RV Leistungsverbesserungs- & Stabilisierungsgesetz
Stellungnahme des SoVD zum Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-LVuStabG)
I Vorbemerkungen
Bei dem Referentenentwurf handelt es sich um eine innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmte Vorlage. Es sollen damit einige rentenpolitische Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden. Dabei geht es in erster Linie um die vereinbarte Stabilisierung des Rentenniveaus und des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2025, die Verlängerung der Zurechnungszeit bei den Erwerbsminderungsrenten, die Erweiterung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder („Mütterrente II“) sowie die Ausweitung und Weiterentwicklung der sog. Gleitzone zu einem sozialversicherungsrechtlichen Einstiegsbereich. Der Referentenentwurf gibt auch Auskunft über die Finanzierung dieser Maßnahmen und sieht weitere Bundesmittel für die Rentenversicherung vor, um die vereinbarte Beitragssatzobergrenze zu garantieren.
Der SoVD spricht sich generell für eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung aus. Neben Leistungsverbesserungen ist es ihm ein besonderes Anliegen, rechtzeitig auf Entwicklungen hinzuweisen, die aus seiner Sicht im deutschen Rentensystem nicht vorkommen sollten. Dazu gehören vermehrt nicht auskömmliche Renten und der damit verbundene Anstieg von Altersarmut, der sich zukünftig fortsetzen dürfte, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. In seinen Publikationen „Für eine lebensstandardsichernde Rente“ und „Bekämpfung von Altersarmut“ hat der SoVD detailliert dargelegt, wie Rentnerinnen und Rentner wieder an der Wohlstandsentwicklung der Gesellschaft partizipieren können und der Gefahr von Armut im Alter wirksam begegnet werden kann.
Mit dem vorliegenden Referentenentwurf zeigt die Bundesregierung, dass die vom SoVD geforderte Stärkung der gesetzlichen Rente nötig und auch möglich ist. Sie zeigt auch, dass die vom SoVD oben geschilderten Entwicklungen als Problem anerkannt wurden und Gegenmaßnahmen erforderlich sind. Der SoVD begrüßt deshalb prinzipiell die Stoßrichtung des Referentenentwurfs und die vorgesehenen Leistungsverbesserungen, die sich im Einzelnen allerdings vielfach als unzureichend erweisen. Darauf wird im Folgenden genauer eingegangen.
II Zu den Regelungen im Einzelnen
1) Stabilisierung des Rentenniveaus
Die bisherigen Untergrenzen des Rentenniveaus von 46 Prozent bis 2020 und 43 Prozent bis 2030 werden abgelöst durch die Garantie eines Rentenniveaus von 48 Prozent bis 2025 (sog. Haltelinie I). Dazu wird die Rentenanpassungsformel bis zum Jahr 2025 um eine Niveauschutzklausel ergänzt, die sicherstellt, dass bei der Bestimmung des aktuellen Rentenwerts ein Mindestsicherungsniveau von 48 Prozent nicht unterschritten wird.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt diese Maßnahme. Von der „Mindestanpassungsgarantie“ und der damit verbundenen Stabilisierung des Rentenniveaus geht eine wichtige Signalwirkung aus, die von erheblicher Bedeutung für die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Allerdings ist dies nur ein erster Schritt. Eine Stabilisierung auf einem höheren Rentenniveau (mindestens 50 Prozent) und über das Jahr 2025 hinaus wäre sinnvoller gewesen. Gerade für die junge Generation ist eine stabile und lebensstandardsichernde Rente ein wichtiges Merkmal für einen auch zukünftig funktionierenden und gerechten Sozialstaat. Um die Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente wiederherzustellen, ist nach der beabsichtigten Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent eine stufenweise Anhebung des Rentenniveaus auf die früheren 53 Prozent netto vor Steuern nötig. Konkrete Schritte hierzu hat der SoVD in seinen Publikationen und Stellungnahmen mehrfach dargelegt (siehe v.a. die Broschüre „Für eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente“). Im Ergebnis wäre eine Rückkehr zu einem lebensstandardsichernden Rentenniveau wichtig für die Partizipation der Rentnerinnen und Rentner an der Wohlstandsentwicklung der Gesellschaft.
2) Obergrenze für den Beitragssatz und zusätzliche Bundesmittel
Im Referentenentwurf ist vorgesehen, dass der Beitragssatz zur allgemeinen Renten-versicherung bis 2025 höchstens 20 Prozent betragen darf (sog. Haltelinie II). Die finanzielle Absicherung dieser Beitragssatzgarantie erfolgt im Bedarfsfall durch zusätzliche Bundesmittel. Darüber hinaus sind Sonderzahlungen des Bundes an die Rentenversicherung in den Jahren 2022 bis 2025 in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen, die ausschließlich für die Garantie der Beitragssatzobergrenze von 20 Prozent eingesetzt werden dürfen.
SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt diese Maßnahme. Es ist richtig, dass der Staat neben Bundeszuschüssen zusätzliche Steuermittel bereitstellt und damit seine Verantwortung für die gesetzliche Rentenversicherung zum Ausdruck bringt. Allerdings gäbe es für das Ziel der Beitragssatzstabilisierung und anderer Maßnahmen zur Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich mehr finanziellen Spielraum, wenn in der Vergangenheit die sog. beitragsungedeckten Leistungen als gesamtgesellschaftliche Aufgaben vollständig aus Steuermitteln finanziert worden wären. Deshalb beläuft sich das Defizit bei den Bundeszuschüssen bereits heute auf mehr als 20 Milliarden Euro und steigt entsprechend bei weiteren Fehlfinanzierungen. Der SoVD plädiert deshalb für eine adäquate Anhebung des Bundeszuschusses.
Schließlich spricht sich der SoVD für eine etwas weniger dogmatische Fixierung im Hinblick auf die gesteckten Beitragssatzziele aus. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Beitragserhöhungen sollte berücksichtigt werden, dass der derzeitige Beitragssatz von 18,6 Prozent so niedrig ist, wie seit langem nicht mehr, und nach den Angaben im Referentenentwurf – trotz der vorgesehenen Leistungsverbesserungen – auch bis zum Jahr 2022 nahezu stabil bleiben soll. Damit ist die Entwicklung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung in den letzten Jahren erheblich günstiger ausgefallen als es seinerzeit im Zuge der Riester-Reform befürchtet worden ist. Denn in dem Gutachten der Rürup-Kommission aus dem Jahr 2003 ist davon ausgegangen worden, dass die Absenkung des Rentenniveaus zwingend erforderlich sei, um einen für das Jahr 2020 befürchteten Beitragssatzanstieg auf 21,5 Prozent auf „nur“ 20,2 Prozent abzubremsen. Mit dem nunmehr für das Jahr 2020 erwarteten Beitragssatz von 18,6 Prozent wird das Beitragssatzziel der Riester-Reform um 1,6 Beitragssatzpunkte übererfüllt, was zugleich deutlich macht, dass die Absenkung des Rentenniveaus in den letzten Jahren überdimensioniert war und ein Kurswechsel in der Rentenpolitik dringend erforderlich ist. Letztlich stellt sich die verteilungspolitische Frage, ob die Rentnerinnen und Rentner weiterhin durch die Absenkung des Rentenniveaus und durch Kürzungen bei den Rentenanpassungen belastet werden sollen oder ob es nicht vielmehr angezeigt ist, auch die Beitragszahler (Versicherte und Arbeitgeber je zur Hälfte) und die Steuerzahler (Bundeszuschuss) angemessen zu beteiligen.
3) Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten
Für Rentenzugänge im Jahr 2019 soll nach dem Referentenentwurf die Zurechnungszeit in einem Schritt auf das vollendete 65. Lebensjahr und 8 Monate verlängert werden. Für Versicherungsfälle im Jahr 2018 endet die Zurechnungszeit dagegen unverändert mit Vollendung des 62. Lebensjahres und 3 Monaten. Von 2020 bis 2031 wird das Ende der Zurechnungszeit dann stufenweise auf das vollendete 67. Lebensjahr verlängert und verläuft damit analog zur Anhebung der Regelaltersgrenze.
SoVD-Bewertung: Die beschleunigte Anhebung der Zurechnungszeit ist generell zu begrüßen. Aus Sicht des SoVD wäre es allerdings die bessere Lösung, wenn die Rentenabschläge bei den Erwerbsminderungsrenten, die bis zu 10,8 Prozent betragen können, abgeschafft würden. Für erwerbsgeminderte Menschen ist es generell nicht nachvollziehbar, warum sie aufgrund ihrer Erkrankung, die eine weitere Beschäftigung unmöglich macht, Abschläge auf ihre Rente hinnehmen müssen. Zu Recht empfinden sie diese Tatsache als Bestrafung für eine Situation, in die sie nicht freiwillig geraten sind. Solange dieser Zustand fortbesteht, wird darüber bei den Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern weiterhin Unverständnis vorherrschen. Im gleichen oder noch höheren Maß werden Unverständnis und großer Unmut darüber vorherrschen, dass erneut zwischen Neuzugang und Rentenbestand bei Erwerbsgeminderten unterschieden wird und damit die heutigen Bezieherinnen und Bezieher von Erwerbsminderungsrenten wieder einmal bei den Leistungsverbesserungen leer ausgehen. Der SoVD fordert deshalb mit Nachdruck, hier eine Lösung zu finden, die neben den Neuzugängen auch den Bestand miteinschließt.
4) Verbesserungen bei den Kindererziehungszeiten
Der Referentenentwurf sieht für Mütter und Väter die Verlängerung der Kindererziehungszeit für vor 1992 geborene Kinder um ein weiteres Jahr vor (sogenannte Mütterrente II). Dies gilt aber nur für diejenigen, die mindestens drei Kinder erzogen haben. Nur dieser Personenkreis erfährt also eine Gleichstellung bei der Kindererziehung mit Eltern von nach 1992 geborenen Kindern. Die Maßnahme führt mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2019 zu erheblichen finanziellen Belastungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, da die Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel für die „Mütterrente II“ nicht vorgesehen ist.
SoVD-Bewertung: Die Ausweitung der Anerkennung von Zeiten der Kinderziehung geht prinzipiell in die richtige Richtung; das Ziel ist nämlich die komplette Gleichstellung bei der Kindererziehung durch Anerkennung eines dritten Entgeltpunktes für vor 1992 geborene Kinder. Die Regelung im Referentenentwurf schafft aber durch die Beschränkung auf den Personenkreis mit mindestens drei Kindern neue unterschiedliche Bewertungen von Erziehungszeiten und damit neue Ungerechtigkeiten. Das ist für die zahlreichen durch die Regelung nicht erfassten Mütter und Väter zu recht nicht nachvollziehbar, weil ihre Erziehungsleistung als weniger wert angesehen wird. Auch bei der Finanzierung der Mütterrente II verortet der Gesetzgeber systemwidrigerweise die Kosten erneut bei der Rentenversicherung und finanziert diese Maßnahme nicht aus Steuermitteln, wie es bei einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe folgerichtig der Fall sein sollte. Der SoVD fordert daher dringend eine sozial gerechte Lösung, die letztlich nur mit der Gleichbehandlung von Kindererziehungszeiten vor und nach 1992 hergestellt werden kann und sachgerecht mit Mitteln des Bundes finanziert wird.
5) Entlastung von Geringverdienern
Die sogenannte Gleitzone oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze wird von bisher maximal 850 Euro auf 1.300 Euro ausgeweitet. Sie wird nun zum „Einstiegsbereich“, in welchem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei den Sozialversicherungs-beiträgen entlastet werden, wenn das monatliche Entgelt den Betrag von 1.300 Euro nicht übersteigt. Die reduzierten Rentenbeiträge führen in der Neuausrichtung der Gleitzone nicht mehr zu geringeren Rentenansprüchen.
SoVD-Bewertung: Dass die Neufassung der Gleitzone nicht zu geminderten Rentenansprüchen der Beschäftigten führt, ist zunächst einmal ein positiver Aspekt. Dennoch weist der SoVD darauf hin, dass die Arbeitnehmer zwar eine Beitragsentlastung erhalten, aber leistungsrechtlich keine armutsvermeidenden Verbesserungen erfahren, denn mit den zusätzlichen Entgeltpunkten wird nur ein Ausgleich der Rentenminderung erreicht, die durch die verminderte Beitragszahlung entstanden ist. Aus Sicht des SoVD wäre es daher die bessere Lösung, die Beiträge der Geringverdiener – wie bei allen anderen versicherungspflichtigen Arbeitnehmern – nach dem tatsächlichen Arbeitsentgelt zu bemessen und zugleich für diesen Personenkreis leistungsrechtliche Verbesserungen vorzunehmen, indem die zusätzlichen Entgeltpunkte als Ergänzung zu den „normalen“ Beitragszahlungen zur Aufstockung der Renten eingesetzt werden. Damit könnte für die Bezieher von Niedriglöhnen die Chance auf eine armutsfeste Alterssicherung nicht unerheblich erhöht werden. Demgegenüber zementiert das Instrument der Gleitzone den ohnehin stark gewachsenen Niedriglohnsektor (u.a. Mini- und Midijobs). Der SoVD hat schon mehrfach auf die langfristig negative Bedeutung von niedrigen Löhnen auf die späteren Rentenanwartschaften hingewiesen. Niedrige Löhne, auch der aktuelle Mindestlohn, führen dauerhaft zu Armutsrenten. Deshalb setzt sich der SoVD auch für einen höheren Mindestlohn ein und für eine aktive Eindämmung des Niedriglohnbereichs. Für eine bessere soziale Absicherung im Alter von Geringverdienern schlägt der SoVD vor, Freibeträge in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch für Rentenleistungen vorzusehen, die auf Pflichtbeiträgen beruhen.
III Schlussbemerkungen
Der SoVD erkennt an, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der geplanten und vor allem gesetzlich fixierten Stabilisierung des Rentenniveaus eine erste wichtige Maßnahme ergreift, die den im SGB VI § 154 Abs. 3 verankerten Automatismus eines kontinuierlich sinkenden Rentenniveaus aussetzt. Das ist zu begrüßen. Aus Sicht des SoVD ist das aber ein erster richtiger Schritt, um dann anschließend eine stufenweise Anhebung des Rentenniveaus auf die früheren 53 Prozent netto vor Steuern vorzunehmen. Nur ein klares Bekenntnis zur Lebensstandardsicherung aus der gesetzlichen Rente ist im Sinne einer generationenübergreifenden Gerechtigkeit der richtige Weg. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung und Verantwortung nötig, um den heutigen und morgigen Rentnerinnen und Rentnern eine lebensstandardsichernde Rente zu bieten, die auf einer stabilen und verlässlichen Basis gründet.
Unzureichend bleiben die Vorschläge im Hinblick auf die Erwerbsminderungsrenten. Die Ausdehnung der Zurechnungszeit ist unbestritten eine Leistungsverbesserung für die Betroffenen. Eine deutlich größere Entlastung für Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner wäre jedoch die Abschaffung der sozial ungerechten Abschläge. Neue Ungerechtigkeiten schafft die Tatsache, dass Bestandsrentner von der Verlängerung der Zurechnungszeit nicht profitieren, was diesen Menschen nicht vermittelbar ist.
Die Neuregelungen bei den Kindererziehungszeiten bleiben hinter den Erwartungen deutlich zurück und sind für die nicht erfassten Mütter und Väter mehr als enttäuschend. Sie schaffen neue Ungerechtigkeiten und sind zudem hinsichtlich der Vermeidung von Altersarmut nicht zielführend; denn Frauen, die aufgrund ihrer niedrigen Rente auf aufstockende Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen sind, gehen bei der geplanten Maßnahme leer aus, weil der zusätzliche Entgeltpunkt auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet wird. Das ließe sich vielfach vermeiden, wenn der Gesetzgeber das Instrument des Rentenfreibetrags, das seit 2018 für Leistungen der freiwilligen Altersvorsorge gilt, nun auch auf die Leistungen der gesetzlichen Rente ausweiten würde, die auf Pflichtbeiträgen beruhen. Schließlich versäumt es der Gesetzgeber, die anfallenden Kosten für die Mütterrente II systemkonform aus Steuermitteln zu finanzieren und bürdet der gesetzlichen Rentenversicherung Kosten auf, die eigentlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vom Bund zu tragen sind. Das Vertrauen, das der Staat der gesetzlichen Rente mit erweiterten Finanzmitteln zur Stabilisierung von Rentenniveau und Beitragssatz entgegenbringt, sollte nicht durch Fehlfinanzierungen bei anderen Maßnahmen relativiert werden.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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