UN-Behindertenrechtskonvention
Stellungnahme des SoVD zum Entwurf eines Nationalen Aktionsplans 2.0 (NAP 2.0) „Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“
Vorliegend nimmt der SoVD gern die Möglichkeit wahr, den Referentenentwurf zum Nationalen Aktionsplan 2.0 der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (NAP 2.0) zu bewerten.
Da der mehr als 350 Seiten umfassende Referentenentwurf dem SoVD erst am 20. April 2016 zuging und die Stellungnahmefrist bereits am 13. Mai 2016 bereits endet, ist vor dem Hintergrund der parallelen Diskussion zum Referentenentwurf Bundesteilhabegesetz (mehr als 360 Seiten) sowie zum Pflegestärkungsgesetz III (über 100 Seiten) jedoch nur eine kurze Bewertung des NAP 2.0 durch den SoVD leistbar. Der SoVD bedauert dies sehr, sieht jedoch angesichts der Parallelität der Beteiligungsverfahren keine andere Möglichkeit.
1. Vorbemerkung
Der UN-Fachausschuss hat Aktionspläne als grundsätzlich gutes Instrument zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) bewertet.
Damit der Aktionsplan jedoch ein tatsächlich wirksames und strategisches Handlungsinstrument zur (verpflichtenden) Umsetzung der BRK wird, sind Anforderungen
a) an dessen inhaltliche Gestaltung,
b) an ein übergreifendes, strategisches, vernetztes Herangehen sowie
c) an eine prozessbegleitende Umsetzungsgestaltung
zu stellen. An diesen Vorgaben bewertet der SoVD den vorliegenden NAP 2.0.
2. Inhaltliche Gestaltung des Aktionsplans
a. Strategischer Gesamtansatz
Der SoVD hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, den NAP als strategisches Gesamtinstrument auszugestalten, statt mit ihm lediglich eine Vielzahl von Maßnahmen gebündelt aufzulisten. Ein Aktionsplan ist dann positiv, wenn er nicht nur „viel Aktion“, sondern vor allem auch „viel Plan“ enthält.
Umsetzung im NAP 2.0:
Auch im NAP 2.0 liegt der Schwerpunkt in der Auflistung einer Vielzahl einzelner, konkreter Maßnahmen. Gleichwohl ist der Wille der Bundesregierung erkennbar, über einzelne Maßnahmen hinauszugehen und strategischer als im NAP 1.0 vorzugehen. So gibt es eine größere Zahl von ressortübergreifenden Maßnahmen. Auch strukturell vernetzende Ansätze zwischen Bund und Ländern, z.B. zwischen KMK, BMBF und BMAS im Bildungsbereich, sind erkennbar. Keinerlei strukturelle Vernetzung hingegen findet zwischen dem Aktionsplan des Bundes und den Aktionsplänen der Länder statt. Diese existieren weiter nebeneinander, bauen nicht zwingend aufeinander auf und sind von sehr unterschiedlicher Qualität.
b. Berücksichtigung von Zielvorgaben der BRK bei der Problembeschreibung
Der SoVD befürwortet, den Nationalen Aktionsplan eng an den menschenrechtsbasierten Vorgaben der BRK selbst sowie der darauf aufbauenden „Abschließenden Bemerkungen“ des UN-Fachausschusses für Deutschland rückzubinden. Es bedarf einer Problembeschreibung, die darauf aufbauend konkret die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen beschreibt, Defizite aufzeigt und Handlungsbedarfe verdeutlicht.
Die Zielvorgaben sind folglich nicht auf die Maßnahmen bezogen zu beschreiben (Prüfmaßstab: „Die Maßnahme wäre bereits dann erfolgreich, wenn sie abgeschlossen wird.“), sondern sie müssen auf die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen bezogen werden. Konkret ist zu fragen bzw. zu prüfen, inwiefern eine Maßnahme real dazu bei trägt, die Teilhabemöglichkeiten behinderter Menschen tatsächlich zu verbessern.
Umsetzung im NAP 2.0:
Der SoVD würdigt den erkennbaren Willen der Bundesregierung, den NAP 2.0 stärker an den Vorgaben der BRK und an den Abschließenden Empfehlungen des UN-Fachausschusses rückzubinden: Deren Inhalte werden im NAP 2.0 handlungsfeldbezogen dargestellt. Auch wird die tatsächliche Lebenssituation behinderter Menschen stärker als im NAP 1.0 geschildert, um Handlungsbedarfe zu verdeutlichen.
Zugleich wurde ein kompliziertes, mehrstufiges Zielsystem (vgl. 1.3) entwickelt. Es arbeitet mittels Oberzielen, Zielen und Instrumentalzielen und ermöglicht eine Zuordnung einzelner Maßnahmen. Doch dieses Zielsystem beinhaltet keine quantitativen Zielvorgaben, die an den Teilhabezielen der BRK ausgerichtet sind und mittels Indikatoren in der Zielerreichung überwacht werden. Dies war eine zentrale Forderung des UN-Fachausschusses in den abschließenden Bemerkungen. Der SoVD unterstützt diesen Ansatz ausdrücklich: Maßnahmen zur beruflichen Teilhabe müssen sich z.B. daran messen lassen, ob sie tatsächlich die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen senken.
Die Bundesregierung setzt sich zwar mit der Kritik inhaltlich auseinander und erkennt das grundsätzliche Erfordernis quantitativer Zielvorgaben an, verweist jedoch vorrangig auf den Teilhabebericht sowie die beabsichtigte Repräsentativbefragung. Nur für sehr wenige Maßnahmen werden tatsächlich quantitative Ziele formuliert. Vorrangig soll zur Umsetzung des NAP 2.0 zukünftig einmal jährlich mittels elektronischer Statusabfrage dem Steuerungsgremium auf Abteilungsleiterebene ein aggregierter Bericht zur Maßnahmenumsetzung, einschließlich Evaluation, erstattet werden. Die Details selbst obliegen dabei den Ressorts selbst.
Insoweit bedauert der SoVD, dass auch der NAP 2.0 kaum auf quantitative Zielvorgaben setzt, die auf konkrete, bessere Teilhabemöglichkeiten behinderter Menschen bezogen sind und an denen die Maßnahmen auszurichten und zu bewerten sind.
Überdies werden die Maßnahmen auch nicht konsequent an den Vorgaben der BRK und den Empfehlungen des UN-Fachausschusses ausgerichtet. So werden z.B. mit dem aktuell reformierten Behindertengleichstellungsgesetz, entgegen der Vorgaben der BRK und des UN-Fachausschusses, private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen weiterhin nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet. Barrieren für behinderte Menschen bleiben so bestehen und können sogar neu errichtet werden. Der NAP 2.0 ändert an diesem gravierenden Missstand nichts, obwohl er Barrierefreiheit als zentrales Ziel im komplexen Zielsystem des NAP 2.0 (vgl. 1.3) herausstellt.
c. Systematische Bündelung von Maßnahmen
Ein guter Aktionsplan muss ein umfassendes Paket von Maßnahmen beinhalten. Dieses darf auch gesetzgeberische Maßnahmen nicht ausklammern, sondern muss diese einschließen. Zudem befürwortet der SoVD die Bündelung von Maßnahmen, die einer gemeinsamen Zielvorgabe dienen. Zugleich ist eine Priorisierung von Maßnahmen bzw. die Verfolgung strategischer Gesamtansätze zu ermöglichen.
Disability Mainstreaming ist überdies ein wirkungsvoller Ansatz, um die Belange behinderter Menschen in allen Gesetzgebungsverfahren systematisch zu berücksichtigen und die Wirkung eines Gesetzes in Bezug auf die Teilhabe behinderter Menschen systematisch zu prüfen. Dieser Ansatz ist vorzuziehen gegenüber einem Patchworkansatz, der lediglich Einzelvorhaben sammelt und auflistet.
Umsetzung im NAP 2.0:
Der NAP 2.0 beinhaltet über 200 Einzelmaßnahmen und baut auf den NAP 1.0 auf. Priorisierungen und Bündelungen in Bezug auf diese Vielzahl von Einzelmaßnahmen sind, nach Ansicht des SoVD, im NAP 2.0 bedauerlicherweise jedoch nicht vorgesehen.
Der NAP 2.0 enthält mit 29 % deutlich mehr Maßnahmen im Bereich Verabschiedung oder Überarbeitung von Gesetzesrecht. Dies ist sehr positiv anzuerkennen. Gleichwohl ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit ein Gesetzgebungsprojekt tatsächlich die Vorgaben der BRK umsetzt. So ist z.B. im Hinblick auf das mehrfach angeführte Bundesteilhabegesetz zu fragen, inwieweit es tatsächlich die Wunsch- und Wahlrechte behinderter Menschen stärkt und das Recht auf freie Wahl von Wohnform und –ort nach Art. 19 BRK gewährleistet.
Der NAP 2.0 sieht vor, dass Disability Mainstreaming mittels eines Leitfadens unterstützt werden soll. Es besteht jedoch keine verbindliche Verpflichtung für alle Bundesministerien, die Belange behinderter Menschen bei ihrer Arbeit und ihren Initiativen zu berücksichtigen. Die fehelende Verbindlichkeit sieht der SoVD als großes Defizit, sie erschwert einen systematischen Handlungsansatz.
d. Indikatoren zur Überwachung der Umsetzung
Damit ein Aktionsplan wirkungsvoll umgesetzt wird, braucht es Indikatoren zur Überwachung. Die Indikatoren müssen BRK-fundiert sein und eine Einschätzung darüber ermöglichen, inwieweit Rechte der BRK geschützt, gefördert oder gewährleistet werden. Maßstab muss also auch hier die BRK und die Abschließenden Bemerkungen des Fachausschusses für Deutschland sein.
Auch die Prognos-AG hatte anlässlich der Evaluation des NAP 1.0. gefordert: „Der kursorische Überblick über die Evaluationspraxis im Kontext des NAP zeigt, dass bisher kaum verbindliche Strukturen und Verpflichtungen bestehen, um den erläuterten Anforderungen an eine informationsbasierte Steuerung und Weiterentwicklung des NAP gerecht werden zu können.“
Umsetzung im NAP 2.0:
Die Umsetzungsüberwachung obliegt u.a. der Steuerungsgruppe auf Abteilungsleiterebene aller Bundesressorts. Sie sollen einmal jährlich mittels elektronischer Statusabfrage einen aggregierten Bericht zur Maßnahmenumsetzung, einschließlich Evaluation, erhalten. Zudem soll der Entwicklungs- und Umsetzungsprozesses des NAP durch den NAP-Ausschuss und anderen öffentlichen Beteiligungsformaten (Werkstattgespräche u.a.) flankiert werden.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit das vorgesehene Verfahren dazu beiträgt, eine verbindliche Überwachung der Umsetzung des NAP 2.02.0 zu ermöglichen. Indikatoren, welche die Maßnahmenumsetzung an den Vorgaben der BRK messen, bleiben zusätzlich erforderlich. Sie sind bislang nicht konkret erkennbar. Zwar verweist die Bundesregierung hier auf die indikatorengestützte Teilhabeberichterstattung sowie die beabsichtigte Repräsentativbefragung. Dies sind jedoch nur Einzelmaßnahmen des NAP 2.0; ein Indikatorenkonzept braucht es jedoch für den NAP 2.0 insgesamt.
3. Übergreifende Handlungsansätze/ Strategische Verzahnung
e. Einbeziehung aller Ministerien (horizontaler Ansatz)
Ein Aktionsplan muss behindertenpolitische Initiativen aus allen Bundesministerien beinhalten und diese umfangreich verpflichtend einbeziehen.
Umsetzung im NAP 2.0:
Sehr positiv wertet der SoVD, dass neben den Sozialressorts verstärkt auch alle anderen Bundesressorts Maßnahmen zum NAP 2.0 beigesteuert haben. Die Sozialressorts verantworten nunmehr 44 % der Maßnahmen. 11 % der Maßnahmen sind ressortübergreifend angelegt. Gleichwohl divergiert die Beteiligungsintensität zwischen den Ressorts weiterhin stark. So hat das Bundesministerium für Verteidigung lediglich drei Maßnahmen in den NAP 2.0 eingebracht.
f. Föderalismus (Vertikaler Ansatz)
Deutschland ist ein föderaler Bundesstaat. Mit der Ratifikation der BRK besteht die gemeinsame Pflicht von Bund, Ländern und Kommunen, die BRK umzusetzen. Ein Aktionsplan kann und muss hier eine gemeinsame Handlungsstrategie für Bund und Länder begründen.
Dies gilt ganz besonders für föderale Handlungsfelder, z.B. bei der Inklusion in der schulischen Bildung. Ungeachtet föderaler Zuständigkeiten muss der Aktionsplan verpflichtende Handlungsabsprachen zwischen Bund und Ländern treffen, um bundesweit vergleichbare Entwicklungen, z.B. bei schulischer Inklusion, zu forcieren und dafür gemeinsam verbindliche Prozessstrukturen zu verabreden.
Umsetzung im NAP 2.0:
Unter 4.2 wagt der NAP 2.0 einen „Blick in die Länder – Beiträge der Bundesländer“. Leider bleiben die Darstellungen der Länder sehr unverbunden nebeneinander. Ein systematisch vernetztes Bund-Länder-Herangehen ist auch im NAP 2.0 nicht zu erkennen.
Positiv sind erste Ansätze, im Bildungsbereich Bund und Ländern stärker gemeinsam zu agieren. Die Abschnitte zu Lehrerbildung und Teilhabeforschung (3.2) gehen in die richtige Richtung, bleiben jedoch recht vorsichtig. Der verabredete Bund-Länder-Austausch zur inklusiven Bildung ist richtig und notwendig, bleibt jedoch unverbindlich in seiner Zielsetzung. Auch 7 Jahre nach Inkrafttreten der BRK in Deutschland vermisst der SoVD verbindliche bundesweite Qualitätsstandards zur inklusiven Bildung; der NAP 2.0 klammert diese verbändeseitig seit vielen Jahren erhobene Forderung weiterhin aus.
g. Querschnittlicher (Mainstreaming) Ansatz
Nicht zuletzt ist ein systemisches, querschnittliches Herangehen zu befürworten, das durch einen gesetzlich verpflichtenden Disability-Ansatz in Bezug auf alle Akteure (Bund, Länder, alle Ministerien, Gesetzgebung, Verwaltung) umgesetzt werden kann. Rückschritte können so verhindert und Fortschritte systematisch in die Prüfung einbezogen werden.
Umsetzung im NAP 2.0:
Vorgesehen sind Anlaufstellen in allen Bundesministerien für die BRK und die Umsetzung durch den Aktionsplans. Zugleich ist ein Leitfaden zum Disability Mainstreaming in Arbeit. Letzterer ist jedoch rechtlich nicht verbindlich anzuwenden, er soll lediglich „sensibilisieren“, die Belange behinderter Menschen in den Blick zu nehmen. Damit bleibt offen, ob Disability mainstreaming tatsächlich verbindlich implementiert und umgesetzt wird in allen Ressorts.
4. Prozessbegleitende Umsetzungsgestaltung
Die Umsetzung muss strukturell verbindlich angelegt sein und ressortübergreifende Nachsteuerungsmöglichkeiten eröffnen.
Überdies ist es notwendig, den Umsetzungsprozess systematisch durch Behindertenverbände begleiten zu lassen. Dies entspricht dem Partizipationsgebot nach Art 4. BRK. Hier bedarf es verlässlicher Verfahrensregeln, die Beratungsabläufe strukturieren und wirksame Beteiligung ermöglichen. Auch braucht es (verbindliche) Berichtspflichten des Focal Points sowie aller beteiligten Bundesressorts in den prozessbegleitenden Gremien.
Umsetzung im NAP 2.0:
Der SoVD sieht mit dem NAP 2.0 weiterhin keine ressortübergreifende Steuerung des NAP-Umsetzungsprozesses. Federführend im Prozess bleibt das BMAS, das gleichrangig neben anderen Ressorts agiert. Zwar wurde eine Steuerungsgruppe auf Abteilungsleiterebene aller Bundesressorts geschaffen, die u.a. den Umsetzungsprozess begleitet. Jedoch gibt es nach wie vor keine Verankerung des NAP im Bundeskanzleramt. So fehlt eine verbindliche Steuerungsmöglichkeit gegenüber den Ressorts.
Der SoVD sieht im NAP-Ausschuss ein Gremium, das die Umsetzungsgestaltung prozessbegleitend wahrzunehmen geeignet ist. Vor Kurzem wurde dort eine Verfahrensordnung verabschiedet. Es steht zu hoffen, dass damit zukünftig eine verbindliche, prozessgestaltende Umsetzungsgestaltung durch den NAP-Ausschuss möglich wird. Bislang erfolgen Umsetzungsberichte aus den Ressorts vorrangig mündlich; auch wurde der NAP 2.0. in dem Gremium eher kursorisch anberaten. Es steht zu hoffen, dass mit der nunmehr verabschiedeten Verfahrensordnung die Beratungen zukünftig verbindlicher und auf der Grundlage systematischer, barrierefreier, schriftlicher Beratungsunterlagen möglich werden.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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