Soziales Entschädigungsrecht
Erste Bewertung des SoVD zum Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts (BVG, OEG u.a. Gesetze)
A Kurzfassung der SoVD-Bewertung
- Eine Zusammenführung der bisherigen Einzelgesetze in einem neuen SGB XIII kann das Soziale Entschädigungsrecht stärken und ist daher zu unterstützen. Maßgebliche inhaltliche Messlatte bildet für den SoVD die Zusage des Koalitionsvertrages, dass mit der Gesetzesreform „keine Leistungsverschlechterungen“ einhergehen werden.
- Auch im SGB XIII muss die Idee des Sonderopfers anspruchsprägend bleiben. Für erlittene Schädigungen sollten Opfer einen umfassenden Ausgleich erhalten und ihr vorheriger Status (gesundheitlich, wirtschaftlich) möglichst vollständig wiederhergestellt werden. Es ist fraglich, ob dies bislang vollumfassend gelingt.
- Besonders zentral für den SoVD ist, dass die – oft hochbetagten – Kriegsopfer und ihre Angehörigen in keinem Fall schlechter gestellt werden als bisher. Jegliche (Rechts-) Unsicherheiten zu ihren Lasten sind zu vermeiden. Ansprüche nach Bundesversorgungsgesetz (BVG) müssen uneingeschränkt sichergestellt bleiben. Die vorgesehenen Besitzstandsregelungen (§ 108 ff.[1]) lehnt der SoVD daher ab. Sie enthalten problematische Ausnahmen, und es bestehen erhebliche Unsicherheiten, ob neue Bedarfe bzw. neue Leistungssachverhalte noch ausreichend berücksichtigt werden können. Überdies ist beabsichtigt, dass der Besitzstand bei Feststellung eines geringeren GdS entfallen soll.
Der Vorschlag des SoVD anstelle der bisherigen §§ 108 ff.: Sind Kriegsopfer oder ihre Angehörigen zu einem bestimmten Stichtag dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach BVG, so können sie, ihre Angehörigen und Hinterbliebenen bestehende und zukünftige Ansprüche weiter nach BVG geltend machen. Ungeachtet dessen erhalten sie ein Wahlrecht, mit dem sie sich im Einzelfall auch für Leistungen nach SGB XIII-neu entscheiden können.
- An die Stelle bisheriger bedarfsorientiert-differenzierter Versorgungsleistungen (Grund-/Ausgleichsrente, Schwerstbeschädigtenzulage u. a.) treten künftig monatliche Entschädigungszahlungen. Diese sind derzeit so bemessen, dass der Großteil der Geschädigten besser stehen könnte als nach BVG. Jedoch sind die Leistungen Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse, so dass es bei geringeren Leistungshöhen auch deutlich mehr Verlierer gäbe. Verschlechterungen für besonders schwer Geschädigte und blinde Betroffene erscheinen möglich, weshalb für diese eine Öffnungsklausel erwogen werden sollte. Kritisch erscheint die Befristung der Entschädigungszahlungen auf 5 Jahre, insbesondere auch da in dieser Zeit gesundheitliche Verschlechterungen nicht berücksichtigt werden sollen.
- Beim geplanten Einkommensverlustausgleich sollen künftig mögliche berufliche Entwicklungen bzw. Aufstiege vollständig unberücksichtigt bleiben. Dies bedeutet Verschlechterungen zum geltenden BVG. Jüngere Opfer am Beginn ihres Berufslebens sowie Opfer, die zum Schädigungszeitpunkt Sozialleistungen (z. B. Hartz IV, Elterngeld) bezogen, wären besonders nachteilig betroffen.
- Sehr kritisch sieht der SoVD die neuen Leistungen an Hinterbliebene. Die bisherigen, differenzierten BVG-Leistungen sollen ersetzt werden durch einheitliche monatliche Entschädigungsleistungen. Es besteht die Gefahr, dass damit Lebensbiografien Hinterbliebener (insbesondere älterer Witwen) nachträglich entwertet werden, wenn diese ihre Partner lange, oft unter eigenen beruflichen Einbußen begleitet, betreut und gepflegt haben, dies aber in der Hinterbliebenenversorgung keinerlei Berücksichtigung mehr findet. Erheblich verschärft wird das Problem dadurch, dass es die Witwenbeihilfe (bisher § 48 BVG) nicht (mehr) geben soll. Denn damit entfiele die Hinterbliebenenversorgung sogar vollständig, wenn Geschädigte nicht an den Folgen der Schädigung sondern aus anderen Gründen sterben, was bei vielen, gerade älteren Geschädigten der Fall sein wird. Hinterbliebene, insbesondere Frauen, blieben dann ohne jegliche Versorgung nach SGB XIII, ihr Aufopferungsanspruch damit unberücksichtigt. Der SoVD verweist darauf, dass Hinterbliebene damit nach SGB XIII sogar schlechter stünden als nach SGB VII und ersucht daher dringend um Ergänzung des Arbeitsentwurfes.
- Im Bereich Heil- und Krankenbehandlung wird künftig vorrangig auf Regel-Leistungen des SGB V und SGB VII (Hilfsmittel) rekurriert; zur Vermeidung von Leistungslücken werden diese ergänzt um besondere Leistungen. Das wirft sozialpolitisch die Frage auf, warum (Teilhabe-) Leistungen nach SGB V nicht die umfassende Versorgung aller kranken/verletzten/geschädigten/behinderten Menschen gleichermaßen sicherstellt. Leistungssystematiken und -niveaus drohen komplexer und Maßstäbe der Leistungsgewährung weniger vorhersehbar zu werden.
- Die beabsichtigten „Schnellen Hilfen“ sind zu begrüßen. Das insoweit vorgesehene Fallmanagement zugunsten der Betroffenen ist umso unverzichtbarer, als Ansprüche künftig in verschiedenen Rechtskreisen (SGB V, VII, XI u. a.) wurzeln und damit die Gefahr der Leistungszersplitterung sowie Zuständigkeits- und Schnittstellenprobleme drohen. Auch Traumaambulanzen bewertet der SoVD positiv, da Gewaltopfer so zeitnah und niederschwellig psychologische Hilfen erhalten. Die Angebote sollten nicht nur zukünftigen, sondern allen Gewaltopfern sowie auch den Opfern der Weltkriege (BVG-Anspruchsberechtigten) großzügig Zugang eröffnen.
- Den umfassenden Ansatz der bisherigen Kriegsopferfürsorge-Leistungen soll mit dem SGB XIII deutlich reduziert werden. Einschränkungen drohen hinsichtlich des leistungsberechtigten Personenkreises sowie der Leistungsinhalte und -umfänge (Befristungen). Dies wird insbesondere Betroffenen in besonderen Lebenslagen (jüngere sowie Hinterbliebene in höherem Lebensalter) kaum gerecht.
- Die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und den vorrangigen Zugriff auf Leistungen der Pflegeversicherung, ergänzt um zusätzliche Leistungen, trägt der SoVD mit. Jedoch braucht es umfassende Bestandsschutzregelungen, um Lebensbiografien pflegender Angehöriger (meist Frauen), die ihre Partner oft über Jahre gepflegt und große Einschränkungen in Kauf genommen haben, nicht nachträglich zu entwerten.
- Die Tatbestände im Opferentschädigungsgesetz (OEG) sollten ausgeweitet und Formen psychischer Gewalt und mittels KFZ begangener Angriffe zukünftig miterfasst werden.
- Mit dem neuen SGB XIII sieht der SoVD die Gefahr der Rechtszersplitterung. Komplexe Rechtsverweisungen in unterschiedliche Sozialgesetzbücher mit aufstockenden Leistungen nach SGB XIII haben zur Folge, dass Leistungssystematiken und -niveaus komplexer und Maßstäbe der Leistungsgewährungweniger vorhersehbar werden. Überdies drohen die Ansprüche zwischen nach BVG anspruchsberechtigten Kriegsopfern, Wehrdienstopfern sowie Gewaltopfern künftig auseinanderzufallen; Neuregelungen für ein künftiges Soldatenversorgungsgesetz sind bislang noch vollkommen unbekannt.
- Das soziale Entschädigungsrecht betrifft eine vergleichsweise geringe, im Bereich BVG sogar deutlich zurückgehende Zahl von Betroffenen. Auch sind die dortigen finanziellen Aufwendungen – im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen – eher von untergeordneterem Umfang. Daher sollte die Reform vom Ziel umfassender und großzügig ausgestalteter Leistungen geprägt sein und dieses Ziel im Interesse der Beschädigten und Gewaltopfer auch umgesetzt werden.
B Zu den geplanten Regelungen im Einzelnen
1 Besitzstandsregelungen für Kriegsopfer mit Ansprüchen nach Bundesversorgungsgesetz (BVG)
Der SoVD vertritt seit seiner Gründung als Reichbund vor nunmehr 100 Jahren mit Nachdruck die berechtigten Interessen der Kriegsopfer (Kriegsbeschädigte, -teilnehmer und –hinterbliebene). Insoweit waren und sind die mit dem BVG erkämpften Leistungen für den SoVD von zentraler sozialpolitischer Bedeutung. Bei jeglichen Reformerwägungen ist zu berücksichtigen, dass die oft hochbetagten Kriegsopfer eine ganz besonders vulnerable Opfergruppe darstellen. Der SoVD setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass ihre Leistungsansprüche nach BVG auch zukünftig uneingeschränkt gewährleistet bleiben und zudem auch neue Bedarfslagen im Interesse der Betroffenen berücksichtigt werden.
Die in § 108 ff. beabsichtigten Besitzstandsregelungen sichern dies nicht. Der SoVD lehnt sie in der vorliegenden Form klar ab.
a) Neue Leistungssachverhalte bleiben ausgeklammert
Der Besitzstand nach § 108 umfasst nur Personen, deren Ansprüche nach BVG bereits rechtskräftig festgestellt sind oder die zumindest bereits Anträge gestellt haben. Damit wären neue Leistungssachverhalte ausgeschlossen, z. B. wenn ein Beschädigter (nach Außerkrafttreten des BVG) stirbt und Hinterbliebene danach erstmalig Leistungen beanspruchen. Sie könnten diese Leistungen nicht mehr nach altem Recht beanspruchen, da ihre Ansprüche (noch) nicht festgestellt waren. Dies legt auch die Begründung zu § 108 (S. 146) nahe, in der es heißt: „Die Erwartung, bestimmte Leistungen in Zukunft in Anspruch zu nehmen, unterfällt nicht dem Bestandsschutz.“ Dieses Defizit im Bestandsschutz kritisiert der SoVD, es wird vorrangig hinterbliebene Frauen nachteilig treffen.
b) Ausdrückliche Ausnahmen vom Bestandsschutz
§ 108 enthält überdies in Abs. 3 Ausnahmen vom Bestandsschutz. Danach sollen Regelungen zur Angehörigenpflege gemäß § 35 Abs. 2 BVG aus den Besitzstandsregelungen ausgeklammert werden. Dies könnte die Angehörigenpflege schlechter stellen und zu großer Unsicherheit bei pflegenden Angehörigen, die ihre Partner oft schon über viele Jahre pflegen, führen. Es steht zu befürchten, dass besonders Blinde, die bislang vom Arbeitgebermodell nach § 35 Abs. 2 BVG in spezifischer Weise profitieren konnten, damit deutlich schlechter gestellt werden.
Ebenso ausgeklammert aus dem Bestandsschutz des § 108 werden Leistungen nach § 35 Abs. 6 BVG. Danach wurden bisher die Kosten der Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich Pflege umfassten, übernommen; von den dafür anzurechnenden Versorgungsbezügen verblieb den Beschädigten zudem eine Summe in Höhe der Grundrente für einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 100. Es steht zu befürchten, dass Geschädigte (und ggf. auch ihre Ehepartner) künftig umfänglicher mit ihrem Einkommen und Vermögen für Unterkunfts- und Verpflegungskosten in stationären Pflegeheimen nach § 77 ff., 57 Abs. 3 herangezogen werden. Zwar sieht § 77 Abs. 4 vor, dass Einkommen und Vermögen nicht einzusetzen ist, wenn der Bedarf ausschließlich auf den Schädigungsfolgen beruht. Dies ist jedoch eine sehr enge Ausnahmevorschrift, die bereits bei anderen Mitursachen nicht greift, wie die Gesetzesbegründung ausführt. Beim Gros der Fälle wird daher Einkommen und Vermögen nach § 77 ff. heranzuziehen sein. Dies kann deutliche Verschlechterungen für die Geschädigten bedeuten; in jedem Fall aber schafft die Neuregelung Verunsicherung, insbesondere für die – oft hochbetagten – pflegebedürftigen Berechtigten.
c) Unklarheiten durch das Festsetzen bestimmter BVG-Geldleistungsansprüche
Nach § 109 sollen die dort aufgeführten Geldleistungsansprüche zu einem bestimmten Stichtag für die Berechtigten festgesetzt („eingefroren“) werden. Eine automatische Anpassung gemäß Rentenrecht ist nach § 112 beabsichtigt.
Die Regelung kann Leistungseinschränkungen bedingen; zumindest wird sie zu erheblicher Verunsicherung bei den Betroffenen führen. So bleibt unklar, inwieweit andere Geldleistungen (z. B. solche der Kriegsopferfürsorge wie Erziehungsbeihilfen, Erholungs-, Wohnungs-, Altenhilfe) oder auch Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung dem Bestandsschutz unterfallen; sie werden in § 109 nicht explizit aufgeführt. Hier bestehende Zweifel sollte der Gesetzgeber zumindest durch gesetzliche Klarstellungen sowie Hinweise in der Begründung ausräumen.
d) Unklarheiten zur Berücksichtigungsfähigkeit neuer Bedarfslagen
Überdies bleibt unklar, wie sich neue Bedarfslagen, z. B. im Bereich Pflege, auf die nach § 109 „eingefrorenen“ Geldleistungen, welche nach Abs. 1 Nr. 10 auch die Pflegezulage mitumfassen, auswirken. Sollen neu erforderliche Pflegeleistungen nach § 56, 57 neben der Pflegezulage als („eingefrorener“) Bestandsschutz-Leistung gewährt werden, so dass der Bestandsschutz i. Ü. fortbesteht? Oder erfordert die erhöhte Pflegebedürftigkeit einen Neufeststellungsantrag nach § 111, so dass der Bestandsschutz für alle nach § 109 „eingefrorenen“ Geldleistungen, einschließlich Pflegezulage, im Grundsatz entfiele? Sollte die 2. Alternative einschlägig sein, wäre ein Großteil der BVG-Berechtigten betroffen, da in höherem Lebensalter regelmäßig mit steigendem Pflegebedarf zu rechnen ist. Aus Unsicherheit oder Angst vor Verschlechterungen könnten viele Betroffene versucht sein, höhere Pflegebedarfe nicht überprüfen und feststellen zu lassen. Dies wäre eine sehr problematische Folge.
Gegen diese Unsicherheit hilft auch das Schlechterstellungsverbot des § 111 Abs. 2 kaum. Denn dieses gilt ausdrücklich nicht, wenn die Überprüfung des GdS einen geringeren Leistungsumfang bedingt. Damit bleiben Unsicherheiten für die Betroffenen.
Dem muss der Gesetzgeber entgegenwirken. Zumindest braucht es eine gesetzliche Klarstellung, dass Neufeststellungen zu Pflegebedarfen nach §§ 56, 57 zusätzlich zu der nach § 109 festgesetzten Geldleistung, einschließlich Pflegezulage, erfolgen und damit der Bestandsschutz fortgilt.
e) Gefahr des Bestandsschutz-Verlustes bei Überprüfung des GdS
Im Übrigen bedeuten die Regelungen zu Neufeststellungen nach § 111 klare Einschränkungen für den Bestandsschutz. Neufeststellungen sollen nach Satz 1 stets nach neuem Recht erfolgen. Jede GdS-Überprüfung begründet folglich die Gefahr, den Bestandsschutz zu verlieren. Dies kritisiert der SoVD deutlich.
Auch das in § 111 Abs. 2 SGB XIIII-neu normierte Schlechterstellungsverbot ändert daran wenig. Denn es gilt nach Satz 2 gerade nicht, wenn sich der geringere Leistungsumfang aus einer festgestellten Verringerung des GdS ergibt. Für eine solche Ausnahme vom Schlechterstellungsverbot sieht der SoVD keine Notwendigkeit. So wurde im Pflegestärkungsgesetz II durchaus geregelt, dass, wenn die Begutachtung einen niedrigeren Bedarf ergibt, gleichwohl wegen des Besitzstandsschutzes eine Herunterstufung grundsätzlich nicht erfolgt. Es ist nicht ersichtlich, warum Berechtigte nach BVG insoweit schlechter stehen sollten als nach Überleitungsrecht des PSG II.
Überdies droht damit auch die Bestandsschutzregelung des § 62 Abs. 3 BVG zu entfallen. Danach durfte bei Versorgungsberechtigten ab 55 Jahren kein niedrigerer GdS festgesetzt werden, wenn dieser in den letzten 10 Jahren unverändert war – das galt bisher sowohl für Besserungen des Gesundheitszustands als auch Änderungen des zugrundeliegenden Verordnungsrechts. Auch hier würden die Neuregelungen zu Verschlechterungen und Unsicherheit, gerade bei älteren Betroffenen, führen.
Ergänzend verweist der SoVD darauf, dass das Schlechterstellungsverbot des § 111 Abs. 2 nur für zuvor bereits bezogene Leistungen gilt, so dass ein vorheriger Leistungsverzicht zulasten der Betroffenen wirken würde.
Nicht zuletzt erscheint unklar, wie zu bewerten ist, ob Leistungen tatsächlich „geringer“ ausfallen als vor Stellung des Neufeststellungsantrages, wie dies § 111 Abs. 2 verlangt. Denn gemäß § 109 werden zuvor keine einzeln bezifferten Leistungen mehr erbracht, sondern es wird ein Gesamtgeldbetrag festgesetzt, der sich aus Teilsummen zusammensetzt. Dies erschwert den Vergleich der Vorher-/Nachher-Leistungen.
f) Vorschlag des SoVD für BVG-Anspruchsberechtigte
Im Interesse der Kriegsopfer setzt sich der SoVD dafür ein, von dem Gedanken eines BVG-Schlussgesetzes Abstand zu nehmen. Anspruchsberechtigt nach BVG sind derzeit noch knapp 100.000 Personen, im Jahr 2020 werden es voraussichtlich nur noch 65.000 Kriegsbeschädigte, deren Angehörige und Hinterbliebene sein. Es geht folglich um eine kleine und demografiebedingt zunehmend kleiner werdende Zahl betroffener Personen nach BVG. Diese Gruppe ist jedoch oft hochbetagt und besonders vulnerabel.
Anstelle eines BVG-Schlussgesetzes und der beschriebenen defizitären Bestandsschutzregelungen im SGB XIII-neu erscheint eine Stichtagsregelung vorzugswürdig. Danach könnten Kriegsbeschädigte, die zum definierten Stichtag anspruchsberechtigt nach BVG waren bzw. nachfolgend auch deren Angehörige und Hinterbliebene, weiterhin vollumfänglich Leistungen nach BVG beanspruchen. Auch bei veränderten Bedarfslagen würden leistungsrechtliche Entscheidungen weiterhin nach dem differenzierten, bedarfsorientierten Recht des BVG getroffen – ein Außerkrafttreten des BVG entfiele.
Dessen ungeachtet sollten die Betroffenen ein Wahlrecht erhalten, wenn sie anstelle der BVG-Leistungen solche nach SGB XIII-neu beanspruchen möchten, wie dies §§ 108 Abs. 4,115 im Grundsatz zu Recht normiert. Eine Befristung des Wahlrechts auf 12 Monate nach Eintritt der Bestandskraft (vgl. § 115 Abs. 2) hält der SoVD jedoch für problematisch, da er Betroffene erheblich unter Druck setzen würde. Eine Befristung wäre bei einem Fortgelten des BVG überdies auch nicht notwendig.
2 Besitzstandsregelungen für andere Leistungsberechtigte, insbesondere für Gewaltopfer nach OEG
Das OEG verweist bislang hinsichtlich der Rechtsfolgen auf das BVG. Insoweit gelten die kritischen Ausführungen zu den Bestandsschutzreglungen für Kriegsopfer nach BVG für Gewaltopfer in gleicher Weise, wenn sie bereits vor Inkrafttreten des SGB XIII leistungsberechtigt waren. Das SGB XIII-neu beabsichtigt eine Entkopplung des OEG vom „Muttergesetz BVG“, so dass die für BVG-Berechtigte benannten Verschlechterungen auch für Gewaltopfer drohen könnten.
3 Beabsichtigte Neuregelungen zu Leistungen der Sozialen Entschädigung nach SGB XIII-neu
a) M a) monatliche Entschädigungszahlungen, §§ 59. ff
Die Versorgungsleistungen sollen künftig weniger an den Bedarfen des Einzelfalles orientiert werden. An die Stelle der bisherigen differenzierten Versorgungsleistungen von Grundrente (§ 31 BVG), Schwerstbeschädigtenzulage (§ 31 IV BVG), erhöhter Grundrente für über 65-Jährige, Ausgleichsrente (§ 32 BVG), Ehegatten-/Kinderzuschlägen (§§ 33a, b BVG), soll eine „Monatliche Entschädigungszahlung“ nach § 59 bzw. eine Abfindung nach § 60 für Geschädigte treten. Diese Entschädigungszahlung soll eine Anerkennung der durch den erlittenen Gesundheitsschaden verlorenen gesundheitlichen Integrität bewirken und zugleich behinderungsbedingte Mehrbedarfe ausgleichen.
Die monatlichen Entschädigungszahlungen werden weiterhin nach GdS gestaffelt, ein höherer GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit (§ 30 Abs. 2 BVG) ist nicht mehr vorgesehen. Geplant sind folgende Stufungen: 250 € bei GdS 30/40, 500 € bei GdS 50/60, 750 € bei GdS 70/80, 1.250 € bei GdS 90, 1.750 € bei GdS 100.
Die Leistungen werden für 5 Jahre befristet erbracht, in dieser Zeit findet keine Prüfung zur Veränderung des GdS statt. Anstelle dieser monatlichen Entschädigungsleistungen für die GdS 30 bis 90 kann auf Antrag auch eine Abfindung erfolgen. Die Höhe der Abfindung entspricht der Summe der für 5 Jahre monatlich zu leistenden Entschädigungszahlungen.
SoVD-Bewertung: Die bisher in den differenzierten Versorgungsleistungen nach BVG zum Ausdruck kommende Bedarfsorientierung, die besondere Lebenssituationen insbesondere der Schwerbeschädigten berücksichtigte, würde mit den nunmehr geplanten monatlichen Entschädigungszahlungen nach § 59 weitgehend aufgegeben.
Zu konstatieren ist, dass die beabsichtigten monatlichen Entschädigungszahlungen im Vergleich zu den bisherigen Grundrenten deutlich höher liegen. Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass viele Geschädigte nach SGB XIII besser stehen könnten als nach bisherigem BVG: Geschädigte könnten höhere Zahlbeträge und eine höhere Verfügungsfreiheit als bisher nach BVG erhalten. Die monatlichen Entschädigungsleistungen sind jedoch Ergebnis eines weitgehend politischen Aushandlungsprozesses, so dass es bei geringeren Leistungshöhen auch deutlich mehr Verlierer geben könnte.
Deutlich besser gestellt werden Geschädigte mit geringeren GdS von 30 und 40: anstelle der bisherigen 138 € bzw. 189 € erhalten sie künftig 250 €. Nach Kenntnis des SoVD unterfallen ca. 2/3 der OEG-Anspruchsberechtigten dieser Gruppe.
Schwieriger gestaltet sich der Vergleich für Schwerbeschädigte mit einem GdS ab 50. Denn für diesen Personenkreis stand nach BVG das differenzierte Leistungsspektrum von Grundrente, erhöhter Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage, voller bzw. gekürzter Ausgleichsrente, Ehegatten- und Kinderzuschlag zur Verfügung, wobei diese Leistungen wiederum z. T. der Einkommensanrechnung unterfielen und überdies enge Wechselwirkungen zur Pflegezulage bestanden.
Schlechter stehen dürften Geschädigte mit schweren und schwersten Schädigungsfolgen, die über kein oder nur geringes Einkommen verfügen. Zukünftig sollen sie maximal 1.750 € (GdS 100) erhalten. Bislang konnten sie hingegen neben Grundrente (max. 722 € bei GdS 100) und ggf. Schwerstbeschädigtenzulage (max. 515 €) ggf. auch die volle Ausgleichsrente (max. 722 €) sowie weitere Zuschläge erhalten. Die Gruppe der besonders schwer Geschädigten ist überaus vulnerabel und in ganz besonderer Weise auf umfassende Leistungsgewährung angewiesen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Teil der Geschädigten dieser Gruppe unterfallen dürfte (geschätzt: 12 % mit GdS 70 und mehr, lediglich 5 % mit GdS 100).
Vor diesem Hintergrund regt der SoVD an zu prüfen, ob nicht für Personen mit schweren und schwersten Schädigungen, d. h. ab einem GdS ab 70, eine Öffnungsklausel in das SGB XIII aufgenommen werden kann, die höhere monatliche Zahlungen im Einzelfall ermöglicht.
Schlechter stehen könnten auch blinde Anspruchsberechtigte. Diese Gruppe konnte bisher die Pflegezulage sowie darüber stets die volle Ausgleichsrente beanspruchen (vgl. §§ 33 Abs. 4, 35 Abs. 1 BVG) – was nach neuem Recht entfiele. Auch insoweit erscheint eine Öffnungsklausel sachgerecht.
Mit Sorge sieht der SoVD, dass § 59 die Befristung der monatlichen Entschädigungszahlungen an Geschädigte auf 5 Jahre vorsieht. Bislang konnten Leistungen der Kriegsopferversorgung dauerhaft gewährt werden. Zwar sieht der SoVD in der vorgeschlagenen Norm keine Maximalfrist; so dass Leistungen im Anschluss an die 5 Jahre erneut gewährt werden können. Jedoch geht die Darlegungs- und Beweislast für die fortbestehende Anspruchsberechtigung mit der Neuregelung auf die Geschädigten über und stellt sie folglich im Vergleich zum geltenden Recht schlechter.
Überdies erscheint problematisch, dass während des 5-Jahres-Zeitraumes eine Aufhebung oder Änderung des Leistungsbescheides ausgeschlossen sein soll. Damit müssten zwischenzeitliche, erhebliche Verschlechterungen der gesundheitlichen Störungen bei Betroffenen vollkommen unberücksichtigt bleiben. Dies erscheint problematisch angesichts der Zielsetzung der Entschädigungsleistung, Mehrbelastungen durch das schädigende Ereignis ausgleichen. Auch zwischenzeitlich angestiegene Mehrbelastungen müssen berücksichtigt und Leistungsbescheide insoweit – auf Antrag – auch innerhalb der 5-Jahresfrist abgeändert werden können.
b) Einkommensverlustausgleich, § 64 ff.
Anstelle des bisherigen Berufsschadensausgleichs nach BVG soll nach SGB XIII-neu ein Einkommensverlustausgleich gewährt werden. Letzterer soll ermittelt werden aus der Differenz zwischen den Einkommens-Nettobeträgen vor und nach der Schädigung.
SoVD-Bewertung: Die Neuregelung bedeutet eine klare Verschlechterung zulasten der Betroffenen. Denn mit ihr blieben berufliche Entwicklungen bzw. berufliche Aufstiege der Betroffenen künftig unberücksichtigt. Jüngere Opfer, die die Schädigung zu Beginn ihres beruflichen Lebens erleiden, wären besonders nachteilig betroffen. Gleiches gilt für Gewaltopfer, die zum Schädigungszeitpunkt Sozialleistungen bezogen (z. B. zeitweiliger SGB II-Bezug oder Elterngeld) – sie wären von Leistungen des Einkommensverlustausgleiches praktisch ausgeschlossen.
Der SoVD vermisst überdies eine Regelung zum besonderen beruflichen Betroffensein (bisher § 30 Abs. 2 BVG). Mit ihr wurden bisher die Bereitschaft und der Wille der Betroffenen berücksichtigt, durch „erhöhte Tatkraft“ den Einkommensverlust abzuwenden.
Nicht zuletzt ist auch für den Einkommensverlustausgleich eine Befristung von 5 Jahre vorgesehen, vgl. § 64 Abs. 5. Damit geht auch hier die Darlegungs- und Beweislast für die fortbestehende Anspruchsberechtigung auf die Geschädigten über und stellt sie im Vergleich zum geltenden Recht des Berufsschadensausgleiches schlechter.
c) Leistungen an Hinterbliebene, §§ 61 ff.
Nach § 61 sollen Witwen und Witwer sowie hinterbliebene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner eine (dauerhafte) monatliche Entschädigungszahlung von pauschal 750 € erhalten. Weitergehende Leistungen sind nicht beabsichtigt. Eine Hinterbliebenenbeihilfe, bisher § 48 BVG, ist nicht (mehr) vorgesehen.
Bewertung des SoVD: Der SoVD sieht die Neuregelungen sehr kritisch. Es ist davon auszugehen, dass von den bisherigen Leistungen an hinterbliebene Witwen und Witwer über 80 % auf Frauen entfallen sind, so dass sie von nachteiligen Neuregelungen auch deutlich häufiger betroffen wären.
Bislang hatten Witwen und Witwer Anspruch auf ein differenziertes Leistungssystem des BVG. Dieses eröffnete neben der Grundrente (435 €) Zugang zur Ausgleichsrente (voll: 479 €), zu Schadens- und Pflegeausgleich.
Überdies ermöglichte die Witwenbeihilfe mit § 48 BVG bislang eine Versorgung auch dann, wenn der Geschädigte nicht an den Folgen der Schädigung gestorben war. Hingegen bestimmt nun § 3 Abs. 4 als Berechtigte nur Hinterbliebene (Witwen, Witwer, hinterbliebene Lebenspartner sowie Waisen) „einer an den Folgen einer Schädigung verstorbenen Person“. Dies wird eine ganz erhebliche Verengung des leistungsberechtigten Personenkreises bedingen. Zusätzlich fehlt die Fiktion des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG, wonach der Tod als Folge einer Schädigung gilt, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Durch Fehlen dieser Fiktion wird der Berechtigungsnachweis für die Hinterbliebenen deutlich schwerer.
Es besteht die große Gefahr, dass mit den Neuregelungen zur Hinterbliebenenversorgung Lebensbiografien Hinterbliebener (insbesondere älterer Witwen) nachträglich entwertet werden. Diese sind nicht selten über lange Zeit, oft unter erheblichen eigenen beruflichen Einbußen begleitend, betreuend und pflegend für ihre (geschädigten) Partner da. Gleichwohl würden diese Leistungen und wirtschaftlichen Einbußen in der Hinterbliebenenversorgung keine Berücksichtigung mehr finden; entschädigt würde allein der Verlust der geschädigten Person.
Verschärft wird das Problem zusätzlich dadurch, dass auch eine Witwenbeihilfe nicht (mehr) vorgesehen ist. Denn damit entfiele eine Hinterbliebenenversorgung sogar vollständig, wenn der Geschädigte aus einem anderen Grund und nicht an den Folgen der Schädigung stirbt, was bei einem Großteil, gerade älterer Geschädigter, der Fall sein wird. Hinterbliebene, insbesondere Frauen, blieben dann ohne Versorgungleistungen, ihr Aufopferungsanspruch unberücksichtigt. Der SoVD verweist darauf, dass Hinterbliebene nach SGB XIII damit sogar schlechter stünden als nach SGB VII. Hier sollte der Arbeitsentwurf dringend noch Änderungen erfahren.
d) Krankenbehandlung/Versorgung mit Hilfsmitteln, §§ 38. ff: Zugriff auf vorrangiges Regelleistungssystem – ergänzt um Leistungen des SGB XIII
Bisher wurden die Ansprüche Geschädigter auf Heil- und Krankenbehandlung eigenständig im BVG geregelt. Dies soll entfallen. Stattdessen sollen Geschädigte vorrangigen Zugriff auf das Leistungsspektrum der Gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V erhalten; § 38. Sind dort Leistungen nicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang enthalten, können Geschädigte ergänzende Leistungen der Krankenbehandlung nach § 39 beanspruchen. Letzteres betrifft u. a. psychotherapeutische und zahnärztliche Leistungen, besondere Arzneimittel und besondere Krankenhausleistungen.
Die Versorgung mit Hilfsmitteln soll gemäß § 40 nicht nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V, sondern nach SGB VII, d. h. dem Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung, erfolgen.
Bewertung des SoVD: Durch die systematischen Neuregelungen sieht der SoVD keine Leistungskürzungen. Mit Blick auf den besonderen Aufopferungsgedanken des sozialen Entschädigungsrechts ist es richtig und notwendig, die SGB V-Leistungen um besondere Leistungen zu ergänzen, um Leistungslücken für die Geschädigten auszuschließen. Dies beabsichtigt § 39, wenngleich der dortige Leistungskatalog offen gefasst werden sollte, um auch atypischen Bedarfslagen gerecht werden zu können.
Jedoch wirft der SoVD an dieser Stelle die sozialpolitische Generalfrage auf, warum (Teilhabe-) Leistungen nach SGB V nicht die umfassende Versorgung aller verletzten/geschädigten/behinderten Menschen gleichermaßen sicherstellt. Nur wegen dortiger Leistungsdefizite werden für Geschädigte nach SGB XIII-neu die ergänzenden Leistungen notwendig.
Dieselbe Kritik ist auch an die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 40 zu richten: Offenbar sieht sogar der Gesetzgeber die Hilfsmittelversorgung nach SGB V als defizitär an, weshalb er – systematisch nur schwer begründbar – auf die sehr umfassend ausgestaltete Hilfsmittelversorgung nach SGB VII verweist.
Zahnersatz soll wiederum nicht nach SGB VII, sondern nach SGB V geleistet werden (§ 40 Abs. 2). Dies zeigt, dass das neue SGB XIII weniger einer stringenten Systematik folgt, sondern vorrangig am – richtigen – Ziel umfassender Leistungsgewährung für Geschädigte ausgerichtet ist. Für die Betroffenen werden so jedoch auch Leistungssystematiken und -niveaus komplexer und Maßstäbe der Leistungsgewährung weniger vorhersehbar.
Die verschiedenen Leistungsträgerschaften (SGB V, VII und XIII) führen zu mehr Komplexität zulasten der Betroffenen. Dies zeigt exemplarisch § 49, der die Zuständigkeit bei Widersprüchen gegen Krankenkassen bzw. Unfallkassen regelt. Der SoVD fordert hier Einheitlichkeit, z. B. durch Beauftragung (§§ 89, 90 SGB X) und verlässliche Unterstützung, z. B. durch das Fallmanagement, zu sichern.
Für zwingend erforderlich hält der SoVD zudem einen umfassenden (pauschalen) Aufwendungserstattungsanspruch der Krankenkassen gegenüber der nach SGB XIII zuständigen Verwaltungsbehörde. Denn für die Opfer steht die staatliche Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit in der Leistungspflicht, nicht die Versichertengemeinschaft. Die Regelungen in § 50 scheinen hier noch offen und sollten entsprechend gefasst werden.
e) Neue Leistungen der „Schnellen Hilfen“, §§ 26. ff
Mit Kap. 4 SGB XIII-neu sollen im Recht der Sozialen Entschädigung die neuen Leistungen der Schnellen Hilfen verankert werden. Diese umfassen nach § 26 ein Fallmanagement, welches eine aktivierende und koordinierende Begleitung der Berechtigten durch das Antrags- und Leistungsverfahren sowie eine abgestimmte Leistungserbringung gewährleisten soll. Überdies sollen mit § 30 Traumaambulanzen für die Berechtigten geschaffen werden.
Bewertung des SoVD: Die beabsichtigten „Schnellen Hilfen“ sind zu begrüßen. Das insoweit vorgesehene Fallmanagement ermöglicht eine Unterstützung zugunsten der Betroffenen, ihre berechtigten Ansprüche einzufordern. Dies ist umso unverzichtbarer, als Ansprüche künftig in verschiedenen Rechtskreisen (SGB V, VII, IX u. a.) wurzeln und damit die Gefahr der Leistungszersplitterung sowie Zuständigkeits- und Schnittstellenprobleme drohen.
Traumaambulanzen eröffnen Gewaltopfern, die oft nicht nur an körperlichen, sondern auch an psychischen Auswirkungen leiden, zeitnahen und niederschwelligen Zugang zu psychologischen Interventionen und sind daher zu begrüßen. Die Sicherstellung bundesweiter Angebote ist wichtig, auch wenn der SoVD darauf hinweist, dass in zahlreichen Bundesländern bereits Traumaambulanzen existieren.
Sehr setzt sich der SoVD dafür ein, dass auch die Opfer der Weltkriege die Angebote der Traumaambulanzen nutzen können: Denn viele Kriegsteilnehmer, Opfer sexualisierter Gewalt im Krieg oder Opfer von Bombenangriffen erleben die damaligen psychischen Belastungen im höheren Lebensalter erstmalig oder verstärkt. Sie sollten Zugang zu den Schnellen Hilfen erhalten, auch wenn sie den Bestandsschutzregelungen nach BVG unterfallen. Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob § 32 die Einbeziehung der Weltkriegsopfer sichert, denn die Norm knüpft an den Berechtigtenbegriff der §§ 2, 3, mithin an „Geschädigte nach diesem Buch“ an. Daher könnten Kriegsopfer (BVG-Altfälle) ausgeschlossen sein. Der SoVD regt daher an, im Gesetz klarzustellen, dass auch diese Gruppe Zugang zu den Schnellen Hilfen beanspruchen kann.
f) Neuregelungen zum bisherigen Bereich der Kriegsopferfürsorge – Leistungen der Teilhabe (§§ 52 ff.), Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (§ 56 f.), Besondere Leistungen im Einzelfall (§§ 68 ff.)
Die bisherigen Leistungen der Kriegsopferfürsorge werden z. T. als „Besondere Leistungen im Einzelfall“ im Kapitel 11 (§ 68 ff.) SGB XIII-neu fortgeschrieben, z. T. auch in anderen Kapiteln verankert. Jedoch ist auch beabsichtigt, einige Leistungen entfallen zu lassen, insbesondere Kranken-, Alten-, Erziehungs-, Erholungs- und Wohnungshilfe.
Bewertung des SoVD: Bislang sah das BVG mit den Kriegsopferfürsorgeleistungen ein differenziertes Tableau an Leistungen der BVG-Gesamtversorgung vor. Diese hatten eine wichtige Schadensausgleichsfunktion und dienten der Befriedigung sozialtypischer gegenwärtiger Bedarfe. Die persönlichen Hilfen zielten nicht allein auf die Beschädigten, sondern auch auf ihr soziales Netz (Familie, Ehepartner, Kinder) und sollten insoweit auch die Folgen des „Ernährerverlustes“ mit abgelten.
Diesen umfassenden Leistungsansatz schreibt das SGB XIII-neu nicht fort. Vielmehr zeigt die Befristung der Leistungen zum Lebensunterhalt für Hinterbliebene auf 5 Jahre (§ 69), dass Hilfen nur (noch) für einen Übergangszeitraum gewährt werden sollen, um sich auf die veränderte Situation einzustellen und den Lebensunterhalt wieder selbst zu sichern. Dieses Ziel mag für einige Gruppen jüngerer Geschädigter bzw. Hinterbliebener realistisch sein. Schwersten Schädigungsereignissen wird jedoch nicht Rechnung getragen. Auch dem Lebensentwurf älterer Ehepaare, die oft über viele Jahre im „Ernährermodell“ zusammengelebt haben, wird diese Regelung kaum gerecht; gerade ältere Frauen könnten deutlich schlechter stehen. Im Interesse diese Gruppe sollten Umfang und Befristung der Neuregelungen überdacht werden.
Auch die bisherigen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 26 ff. BVG) gehen nicht uneingeschränkt in den Leistungen zur Teilhabe (Kap. 6 SGB XIII-neu) auf – so fehlen z. B. Leistungen zur Unterbringung in beruflichen Rehabilitationseinrichtungen und Hilfen zur Gründung. Zudem werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Hinterbliebene nur zeitlich befristet für 5 Jahre erbracht (vgl. § 53 Abs. 4). Dies ist kaum sachgerecht; insbesondere bei jungen Hinterbliebenen können mit Schule, Ausbildung und Studium deutlich längere Zeiträume notwendig sein.
Auch die bisherigen Hilfen zur Pflege (§ 26 c BVG) werden eingeschränkt und nicht umfänglich durch die neuen Leistungen bei Pflegebedürftigkeit nach Kap. 7 SGB XIII-neu aufgefangen: Denn die Regelungen, einschließlich der in Bezug genommenen Hilfen zur Pflege nach SGB XII gemäß § 57 Abs. 6, gelten nur noch für Geschädigte, nicht aber (mehr) für Hinterbliebene.
Ältere Hinterbliebene, in der Praxis oft Frauen, könnten damit, wenn sie Geschädigte über viele Jahre gepflegt haben und dann selbst hilfebedürftig geworden sind, deutlich schlechter gestellt werden als nach BVG. Diese Hinterbliebenen bedürfen in besonderer Weise der bedarfsgerechten und einzelfallbezogenen Leistungen, wie sie mit der Kriegsopferfürsorge bisher – deutlich über dem Leistungsniveau der Sozialhilfe – zur Verfügung standen und für die zudem erleichternde Kausalitätsregelungen (§ 25 a, insb. Abs. 2 BVG) galten. Die Schlechterstellung (pflegender) Hinterbliebener kritisiert der SoVD und fordert insoweit Änderungen am Arbeitsentwurf.
Der SoVD verweist überdies darauf, dass mit der Kranken-, Alten-, Erziehungs-, Erholungs- und Wohnungshilfe für die Betroffenen sozial wichtige Leistungen zur Disposition stehen, deren finanzielle Aufwendungen eher gering ausfallen. In der SoVD-Verbandsarbeit zeigt sich, dass z. B. die Altenhilfe durchaus Bedeutung für das soziale Leben der Betroffenen hat. Daher kritisiert der SoVD die Streichung. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass o. g. Leistungen für BVG-Berechtigte auch zukünftig gewährt werden. Die eng gefassten Bestandsschutz-Regelungen in §§ 108 ff. lassen hieran zumindest Zweifel, die durch gesetzliche Klarstellungen sowie Hinweise in der Begründung ausgeräumt werden sollten.
g) Leistungen der Pflege
Bislang sah das BVG im Bereich pflegerischer Leistungen spezifisches Recht vor, was sowohl Leistungsvoraussetzungen als auch rechtsfolgenseitige Ansprüche betraf. Eine besonders wichtige Leistung nach BVG war die Pflegezulage nach § 35. Mit dem SGB XIII-neu soll der moderne Pflegebedürftigkeitsbegriff in das Soziale Entschädigungsrecht eingeführt werden. Zudem wird nach § 56 für Geschädigte der Zugriff auf das Regelleistungssystem des SGB XI eröffnet. Sind zusätzliche Leistungen erforderlich, können diese den Geschädigten im Umfang des § 57 erstattet werden.
Bewertung des SoVD: Die geplante Einführung des neuen modernen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im sozialen Entschädigungsrecht ist sachgerecht. Gleiches gilt auch für den vorrangigen Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung für die Geschädigten.
Jedoch fehlt bislang ein Aufwendungserstattungsanspruch der Pflegekassen gegenüber der nach SGB XIII zuständigen Verwaltungsbehörde. Denn beim sozialen Entschädigungsrecht handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht die Versichertengemeinschaft überantwortet werden darf.
Da die soziale Pflegeversicherung als Teilkaskosystem ausgestaltet ist, sind im Interesse der Geschädigten spezifische Regelungen zu Erstattung darüber hinausgehender Pflegekosten im Interesse der Geschädigten erforderlich; hier geht § 57 im Grundsatz in die richtige Richtung. Jedoch zielt § 57 Abs. 2 nur auf Mehrkosten in der professionalisierten Pflege. Die Pflege durch Angehörige soll allein durch das Pflegegeld abgegolten werden. Bei Kombination von Geld- und Sachleistung soll nur der Anteil erstattet werden, der auf die Sachleistung entfällt (§ 57 Abs. 2 Satz 2). Entstehen Mehrkosten durch Pflegekräfte im Arbeitgebermodell, ist eine vollständige Verrechnung mit dem Pflegegeld beabsichtigt (§ 57 IV). Überdies ist geregelt, dass Ehepartner und Eltern keine besonderen Pflegekräfte (d. h. im Arbeitgebermodell tätig) sein können.
Diese Regelungen sind geeignet, eine deutliche Verschiebung von der Angehörigenpflege hin zur Pflege durch professionelle Fachkräfte zu bewirken. Pflegeleistungen durch Angehörige würden nicht mehr in der Weise honoriert, wie es das BVG bislang tat (z. B. entfällt der „Verbleibensbetrag“ für Ehepartner nach § 35 Abs. 2 BVG, der ihnen einen Anteil an der Pflegezulage auch dann sicherte, wenn Mehrkosten durch professionelle Pflegekräfte auszugleichen waren). Auch den bisherigen Pflegeausgleich nach § 40 b BVG, den eine Witwe nach 10-Jähriger Pflege des Beschädigten beanspruchen konnte, sieht das neue Recht nicht mehr vor.
Der SoVD appelliert eindringlich, Lebensbiografien pflegender Angehöriger (vielfach Frauen), die ihre Partner oft über viele Jahre pflegen und große Einschränkungen der eigenen Biografie in Kauf nahmen, nicht nachträglich zu entwerten bzw. gar in Frage zu stellen. Zumindest für BVG-Altfälle braucht es eine umfassende Bestandsschutzregelung, die auch die berechtigten Belange pflegender Angehöriger im Umfang der BVG-Normen fortzuführen geeignet ist. Dies leistet die Bestandsschutzregelung des § 108 nicht. Pflegezulagen nach § 35 BVG sollten nicht aus der Bestandsschutzgarantie des § 108 ausgenommen werden. Die Ausführungen in der Entwurfsbegründung hierzu überzeugen nicht; insbesondere trägt der Verweis auf Pflegeleistungen nach §§ 56, 57 nicht, da diese – wie bereits ausgeführt – die Angehörigenpflege nicht in der Weise berücksichtigt, wie es das BVG bisher tat.
Ebenso ausgeklammert aus dem Bestandsschutz des § 108 bleiben nach Abs. 3 die Leistungen nach § 35 Abs. 6 BVG. Nach § 35 Abs. 6 BVG wurden bisher die Kosten der Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich Pflege umfassten, übernommen; von den dafür anzurechnenden Versorgungsbezügen verblieb den Beschädigten zudem eine Summe in Höhe der Grundrente GdS 100. Es steht zu befürchten, dass Geschädigte (und ggf. auch ihre Ehepartner) künftig umfänglicher mit ihrem Einkommen und Vermögen für Unterkunfts- und Verpflegungskosten in stationären Pflegeheimen nach § 77 ff., 57 Abs. 3 herangezogen werden. Zwar sieht § 77 Abs. 4 vor, dass Einkommen und Vermögen nicht einzusetzen ist, wenn der Bedarf ausschließlich auf den Schädigungsfolgen beruht. Dies ist jedoch eine sehr enge Ausnahmevorschrift, die bereits bei anderen Mitursachen nicht greift, wie die Gesetzesbegründung ausführt. Im Gros der Fälle wird daher Einkommen und Vermögen nach den besonderen Vorschriften des § 77 ff. heranzuziehen sein. Dies kann deutliche Verschlechterungen für die Geschädigten bedeuten; in jedem Fall aber schafft die Neuregelung Verunsicherung. Insbesondere für die – oft hochbetagten – pflegebedürftigen BVG-Berechtigten in Pflegeheimen ist dies nur schwer vertretbar. Zumindest die Bestandsschutzregelung des § 108 sollte die Fälle der stationären Heimpflege ausdrücklich miterfassen.
Unklar erscheint das Verhältnis der (bisherigen) Pflegezulage zu den (neuen) Pflegeleistungen nach § 56, 57, insbesondere wenn die Pflegezulage als („eingefrorene“) Bestandsschutz-Geldleistung nach § 109 Abs. 1 Nr. 10 in den Gesamtgeldbetrag eingegangen ist und insoweit weiter bezogen wird. Im Abschnitt zum Bestandsschutz hat der SoVD diese Problematik bereits ausführlich dargelegt. Es gilt zu verhindern, dass erhöhte Pflegebedarfe den Bestandsschutz nach BVG in Frage stellen, da bei den hochbetagten Kriegsopfern ansonsten regelmäßig der Bestandsschutz in Frage stünde.
4 Ausweitung der Tatbestände zur Entschädigung von Gewaltopfern
Das SGB XIII beabsichtigt die Ausweitung der bisherigen OEG-Tatbestände auf Formen psychischer Gewalt; vgl. § 13 Nr. 2. Benannt werden insoweit ausdrücklich Tatbestände von Stalking, Menschenhandel, Geiselnahme aber auch die Bedrohung. Die Ausweitung erscheint sachgerecht. Sie wird veränderten Gewaltkonstellationen, die i. Ü. in besonderer Weise Frauen betreffen, besser gerecht.
Weiterhin ausgeschlossen bleiben nach § 17 Abs. 3 Ansprüche, sofern Schäden eines tätlichen Angriffs durch Gebrauch eines KFZ verursacht worden sind. Angesichts aktueller Bedrohungslagen mittels KFZ begangener Gewalt-/Terrortaten sollte das soziale Entschädigungsrecht hierauf reagieren und diese Ansprüche nicht länger ausklammern. Es kann nicht sein, dass die Terroropfer vom Berliner Breitscheidplatz weiter keine Opferentschädigung geltend machen können. Ein modernisiertes soziales Entschädigungsrecht sollte diese Gewalt- bzw. gar Terrortaten mit umfassen.
5 Gefahr der Rechtszersplitterung
Nochmals weist der SoVD kritisch darauf hin, dass mit Schaffung eines neuen SGB XIII zwar beabsichtigt ist, das Recht der sozialen Entschädigung zu bündeln. Jedoch besteht durchaus auch die Gefahr der Rechtszersplitterung. Dies betrifft u. a. die beabsichtigten Verweise der Opfer auf vorrangige Leistungssysteme (SGB V, VII, XI u. a., s. o.).
Dies sollte der Gesetzgeber im weiteren Verfahren kritisch im Blick behalten und nach Lösungen suchen. Eine Option könnte z. B. sein, für SGB XIII-Leistungen der Heilbehandlung, einschließlich Heil- und Hilfsmitteln, und der Pflege einheitlich auf die umfangreichen Leistungen der Unfallversicherung Bezug zu nehmen.
Zugleich sieht der SoVD auch die Gefahr des Auseinanderfallens von Ansprüchen zwischen den nach BVG anspruchsberechtigten Kriegsopfern, Wehrdienstopfern, Gewaltopfern sowie geschädigten Soldaten. Der SoVD verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Planungen zu Neuregelungen des Soldatenversorgungsgesetzes bislang noch vollkommen unbekannt sind.
C Abschließende Bemerkungen
Abschließend betont der SoVD nochmals die große Bedeutung des Sozialen Entschädigungsrechts für die Betroffenen – die dort verankerten Leistungen sind für die Geschädigten und ihre Angehörigen von großer Wichtigkeit. Denn damit gewährt die staatliche Gemeinschaft ihr Einstehen für eine besondere Form der Aufopferung – die Opfer/Beschädigten erhalten einen entschädigenden Ausgleich für das an ihrem Leben bzw. an ihrer Gesundheit gebrachte besondere Opfer (einschließlich der damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen).
Zugleich umfasst das Soziale Entschädigungsrecht, im Vergleich zu anderen Bereichen des Sozialrechts, zahlenmäßig verhältnismäßig eher kleine Betroffenengruppen. Derzeit ist (noch) von ca. 99.000 Anspruchsberechtigten nach BVG (davon 60.000 Hinterbliebene) auszugehen, ihre Zahl wird in den kommenden Jahren demografiebedingt weiter deutlich zurückgehen. Nach dem OEG sind überdies derzeit ca. 19.000 Personen anspruchsberechtigt. Ihre Zahl könnte perspektivisch zwar steigen – jedoch auf vergleichsweise niedrigem Niveau.
Zudem sind die finanziellen Aufwendungen von Bund und Ländern in Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts – im Vergleich zu anderen Rechtsbereichen – als von eher untergeordneterem Umfang zu bewerten (vgl. hierzu u. a. Rundschreiben SER 2-53209 des BMAS vom 10.9.2015 (abrufbar unter: http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziale-Sicherung/Soziale-Entschaedigung/Rundschreiben/rundschreiben-soziale-entschaedigung-ser-2-53209.html;jsessionid=CF9D0C3A52F362FA05714FA3B48E9D8F).
Vor diesem Hintergrund sollte gerade die Reform des Sozialen Entschädigungsrechts vom Ziel umfassender und großzügig ausgestalteter Leistungen geprägt sein und dieses Ziel im Interesse der Beschädigten und Gewaltopfer auch umgesetzt werden. Einschränkungen zulasten der Opfer, z. B. hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereiches (§ 106 ff.) oder enger Antragserfordernisse (§ 11), sollten ebenso kritisch überdacht werden wie die im Vergleich zum BVG eingeschränkten leistungsrechtlichen Ausgestaltungen des neuen SGB XIII.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Stellungnahmne: Soziales Entschädigungsrecht [269 KB]