Soziales Entschädigungsrecht
Stellungnahme des SoVD zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts
Inhalt
A) Zusammenfassende Bewertung
B) Besitzstandsschutzregelungen für Kriegsopfer mit Ansprüchen nach Bundesversorgungsgesetz (BVG)
1) Fehlender Bestandsschutz für Hinterbliebene
2) Umfang der Leistungen nach Besitzstandsregelungen
3) Ausschluss des Bestandsschutzes bei Neufeststellungen
4) Wahlrecht § 145
C) Besitzstandsregelungen für andere Leistungsberechtigte, insbesondere für Gewaltopfer nach OEG
D) Das neue Soziale Entschädigungsrecht nach Art 1, Kap. 1- 22
1) Allgemeine Vorschriften
2) Leistungen der sozialen Entschädigung
3) Leistungsgrundsätze
4) Schnelle Hilfen
5) Krankenbehandlung der sozialen Entschädigung
6) Leistungen zur Teilhabe
7) Leistungen bei Pflegebedürftigkeit
8) Leistungen bei Blindheit
9) Entschädigungszahlungen
10) Einkommensverlustausgleich, § 89 ff
11) Besondere Leistungen im Einzelfall
12) Überführung und Bestattung
E) Abschließende Bemerkungen
A) Zusammenfassende Bewertung
- Es ist erklärte Absicht des Gesetzgebers, mit einem neuen SGB XIV das soziale Entschädigungsrecht grundlegend neu zu gestalten, Leistungen zielgerichteter und schneller zur Verfügung zu stellen sowie neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen, z.B. in Bezug auf Opfer von Terrortaten oder Opfer psychischer Gewalt, Rechnung zu tragen.
- Eine Zusammenführung der bisherigen Einzelgesetze in einem neuen SGB XIV kann das Soziale Entschädigungsrecht stärken und ist daher zu unterstützen. Auch dort muss die Idee des Sonderopfers anspruchsprägend bleiben. Für erlittene Schädigungen müssen Opfer – wie bislang nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) – einen umfassenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Ausgleich erhalten. Dies sichern die neuen Regelungen des SGB XIV bislang nicht.
- Zentral für den SoVD ist, dass die – oft hochbetagten – Kriegsopfer und ihre Angehörigen in keinem Fall schlechter gestellt werden als bisher. Jegliche (Rechts-)Unsicherheiten zu ihren Lasten sind zu vermeiden. Ansprüche nach BVG müssen uneingeschränkt sichergestellt bleiben. Die vorgesehenen Besitzstandsregelungen treffen auf erhebliche Kritik des SoVD. Sie enthalten problematische Ausnahmen und sichern neue Leistungssachverhalte nicht ausreichend ab. Hinterbliebene werden in ganz erheblichem Umfang schlechter gestellt.
- An die Stelle bisheriger bedarfsorientiert-differenzierter Versorgungsleistungen (Grund-/Ausgleichsrente, Schwerstbeschädigtenzulage, Ehegatten-/Kinderzuschlag u. a.) treten künftig monatliche Entschädigungszahlungen. Diese sind derzeit so bemessen, dass der Großteil der Geschädigten besser stünde als nach BVG. Jedoch sind die Leistungen Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse, so dass es bei geringeren Leistungshöhen deutlich mehr Verlierer gäbe. Verschlechterungen für besonders schwer Geschädigte und blinde Betroffene erscheinen möglich, weshalb für diese eine Öffnungsklausel erwogen werden sollte. Überdies fehlt eine Dynamisierung der Leistungen.
- Beim geplanten Einkommensverlustausgleich sollen – anders als beim bisherigen, bewährten Berufsschadensausgleich nach BVG – künftig berufliche Entwicklungen unberücksichtigt bleiben. Jüngere Opfer am Beginn des Berufslebens sowie Opfer, die zum Schädigungszeitpunkt Sozialleistungen (z. B. Kranken-, Elterngeld) bezogen, wären besonders nachteilig betroffen. Die Anknüpfung an das Nettoeinkommen vor der Schädigung ist zu punktuell und nicht sachgerecht. Es fehlt an der Dynamisierung der Leistungen.
- Sehr kritisch sieht der SoVD die neuen Leistungen an Hinterbliebene. Die bisherigen, differenzierten BVG-Leistungen sollen ersetzt werden durch einheitliche monatliche Entschädigungsleistungen. Es besteht die Gefahr, dass damit als Sonderopfer erbrachte Lebensleistungen Hinterbliebener (insbesondere älterer Witwen) nachträglich entwertet werden, wenn diese ihre Partner*innen lange Zeit, oft unter beruflichen Einbußen begleitet, betreut und gepflegt haben, dies aber in der Hinterbliebenenversorgung keine Berücksichtigung mehr findet. Zusätzlich problematisch ist, dass eine Witwen-/Witwerbeihilfe (bisher § 48 BVG) nicht mehr vorgesehen ist. Diese wurde bislang gewährt, wenn Geschädigte nicht an den Folgen der Schädigung, sondern aus anderen Gründen versterben, was bei gerade älteren Geschädigten oft der Fall sein wird. Ohne Witwen-/Witwerbeihilfe drohen viele Hinterbliebene ohne jegliche Versorgung nach SGB XIV zu bleiben, ihr Aufopferungsanspruch bliebe unberücksichtigt. Dagegen wendet sich der SoVD mit Nachdruck.
- Im Bereich Heil- und Krankenbehandlung wird künftig vorrangig auf Regel-Leistungen des SGB V und SGB VII (Hilfsmittel) rekurriert; zur Vermeidung von Leistungslücken werden diese ergänzt um besondere Leistungen. Es drohen eingeschränkte Leistungen sowie neue Koordinations- und Schnittstellenprobleme. Der SoVD befürwortet, mit der Heil- und Krankenbehandlung nach SGB XIV einheitlich die Gesetzliche Unfallversicherung zu betrauen. Die gilt in gleicher Weise auch für Leistungen bei Pflegebedürftigkeit.
- Die beabsichtigten „Schnellen Hilfen“ sind grundsätzlich zu begrüßen. Das vorgesehene Fallmanagement ist umso unverzichtbarer, als Ansprüche künftig in diversen Rechtskreisen (SGB VII, XI, XII, XIV u. a.) wurzeln und damit Leistungszersplitterung sowie Zuständigkeitsprobleme drohen. Auch Traumaambulanzen sieht der SoVD positiv, da Gewaltopfer so zeitnah und niederschwellig Hilfen erhalten. Die Angebote sollten nicht nur zukünftigen, sondern allen Gewaltopfern zur Verfügung stehen. Bei einigen einschränkenden Zugangsregelungen sollte noch nachgebessert werden.
- Die Tatbestände im Opferentschädigungsgesetz (OEG) sollen ausgeweitet und insbesondere auch Formen psychischer Gewalt umfasst werden. Diese Ausweitungen sind dringend erforderlich und werden vom SoVD, insbesondere aus frauenpolitischer Sicht, sehr begrüßt. Richtig ist auch, dass mittels KFZ begangene Angriffe künftig vom OEG nicht mehr ausgeschlossen sind. Neue Ansprüche dürfen jedoch nicht durch neue Restriktionen, z.B. Ausschluss- und Versagungstatbestände, erschwert werden.
- Das soziale Entschädigungsrecht betrifft eine vergleichsweise geringe, im Bereich BVG sogar deutlich zurückgehende Zahl von Betroffenen. Zugleich handelt es sich um eine besonders vulnerable Gruppe, die erhebliche Sonderopfer erbracht hat. Daher sollte die Reform vom Ziel umfassender und großzügig ausgestalteter Leistungen geprägt sein und dieses Ziel im Interesse der Beschädigten und Gewaltopfer auch umgesetzt werden.
B) Besitzstandsschutzregelungen für Kriegsopfer mit Ansprüchen nach Bundesversorgungsgesetz (BVG)
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E) Abschließende Bemerkungen
Abschließend betont der SoVD nochmals die große Bedeutung des Sozialen Entschädigungsrechts für die Betroffenen – die dort verankerten Leistungen sind für die Geschädigten und ihre Angehörigen von großer Wichtigkeit.
Das Soziale Entschädigungsrecht umfasst im Vergleich zu anderen Bereichen des Sozialrechts zahlenmäßig eher kleine Betroffenengruppen. Im Jahr 2022 ist noch von 42.000 Anspruchsberechtigten nach BVG (Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene) auszugehen, ihre Zahl wird demografiebedingt weiter sinken. Nach dem OEG gab es 2017 ca. 19.000 Anspruchsberechtigte; diese Zahl könnte perspektivisch ansteigen. Zugleich handelt es sich jedoch um besonders vulnerable Betroffenengruppen, die erhebliche Sonderopfer erbracht haben und damit in besonderer Weise auf Leistungen der Sozialen Entschädigung angewiesen sind.
Vor diesem Hintergrund appelliert der SoVD, dass die Reform des Sozialen Entschädigungsrechts vom Ziel umfassender und großzügig ausgestalteter Leistungen geprägt sein sollte.
Einschränkungen zulasten der Opfer – sei es durch defizitären Bestandsschutz, durch restriktives Verfahrensrecht (z.B. enge Antrags- und Erklärungsfristen) oder auch durch Leistungseinschränkungen oder gar -ausschlüsse im Vergleich zum bisherigen BVG – dürfen mit der Schaffung eines modernen SGB XIV nicht einhergehen. Daher bedarf der Referentenentwurf noch erheblicher Nachbesserungen.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Zur vollständigen SoVD-Stellungnahmne: Soziales Entschädigungsrecht [464 KB]