2te Verlängerung coronabedingter Sonderregelungen
Stellungnahme des Sozialverband Deutschland (SoVD) zum Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit:
Zweite Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der pfegerischen Versorgung während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Pandemie
1 Wesentliche Inhalte der Verordnung
Mit der zweiten Verordnung wird über die Verordnungsermächtigung nach § 152 SGB XI erneut die Geltungsdauer von coronabedingt getroffenen Regelungen um weitere drei Monate über den 30. September 2021 hinaus bis einschließlich zum 31. Dezember 2021 verlängert.
Dies betrifft insbesondere die Möglichkeit der Pflegebegutachtung ohne Untersuchung des Versicherten in seinem Wohnbereich aufgrund der zur Verfügung stehenden Unterlagen und auf Grundlage strukturierter telefonischer oder digitaler Befragung (§ 147 Absatz 1 und 6 SGB XI) sowie die Durchführung der Beratungsbesuche gemäß § 37 Absatz 3 SGB XI telefonisch, digital oder per Videokonferenz (§ 148 SGB XI). Verlängert wird auch der flexible Einsatz des Entlastungsbetrages bei Pflegegrad 1 (§ 150 Absatz 5b SGB XI) und die Ansparmöglichkeit für in den Jahren 2019 und 2020 nicht verbrauchte Leistungsbeträge für den Entlastungsbetrag nach § 45b Absatz 1 Satz 1 SGB XI (§ 150 Absatz 5c SGB XI) sowie der Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld bis zum 31. Dezember 2021 für 20 Arbeitstage und nicht, wie regulär, für zehn Arbeitstage (§ 150 Absatz 5d SGB XI).
Die Verlängerungen der Sonderregelungen werden erneut mit den nach wie vor nicht unerheblichen Herausforderungen im Hinblick auf die Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen begründet. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der sich ausbreitenden und vom Robert Koch-Institut (RKI) als besorgniserregend eingestuften Virusvarianten.
2 SoVD-Gesamtbewertung
Infolge der dramatischen Entwicklungen der Corona-Pandemie zeigten wir vom SoVD seit Beginn der Pandemie in Deutschland immer wieder grundlegend Verständnis für die pandemiebedingten Sonderregelungen in der pflegerischen Versorgung. Mittler-weile sehen wir aber gerade die erneute Verlängerung der Geltungsdauer zur Möglichkeit der Pflegebegutachtung ohne Untersuchung des Versicherten nach Aktenlage sowie die lediglich telefonische bzw. digitale Durchführung von Beratungsbesuchen nach § 37 Abs. 3 SGB XI äußert kritisch. Seit nunmehr eineinhalb Jahren nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland werden die Ausnahmen zur Regel gemacht. Nachdrücklich betonen wir erneut die besondere Bedeutung der aufsuchenden Pflegebegutachtung zur Feststellung des Grads der vorhandenen Selbstständigkeit.
In der Pandemie stellen wir eine Zunahme an Widerspruchsverfahren zur Pflegebegutachtung und eine längere Verfahrensdauer fest. Aus den Rückmeldungen unserer SoVD-Rechtsberatungsstellen wissen wir, dass sich gerade im Rahmen von Widerspruchsverfahren regelmäßig zeigt, dass gerade im persönlichen (Wiederholungs-)Gespräch und der Inaugenscheinnahme entscheidende Erkenntnisse zum Grad der Selbstständigkeit von den Gutachter*innen wahrgenommen und erfasst werden, die bei einer Begutachtung am Telefon oder nach Aktenlage im Verborgenen geblieben wären bzw. sind. Dies gilt entsprechend für die Beratungsbesuche nach § 37 Absatz 3 SGB XI. Bereits mit dem Krankenhauszukunftsgesetz hat der Gesetzgeber Regelungen zur Wiederaufnahme der persönlichen Pflegebegutachtungen und der Qualitätsregelprüfungen in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen ab Oktober 2020 beschlossen.
Ein übergreifendes Hygienekonzept für die Begutachtung im Rahmen der COVID-19-Pandemie zur Wiederaufnahme der persönlichen Begutachtung und der MDK-Prüfungen seitens der MDK-Gemeinschaft liegt mittlerweile vor. Pflegebegutachtungen in häuslicher Umgebung mit einer Untersuchung der Pflegebedürftigen sowie aufsuchende Beratungsbesuche müssen daher (wieder) die Regel sein, wenn dies dem Wunsch der Betroffenen entspricht. Vor diesem Hintergrund lehnen wir eine erneute, schlichte Verlängerung ab und fordern eine umfassende Wiederaufnahme der persönlichen Begutachtung und aufsuchenden Beratungsbesuche.
Die Verlängerungen der Geltungsdauer des flexiblen Einsatzes des Entlastungsbetrages bei Pflegegrad 1 (§ 150 Absatz 5b SGB XI) und der Ansparmöglichkeit für in den Jahren 2019 und 2020 nicht verbrauchte Leistungsbeträge für den Entlastungsbetrag nach § 45b Absatz 1 Satz 1 SGB XI (§ 150 Absatz 5c SGB XI) sowie der Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld bis zum 31. Dezember 2021 für 20 Arbeitstage (§ 150 Absatz 5d SGB XI) sind richtig und sinnvoll. Bereits in unserer Stellungnahme zur ersten Verordnung zur Verlängerung der Geltungsdauer der Sonderregelungen bis zum 30. September 2021 haben wir eine Verlängerung bis Jahresende empfohlen. Dabei ist die Verlängerung der flexiblen Inanspruchnahme von professionellen Angeboten bis zur Inanspruchnahme nachbarschaftlicher Hilfe sowie eine zügige und unbürokratische Abwicklung nicht allein nur in dieser Ausnahmesituation sinnvoll.
Die Verlängerung der Geltungsdauer der Sonderregelung zum Pflegeunterstützungsgeld entlastet obendrein Familien und pflegende Angehörige. Unterstützungsmaßnahmen für Familien, pflegende Angehörige und ehrenamtliche Strukturen sind angesichts der verheerenden pandemiebedingten Lage erforderlich. Rund drei Viertel der Pflegebedürftigen werden ambulant durch Angehörige allein oder mehrheitlich zu Hause versorgt. Auf ihren Schultern lastet – nicht erst seit der COVID-19-Pandemie – ein Großteil der Pflege in Deutschland. Nötig sind unbürokratische Entlastungsangebote zur besseren und notwendigen Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik