Mutterschutzgesetz (MuSchG)
Stellungnahme des SoVD zum Entwurf zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
1. Vorbemerkung
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) vertritt die sozialpolitischen Interessen der gesetzlich Rentenversicherten, der gesetzlich Krankenversicherten, der pflegebedürftigen und behinderten Menschen. Seit 1919 kämpft der Verband zudem für eine eigenständige wirtschaftliche und soziale Sicherung der Frauen.
Der SoVD begrüßt, dass das Mutterschutzgesetz (MuSchG), wie zwischen SPD und CDU für die 18. Legislaturperiode im Koalitionsvertrag vereinbart, reformiert werden soll. Mit dem Gesetzentwurf soll das MuSchG zeitgemäß und verständlicher gefasst werden. Um eine bessere Umsetzung des Mutterschutzes in der Praxis sicherzustellen, soll ein Ausschuss für Mutterschutz eingerichtet werden. Darüber hinaus sieht der Entwurf unionsrechtliche Anpassungen im Gesundheitsschutz, im Anwendungsbereich und im Kündigungsschutz vor.
Im Referentenentwurf wird darauf hingewiesen, dass seit Inkrafttreten des MuSchG im Jahr 1952 sich die Arbeitswelt und die Erwerbstätigkeit von Frauen in erheblichem Umfang gewandelt hätten. Das betreffe sowohl die Berufsfelder als auch die Vorstellungen der Frauen über ihre Aufgaben in Beruf und Familie. Sie übten selbstverständlich Berufe aus, die ihnen damals nicht zugänglich gewesen seien. Für sie gehörten Berufstätigkeit und Familienaufgaben zusammen, und sie wünschten sich, Beruf und Familie gleichberechtigt in Einklang zu bringen. Mit ihren Partnern oder Partnerinnen wollten sie sich Beruf und Familie gleichermaßen aufteilen. Diese gleichberechtigte Partnerschaft sei inzwischen sowohl für Frauen als auch für Männer ein erklärtes Ziel.
Der Mutterschutz müsse einerseits den Frauen und ihren Kindern Schutz vor gesundheitlichen Gefährdungen während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit gewährleisten, andererseits aber auch die gestiegene Bedeutung und Wertschätzung der eigenen Erwerbstätigkeit für Frauen berücksichtigen. Weil (werdende) Mütter und ihre Kinder auf eine gute Umsetzung des MuSchG angewiesen seien, bedürfe es einer zeitgemäßen Anpassung und besseren Verständlichkeit der mutterschutzrechtlichen Regelungen. Neben den Vorstellungen und Wünschen der Frauen in Bezug auf ihre Berufstätigkeit hätten sich die Anforderungen im Beruf und die Vielfalt der belastenden Arbeitsbedingungen gewandelt. Nicht nur die tatsächlichen Gefährdungen, sondern auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Belastungen und Gefährdungen definierten die Anforderungen an einen effektiven Mutterschutz.
Der SoVD begrüßt daher grundsätzlich die geplante Neuregelung des Mutterschutzrechts. Sie dient dazu, eine verantwortungsvolle Interessenabwägung zwischen der Gesundheit der schwangeren Frau, der Mutter und der stillenden Frau und ihres (ungeborenen) Kindes einerseits und ihrer selbstbestimmten Teilhabe an der Erwerbstätigkeit andererseits zu gewährleisten sowie ein (bundes-)einheitliches Schutzniveau für alle Frauen in Beschäftigung sicherzustellen. Darüber hinaus soll Diskriminierungen von schwangeren und stillenden Frauen entgegengewirkt werden.
2. Zur Bewertung des Referentenentwurfes im Einzelnen
Zu § 1 Anwendungsbereich
§ 1 beinhaltet die Neuregelung des Anwendungsbereiches. § 1 Absatz 2 Satz 2 sieht vor, dass das MuSchG auch für Frauen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt sind, gilt.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt ausdrücklich die Ausweitung des Gesetzes auf Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Das war nach Ansicht des SoVD dringend überfällig. Der SoVD fordert nachdrücklich sicherzustellen, dass die Werkstätten in der Pflicht stehen, schwangere und stillende Frauen mit Behinderung über ihre Rechte barrierefrei zu informieren, zum Beispiel durch einen Flyer in leichter Sprache. Das war nach Ansicht des SoVD überfällig, da oft in Zweifel gezogen wurde, ob die Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen überhaupt für behinderte Mitarbeitende in Werkstätten gelten.
Nach Auffassung des SoVD müssen künftig auch Schülerinnen und Studentinnen im Anwendungsbereich miteinbezogen werden. Mutterschutz muss allen Frauen zuteilwerden, die schwanger werden können.
Zu § 3 Schutzfristen
§ 3 Absatz 2 regelt die Modalitäten des nachgeburtlichen Beschäftigungsverbots. § 3 Absatz 2 Satz 2 sieht vor, dass sich die Schutzfrist nach der Entbindung von acht Wochen auf zwölf Wochen nunmehr auch dann verlängert, wenn vor Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung bei dem Kind eine Behinderung im Sinne von § 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ärztlich festgestellt wird.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt ausdrücklich die Berücksichtigung der besonderen Belastungen und Anforderungen der Mütter in den erweiterten Schutzfristen des Referentenentwurfs, bei deren Neugeborenen in den ersten acht Wochen eine Behinderung festgestellt wird. Der Referentenentwurf erkennt, dass das Kind gerade auch in der ersten Zeit nach der Entbindung häufig einen erhöhten Pflegebedarf hat, die Entbindung für die Mutter mit besonderen körperlichen Belastungen verbunden sein kann und daraus oft besondere psychische Belastungssituationen erwachsen können.
Zum Wohle der Mutter und ihres Kindes in den ersten zwölf Wochen nach der Entbindung fordert der SoVD, an die ärztliche Feststellung der Behinderung im Sinne von § 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, insbesondere keine versorgungsamtlichen Feststellungen treffen zu lassen. Um gleichzeitig auch die Belange der Mütter zu berücksichtigen, könnte die Frist, die über die reguläre 8-Wochen-Schutzfrist hinausgeht, als disponibles Recht zugunsten der Mutter ausgestaltet werden.
Zu § 5 Freistellen für Untersuchungen und zum Stillen
In § 5 werden die Freistellungsansprüche für Untersuchungen während der Schwangerschaft und zum Stillen zusammengeführt. Neben der Übernahme des Regelungsgehalts der bisherigen Regelungen zu den Stillpausen sieht der Referentenentwurf in § 5 Absatz 2 Satz 1 künftig die Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die bezahlte Freistellung für Stillzeiten vor. Demnach hat der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin eine stillende Frau auf ihr Verlangen während der ersten zwölf Monate nach der Entbindung für Stillzeiten freizustellen. Die Festlegung einer zeitlichen Obergrenze sei im Rahmen dieser Vorschrift klarstellend erforderlich. Sinn und Zweck der Vorschrift sei ein Interessenausgleich zwischen dem Anspruch des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin an der Arbeitsleistung der bei ihm beschäftigten Mutter einerseits und dem allgemeinen Interessen der Bewahrung von Mutter und Kind vor Gefahren für Gesundheit und Kindesentwicklung, die mit dem Arbeitseinsatz der Mutter verbunden sind, andererseits. Dies erfordere, den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus mit den Kosten und Schwierigkeiten betrieblicher und organisatorischer Art, die mit der Stillzeitgewährung verbunden sein können, nicht mehr zu belasten.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die Übernahme des bezahlten Anspruchs der Mutter auf Freistellung von der Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin für die Zeit des Stillens. Dies ermöglicht stillenden Müttern eine frühzeitige Rückkehr in das Erwerbsleben unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Stillens für ein gesundes Wachstum und eine gesunde Entwicklung des Kindes sowie für die Gesundheit der Mutter. Die Förderung der Ernährung des Säuglings mit Muttermilch ist richtig und wird auch von der WHO befürwortet.
Aus Sicht des SoVD ist die Einführung einer zeitlichen Obergrenze im Hinblick auf die bestehenden Interessen aus Klarstellungsgründen nachvollziehbar und die Festlegung auf die ersten zwölf Monate nach der Entbindung vertretbar. Mit zunehmendem Alter des Säuglings steigt die Bereitschaft zur Aufnahme von Beikost. Dies hängt ebenso wie die Länge des weiteren Teilstillens vom Einzelfall ab. So empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das ausschließliche Stillen als natürliche Ernährung des Säuglings und Kleinkinds bis zu sechs Monate nach der Entbindung ohne Beikost und das Teilstillen mindestens bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes . Dem trägt der Referentenentwurf in seiner Begründung und der Festlegung auf die ersten zwölf Monate nach der Entwicklung hinreichend Rechnung. Ein Interessenausgleich zwischen den Belangen des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin und den Belangen der Mutter wird hiermit sichergestellt.
Darüber hinaus fordert der SoVD, dass mit der bezahlten Freistellung zum Stillen sichergestellt werden soll, dass der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin auch vorhandene geeignete Räumlichkeiten im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung zur Verfügung stellen muss, damit das Stillen bzw. das Abpumpen von Muttermilch nicht auf der Toilette oder an sonstigen ungeeigneten Orten vonstattengehen muss. Auch soll es die Möglichkeit geben, Muttermilch kühl zu lagern. Für eine zumutbare Anpassung der Stillgelegenheit muss der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin sorgen.
Zu § 8 Beurteilung der Arbeitsbedingungen; Gefährdungsbeurteilung und Schutzmaßnahmen
Mit § 8 Absatz 1 und 2 wird die Verpflichtung des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin zur mutterschutzrechtlichen anlassunabhängigen und einzelfallbezogenen Beurteilung der Arbeitsbedingungen geregelt. Danach hat der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin bereits bei der Einrichtung eines Arbeitsplatzes für jede Tätigkeit die Arbeitsbedingungen zu ermitteln und die Gefahren zu beurteilen, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind ausgesetzt ist oder sein kann. Nach Mitteilung einer bestehenden Schwangerschaft oder Stillzeit hat nochmals eine einzelfallbezogene Prüfung zu erfolgen. § 8 Absatz 3 regelt das betriebliche Beschäftigungsverbot für den Fall der Nichteinhaltung der Vorgaben des Absatzes 1 und 2.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die praxistaugliche, systematische Klarstellung der generellen (anlassunabhängigen) Beurteilung der Arbeitsbedingungen in Absatz 1 und der konkretisierten (einzelfallbezogenen) Beurteilung der Arbeitsbedingungen in Absatz 2. Die Eingliederung der Regelungen des § 1 Mutterschutzarbeitsverodnung (MuSchArbV) in das MuSchG trägt zur praxistauglichen Umsetzung und Beachtung erheblich bei.
Zu § 12 Dokumentation und Information durch den Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin
In Anlehnung an § 6 ArbSchG regelt § 12 des vorliegenden Referentenentwurfs in Absatz 1 Art und Umfang der Dokumentationspflichten des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin im Hinblick auf die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 8 des Referentenentwurfs. Nach Absatz 2 obliegen dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin Informationspflichten über die generelle Gefährdungsbeurteilung gegenüber allen bei ihm beschäftigten und tätigen Personen (Absatz 2) sowie zusätzlich über die konkretisierte Gefährdungsbeurteilung nach § 8 Absatz 2 der schwangeren oder stillenden Frau (Absatz 3).
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die mit der Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Regelungen im Mutterschutzrecht verbundene Klarstellung der Dokumentationspflicht für den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin in Absatz 1. Eine ordentliche Dokumentation ist Grundlage sowohl für die nachstehenden Informationspflichten der Absätze 2 und 3 an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als auch für die Informationspflichten des Arbeitgebers bzw. die Arbeitgeberin gegenüber der Aufsichtsbehörde nach § 23 des Referentenentwurfs (vormals § 19 MuSchG). Die Eingliederungen der Regelungen des § 2 MuSchArbV in die neuen Absätze 2 und 3 tragen auch an dieser Stelle zu einer Verbesserung der praxistauglichen Umsetzung und Beachtung des Mutterschutzrechts erheblich bei.
Zu § 15 Kündigungsverbot
§ 15 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 greift den Regelungsgehalt des bisherigen § 9 Absatz 1 Satz 1 MuSchG auf und erstreckt den Kündigungsschutz auf weitere Tatbestände. Anstelle der bisherigen Regelung, wonach das Kündigungsverbot während der Schwangerschaft und bis zu vier Wochen nach der Entbindung gilt, soll nun die Kündigung während der Schwangerschaft, bis zum Ende der Schutzfrist nach der Entbindung, bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung oder bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche, unzulässig sein.
Nach Satz 1 Nummer 4 gilt künftig der Kündigungsschutz für Fälle der Entbindung, das heißt einer Lebendgeburt oder einer Totgeburt und im Falle der Fehlgeburt, wenn die Schwangerschaft mindestens zwölf Wochen bestanden hat.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt ausdrücklich, dass der Kündigungsschutz bei einer nach der zwölften Schwangerschaftswoche erfolgten Fehlgeburt neu eingeführt wird. Frauen nach einer Fehlgeburt sind einer besonderen Belastungssituation ausgesetzt. Mit der Stichtagsregelung nach der zwölften Schwangerschaftswoche wird dem Umstand Rechnung getragen, dass im Allgemeinen die Schwangerschaft der Frau aus psychologischer Sicht danach als „sicher“ bewertet wird und sich die Bindung der Mutter zu ihrem werdenden Kind ab diesem Zeitraum besonders intensiviert.
Der SoVD bewertet es als positiv, dass Frauen besser vor Kündigung geschützt werden, die ihr Kind verloren haben. Der SoVD befürwortet diese gesetzliche Neuregelung, die einen Kündigungsschutz ermöglicht, unabhängig davon, ob die Frau eine Tot- oder Fehlgeburt erlitten hat. Bisher galt kein Kündigungsschutz für Frauen, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt haben durchmachen müssen. Von einer Totgeburt spricht man im rechtlichen Sinne, wenn ein Kind von mindestens 500 g Gewicht tot geboren wurde oder während der Geburt verstorben ist; von einer Fehlgeburt, wenn das Gewicht eines Kindes bei seiner Geburt weniger als 500 g wiegt.
§ 25 Ausschuss für Mutterschutz
§ 25 regelt die Einrichtung und die Aufgaben des neuen Ausschusses für Mutterschutz.
Ein weiteres wesentliches Ziel der Reform ist die bessere Umsetzung des Mutterschutzes. Deshalb soll ein Ausschuss für Mutterschutz neu eingerichtet werden. Die von ihm erarbeiteten Empfehlungen sollen Orientierung bei der praxisgerechten Umsetzung der mutterschutzrechtlichen Regelungen bieten.
SoVD-Bewertung: Der SoVD befürwortet die Einrichtung eines Ausschusses für Mutterschutz, der Empfehlungen zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erarbeiten soll. Damit kann er einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung und Erleichterung des Gesetzesvollzugs liefern. Nach Ansicht des SoVD sollte der Ausschuss darüber hinaus als eine Art Beschwerdeinstanz fungieren. Frauenpolitische Verbände, wie der SoVD, sind miteinzubeziehen.
3. Schlussbemerkung und Ausblick
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) begrüßt grundsätzlich die Neuregelung des Mutterschutzrechts, weil damit auch die Verpflichtung eingelöst wird, das deutsche Mutterschutzrecht an den verfassungs- und europarechtlich vorgegebenen Leitbildwechsel anzupassen und ein nationales Mutterschutzrecht zu etablieren, das der gleichberechtigten beruflichen Teilhabe ebenso Rechnung trägt wie dem Gesundheitsschutz schwangerer und stillender Frauen und deren (ungeborener) Kinder am Arbeitsplatz.
Der SoVD teilt die Ansicht des BMFSFJ, dass eine Reform des Mutterschutzrechts, ein ausreichendes, einheitliches Schutzniveau für alle schwangeren und stillenden Frauen zum Ziel haben muss. Der SoVD bewertet es als positiv, wenn auch überfällig, dass Frauen mit Behinderungen erstmals ausdrücklich benannt werden, sieht allerdings Nachbesserungsbedarf bezüglich der Informationspflichten der Werkstätten.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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