Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Stellungnahme des Sozialverband Deutschland (SoVD) zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (BT-Drs.-19/28653)
1 Wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfes und SoVD-Gesamtbewertung
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (im Folgenden: BFSG) soll die Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act; im Folgenden: EAA-Richtlinie) in deutsches Recht umsetzen.
Der Anwendungsbereich des BFSG umfasst dabei Produkte wie Computer, Tablets, Notebooks, Zahlungsterminals, Geld-, Fahrausweis- und Check-In-Automaten, interaktive Selbstbedienungsterminals, Mobiltelefone, Router, Fernseher oder auch E-Book-Lesegeräte.
Im Bereich der Dienstleistungen werden u.a. Internetzugangsdienste, Online-Handel und andere Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, Sprach- und Internettelefondienste, Bankdienstleistungen und E-Books erfasst.
Als Wirtschaftsakteure verpflichtet sind nach Maßgabe des BFSG Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer, Händler sowie Dienstleistungserbringer. Sie müssen gewährleisten, dass nur solche Produkte bzw. Dienstleistungen auf dem Markt bereitgestellt, angeboten oder erbracht werden, die den Barrierefrei-Anforderungen entsprechen. Um dies nachzuweisen, müssen für die entsprechenden Produkte EU-Konformitätserklärungen ausgestellt sein und diese müssen mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein.
Das BFSG enthält in § 3 eine Definition von Barrierefreiheit. Die konkretisierenden Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen werden im Wege einer Rechtsverordnung normiert.
Ausgenommen von den verpflichtenden Vorgaben des BFSG sind Kleinstunternehmen. Für kleine und mittlere Unternehmen gelten spezifische Regelungen, insbesondere mit Blick auf Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte. Auch für andere Marktteilnehmer gilt die Pflicht zur Barrierefreiheit nicht uneingeschränkt; sie kann etwa unter Aspekten der Verhältnismäßigkeit beschränkt sein.
Das BFSG enthält umfangreiche Regelungen zur Marktüberwachung, welche die Länder als „eigene Angelegenheit“ ausführen sollen. Die zuständigen Stellen sollen etwa überwachen, dass Wirtschaftsakteure ihre Pflichten zur Gewährleistung von Barrierefreiheit einhalten, oder ob bei Wirtschaftsakteuren die Voraussetzungen vorliegen, um sich auf Ausnahmeregelungen von der Barrierefreiheit berufen zu können. Bei fehlender Barrierefreiheit oder Nichtkonformität von Produkten bzw. Dienstleistungen ergreift die Marktüberwachungsbehörde im BFSG vorgesehene Maßnahmen.
Zur Rechtsdurchsetzung sieht das BFSG Regelungen zu Verwaltungsverfahren, Rechtsbehelfe und Schlichtungsverfahren vor, die Verbraucher*innen bzw. auch Verbände initiieren können.
Die verpflichtenden Vorgaben zur Barrierefreiheit von Gütern und Dienstleistungen sollen nach dem 28. Juni 2025 greifen. Zusätzlich enthält das BFSG weiterreichende Übergangsbestimmungen: in Bezug auf Dienstleistungen bis 2030 und in Bezug auf Selbstbedienungsterminals bis 2040.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt, dass mit dem BFSG (private) Wirtschaftsakteure rechtlich verbindlich verpflichtet werden, die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, soweit diese vom BFSG umfasst sind, sicherzustellen. Das BFSG stellt einen anerkennenswerten rechtlichen Schritt dar, um der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, insbesondere in der digitalen Welt, näherzukommen. Mit dem BFSG obliegt den benannten Wirtschaftsakteuren die grundsätzliche Verpflichtung zu gewährleisten, dass ihre Produkte bzw. Dienstleistungen Barrierefrei-Anforderungen entsprechen.
Anders als im Referentenentwurf geplant, trägt das Gesetz nicht mehr den Titel „Barrierefreiheitsgesetz“. Der jetzige Titel „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ ist sachgerechter, da er nicht falsche Erwartungen weckt. Denn das Gesetz regelt nicht die umfassende Barrierefreiheit von Gütern und Dienstleistungen, sondern beschränkt sich auf die Umsetzung der EAA-Richtlinie.
Der SoVD sieht bei diversen Normen des BFSG erheblichen Nachbesserungsbedarf. Ziel muss dabei sein, die europarechtlichen Vorgaben ihrem Sinn und Zweck entsprechend mutig im nationalen Recht zu implementieren, ein für die Menschen verständliches und widerspruchsfreies Recht zu schaffen, effektive und wirksame Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen für die Praxis vorzusehen sowie ein zügiges Inkrafttreten der neuen Barrierefreiheitsvorgaben sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund spricht sich der SoVD insbesondere dafür aus:
- die konkretisierenden Vorgaben zur Barrierefreiheit der vom BFSG erfassten Güter und Dienstleistungen mittels Rechtsverordnung zügig und im Interesse der Menschen mit Behinderungen zu erlassen und die Verbände der Menschen mit Behinderungen an der Erarbeitung zu beteiligen,
- die Ausnahmen von der Pflicht zur Barrierefreiheit noch stärker an den Interessen der Menschen mit Behinderungen auszurichten,
- im Bereich der Beförderungsdienste für umfassende, konsistente und zügige Barrierefreiheit Sorge zu tragen,
- bauliche Barrieren beim Zugang zu digitalen Angeboten bzw. Automaten nicht aus dem Gesetz auszuklammern,
- die Marktüberwachung von Produkten und Dienstleistungen wirksam und effektiv auszugestalten und ein bundesweit möglichst einheitliches und abgestimmtes Vorgehen zu ermöglichen,
- wirksame Überprüfungen in Verwaltungs- und Rechtsschutzverfahren sicherzustellen sowie
- die Übergangsfristen angesichts der aktuellen Corona-Pandemie deutlich zu verkürzen.
2 Zu Regelungen des BFSG im Einzelnen
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DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Zur vollständigen SoVD-Stellungnahmne: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz [230 KB]