SoVD-Podcast: Gesundheit in Hamburg
Wie können von Armut betroffene Menschen in der Hansestadt medizinisch besser versorgt werden?
Gesundheit in Hamburg: Fragen und Inhalte
01:20 Armut macht krank! Stimmt das so?
05:14 Integrierte Stadtteilentwicklung und Gesundheitszentren für alle
08:19 Fachärzt:innen: Darum sind sie in Hamburg ungleich verteilt
12:24 Profit und Wettbewerb im Gesundheitssystem: Widerspruch oder Muss?
15:26 Gesetzliche vs. private Krankenversicherung: Macht das heute noch Sinn?
20:33 Krankenkassenbeiträge: Müssen Versicherte demnächst mehr zahlen?
23:01 Gesundheitszentren, Krankenhäuser der Regel- und der Spezialversorgung: Brauchen wir eine Strukturreform?
26:13 Fallpauschalen in Krankenhäusern: Systemfehler und falscher Anreiz?
Wir brauchen in Hamburg einen niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle und zusätzliche Aufklärung über Gesundheitsvorsorge.
“Zu Gast ist Dr. Susanne Klein, die neue Landesgeschäftsführerin der Hamburger BARMER. Wir diskutieren wichtige Aspekte der Gesundheitsversorgung in unserer Stadt und darüber hinaus: Was muss getan werden, um eine gerechte medizinische Versorgung voranzutreiben – und auch die Menschen in Stadtteilen mit niedrigem sozioökonomischem Status besser zu erreichen? Wie sieht das Gesundheitssystem von morgen aus? Und welche Weichen müssen gestellt werden, um dem durch Corona weiter verschärften Pflegenotstand zu begegnen?
Gesundheit in Hamburg: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
SK: Dr. Susanne Klein
SR: „Sozial? Geht immer!“ – der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Herzlich willkommen zu unserem SoVD-Podcast. Mein Name ist Susanne Rahlf.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD in Hamburg.
SR: Heute ist zu Gast bei uns Dr. Susanne Klein, die Landesgeschäftsführerin der BARMER in Hamburg. Frau Dr. Klein ist seit dem letzten Jahr die neue Geschäftsführerin der BARMER hier in Hamburg und vertritt 178.000 Mitglieder. In gleicher Funktion war Sie in Bremen tätig, bei einer anderen großen Krankenkasse. Herzlich willkommen.
SK: Danke. Ich freue mich, dass ich hier bin.
01:20 Armut macht krank! Stimmt das so?
SR: Wir sprechen heute über Armut und Gesundheit. Wie bedingen die sich? Wie ist das Verhältnis miteinander? Wir als Sozialverband SoVD beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Thema. Statistiker sagen uns: Armut macht krank. Wer arm ist, ist öfter krank, hat eine niedrigere Lebenserwartung. Können Sie das so bestätigen?
SK: Leider können wir das genauso bestätigen. Es gibt Studien, die genau das belegen. Ein niedriges Einkommen, ein niedriger Bildungsstand führt dazu, dass ich auch kränker bin, dass ich weniger gesund bin. Es gibt Studien auch hier in Hamburg, die zeigen, dass ich, wenn ich in einem sozial schwachen Stadtteil geboren bin und dort wohne, eine bis zu zehn Jahre geringere Lebenserwartung habe.
KW: Das Thema treibt uns seit langem um, Frau Dr. Klein. Wir wissen, die Menschen, die arm sind, sind im Durchschnitt kränker als andere, gehen weniger zum Arzt und der Bildungsstand spielt dabei auch eine Rolle. Sie sterben im Schnitt zehn Jahre früher. Wir haben das in der Pandemie gesehen. Wir haben zwei schwierige Stadtteile, Harburg und Hamburg Mitte, und haben da gesehen, dass die Ansteckung zunächst dort viel höher war.Das hängt wahrscheinlich damit zusammen. Ist das bei Ihnen auch so aufgetreten?
SK: Wir haben viele Untersuchungen gemacht und können natürlich genau zeigen, dass da ein großer Zusammenhang besteht. Die Gesundheitskompetenz ist nicht ausreichend gegeben, die Menschen sind nicht so gut informiert, je geringer die Bildung ist. Sie erkennen auch die Gefahren gar nicht. Dann führt das dazu, wenn ich jetzt auf Corona gucke, dass wir dort eine ganz hohe Infektionslage haben.
KW: Wir beobachten das auch mit großer Sorge. Natürlich kann Armut schnell abgelöst werden, wenn den Menschen sozusagen die Möglichkeit gegeben wird, nicht mehr arm zu sein. Und darum geht es auch in unserer Politik. Das Thema, was uns aber auch umtreibt, ist, dass viele Menschen Angst haben, zum Arzt oder in die Apotheke zu gehen, weil das Geld kostet und sie sich das nicht leisten können. Deswegen weichen sie aus und sagen, das geht vielleicht nochmal gut! Ist das eine Beobachtung, die Sie auch machen?
SK: Was wir sagen können, ist, dass in sozial schwachen Stadtteilen eine ganz große Hemmschwelle da ist, zum Arzt zu gehen oder auch überhaupt in eine gesundheitliche Einrichtung zu gehen. Dort muss mit entsprechenden Angeboten reagiert werden. Das heißt, was wir brauchen, ist ein niederschwelliger Zugang zur Gesundheitsversorgung mit ganz viel Aufklärung, auch über das Angebot.
Das Schöne in Deutschland ist, dass wir ein Sozialversicherungssystem haben und das es nichts kostet, sondern dass wir im Rahmen des Solidarprinzips eine Umverteilung haben von den Reichen zu den Armen, von den Gesunden zu den Kranken. Dass natürlich Gesundheit und die Gesundheitsleistungen von der Krankenkasse getragen werden und von daher gar keine Kosten entstehen.
Selbst bei Zuzahlungen kann ein Antrag gestellt werden, sodass auch Zuzahlungen dort nicht geleistet werden müssen. Da fehlt die Aufklärung.
05:14 Integrierte Stadtteilentwicklung und Gesundheitszentren für alle
SR: Stichwort Aufklärung. Wir vom SoVD Hamburg fordern von der Stadt die Einrichtung von Quartierszentren, die in den einzelnen Stadtteilen sitzen und zu Anlaufstellen werden für die unterschiedlichsten Angebote. Unter anderem natürlich auch für die gesundheitliche Aufklärung, Information und möglicherweise auch weitere Angebote. Würden Sie da als Krankenkasse sich engagieren wollen?
SK: Da würden wir uns definitiv engagieren. Das tun wir auch bereits. Die Behörde oder die jetzige Koalition hat es sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, sogenannte integrierte Stadtteil-Gesundheitszentren zu gründen. Die ersten sind gegründet in verschiedenen Stadtteilen, wie in Mümmelmannsberg oder auf der Veddel. Die Idee der Behörde bei diesen Gesundheitszentren ist, dass dort auf jeden Fall ein Hausarzt und ein Kinderarzt drin sind, dass es eine Sozialberatung gibt, dass es niederschwelligen Zugang zu all den Einrichtungen dort in der Region gibt und dass letztendlich Gesundheitsversorgung dort vernetzt stattfindet.
Die Behörde geht dort als Träger rein. Als Krankenkassen und natürlich auch als BARMER sind wir dafür, dort dann entsprechend die Gesundheitsleistungen, die in Anspruch genommen werden, zu bezahlen. Das ist gar keine Frage. Da sind wir auch regelmäßig mit der Behörde im Austausch.
SR: Gibt es denn da auch Information? Wenn jetzt zum Beispiel die Frage aufkommen, wie man sich gut ernährt oder wie man gut für seine Gesundheit sorgen kann?
SK: Das ist angedacht, dass es genau solche Angebote gibt. Das ist gerade das Thema, dass genau diese Informationen fehlen. Ernährung, Bewegung, alles was zum Thema Gesundheit dazugehört. Der Punkt ist der niederschwellige Zugang. Das heißt, wie erreichen wir wirklich diejenigen, die auch den Bedarf haben?
Die wissen es selber nicht, die kommen nicht alleine in die Einrichtung. Das heißt, es muss eher eine aufsuchende Tätigkeit sein, dass jemand hingeht bzw. Informationen dort anbietet, wo die Menschen sind. Sei es in den Kitas, bei Ärzte, bei Beratungsstellen oder dass jemand auf die Straße geht und Flyer verteilt.
KW: Das sind unsere Anforderungen, auch an den Hamburger Senat, dass hier die Angebote der Stadt, so bekannt gemacht werden, dass die Menschen ohne Ängste, ohne Probleme darauf zugehen. Aber der eigentliche Weg aus dieser schwierigen Lage für arme Menschen ist, aus Armut rauszukommen.
Wenn ich aus Armut rauskomme, eine bessere Bildung habe oder am besten beides, dann tritt dieses Problem nicht mehr auf.
08:19 Fachärzt:innen: Darum sind sie in Hamburg ungleich verteilt
Wir stellen fest, dass in den Stadtteilen die Ärzteversorgung sehr unterschiedlich ist. Kann die BARMER, können die Krankenkassen hier etwas dazu beitragen, dass bspw. im Süden von Hamburg, in Finkenwerder, fachärztliches Personal angesiedelt werden kann?
SK: Da sind wir sehr engagiert, gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Im Zulassungs-Ausschuss legen wir fest, wie die Arztsitze letztendlich besetzt werden. Das ist also etwas Gemeinsames. Das machen wir nicht als Krankenkasse alleine, sondern das machen wir gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen. Hamburg ist ein sogenannter Planungs-Bezirk, also, das heißt Hamburg ist nicht unterteilt in verschiedene kleine Stadtteile.
Für den Planungs-Bezirk wird geplant, wie viel Ärzte es gibt, wie viel Therapeuten es gibt. Und im Übrigen gibt es in Hamburg ungefähr 4200 Ärzte. Hamburg hat bundesweit gesehen die zweithöchste Ärztedichte. Wir können in Hamburg natürlich nicht von Unterversorgung reden oder von einer schlechten Versorgung.
Wir haben in Hamburg eine ungleiche Verteilung. Da sind wir natürlich immer mit der KV im Gespräch. Wir haben sogenannte Sondervereinbarungen getroffen, dass zum Beispiel Hausärzte im Radius von drei Kilometern erreichbar sein müssen oder Kinderärzte im Radius von vier Kilometern. Und da reden wir dann schon über Kleinteiligkeit.
Wenn wir jetzt kleinteilige Bezirke machen würden, weiß ich nicht, ob wir dann noch so kleinteilig wären. Da müssen wir uns immer fragen, ob die Diskussion so Sinn macht. Der zweite Punkt ist, dass wir zum Beispiel in Harburg Arztsitze haben, die nicht nachbesetzt werden. Das heißt, wir haben ein zweites Problem und das geht so in Richtung Ärzte, demografischer Wandel und „Wie stelle ich mir eigentlich zukünftig mein Berufsleben vor?“ oder „Wie stellen junge Menschen sich ihr Berufsleben vor?“ Vielleicht nicht mehr in einer Praxis in Mümmelmannsberg, sondern mit ganz normalen Arbeitszeiten, mit freien Wochenenden, mit Zeit für die Familie. Deswegen ist der Gedanke der KV, selber zulassen und selber Arztesitze anbieten zu können, grade für jungen Ärzte.
Das geht im Moment rechtlich nicht und das wird wohl auch noch ein bisschen Zeit brauchen. Aber das könnte natürlich wieder Veränderung bringen.
KW: Was es gibt, ist das Aufkaufen von Arztsitzen und zwar von privaten Investoren. Das sehen wir mit großer Sorge, weil denen geht es, ich sage mal, weniger um Gesundheitsversorgung, sondern mehr darum, Geld zu verdienen. Das soll nicht ausgeschlossen sein, aber da wären die Ärzte angestellt. Aber das ist kein System, das jedenfalls wir bevorzugen. Ich weiß jetzt nicht, wie die Haltung der BARMER zu dem Thema ist.
SK: Also grundsätzlich ist erst mal gegen private Trägerschaft von solchen medizinischen Versorgungszentren (MVZ) nichts einzuwenden, wo etwas gegen einzuwenden ist oder wo wir sehr kritisch hingucken müssen, wenn es um die sogenannte Ökonomisierung der Medizin geht und wenn medizinische Leistungen erbracht werden, um Geld zu verdienen und nicht geguckt wird, was ist tatsächlich der Bedarf von Patienten?Das geht nicht und das lehnen wir als BARMER auch ganz klar ab.
KW: Und welche Chancen haben wir denn, so was zu verhindern? Ich meine, da müsste es zu einer Gesetzesänderung kommen.
SK: Genau da brauchen wir eine Gesetzesänderung, dass die KV zum Beispiel selber MVZ gründet.
12:24 Profit und Wettbewerb im Gesundheitssystem: Widerspruch oder Muss?
KW: Es geht auch darum, zu verhindern, dass das als Geldanlage benutzt wird. Wenn damit so Geld verdient wird, also wenn diese Zusatzleistungen dort, offensiv verkauft werden, dann hat das eigentlich mit einer guten ärztlichen Versorgung nicht so sehr viel zu tun.
SK: Da setzt der Ansatz an,wenn die KV selber Träger von MVZ ist, dann natürlich zu verhindern, dass es private Aufkäufe gibt.
KW: Sie haben die Frage „Soll das Gesundheitssystem privat oder soll es staatlich sein?“ Unsere Auffassung ist: Das ist weitgehend alles privatisiert. Es muss aber einen staatlichen Sektor geben, sozusagen als neutrale Instanz.
Also so ein Sektor staatlicher Gesundheitsvorsorge neben dem privaten Bereich, der sozusagen überwiegend die Gesundheitsvorsorge in Hamburg macht, wie ist da die Sichtweise der BARMER?
SK: Ich würde nicht sagen, dass wir ein überwiegend privates Gesundheitssystem haben. Wir haben ein Sozialversicherungssystem und.
KW: Wenn ich das sagen darf, die Anbieter sind privat. Also wenn ich hier Krankenhäuser sehe, Asklepios, Helios usw. Das sind alles private Konzerne. Auch die Arztpraxen sind eigentlich in der Regel privat organisiert.
SK: Wenn ich einmal auf die Krankenhäuser gucke, haben wir natürlich private Träger, aber wir haben auch gemeinnützige, freie und staatliche Träger da drin. Also von daher ist das eigentlich eher eine Dreiteilung. Im niedergelassenen Bereich ist das ganz interessant, weil der Arzt im Prinzip freiberuflich tätig als Selbstständiger ist. Das ist natürlich so eine Art Scheinselbständigkeit, weil die Ärzte eingebunden sind als Vertragsärzte und über das GKV-System finanziert werden.
Und das ist das System, für das sich Deutschland entschieden hat, dieses Sozialversicherungssystem mit den Beiträgen. Kein staatliches System, was dann am Ende auch steuerfinanziert wäre. Da würde ich sagen, als BARMER das ist uns schon wichtig, in diesem Sozialversicherungssystem zu bleiben, ein Stück weit auch den Wettbewerb zu haben. Wir haben den Wettbewerb der Ärzte untereinander, wir haben die freie Arztwahl, wir können zu dem Arzt unserer Wahl gehen, wir können in das Krankenhaus unserer Wahl gehen und wir können die Krankenkasse frei wählen. Das sind hohe Güter, die wir haben, finde ich.
15:26 Gesetzliche vs. private Krankenversicherung: Macht das heute noch Sinn?
KW: Da sind wir ganz bei ihnen. Wir denken, es gibt da eine Spaltung in der Krankenversicherung. Ungefähr 10 Prozent sind privat und 90 Prozent sind gesetzlich krankenversichert. Da haben wir immer das Gefühl als gesetzlich Versicherter, dass wir in so einer Art Holzklasse sitzen. Teilen Sie das?
SK: Nein, das teile ich natürlich überhaupt nicht. Sie sitzen ziemlich gut. Das ist keine Holzklasse. Aber was Sie ansprechen, ist natürlich das zwei gegliederte Krankenversicherungssystem, was wir in Deutschland haben. Und das können wir natürlich hinterfragen. Wir sind in Europa nach meinem Kenntnisstand das einzige Land, was sich noch dieses zwei gegliederte Krankenversicherungssystem leistet. Andere Länder haben das nicht mehr. Die haben dann im privaten Bereich noch Zusatz-Leistungen und im gesetzlichen Bereich die Grundleistungen.
Das ist ein System, was für Deutschland auch schon vor vielen Jahren diskutiert worden ist. Bis heute haben wir uns dagegen entschieden. Natürlich gibt es die Punkte, dass ich als privatversicherte Person schneller einen Arztermin bekomme, dass ich mehr Leistungen bekomme, dass ich innovative Leistungen bekomme. Und so weiter und so fort.
Die Frage ist, ob das eine bessere Versorgung ist, denn in dem GKV-System bekomme ich das an medizinischen Innovationen, was tatsächlich auch den Beweis der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit erbracht hat. Das heißt als Privatversicherte, bin ich so ein bisschen wie ein Versuchskaninchen. Da wird dann mal so das an innovativen Leistungen über mich gegossen.
Das darf dann auch mal ein bisschen mehr sein. Das ist beim GKV-Versicherten nicht der Fall. Also von daher ist das auch eine Sicherheit, die ich im GKV-System habe.
KW: Gut, das kann so gesehen werden. Wir haben da andere Erfahrung durch Befragung von Menschen gemacht, die so oder so versichert sind. Es wird als ein Nachteil gesehen, gesetzlich versichert zu sein. Das ist eigentlich nicht gut, denn eigentlich soll die gesetzliche Versicherung, da sind auch die meisten drin, eine hohe Würdigung erfahren.
SK: Kern sind die medizinischen Leistungen und die sind im GKV-System wirklich, wirklich gut. Sonst hätte das System auch nicht so lange bestanden. Letztendlich führen wir immer wieder die Diskussion der Zusammenführung von GKV und PKV.
Das wird uns begleiten, auch noch in den nächsten Jahren, wie lange wir uns diesen Unterschied noch leisten können. Sie müssen natürlich bedenken, dass Sie in der PKV diese Serviceleistungen auch bezahlen. Nicht offensichtlich, wenn Sie im Krankenhaus sind, hier ein Euro für die Zeitung oder so, aber natürlich durch Ihre Beiträge. Wir lesen auch immer wieder in den Zeitungen über die steigenden Beiträge der PKV, die von Rentnern nicht mehr bezahlt werden können.
Wollen Sie das? Oder als junge Familie, wo Sie in der gesetzlichen Krankenversicherung Ihre Familienangehörigen beitragsfrei mitversichern können? Das gibt es in der privaten Krankenversicherung nicht. Da frage ich mich wirklich: „Ist die GKV Holzklasse?“
KW: Nein, das war natürlich jetzt, um das sozusagen auf die Spitze ein bisschen zu treiben, auch für unsere Zuhörer noch mal deutlich zu machen, dass es da Unterschiede gibt. Bei der Finanzierung haben wir auch ein Problem in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es wird jetzt sehr deutlich, dass im Moment das System ein bisschen unterfinanziert ist und die Krankenkassen überlegen, die Beiträge zu erhöhen.
20:33 Krankenkassenbeiträge: Müssen Versicherte demnächst mehr zahlen?
Was kommt da auf die Versicherten zu?
SK: Das ist eine gute Frage, und das hängt jetzt davon ab, wie das Gesetz aussehen wird. Was da in dem Team von Herrn Prof. Dr. Lauterbach im Werden begriffen ist. Letztendlich hat er schon mal angedeutet, dass er sich vier Quellen vorstellen kann. Das eine ist die Erhöhung des einheitlichen Beitragssatzes, der aktuell 14,6 % ist.
Das andere so zu sagen das Abschöpfen der finanziellen Rücklagen der gesetzlichen Krankenkasse. Das dritte ist, dass die Krankenkassen dann selber ihre Zusatzbeiträge erhöhen müssen und der vierte Punkt ist, dass es einen höheren Steuerzuschuss geben wird. Und ich vermute mal, dass das irgendwie so in dieser Ausführung auch kommen wird.
Ob sich am Leistungsspektrum etwas ändert, das werden wir sehen. Die Finanzprobleme sind definitiv da. Die werden natürlich in der GKV sehr breit und öffentlich diskutiert. Wir haben natürlich auch Finanzprobleme im PKV System.
KW: Der Zusatzbeitrag wird von den einzelnen Krankenkassen erhoben. Das ist auch sehr individuell verschieden. Das hängt auch ein bisschen davon ab, wie viel Menschen habe ich, die nun besonders teuer versorgt werden müssen, weil sie sehr krank sind? Wie sieht denn das bei der BARMER aus? Was können wir denn da erwarten?
SK: Das können wir heute noch überhaupt nicht abschätzen. Das entscheidet sich erst zum Ende des Jahres und wird dann vom Verwaltungsrat entschieden. Da ist einfach abzuwarten, wie sich die Finanzsituation auch jetzt in der zweiten Hälfte des Jahres zeigt, was vonseiten des Gesetzgebers kommt und dann natürlich, wie die finanzielle Lage der einzelnen Kassen ist.
KW: Ich komme noch mal auf ein anderes Thema zu sprechen – die Versorgung durch Pflegekräfte im Krankenhaus, aber auch in den Pflegeheimen. Das war ein großes Problem. Jetzt auch während der Corona-Krise, aber auch vorher schon. Wir haben immer zu wenig Menschen da. Die Finanzierung scheint kein Problem zu sein. Vielleicht können Sie darauf noch mal eingehen.
23:01 Gesundheitszentren, Krankenhäuser der Regel- und der Spezialversorgung: Brauchen wir eine Strukturreform?
SK: Wenn ich jetzt auf Krankenhäuser gucke, dann glaube ich tatsächlich, dass wir eine Strukturreform brauchen. Wir brauchen einen ganz neuen, einen ganz anderen Ansatz in der Versorgung, der auch schon lange diskutiert wird. Sektorenübergreifende Versorgung ist das eine Stichwort. Ambulantisierung ist das zweite Stichwort. Es ist jetzt gerade ein Gutachten rausgekommen, das noch mal zeigt, was wir eigentlich aus dem stationären Bereich herausnehmen können und ambulant versorgen, ambulant operieren können.
Wir wissen im internationalen Vergleich, dass wir in Deutschland erstens zu viel operieren und zweitens viel zu viel Zeit im Krankenhaus verbringen. Also die Nachbarländer machen es uns vor, die machen schon viel, viel mehr ambulant. Wenn wir den Mut zu so einer Strukturreform haben, die zum Beispiel so aussehen könnte, dass wir regionale Gesundheitszentren haben, die eine Grundversorgung anbieten, dass wir dann Krankenhäuser der Regelversorgung haben und dass wir dann als dritte Stufe Krankenhäuser der Spezialversorgung haben.
KW: Das kann aber ganz weit weg von meinem Wohnort sein.
SK: Da komme ich gleich noch mal drauf zu sprechen, einmal noch zu den Pflegekräften, dann wird sich auch die Frage „Wie viel Pflegekräfte brauche ich denn eigentlich?“ klären. Es wird sich einfach neu verteilen. Wir können uns die aktuelle Struktur, die wir haben, aufgrund der finanziellen Auswirkungen und aufgrund auch der personellen Ressourcen, die wir haben, so nicht mehr leisten.
Natürlich brauchen wir eine wohnortnahe Versorgung. Das könnten solche Gesundheitszentren sein, wo ich einfach die Grundversorgung habe, wo ich eine internistische Betreuung habe, wo ich eine fachärztliche Versorgung habe, Kinderärzte, Gynäkologen und so weiter. Und wo ich mit meinen mehr oder weniger alltäglichen Erkrankungen hingehe, gut versorgt bin und wo ich gegebenenfalls auch einfach mal ein oder zwei Nächte bleiben kann, wenn der Bedarf da ist.
Die zweite Stufe wäre dann die Regelversorgung, wo ich hingehe, wenn ich einen Herzinfarkt habe, wenn ich einen Schlaganfall habe. Da geht es darum, dass ich nicht in die nächste Klinik kommen, sondern in die Klinik mit der richtigen Versorgung.
KW: Aber das könnte doch das Problem sein, gerade bei Herzinfarkt, Hirnschlag oder Schlaganfall. Da muss doch eine Versorgung sehr, sehr schnell greifen. Da kann ich doch nicht erst kilometerweit gefahren werden.
SK: Das ist der Irrglaube. Medizinisch gesehen kann heute im Rettungswagen so gut versorgt werden, dass es mehr Sinn macht, lieber zehn Minuten weiter zu fahren und in die richtige Klinik zu kommen, dort wo eine Stroke Unit ist und wo ich auch die entsprechende adäquate Versorgung habe. Wir brauchen auch nicht mehr Krankenhäuser, die alles machen, die ganz breite Palette an Versorgung haben, sondern wir brauchen hier eher eine Spezialisierung, weil Spezialisierung einfach auch ein Faktor für Qualität ist.
Jemand, der eine Operation nur einmal alle Jubeljahre macht, hat eine andere praktische Erfahrung als jemand, der das ganz regelmäßig macht.
26:13 Fallpauschalen in Krankenhäusern: Systemfehler und falscher Anreiz?
KW: Aber ein Hauptproblem ist doch die Fallpauschale. Das heißt, je mehr Fälle ich sozusagen durch mein Krankenhaus-System durchschleuse, umso größer der finanzielle Ertrag dabei. Müssten wir nicht eigentlich da ansetzen? Gibt es da Ideen im Bereich der Krankenkassen?
SK: Wir müssen neben der Struktur auch am Finanzierungssystem ansetzen. Was aktuell diskutiert wird, ist das Thema der Vorhalte-Kosten. In einer Spezialklinik habe ich auch Vorhalte-Kosten und die müssen natürlich finanziert werden. Ich denke, das ist auch jedem klar. Dass wir da noch aufsetzen, dann Fallpauschalen weiterhin haben. Aber dass wir so was wie einen Fixkosten Anteil haben, der finanziert wird und dass wir dann quasi die variablen Kosten haben, die Fälle, die dann entsprechend auch separat vergütet werden, aber so, dass Krankenhäuser eine bessere Kalkulationsgrundlage haben.
Dann komme ich natürlich noch zu dem zweiten Thema, dass wir heute ein duales Finanzierungssystem für Krankenhäuser haben. Einmal die Betriebskosten, die werden von den Krankenkassen bezahlt und die Investitionskosten, die von den Ländern bezahlt werden. Der Punkt ist, dass die Länder ihren Investitionsausgaben nicht nachkommen. Das ist im Übrigen auch in Hamburg so.
KW: Richtig, obgleich die Finanzierung durch die Stadt in den letzten Jahren besser geworden ist. Es ist nach wie vor kein Bereich, wo gerne hinguckt wird. Die Fallpauschalen sind doch eigentlich eins der großen Übel. Sie haben jetzt so ein zweigeteiltes System aufgemacht: Grundversorgung, dass das immer gewährleistet ist, dass die immer da ist und die Fallpauschalen ist dann sozusagen das, was dazukommt, wenn jemand kommt.
Unsere Auffassung: Die Fallpauschalen fördern eigentlich das System, dass an Krankenversorgung verdient wird.
SK: Die Kosten, die jetzt die Behandlung erwirkt oder die Kosten, die jetzt einfach noch da sind aufgrund der medizinischen Behandlung, die müssen natürlich finanziert werden. Das kann über Fallpauschalen erfolgen. Wir hatten früher mal Tages-Pauschalen, die haben auch ihre Fehlanreize gehabt. Ich bin durchaus bei Ihnen, dass auch jetzt das DRG-System, also dieses Fallpauschalen-System durchaus Fehlanreize setzt. Im Krankenhaus heißt jedes Bett, dass belegt ist, ist ein gutes Bett.
Alle anderen Betten brauchen wir nicht, weil die verdienen kein Geld. Aber natürlich muss auch in dem System Geld verdient werden, aber nicht auf Kosten der Patienten. Medizinische Leistungen werden erbracht, die nicht notwendig sind, oder dass Operationen erbracht werden, die nicht notwendig sind. Das möchte kein Mensch ehrlich gesagt.
KW: Nein, aber das haben Sie gerade kritisiert. Bei orthopädischen Leistungen gibt es eine Karte, in der wir gucken können, in welcher Stadt und in welcher Region ganz besonders viele Knieoperation, Hüftoperation und Ähnliches gemacht werden. Und deswegen sind wir der Auffassung, dass wir hier unbedingt ranmüssen, um zu einem vernünftigeren System zu kommen.
SK: Die Diskussion ist aufgemacht, einmal um die Strukturreform und um die Finanzierung. Und das Problem, was wir da auch haben, sind natürlich die Interessen der Akteure. Jeder versucht natürlich da seine Schäfchen ins Trockene zu bringen und was zu kurz kommt, ist das Interesse von Patienten. In unserem heutigen System müssten wir hart daran arbeiten, Patienten wieder in den Mittelpunkt zu stellen und darum geht es.
SR: Wichtig ist uns auf jeden Fall, dass Menschen, die wenig haben, die beste Versorgung bekommen, die bei uns hier möglich ist. Spannend finde ich auch die Diskussion um das Thema private und gesetzliche Krankenversicherung an sich. Möglicherweise wird sich da irgendwann mal was dabei tun. Frau Dr. Klein, vielen Dank, dass Sie da waren. Es war sehr interessant und sehr spannend und ich glaube, es gibt viele Denkanstöße, die wir jetzt heute mitgenommen haben und über die wir durchaus weiter nachdenken.
KW: Vielen Dank, Frau Dr. Klein auch noch mal aus meiner Sicht.
SK: Dankeschön. Ich danke Ihnen auch.