Doppelverbeitragung
Stellungnahme des SoVD anlässlich einer Anhörung zum Antrag „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Betriebsrenten – Doppelverbeitragung abschaffen“
1 Zusammenfassung des Antrags
Mit dem Antrag fordern die Antragstellerinnen und Antragsteller die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die so genannte doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten in der Anspar- und der Auszahlungsphase beendet. Sollten bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sein, dürfen in der Auszahlungsphase bzw. für die Kapitalabfindung keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge mehr fällig werden.
Zur Begründung wird auf die Gesetzesänderungen im Rahmen des so genannten GKV-Modernisierungsgesetzes Bezug genommen. Seit 2004 unterliegen die aus einer Direktversicherung als Kapitallebensversicherung erbrachten Versorgungsbezüge wie alle Leistungen der betrieblichen Altersversorgung der vollen Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 248 SGB V), die von den Rentnerinnen und Rentnern alleine zu tragen ist (§ 250 Abs. 1 SGB V). Dadurch käme es bei den Betroffenen zu einer so genannten Doppelverbeitragung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge: zunächst bei der Einzahlung in die betriebliche Rentenversicherung und anschließend bei der Auszahlung im Alter. In diesem Zusammenhang geht der Antrag auch auf die Änderungen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ein, das im Juni 2017 verabschiedet wurde. Dortige Neuregelungen sehen vor, dass vom 1. Januar 2018 an die Leistungen aus Riester-geförderten Altersvorsorgeverträgen im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge nicht mehr in die Beitragspflicht der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen werden. Die Antragstellerinnen und Antragsteller kritisieren, dass damit eine Verbesserung ausschließlich für den Fall der wenig verbreiteten betrieblichen Riester-Versorgung geschaffen wurde. Andere Konstellationen, die zu doppelter Verbeitragung führen, würden nicht von der Verbesserung profitieren.
Die Antragstellerinnen und Antragsteller sind der Ansicht, dass die Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung bei Versorgungsbezügen nur einmal anfallen dürfe. Sie solle entweder auf das Einkommen in der Ansparphase oder auf die Auszahlung der Versicherungsleistungen Beiträge gezahlt werden. Zudem sei die Doppelverbeitragung in finanzieller Hinsicht auch keineswegs alternativlos. Eventuelle Einnahmeverluste, die durch die Aufhebung des ungerechten doppelten Beitrags für Bezieherinnen und Bezieher von Betriebsrenten entstünden, wären nach Ansicht der Antragstellerinnen und Antragsteller durch die Heranziehung aller Einkommensarten zur Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, durch die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze und die Einführung einer solidarischen Gesundheitsversicherung auszugleichen.
2 SoVD-Gesamtbewertung
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) stimmt mit den Antragstellerinnen und Antragstellern insoweit überein, als das aus dem Kreis der Rentnerinnen und Rentner mit Versorgungsbezügen zusätzlich ein beitragsrechtliches "Sonderopfer" verlangt wird. Auch der SoVD sieht hier einen lange überfälligen gesetzgeberischen Korrekturbedarf.¹ Nach wie vor liegt das grundlegende Problem aus Sicht des SoVD jedoch nicht in der so genannten Doppelverbeitragung der Direktversicherungen und Versorgungsbezüge, sondern vielmehr auf der Ebene der Beitragstragung und der Beitragshöhe.
Der SoVD stellt fest, dass es grundsätzlich kein Verbot der so genannten Doppelverbeitragung gibt. Während es im Steuerrecht eine so genannte Doppelversteuerung zu vermeiden gilt, kann dieser Gedanke nicht problemlos auf das Beitragskonzept zur gesetzlichen Krankenversicherung übertragen werden. Denn im Beitragsrecht werden auch andere Einnahmen „doppelt“ verbeitragt, namentlich die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Die gesetzliche Rente wird einerseits aus bereits zu verbeitragtem Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert. Zum anderen werden in der späteren Leistungsphase der gesetzlichen Rente erneut Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung erhoben. Im Falle eines Verbots der so genannten Doppelverbeitragung müsste konsequenterweise auch die gesetzliche Rente in der Leistungsphase von der Verbeitragung freigestellt werden.
Ein beitragsrechtliches "Sonderopfer" der Rentnerinnen und Rentner mit Versorgungsbezügen sieht der SoVD allerdings in den speziellen Belastungen auf der Ebene der Beitragstragung und Beitragshöhe. Dies verdeutlicht ein Vergleich mit der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Gemäß § 249a Satz 1 SGB V trägt bei der gesetzlichen Rente die gesetzliche Rentenversicherung die Hälfte des allgemeinen Krankenkassenbeitragssatzes. Eine solche Entlastung durch Institutionen findet für die gesetzlich krankenversicherten Empfängerinnen und Empfängern von Versorgungsbezügen nicht statt. Letztere haben vielmehr seit dem 1.1.2004 die Beiträge aus den Versorgungsbezügen in Höhe des allgemeinen Beitragssatzes im vollem Umfang allein zu tragen (§§ 248 Satz 1, 250 Absatz 1 Nr. 1 SGB V). Bis zum Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes galt noch nach § 248 SGB V a.F. bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen die Hälfte des jeweils geltenden allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkasse. Seit der Gesetzesänderung haben sie nunmehr in der Leistungsphase deutlich höhere Beiträge als vergleichbare Versicherte zu zahlen. Ihnen wurde ein beitragsrechtliches "Sonderopfer" auferlegt, das auch nicht durch die Beitragsfreiheit bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze in der Ansparphase kompensiert wird.
In der Begründung zur Änderung des § 248 SGB V heißt es, es sei geboten, die Rentner "in angemessenem Umfang" an der Finanzierung der auf sie entfallenden Leistungsaufwendungen zu beteiligen. Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein soziales Sicherungssystem mit einem Solidarausgleich auf Grundlage des Solidaritätsprinzips. Wesensmerkmal ist – anders als beim Äquivalenzprinzip der privaten Krankenversicherung – ein risikounabhängiger Beitrag für den Krankenversicherungsschutz. Versicherte mit hohen gesundheitlichen Belastungen werden ebenso wie solche mit niedrigen Arbeitseinkünften stark begünstigt. Dies gilt vor allem bei älteren Menschen, bei denen mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die beitragspflichtigen Einnahmen typischerweise sinken, der medizinische Versorgungsbedarf aber insgesamt zunimmt. Die systematische Begünstigung älterer Versicherter ist also kein Mangel, sondern eines der wichtigsten Ziele und einer der überzeugendsten Vorzüge des bestehenden Krankenversicherungssystems.
Die Beseitigung des nach wie vor bestehenden Missstandes lässt sich aus Sicht des SoVD durch die Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht aus den Versorgungsbezügen erreichen. So hat etwa der Gesetzgeber in jüngerer Zeit seine Bereitschaft zur Berichtigung der beitragsrechtlichen "Sonderopfer" bei versicherungspflichtigen Rentnerinnen und Rentner bewiesen (Artikel 1a des Gesetzes v. 21. Dezember 2015, BGBl. I S. 2421). 2015, BGBl. I S. 2421). Nach der zum 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Neuregelung des § 237 Satz 2 und 3 SGB V werden krankenversicherungspflichtigen Waisenrentnerinnen und Waisenrentner aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit – zu Recht – bis zum Erreichen der Altersgrenzen der Familienversicherung nach § 10 Absatz 2 SGB V grundsätzlich von der Beitragspflicht befreit. Auch mit den einschlägigen Neuregelungen im Betriebsrentenstärkungsgesetz stellt der Gesetzgeber seine Bereitschaft zur Berichtigung der beitragsrechtlichen "Sonderopfer" erneut unter Beweis. Doch beseitigt dies den bestehenden Missstand kaum, denn von der Neuregelung profitieren ausschließlich Riester-geförderte betriebliche Altersvorsorgeverträge. Beitragsrechtlich werden diese fortan wie private Riester-Renten behandelt. Den Anregungen des Bundesrats zum Betriebsrentenstärkungsgesetz, die Bundesregierung möge prüfen, inwieweit eine Reduzierung der hundertprozentigen Beitragspflicht zur Krankenversicherung für Betriebsrenten auch außerhalb betrieblicher Riester-Renten ermöglicht werden kann (BT-Drucks. 18/11286, Anlage 3, S. 81), folgte die Bundesregierung nicht. Sie begründete ihre Ablehnung damit, dass die Verbeitragung von Versorgungsbezügen aus Betriebsrenten ein unverzichtbarer Bestandteil für eine solidarische und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und für einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge und der Generationengerechtigkeit der GKV sei BT-Drucks. 18/11286, Anlage 4, S. 84).
Selbstverständlich ist eine Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht von Versorgungsbezügen mit erheblichen Einnahmeverlusten auf Seiten der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden. Jedoch anstatt einen Teil der Versicherten aus der Gesamtheit krankenversicherter Rentnerinnen und Rentner herauszugreifen und zu „Sonderopfern“ heranzuziehen, sollte die gesetzliche Krankenversicherung einheitlicher und solidarischer finanziert werden. Mit der Umsetzung der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode bereits angekündigten Wiederherstellung der Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung wäre hierzu ein wichtiger, erster Schritt getan. Bis dahin hält der SoVD seine langjährige Forderung nach einer sofortigen Rückkehr zur vollen Beitragsparität weiterhin aufrecht. Zugleich bedarf es aber auch weiterer Maßnahmen zur Stärkung der solidarischen Umlagefinanzierung, wie beispielsweise eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Versicherungspflichtgrenze, die Einbeziehung weiterer Einkommensarten und die Einführung eines Finanzausgleichs zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Langfristig lassen sich Defizite im Leistungsspektrum und die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung nur durch die Einführung einer solidarischen Krankenversicherung in Form einer Bürgerversicherung für die gesamte Bevölkerung in Deutschland auf der Grundlage der gesetzlichen Krankenversicherung lösen. Denn nur so kann eine bedarfsgerechte Leistungserbringung für alle Patientinnen und Patienten sichergestellt werden. Diese bedarfsgerechte Leistungserbringung – auf Basis einer solidarischen Finanzierung – muss das Ziel jeder Reform im Gesundheitssystem sein.
3 Fazit
Nach Ansicht des SoVD wird dem Kreis der Rentnerinnen und Rentner mit Versorgungsbezügen zusätzlich ein beitragsrechtliches "Sonderopfer" abverlangt. Die Beseitigung des nach wie vor bestehenden Missstandes lässt sich aus Sicht des SoVD durch die Rückkehr zur hälftigen Beitragspflicht aus den Versorgungsbezügen erreichen. Anstatt einen Teil der Versicherten aus der Gesamtheit krankenversicherter Rentnerinnen und Rentner herauszugreifen und zu „Sonderopfern“ heranzuziehen, sollte die gesetzliche Krankenversicherung einheitlicher und solidarischer finanziert werden. Ein erster, wichtiger Schritt hierzu wäre die Umsetzung der im Koalitionsvertrag bereits angekündigten Wiederherstellung der Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Stellungnahmne: Doppelverbeitragung [154 KB]
¹ Vgl. SoVD-Stellungnahme vom 20.01.2016 anlässlich der öffentlichen Anhörung durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages.