Zweites Bevölkerungsschutzgesetz
Stellungnahme des Sozialverband Deutschland (SoVD) zu der Formulierungshilfe für die Fraktionen der CDU/CSU und SPD für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite
1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs
Am 25. März 2020 hat der Deutsche Bundestag erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" gemäß § 5 Infektionsschutzgesetz festgestellt. Mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sowie dem Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), jeweils vom 27. März 2020, hat der Gesetzgeber erste Maßnahmen getroffen, um zum einen das Funktionieren des Gesundheitswesens in einem für die gesamte Bundesrepublik betreffenden seuchenrechtlichen Notfall sicherzustellen und zum anderen die mit dieser besonderen Situation verbundenen negativen finanziellen Folgewirkungen in der Gesundheitsversorgung abzumildern. Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sollen die pandemiebedingt bereits getroffenen Regelungen und Maßnahmen weiterentwickelt und ergänzt werden. Mit dem Gesetzesentwurf sind unter anderem folgende Regelungen vorgesehen:
- Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) wird weiterentwickelt und präzisiert. Unter anderem wird dauerhaft eine gesetzliche Meldepflicht in Bezug zu COVID-19 und SARS-CoV-2 verankert, dies betrifft auch neu eingeführte Meldepflichten zur Genesung und bei negativen Labortests.
- Testungen in Bezug zu COVID-19 sollen symptomunabhängig Bestandteil des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden, auch durch den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) vorgenommene Testungen können bei Versicherten über die GKV abgerechnet werden.
- Für den Krankenhausbereich werden über die im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz vorgesehenen Regelungen hinaus weitere Maßnahmen zur Entlastung ergriffen, wie etwa die Verschiebung der Einführung des Prüfquotensystems um ein Jahr auf das Jahr 2022.
- Der Bund übernimmt die Kosten für europäische Intensivpatienten, die in deutschen Krankenhäusern wegen mangelnder Kapazität im Heimatland behandelt werden.
- Es werden jeweils befristet Hilfsmaßnahmen für nach Landesrecht anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag (§ 45a des Elften Buches Sozialgesetzbuch - SGB XI) und Vereinfachungen für die Inanspruchnahme des Entlastungsbetrages (§ 45b SGB XI) vorgesehen.
- Es wird die Kostenaufteilung bei der Erstattung pandemiebedingter Mehrausgaben und Mindereinnahmen von Hospizen geregelt.
Das Gesetz tritt überwiegend am Tag nach der Verkündigung, teilweise auch rückwirkend in Kraft.
2 SoVD-Gesamtbewertung
Angesichts der absolut außergewöhnlichen Umstände hält der SoVD die mit dem Entwurf vorgesehenen Regelungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie und zur weiteren Abmilderung der mit der Corona-Pandemie verbundenen Folgen weitestgehend für nachvollziehbar. Die anhaltende Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 begründet die Notwendigkeit weitreichender Maßnahmen, um den mit der durch das Virus ausgelösten Pandemie verbundenen Folgen zu begegnen und diese abzumildern. Es muss aber insgesamt gewährleistet werden, dass Maßnahmen regelmäßig daraufhin geprüft werden, ob sie anhand der aktuellen Situation der Corona-Pandemie auch weiterhin notwendig, verhältnismäßig und angemessen sind. Zu ausgewählten Punkten nimmt der SoVD im einzelnen Stellung:
2.1 Finanzierung von symptomunabhängigen Testungen aus öffentlichen Mitteln
Zu Artikel 4 Nummer 4 b zu § 20i Absatz 3 Satz 2 und 3 SGB V
Das Bundesministerium für Gesundheit soll ermächtigt werden, nach Anhörung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen und ohne Zustimmung des Bundesrates, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die Kosten für bestimmte Testungen auf eine Infektion oder Immunität im Hinblick auf bestimmte bevölkerungs-medizinisch bedeutsame übertragbare Krankheiten von den Krankenkassen getragen werden. Dies soll auch für symptomunabhängige Testungen gelten. In diesem Fall haben die Versicherten einen Anspruch auf diese Leistungen. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie könnte dies mit geschätzt zusätzlich etwa viereinhalb Millionen PCR-Tests pro Woche zu Mehrbelastungen der GKV zwischen 1 und 1,5 Mrd. Euro je Monat führen.
Bewertung des SoVD: Symptomunabhängige, breite Testungen wie etwa auf eine Infektion durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 und der Erkrankung an COVID-19 sind unter seuchenpolitischen Gesichtspunkten nachvollziehbar.
Regelungsgegenstand der Verordnungsermächtigung in § 20i Absatz 3 Satz 2 und 3 NEU ist allerdings nicht die Testung als solche, sondern die Möglichkeit, per Rechtsverordnung des BMG die Kosten für solche Testungen allein den Krankenkassen aufzuerlegen. Während eine Kostenzuständigkeit der Krankenkassen für Testungen bei bestehenden Symptomen unter dem Aspekt der Absicherung im Krankheitsfall und der Krankheitsbekämpfung richtig ist, erfolgen symptomunabhängige Testungen hingegen aus seuchenpolitischen Gründen. Die Seuchenbekämpfung und damit auch die Verlangsamung der Ausbreitung des Corona-Virus, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Folglich sind Kosten für symptomunabhängige Testungen zwingend aus Steuermitteln zu leisten. Warum also allein die Krankenkassen – und damit letztlich allein die Beitragszahlenden – die Kosten für symptomunabhängige Testungen übernehmen sollen, ist nicht nachvollziehbar. Artikel 4 Nummer 4 b des Entwurfs zu § 20i Absatz 3 Satz 2 und 3 SGB V NEU gilt es daher zu streichen.
2.2 Finanzielle Entlastung von Hospizen wird begrüßt
Zu Artikel 5 Nummer 1 zu § 150 SGB XI
Hospize, die als nach § 72 SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtungen für Patient*innen mit unheilbaren Krankheiten in der letzten Lebensphase eine palliativpflegerische Versorgung und Betreuung sicherstellen, können coronavirusbedingte Erstattungen von außerordentlichen Aufwendungen und Einnahmeausfällen fortan geltend machen. Auf Basis der Finanzstatistik der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich in etwa ein Verhältnis von 80:20 zwischen Kranken- und Pflegeversicherung. Entsprechend wird eine Beteiligung der Krankenkassen an den Erstattungen in diesem Umfang vorgesehen.
Bewertung des SoVD: Die finanzielle Entlastung von Hospizen bei coronavirusbedingten außerordentlichen Aufwendungen und Einnahmeausfällen wird ausdrücklich begrüßt. Damit werden die mit der Pandemie verbundenen wirtschaftlichen Folgen auch für Hospize abgemildert. Die pandemiebedingte Entlastung dieser Einrichtungen fehlte bislang.
2.3 Flexibler Einsatz des Entlastungsbetrages ist richtig
Zu Artikel 5 Nummer 2 zu § 150 Absatz 5b SGB XI
Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 sollen bis zum 30. September 2020 den Entlastungsbetrag abweichend von § 45b Absatz 1 Satz 3 SGB XI auch für andere Hilfen im Wege der Kostenerstattung einsetzen können, wenn dies zur Überwindung von durch das Coronavirus-CoV-2 verursachten Versorgungsengpässen erforderlich ist. Dies kann von professionellen Angeboten bis zur Inanspruchnahme nachbarschaftlicher Hilfe reichen. An den Nachweis gegenüber der Pflegekasse zur Erstattung der Kosten sollen die Pflegekassen im Interesse einer zügigen und unbürokratischen Abwicklung keine überhöhten Anforderungen stellen.
Bewertung des SoVD: Der SoVD begrüßt diese Flexibilisierung ausdrücklich. Seit Januar 2017 haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 1 bis 5 bei ambulanter Pflege einen Anspruch auf Entlastungsleistungen in Höhe von 125 Euro monatlich, wenn sie zu Hause gepflegt werden. Dabei kann der Entlastungsbetrag etwa genutzt werden für Angebote zur Unterstützung im Alltag bei Anbietern, die nach Landesrecht zugelassen sind, oder für die Tages- und Nachtpflege. Allerdings war es bereits vor der Corona-Pandemie vielerorts nicht möglich, mangels ausreichender Angebote den Entlastungsbetrag zu nutzen. Verstärkt wird dies infolge der Corona-Pandemie durch eine Ausdünnung der Versorgung durch Anbieter infolge von Erkrankung und Quarantäne. Deshalb ist die flexible Inanspruchnahme von professionellen Angeboten bis zur Inanspruchnahme nachbarschaftlicher Hilfe sowie eine zügige und unbürokratische Abwicklung nicht allein nur in dieser Ausnahmesituation sinnvoll.
Die Regelung soll auf Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 keine Anwendung finden, weil für diesen Personenkreis bereits durch § 150 Absatz 5 SGB XI eine Sonderregelung zur Kostenerstattung geschaffen worden ist. Der bereits mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz eingeführte § 150 Absatz 5 SGB XI räumt den Pflegekassen einen weiten Gestaltungsspielraum zur Vermeidung von pflegerischen Versorgungslücken in der häuslichen Versorgung ein. Danach ist eine Kostenerstattung in Höhe der ambulanten Sachleistungsbeträge möglich. Erforderlich dafür ist jedoch eine vorherige Antragstellung. Zudem besteht die Vorgabe, vorrangig Leistungserbringer zu berücksichtigen, die von Pflegefachkräften geleitet werden. Der für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 vorgesehene § 150 Absatz 5b SGB XI NEU sieht stattdessen für den Entlastungsbetrag bis zum 30. September 2020 einen unbürokratischen und flexiblen Einsatz zur Überwindung von durch das Coronavirus-CoV-2 vor. Dies sollte auch für die höheren Pflegegrade gelten und klargestellt werden. Der SoVD spricht sich dafür aus, dass die Regelung des § 150 Absatz 5b SGB XI NEU zum befristet flexiblen Einsatz des Entlastungsbetrages aus Klarstellungsgründen für alle Pflegebedürftige der Pflegegrade 1 bis 5 Anwendung findet.
In diesem Zusammenhang fordert der SoVD auch die ausnahmebedingt befristete flexible Nutzbarkeit des Tagespflegebudgets zur Entlastung der pflegenden Angehörigen. Das Budget für die Tagespflege darf bislang nicht für Ersatzleistungen eingesetzt bzw. umgewidmet werden. Angesichts der coronavirusbedingten Schließung von Tagespflegeeinrichtungen, muss die Versorgung ambulant aufgefangen werden. Vielfach sind Angehörige plötzlich gezwungen, die Pflege selbst zu übernehmen und erleiden dadurch Gehaltseinbußen oder gar arbeitsrechtliche Konsequenzen. Zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sollte daher ausnahmebedingt die befristete flexible Nutzbarkeit des Tagespflegebudgets ermöglicht werden. In die Hilfs- und Rettungsmaßnahmen der Regierung müssen pflegende Angehörige miteinbezogen werden.
2.4 Zeitraum zur Übertragung des Entlastungsbetrages verlängern
Zu Artikel 5 Nummer 2 zu § 150 Absatz 5c SGB XI
Wird der zustehende Entlastungsbetrag in einem Kalenderjahr nicht ausgeschöpft, kann der nicht verbrauchte Betrag nach § 45b Absatz 1 Satz 5 SGB XI in das folgende Kalenderhalbjahr übertragen werden. In § 150 Absatz 5c SGB XI NEU ist eine Verlängerung des Zeitraums vorgesehen. Danach können die aus dem Jahr 2019 übertragenen Leistungsbeträge in den Zeitraum bis zum 30. September 2020 übertragen werden.
Bewertung des SoVD: Die pandemiebedingte Verlängerung des Übertragungszeitraums ist sinnvoll und wird ausdrücklich begrüßt. Auch wenn sich die Verlängerung zeitlich an der für die Frist für die coronabedingten Ausnahmeregelungen orientiert, regt der SoVD bereits zu diesem Zeitpunkt die Verlängerung des Zeitraums bis Ende 2020 als eine dreimonatige Übergangsfrist nach Beendigung der Ausnahmeregelungen an.
3 Fazit
Angesichts der anhaltenden Umstände sind die mit dem Entwurf vorgesehenen Regelungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie und zur weiteren Abmilderung der damit verbundenen Folgen weitestgehend nachvollziehbar. Kritisch sieht der SoVD die Verordnungsermächtigung zur Kostenauferlegung symptomunabhängiger Testungen auf eine Infektion oder Immunität im Hinblick auf bestimmte bevölkerungs-medizinisch bedeutsame übertragbare Krankheiten.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
SoVD-Stellungnahmne: Zweites Bevölkerungsschutzgesetz. [152 KB]