Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz (RISG)
Stellungnahme des SoVD zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensiv-pflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung
1 Zusammenfassung des Referentenentwurfs
Mit dem Entwurf soll einem Anpassungsbedarf bei den geltenden leistungsrechtlichen Regelungen zur medizinischen Rehabilitation und zur außerklinischen Intensivpflege nachgekommen werden.
Im Bereich der außerklinischen Intensivpflege soll ein neuer Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege eingeführt werden. Leistungen der außerklinischen Intensivpflege sollen danach regelhaft in Pflegeeinrichtungen oder Intensivpflege-Wohneinheiten erbracht werden. In Ausnahmefällen kann die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt des Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden, was bei Minderjährigen angenommen wird. Bei kontinuierlich beatmeten oder tracheotomierten Versicherten sei das Vorliegen der Indikation für die Verordnung außerklinischer Intensivpflege besonders zu prüfen sowie das Potential zur Reduzierung der Beatmungszeit bis hin zur vollständigen Beatmungsentwöhnung bzw. zur Entfernung der Trachealkanüle (Dekanülierung) zu erheben und mit der Verordnung zu dokumentieren.
Daneben soll mit einem Bündel von Maßnahmen die Rehabilitation im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt werden. Vorgesehen sind u.a. folgende Maßnahmen:
- Beschleunigung des Zugangs zur geriatrischen Rehabilitation nach vertragsärztlicher Verordnung ohne Überprüfung der medizinischen Erforderlichkeit durch die Kassen,
- Reduzierung der Mehrkostenbeteiligung bei Auswahl einer anderweitigen Rehabilitationseinrichtung sowie
- Anpassungen im Entlassmanagement.
Das Gesetz soll mit Verkündigung in Kraft treten.
2 SoVD – Gesamtbewertung
Das Reha-und Intensivpflege-Stärkungsgesetz formuliert als Aufgabe der medizinischen Rehabilitation, „Körperfunktionen (wieder-) herzustellen und Aktivitäten zu ermöglichen, so dass Menschen sich in ihrem Alltag zurechtfinden oder wieder in diese zurückfinden. Der SoVD kritisiert dieses enge Rehabilitationsverständnis mit aller Deutlichkeit. Es bleibt ganz erheblich hinter dem Rehabilitationsrecht des SGB IX zurück. Der SoVD betont: Auch medizinische Rehabilitation nach SGB V muss das Ziel haben, die Selbstbestimmung der betroffenen Menschen sowie ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern.
Die Ziele Selbstbestimmung und Teilhabe konkretisieren sich behindertenpolitisch u.a. im grundlegenden Recht auf freie Wahl von Wohnort und Wohnform sowie in der Gewährleistung des Wunsch- und Wahlrechts nach § 8 SGB IX zugunsten von Menschen mit Behinderungen bzw. der von Behinderung bedrohten Menschen. Der SoVD mahnt eindringlich, diese Ziele zur Grundlage des o.g. Gesetzentwurfes zu machen und sie in konkreten Einzelregelungen konkretisierend umzusetzen. Dies leistet der Entwurf bislang keinesfalls ausreichend.
Zwar sieht auch der SoVD die Notwendigkeit, eine Qualitätsdebatte im Bereich der Intensivpflege und medizinischen Rehabilitation zu führen. Erforderlich sind höhere Qualitätsstandards und bessere Qualitätskontrollen, ambulant wie stationär. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Betroffenen die Leidtragenden sind und gezwungen werden, in stationäre Einrichtungen umzuziehen! Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege muss sich nach dem individuellen Bedarf der Betroffenen richten, das Recht auf freie Wahl von Wohnform und –ort sowie das Wunsch- und Wahlrecht der*s Versicherten uneingeschränkt sicherstellen. Ziel muss ein Mehr an Selbstbestimmung sein und nicht ein Weniger. Zugleich müssen Rehabilitationsaspekte stärker berücksichtigt werden. Finanzielle Aspekte dürfen dabei nicht im Vordergrund stehen.
Die Zielrichtung, den Grundsatz „Reha vor (und bei) Pflege“ zu stärken wird unterstützt. Die geplanten Regelungen zur Verbesserungen der medizinischen Rehabilitation sollten sich hingegen nicht auf die geriatrische Rehabilitation beschränken. Um den Grundsatz „Reha vor und bei Pflege“ tatsächlich zu stärken, müssen die Aspekte der Rehabilitation, insbesondere der Früh-Rehabilitation, insgesamt stärker im Gesetzentwurf mitberücksichtigt werden. Rehabilitationsmaßnahmen sind zur Vermeidung und Reduzierung von bereits eingetretener oder drohender Pflegebedürftigkeit unverzichtbar.
3 Zu den Regelungen im Einzelnen
a) Neuer Leistungsanspruchs auf außerklinische Intensivpflege
Zu Artikel 1 Nr. 1 (§ 37 II 3 SGB V¹ NEU) und Nr. 2 (§ 37c I 1 NEU)
Mit dem Referentenentwurf sollen Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege künftig die Leistungen auf Grundlage der neu geschaffenen Spezialvorschrift des § 37c I 1 erhalten.
SoVD-Bewertung: Der SoVD hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Norm, sofern damit lediglich der Vorrang des Anspruches auf außerklinische Intensivpflege vor dem Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 normiert ist. Nicht hingegen darf der neue Anspruch nach § 37c – NEU andere Leistungen zulasten der Versicherten (z.B. nach § 37 Abs.1) verkürzen oder gar ausschließen. Der SoVD verweist auch darauf, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege für die Versicherten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, z.T. auch in Werkstätten für behinderte Menschen zu leisten ist. Auch hier darf eine Spezialnorm, wie mit § 37c beabsichtigt, nicht verengend wirken. Es muss gewährleistet werden, dass der anspruchsberechtigte Personenkreis nach § 37c der Personenkreis ist, der nach bisherigem Recht aufgrund eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege auch bei Unterbringung in stationären Pflegeeinrichtungen ausnahmsweise Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 II 3 bzw. 8 hatte.
b) Verordnung der Leistung durch besonders qualifizierte Vertragsärzte
c) Rehabilitationspotential erkennen und dokumentieren
d) „Regelhafte“ stationäre Unterbringung nicht akzeptabel
e) Die Länder nicht aus der Finanzierungsverantwortung entlassen
f) Rehabilitationsaspekte im Entlassmanagement umfassend stärken
g) SoVD kritisiert fortbestehende Mehrkostenregelung
h) Zugangserleichterung für alle Rehabilitationsfälle gefordert
i) Leistungsdauer muss sich am individuellen Bedarf orientieren
j) Aufhebung der Wiederholungsfrist
4 Fazit
Wenn die Bunderegierung gegen Fehlversorgung und Missbrauchsmöglichkeiten im Bereich der Intensivpflege vorgehen will, darf das am Ende nicht zu einem Weniger an Selbstbestimmung zulasten der Betroffenen oder gar zu Zwangseinweisungen in Pflegeheime führen. Nachbesserungen am vorliegenden Referentenentwurf sind deshalb unverzichtbar. Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege muss sich nach dem individuellen Bedarf der Betroffenen richten und das Recht auf freie Wahl von Wohnort und Wohnform sowie die Wunsch- und Wahlrechte der Versicherten ausdrücklich berücksichtigen. Ziel muss ein Mehr an Selbstbestimmung sein und nicht ein Weniger. Die geplanten Regelungen zur Verbesserung der medizinischen Rehabilitation dürfen sich nicht auf die geriatrische Rehabilitation beschränken. Aspekte der Rehabilitation kommen insgesamt zu kurz und müssen stärker mitberücksichtigt werden.
[Vollständige Stellungnahme im PDF]
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
SoVD-Stellungnahmne: Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG [342 KB]