Gemeinsamen Empfehlung „Reha-Prozess“
Stellungnahme des SoVD zum Vorschlagsentwurf der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation für eine Gemeinsame Empfehlung „Reha-Prozess“ (Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung, zur Erkennung, Ermittlung und Feststellung der Rehabilitationsbedarfes, zur Teilhabeplanung und zu Anforderungen an die Durchführung von Leistungen zur Teilhabe gemäß § 26 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 1-3 und 6 und gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 2, 3, 5, 7-9 SGB IX) mit Stand 26. März 2018.
Der SoVD begrüßt, dass es auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) gelungen ist, eine umfassende Empfehlung „Reha-Prozess“ zu entwickeln.
Der SoVD verbindet mit der neuen Gemeinsamen Empfehlung die Hoffnung, dass den Rehabilitationsträgern damit ein einheitliches Verständnis und eine einheitliche Praxis des mit dem Bundesteilhabegesetz neu geschaffenen Reha-Verfahrensrechts gelingen möge. Es ist richtig und aus Betroffenensicht notwendig, dabei sämtliche Verfahrensabschnitte – Bedarfserkennung, Zuständigkeitsklärung, Bedarfsermittlung/ -feststellung, Teilhabeplanung, Leistungsentscheidung, Durchführung von Leistungen der Teilhabe und Aktivitäten nach Ende der Leistung zur Teilhabe – in den Blick zu nehmen. Die Gemeinsame Empfehlung „Reha-Prozess“ kann hierfür wichtige Impulse für eine einheitliche Rechtsanwendung der Träger geben und ist insoweit zu begrüßen.
Der SoVD verbindet mit dem umfangreichen Erarbeitungsprozess zur Gemeinsamen Empfehlung „Reha-Prozess“ die Hoffnung, dass diese von den Reha-Trägern – anders als in der Vergangenheit – nunmehr konsequent bekannt gemacht und in der Praxis berücksichtigt wird; es bleiben jedoch Zweifel, ob dies angesichts des erheblichen Umfanges des Dokuments gelingen kann.
Ungeachtet dieser Vorüberlegungen möchte der SoVD noch einige Anregungen für die Gemeinsame Empfehlung (GE) „Reha-Prozess“ mit Blick auf den weiteren Arbeits- und Beschlussprozess geben:
1. Komplexes Recht erfordert Übersetzung in einfache Sprache – im Interesse der Betroffenen
Der SoVD betont, dass das mit dem BTHG geschaffene Reha-Verfahrensrecht überaus komplex ausgestaltet wurde. Auch die Gemeinsamen Empfehlungen unterstreichen dies: sie haben einen Umfang von über 80 Seiten.
Die rechtlichen Normen sind nicht nur für die Reha-Träger maßgeblich, sondern auch für die Menschen mit (drohenden) Behinderungen wichtig. Damit die Betroffenen das für sie geschaffene, neue Recht auch tatsächlich in der Praxis nutzen und einfordern können, braucht es eine „Übersetzung“.
Der SoVD hält es daher für unbedingt erforderlich, dass auf Ebene der BAR für die Betroffenen Publikationen in einfacher und verständlicher Sprache zum neuen Reha-Verfahrensrecht erarbeitet und veröffentlicht werden. Alle Reha-Träger sollten diese Publikationen vorhalten und den Betroffenen jederzeit zur Verfügung stellen.
2. Zu einzelnen Regelungen
Es wird begrüßt, dass in § 5 GE das Meistbegünstigungsprinzip verankert werden konnte. Danach haben Reha-Träger davon auszugehen, dass ein Antragsteller – sofern er seinen Antrag nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Leistung beschränkt – sämtliche nach der Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt. Die Verankerung dieses Prinzips als allgemeiner Reha-Prozess-Grundsatz ist richtig und liegt im Interesse der Menschen mit (drohenden) Behinderungen.
Positiv ist zudem die Verankerung von Barrierefreiheit als weiteren Reha-Prozess-Grundsatz in § 7 GE. Dabei wird Barrierefreiheit nicht nur auf Informations- und Beratungsangebote bezogen, sondern auch auf das gesamte Verwaltungsverfahren und die Leistungen zur Teilhabe selbst erstreckt.
Die Regelungen zur Teilhabeplankonferenz (§ 58 ff.) sind aus Sicht der Betroffenen besonders wichtig, da dort die erforderlichen Beratungen und Abstimmungen mit dem Betroffenen und sämtlichen Rehabilitationsträgern gebündelt ermöglicht werden. Eine Teilhabeplankonferenz sichert die Zusammenarbeit der Reha-Träger und gewährleistet die Partizipation der Betroffenen. Der SoVD hatte sich deshalb im Gesetzgebungsverfahren mit Nachdruck für das „Recht auf Teilhabeplankonferenz“ zugunsten der Betroffenen eingesetzt. Ausdruck dieses Rechts ist es auch, eigene Vertrauenspersonen zur Teilhabekonferenz hinzuzuziehen. Denn dies sichert, dass Betroffene sich für ihre Belange Unterstützung organisieren und auf „Augenhöhe“ mitagieren können. Zu Recht sieht § 20 Abs. 3 SGB IX-neu daher auch die Teilnahmemöglichkeit für „sonstige Vertrauenspersonen“ auf Wunsch des Leistungsberechtigten vor. Doch eine vergleichbare Regelung fehlt in § 59 GE: dort werden nur Bevollmächtigte und Beistände aufgeführt, nicht hingegen die sonstigen Vertrauenspersonen. Diese Leerstelle sollte noch ausgebessert und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend ausgestaltet werden.
Abschließend weist der SoVD darauf hin, dass die GE keinerlei Regelungen zur Genehmigungsfiktion des § 18 Abs. 3 SGB IX-neu enthält. Danach gilt die beantragte Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt, wenn der Rehabilitationsträger nicht innerhalb der gesetzlichen Frist über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe entscheidet und dem Leistungsberechtigten vor Fristablauf die Gründe hierfür nicht schriftlich mitteilt. Dann können die Leistungsberechtigten vom Rehabilitationsträger die Erstattung der Aufwendungen für die selbst beschaffte Leistung verlangen. Aus Betroffenensicht ist die Genehmigungsfiktion ein wichtiger rechtlicher Hebel, um Rehabilitationsträger zur Beachtung der gesetzlichen Fristen anzuhalten; § 13 Abs. 3 SGB V enthält eine vergleichbare Regelung im Krankenversicherungsrecht. Da das neue Recht einige unbestimmte Rechtsbegriffe enthält („grobe Außerachtlassung der allgemeinen Sorgfalt“, „unaufschiebbare Leistung“, „notwendige Leistung“) wäre eine gemeinsame Konkretisierung dieser Begrifflichkeiten durch die GE aus Sicht des SoVD nicht nur wünschenswert, sondern geboten.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Stellungnahmne: Reha-Prozess [164 KB]