wird.
- Vorgesehene Befristungsregelungen, insbesondere die Befristung der Leistungen zum Lebensunterhalt auf 5 Jahre, können für ältere Hinterbliebene zu großen Härten führen: Hat z.B. eine Ehefrau über Jahre bzw. Jahrzehnte Kinder erzogen und auf eigene Berufstätigkeit verzichtet, hat sie mit über 50 Jahren kaum noch reale Chancen, sich nach dem Verlust ihres Partners auf die veränderte wirtschaftliche Situation einzustellen und ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu sichern. Der SoVD fordert daher, die Interessen und erbrachten Sonderopfer älterer Hinterbliebener im SGB XIV noch besser zu berücksichtigen und einzelfallbezogene Lösungen zu ermöglichen.
- Der SoVD begrüßt ganz ausdrücklich die vorgesehenen Regelungen bezüglich Beweiserleichterungen (§ 117) und bestärkter Wahrscheinlichkeit (§ 4 Abs. 5), denn sie tragen berechtigten Opferbelangen verfahrensseitig Rechnung.
- Positiv bewertet der SoVD die nunmehr beabsichtigte Fortschreibung des Berufsschadensausgleichs nach BVG im neuen SGB XIV. Dieser hat sich bewährt: Berufliche Entwicklungen können so in einfacher und verwaltungsseitig gut handhabbarer Form antizipiert und finanziell abgebildet werden.
- Im Bereich Heil- und Krankenbehandlung kann die geteilte Zuständigkeit zwischen Kranken- und Unfallversicherung zu Koordinations- und Schnittstellenproblemen führen. Der SoVD hält die einheitliche Leistungserbringung durch die Unfallversicherung nach Maßgabe der §§ 42, 43 SGB XIV weiterhin für vorzugswürdig. Die bislang geplante pauschale Abgeltung der Aufwendungen gegenüber Kranken- und Pflegekassen birgt zudem die Gefahr, dass im Einzelfall hoch kostenintensive Sachverhalte nicht abgebildet werden und dies zulasten der Betroffenen und auch der Kassen wirkt.
- Das soziale Entschädigungsrecht betrifft eine recht kleine, im Bereich BVG sogar deutlich zurückgehende Betroffenengruppe. Diese ist jedoch besonders vulnerabel und die Betroffenen haben große Sonderopfer erbracht. Daher sollte die Reform vom Ziel umfassender und großzügiger Leistungsgewährung geprägt sein. Der SoVD setzt sich dafür ein, dass Gewaltopfer der ausgeweiteten Entschädigungstatbestände nach Kap. 2, Abschnitt 2 auch dann Leistungen (ggf. nach altem Recht) beanspruchen können, wenn die Gewalttat in der Zeit zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten des neuen SGB XIV 2024 liegt. Für noch früher liegende Fälle sollte eine Härtefallregelung erwogen werden.
B Vier zentrale Forderungen des SoVD
Vor dem Hintergrund seiner zusammenfassenden Bewertung unterstreicht der SoVD nochmals vier vorrangige Forderungen, die im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch Eingang finden sollten:
- Für das BVG-Bestandsschutzrecht (Kap. 23 des SGB XIV-neu) ist eine Günstigkeitsprüfungvon Amts wegen vorzusehen, so dassauf dieser Grundlage Betroffene ihr Wahlrecht zwischen altem und neuem Recht nach § 152 qualifiziert ausüben können.
- Im Interesse der Witwen von Kriegsopfern braucht es ein eigenständiges, nicht akzessorisches Wahlrecht für Hinterbliebene: Sie sollten eigenständig, d.h. unabhängig von der vorherigen Entscheidung des Geschädigten, zwischen Leistungen nach altem oder neuem Recht wählen können. Auch hier ist eine Günstigkeitsprüfung von Amts wegen sicherzustellen.
- Im Sinne eines verlässlichen Bestandsschutzes fordert der SoVD eine Regelung entsprechend § 62 Abs. 3 BVG. Danach darf bei Versorgungsberechtigten ab 55 Jahren kein niedrigerer GdS (mehr) festgesetzt werden, wenn dieser in den letzten 10 Jahren unverändert war. Die Regelung muss, wie auch bisher schon, sowohl für Besserungen des Gesundheitszustands als auch für Änderungen des zugrundeliegenden Verordnungsrechts gelten.
- Bei der Hinterbliebenenversorgung sollte den besonderen Belangen Älterer stärker Rechnung getragen werden. Der SoVD befürwortet insbesondere eine Regelung, nach der Hinterbliebene über 50 Jahre Leistungen zum Lebensunterhalt im Einzelfall auch über fünf Jahre hinaus beziehen können.
Ergänzend wird auch auf die verbändeübergreifenden Eckpunkte zur Reform des Sozialen Entschädigungsrechts hingewiesen, welche von SoVD, Weißem Ring und anderen Verbänden erarbeitet wurden und die zeitnah veröffentlicht werden.
[...]
F Abschließende Bemerkungen
Abschließend betont der SoVD nochmals die große Bedeutung des Sozialen Entschädigungsrechts für die Betroffenen – die dort verankerten Leistungen sind für die Geschädigten und ihre Angehörigen von großer Wichtigkeit.
Das Soziale Entschädigungsrecht umfasst im Vergleich zu anderen Bereichen des Sozialrechts zahlenmäßig eher kleine Betroffenengruppen. Im Jahr 2024 ist noch von 36.000 Anspruchsberechtigten nach BVG (Kriegsbeschädigte, Angehörige und Hinterbliebene) auszugehen, ihre Zahl wird demografiebedingt weiter sinken. Nach dem OEG gab es 2017 ca. 19.000 Anspruchsberechtigte; diese Zahl könnte perspektivisch ansteigen. Zugleich handelt es sich jedoch um besonders vulnerable Betroffenengruppen, die erhebliche Sonderopfer erbracht haben und damitin besonderer Weise auf Entschädigungsleistungen angewiesen sind.
Vor diesem Hintergrund erneuert der SoVD seine Forderung, dass die Reform des Sozialen Entschädigungsrechts vom Ziel umfassender und großzügig ausgestalteter Leistungen geprägt sein sollte. Der Wille der Bundesregierung hierzu ist im vorliegenden Gesetzentwurf durchaus anzuerkennen.
Der SoVD setzt sich dafür ein, dass Gewaltopfer der ausgeweiteten Entschädigungstatbestände nach Kap. 2, Abschnitt 2 auch dann Leistungen (ggf. nach altem Leistungsrecht) beanspruchen können, wenn die Gewalttat in der Zeit zwischen Verkündung und Inkrafttreten des neuen SGB XIV im Jahr 2024 liegt. Es muss sichergestellt werden, dass z.B. Personen, die in den kommenden Jahren (vor 2024) Opfer schwerster psychischer Gewalt werden, nicht „sehenden Auges“ von Leistungen des sozialen Entschädigungsrecht ausgeschlossen bleiben, obgleich sie entsprechend der veränderten Wertsetzungen des Gesetzgebers eigentlich in den Schutz des Rechts einbezogen werden sollen. Für Fälle, in denen die Gewalttat vor der Verkündung des neuen SGB XIV begangen wurde, sollten eine Härtefallregelung erwogen werden, um den berechtigten Interessen auch dieser Opfer Rechnung zu tragen
Abschließend betont der SoVD, dass der vorliegende Gesetzentwurf gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf ganz erhebliche Verbesserungen enthält. Jedoch sollten an einigen, vom SoVD benannten Stellen noch Nachbesserungen erfolgen, um dem Ziel eines modernen Sozialen Entschädigungsrechts, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen erlittener Schädigungen umfassend auszugleichen sowie Selbstbestimmung und Teilhabe der Berechtigten zu ermöglichen, umfänglich gerecht zu werden.
[Vollständige Stellungnahme im PDF]
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
SoVD-Stellungnahmne: Soziales Entschädigungsrecht [185 KB]