GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz (GKV-BRG)
Stellungnahme des SoVD anlässlich einer öffentlichen Anhörung durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 9. Dezember 2019 zu den Vorlagen
- Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Freibetrages in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge (GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz – GKV-BRG)
BT-Drucksache 19/15438
- Antrag der Fraktion DIE LINKE.
Doppelverbeitragung konsequent beenden – Versicherte entlasten
BT-Drucksache 19/15436
1 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
1.1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs
Der Gesetzentwurf sieht die Einführung eines Freibetrages ab dem 1. Januar 2020 für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Die monatlichen Gesamteinnahmen aus Betriebsrenten werden bis zu einem Betrag von einem Zwanzigstel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) beitragsfrei gestellt. Dies beläuft sich im Jahr 2020 auf 159,25 Euro. Der Freibetrag findet ausschließlich auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung Anwendung. Bislang besteht lediglich eine Beitragsfreigrenze für Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen von versicherungspflichtigen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung in bestimmten Konstellationen (§ 226 Absatz 2). Überschreiten die Einnahmen die Freigrenze, sind sie nach derzeitigem Recht vollständig beitragspflichtig. Durch die Gesetzesänderung bleibt künftig die Summe der monatlichen Betriebsrenten bis maximal zur Höhe des neuen Freibetrags beitragsfrei, auch wenn die Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen die bestehende Freigrenze überschreiten.
Infolge der Einführung eines Freibetrages entstehen den Krankenkassen ab dem Jahr 2020 jährliche Mindereinnahmen von 1,2 Milliarden Euro. Um die Mehrbelastungen in den im Jahr 2020 und den Folgejahren teilweise zu kompensieren und die Belastungen der Beitragszahler*innen vorübergehend zu begrenzen, werden diese Mindereinnahmen im Jahr 2020 in vollem Umfang und in den Folgejahren im Jahr 2021 um 900 Millionen Euro, im Jahr 2022 um 600 Millionen Euro und im Jahr 2023 um 300 Millionen Euro aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds ausgeglichen. In der Pflegeversicherung findet weiterhin ausschließlich die bisherige Freigrenze Anwendung. Mit dem Gesetzentwurf soll die betriebliche Altersversorgung gestärkt und für Beschäftigte attraktiver gestaltet werden.
1.2 SoVD-Gesamtbewertung des Gesetzentwurfs
Seit 2004 sind Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung als sogenannte Versorgungsbezüge beitragspflichtig. Erhoben werden Krankenversicherungsbeiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz zuzüglich des kassenindividuellen Zusatzbeitragssatzes. Rentner*innen haben diese Beiträge allein zu tragen. Seit Jahren kritisiert der SoVD die speziellen Belastungen auf der Ebene der Beitragstragung und Beitragshöhe als beitragsrechtliches "Sonderopfer" der Rentner*innen mit Versorgungsbezügen.¹ Dies verdeutlicht ein Vergleich mit der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Gemäß § 249a Satz 1 SGB V trägt bei der gesetzlichen Rente die gesetzliche Rentenversicherung die Hälfte des allgemeinen Krankenkassenbeitragssatzes. Eine solche Entlastung durch Institutionen findet für die gesetzlich krankenversicherten Empfänger*innen von Versorgungsbezügen nicht statt. Letztere haben vielmehr seit dem 1.1.2004 die Beiträge aus den Versorgungsbezügen in Höhe des allgemeinen Beitragssatzes im vollem Umfang allein zu tragen. Bis zum Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes galt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen die Hälfte des jeweils geltenden allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkasse. Seit der Gesetzesänderung haben sie nunmehr in der Leistungsphase deutlich höhere Beiträge als vergleichbare Versicherte zu zahlen. Ihnen wurde ein beitragsrechtliches "Sonderopfer" auferlegt. Die Beseitigung des nach wie vor bestehenden Missstandes lässt sich aus Sicht des SoVD durch die Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht aus den Versorgungsbezügen erreichen. So hat etwa der Gesetzgeber in jüngerer Zeit seine Bereitschaft zur Berichtigung der beitragsrechtlichen "Sonderopfer" bei versicherungspflichtigen Rentner*innen bewiesen (Artikel 1a des Gesetzes v. 21. Dezember 2015, BGBl. I S. 2421). 2015, BGBl. I S. 2421).
Vor diesem Hintergrund begrüßt der SoVD die Einführung eines Freibetrages ab dem 1. Januar 2020 für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung als Schritt in die richtige Richtung. Rund 60 Prozent der Betriebsrentner*innen beziehen Einnahmen aus Betriebsrenten in Höhe von maximal 320 Euro im Monat. Für diese rund vier Millionen Bezieher*innen bedeutet die Einführung eines Freibetrages, dass sie künftig de facto maximal die Hälfte des bisherigen Krankenversicherungsbeitrags leisten müssen. Auch die übrigen rund 40 Prozent der Rentner*innen mit Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge profitieren ebenfalls von dem Freibetrag. Sie werden im Jahr um rund 300 Euro durch den Freibetrag entlastet.
Soweit mit dem Gesetzentwurf die betriebliche Altersversorgung gestärkt und für Beschäftigte attraktiver gestaltet werden soll, kritisiert der SoVD die vorgesehene Refinanzierung der rund 3 Milliarden Euro bis 2023 aus den Mitteln der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds ausdrücklich. Will der Gesetzgeber die Attraktivität betrieblicher Alterssicherung politisch fördern, darf dies nicht auf Kosten der ohnehin stark belasteten Beitragszahler*innen der gesetzlichen Krankenversicherung geschehen, sondern muss aus Steuermitteln erfolgen.
Soweit für die Beiträge der Pflegeversicherung der Freibetrag nicht gelten soll und weiterhin ausschließlich die bisherige Freigrenze Anwendung findet, wiederholt der SoVD in diesem Zusammenhang seine Forderung nach einer (Wieder-) Herstellung der Beitragsparität auch in der sozialen Pflegeversicherung. Dort wird das Prinzip der paritätischen Verteilung der Beiträge durch den Wegfall des Buß- und Bettages, den Zuschlag für kinderlose Versicherte und die alleinige Beitragstragung der Rentner*innen bisher einseitig zu Lasten der Versicherten verletzt. Die Beitragssätze sollten paritätisch je zur Hälfte von den Arbeitnehmer*innen sowie den Arbeitgeber*innen gezahlt werden. Entsprechendes muss auch für Rentner*innen gelten. Die Deutsche Rentenversicherung muss sich zukünftig wieder paritätisch an den Beitragszahlungen der Rentner*innen zur Pflegeversicherung beteiligen. Entsprechend muss der Freibetrag auch für die Beiträge der Pflegeversicherung gelten.
2 Zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE.
2.1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs
Die Antragsteller*innen der Fraktion DIE LINKE. haben einen über den Gesetzentwurf hinausgehenden Änderungsbedarf. Sie fordern die Freigrenze nach § 226 Absatz 2 SGB V in einen Freibetrag umzuwandeln, der sowohl für die Gesetzliche Kranken- als auch für die Pflegeversicherung gilt. Auf alle Rentenleistungen aus Direktversicherungen und betrieblichen Rentenversicherungen der verschiedenen Durchführungswege oberhalb des Freibetrags sollen künftig nur noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe des halben Beitragssatzes erhoben werden. Leistungen aus Direktversicherungsverträgen, die vor dem 1.1.2004 abgeschlossen wurden, sollen hingegen beitragsfrei sein. Um die weitergehende Beseitigung der Doppelverbeitragung nach diesem Antrag zu finanzieren, sollen die vom Bund zu tragenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für SGB-II-Beziehende auf eine Beitragshöhe angehoben werden, die für Geringverdienende gilt.
2.2 SoVD-Gesamtbewertung des Antrags
Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Freibetrags für die Gesetzliche Kranken- als auch für die soziale Pflegeversicherung wird auf die Ausführungen unter 1.2 verwiesen. Die Beseitigung des unter Punkt 1.2 erläuterten beitragsrechtlichen "Sonderopfers" der Rentner*innen mit Versorgungsbezügen lässt sich aus Sicht des SoVD durch die Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht aller Rentenleistungen aus Direktversicherungen und betrieblichen Rentenversicherungen der verschiedenen Durchführungswege erreichen. Eine hälftige Beitragspflicht wäre selbstverständlich mit erheblichen Mindereinnahmen auf Seiten der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verbunden. Anstatt jedoch einen Teil der Versicherten aus der Gesamtheit krankenversicherter Rentner*innen herauszugreifen und zu „Sonderopfern“ heranzuziehen, muss die Kompensation der Mindereinnahmen aus Steuermitteln erfolgen. Um die Gemeinschaft der Beitragszahler*innen nicht weiterhin zusätzlich zu belasten, müssen auch für Empfänger*innen von Arbeitslosengeld II sachgerechte Beiträge gezahlt werden. Sie unterliegen ebenfalls grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung. Die Beiträge werden vom Bund getragen und an den Gesundheitsfonds gezahlt. Bis Ende 2015 bekamen die Krankenkassen für einen ALG-II-Beziehende und alle Personen, die über diese familienversichert waren, noch rund 140 Euro als Zuweisung vom Bund. Mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsentwicklungsgesetz sanken die Zuweisungen zum 1. Januar 2016. 2019 betragen die Zuweisungen in der Krankenversicherung lediglich 100,02 Euro (Grundbeitrag 93,98 Euro, Zusatzbeitrag 6,04 Euro) und für die Pflegeversicherung 21,53 Euro.
In diesem Zusammenhang fordert der SoVD ebenfalls sachgerechte Beitragszuweisungen für ALG-II-Beziehende an die gesetzliche Rentenversicherung. Seit dem 1. Januar 2011 zahlt die Bundesagentur für Arbeit beim Bezug von ALG II für Arbeitslose keine Beiträge mehr an die gesetzliche Rentenversicherung. Davor wurden zwar geringe Beiträge von der Bundesagentur für Arbeit abgeführt, diese haben aber nicht zu einer nennenswerten Aufstockung der Rentenanwartschaften führen können. Ein Risikofaktor für Altersarmut ist Arbeitslosigkeit, mit welcher erhebliche Beitragsausfälle einhergehen. Menschen, die über lange Zeit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, sind später besonders von Armut im Alter betroffen, weil nur niedrige oder keine Beiträge zur Rentenversicherung geleistet wurden. Maßgeblich sind hier die Zeiten des Bezugs von ALG I und II.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
SoVD-Stellungnahmne: GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz [214 KB]