SoVD-Podcast: Coronavirus
Masken, Impfung, Infektion: Information und Aufklärung sowie Herausforderungen und Perspektiven im Umgang mit COVID-19
Coronavirus: Fragen und Inhalte
00:55 Corona: Wie haben sich Virus und Impfstoffe verändert?
06:08 Individuelle Aufklärung und zielgenaue Maßnahmen gegen COVID
09:05 Grundimmunität: Schutz vor Coronainfektion oder schwerem Krankheitsverlauf?
13:22 Brauchen wir eine Impfpflicht zum Schutz vor Corona?
14:58 Corona-Schutzmaßnahmen: Wann machen Maske und Abstand Sinn?
19:47 Infektionsschutz muss für alle bezahlbar und zugänglich sein
25:02 Mangelnde Ressourcen im Gesundheitswesen: Was sind die Konsequenzen?
28:24 Was kommt nach Corona?
Wir müssen in die Bereiche hinein, wo es sozioökonomisch schwierig ist, wo zum Teil Sprachbarrieren vorhanden sind. Das wäre ganz entscheidend gewesen, hier frühzeitig und zielgerichtet Unterstützung in Form von niedrigschwelligen Angebote bereitszustellen.
“Zu Gast ist der Virologe und Hochschullehrer Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit. Er forscht am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg und untersucht Ebola, Malaria, Dengue oder auch das von Zecken übertragene FSME. Er sagt: „Wir werden in der Zukunft häufiger mit gefährlichen Viren zu tun haben – und müssen vor allem arme Menschen besser schützen.“
Coronavirus: Der SoVD-Podcast zum Lesen
SR: Susanne Rahlf
KW: Klaus Wicher
JSC: Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit
SR: „Sozial? Geht immer!“ – der Podcast vom Sozialverband SoVD in Hamburg mit Klaus Wicher und Susanne Rahlf. Herzlich willkommen zu unserem SoVD-Podcast. Mein Name ist Susanne Rahlf.
KW: Mein Name ist Klaus Wicher. Ich bin Landesvorsitzender des SoVD in Hamburg.
SR: Schönen guten Tag! Heute zu Gast haben wir Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit. Herr Schmidt-Chanasit ist Virologe, Hochschullehrer an der Uni Hamburg und er arbeitet schon seit vielen Jahren am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Wir sprechen heute über die Pandemie, die soziale Spaltung, die die Pandemie zur Folge hat und die Entwicklung des Virus.
00:55 Corona: Wie haben sich Virus und Impfstoffe verändert?
SR: Herr Schmidt-Chanasit, wie hat sich das Virus im Laufe dieser Zeit verändert?
JSC: Wir sehen grade eine Welle, die – zumindest in Hamburg – in sich zusammenbricht und die durch die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 hervorgerufen wird. Alle Daten, nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere aus Südafrika, Dänemark und Großbritannien zeigen, dass diese Variante im Vergleich zu den davor zirkulierenden Varianten, also Delta, mildere Verläufe hervorruft.
Das heißt, dass sich das Virus stärker im Nasen-Rachenraum vermehrt und nicht mehr so tief in die Lunge geht. Das ist eine positive Entwicklung. Es treten nicht mehr so schwerwiegende Verläufe auf. Was ich aber dazu sagen muss: wenn wir jetzt gar keine Impfung hätten und ein Großteil der Menschen noch ungeimpft wäre, so wie am Anfang der Pandemie, dann wären auch die Auswirkungen der Omikron-Variante anders als jene, die wir jetzt sehen.
KW: Können wir jetzt alle Vorsicht fallen lassen oder müssen wir jetzt richtig aufpassen? Also im Grunde genommen darauf aus sein, sich impfen zu lassen.
JSC: Also die Impfung ist natürlich auf Neudeutsch ein Game-Changer gewesen. In der Pandemie ist die Entwicklung gleichzeitig vieler hoch wirksamer Impfstoffe, also nicht nur der mRNA-Impfstoffe, sondern auch der Vektor-Impfstoffe, wirklich ein Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte gewesen und hat in so kurzer Zeit Millionen von Menschenleben gerettet.Insofern können wir da sehr dankbar sein für diesen Impfstoff.
Da ist es natürlich auch mit der Omikron-Variante und der aktuell in sich zusammenbrechenden Omikron-Welle in Hamburg so, dass nach wie vor das Virus auch in den nächsten Jahren für die besonders gefährdeten Menschen, die zum Beispiel sehr alt sind oder Vorerkrankungen haben, eine Herausforderung sein wird. So wie andere Infektionskrankheiten auch. Und darum geht es letztendlich.
Ist die Sonderrolle des SARS-CoV-2-Virus in der Zukunft noch gerechtfertigt? Oder müssen wir die Ressourcen, die wir jetzt sehr stark für dieses eine Virus einsetzen, auch für andere Gesundheitsrisiken einsetzen, damit wir die nicht aus dem Auge verlieren?
KW: Bevor wir da drauf einsteigen, Herr Schmidt-Chanasit, noch mal eine Frage zu den mRNA-Impfstoffen. Das ist für viele eine gewisse Unsicherheit: Ist das was Neues? Das haben wir noch nie gehabt. Kann das mein Erbgut verändern? Ist das für schwangere Frauen besonders gefährlich?
JSC: Diese mRNA-Impfstoffe sind jetzt milliardenfach verimpft worden und sind sehr gut verträglich. Insofern müssen wir auch noch mal ganz klar sagen, dass diese Impfung Millionen von Menschenleben gerettet hat. Es treten wie bei allen Impfstoffen und auch bei allen Medikamenten natürlich Nebenwirkungen auf – und darüber müssen wir offen sprechen.
Wir sollten immer das individuelle Gespräch mit den Menschen suchen, wenn es Befürchtungen gibt. Die individuelle Impf-Beratung ist das, was es braucht, um auch durchaus unterschiedliche Wahrnehmung bezüglich der Impfstoffe aufzugreifen.
Die Menschen haben unterschiedliche persönliche Erlebnisse. Zum Beispiel könnte es sein, dass jemand schon mal in der Familie einen wirklich schwerwiegenden Impfschaden davongetragen hat. Und damit müssen wir im ärztlichen Beratungsgespräch umgehen, darauf eingehen und dann ganz klar sagen, die und die Fakten gibt es oder das kann passieren. Also zum Beispiel das Risiko der Herzmuskelentzündung, das es ja durchaus gibt.
Wir müssen es dann im Verhältnis sehen: Wie groß ist das Risiko, dass ich zum Beispiel an der SARS-CoV-2-Infektion versterbe oder schwer erkranke und wie groß ist das Risiko, dass sich mein Herzmuskel entzündet? Wie gut kann ich das eine behandeln? Wie gut kann ich das andere behandeln? Und das sind Themen, die in diesen Gesprächen stattfinden müssen.
06:08 Individuelle Aufklärung und zielgenaue Maßnahmen gegen COVID
KW: Sie wären auch ein Freund dafür, dass wir sagen, wir müssen so ein Gespräch vorher machen. Die Frage ist, wie verpflichtend müssen wir das machen, also um wirklich auch alle Menschen vor Irrwegen zu schützen?
JSC: Ich bin wirklich ein Freund davon, solche Gespräche verpflichtend zu machen. Die können von mir aus auch gerne aufsuchend sein, damit die Hürden, die für manche durchaus da sind – weil sie sehr stark beruflich eingebunden sind, sich um ihre Familie kümmern müssen oder vielleicht viele Kinder haben – abgebaut werden. Dass wir die Möglichkeit haben, dass bestimmte Ärzten diese Menschen auch zu Hause aufsuchen. Dass zumindest so ein Beratungsgespräch stattfindet, bei dem alle Fragen gestellt werden können und bei dem in einer vertrauensvollen Atmosphäre so etwas auch diskutiert werden kann.
SR: Würden Sie denn sagen, dass wir noch eine Impfpflicht brauchen? Sie sagten gerade die Omikron-Welle wird jetzt so langsam brechen. Wie sieht es denn im Herbst aus? Brauchen wir da dann noch die Pflicht überhaupt?
JSC: Das ist natürlich erst mal eine politisch normative Frage, nicht unbedingt eine virologische, infektiologische Frage. Aber ich kann Ihnen sagen, welche Fragen wir vielleicht beantworten müssten, damit wir diese Frage der Impfpflicht besser beantworten können: Welche Impfstoffe werden im Herbst verfügbar sein? Gerade ist ein Protein-Impfstoff verfügbar geworden von der Firma Novavax. Wie ist die Situation im Herbst? Welche Varianten zirkulieren dann und wie gut schützen die dann verfügbaren Impfstoffe vor einer möglicherweise neuen Variante?
Die wichtigste Frage: Wie stark gefährden denn die komplett immunologisch Naiven, also die nicht Geimpften und nicht genesenen, unser Gesundheitssystem? Bei den Bundesländern ist das unterschiedlich stark, also in Hamburg anders als zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern oder in anderen schwächeren Regionen. Diese Frage müssen wir beantworten, und das können wir durchaus. Wir müssen eine repräsentative Kohortenstudie machen. In der Studie wird gezeigt: die sind geimpft, die sind genesen, dann gibt es welche, die sind genesen und geimpft oder geimpft und genesen. Und dann gibt es einen bestimmten Anteil, der keinen Schutz hat.
Und gerade dieser Anteil bei den über 60-jährigen, stellt quasi eine potenzielle Gefahr dar, wenn sie sich alle gleichzeitig infizieren und erkranken. Das macht einen Unterschied, ob das 500.000 sind oder ob das drei Millionen sind. Genau das müssen wir jetzt wissen, das müssen wir für den Herbst wissen. Und dann können wir uns darauf vorbereiten. Das hängt jetzt gar nicht unbedingt mit der Frage einer Impfpflicht zusammen, die jetzt umzusetzen ist, sondern das hängt einfach erst mal damit zusammen, sich auf eine möglicherweise herausfordernde Situation im Herbst einzustellen. Dann ein Programm und einen Weg zu haben, den wir dann gehen können.
09:05 Grundimmunität: Schutz vor Coronainfektion oder schwerem Krankheitsverlauf?
KW: Ich will da noch mal ein bisschen stärker drauf einsteigen. Ich glaube, im Herbst wird es keine Probleme geben, dass wir genug Impfstoff haben. Heute habe ich noch mal im Radio gehört, dass jeder siebte Erwachsene noch nicht geimpft ist. Die Grundfrage ist doch: Wie viele sind geimpft?
Und jetzt gucke ich noch gar nicht auf die Belastung des Gesundheitssystems, sondern ich gucke auf die Menschen selbst. Wie hoch ist denn die Ansteckungsgefahr und die Gefahr schwerer Verläufe, wenn die Impfquote nicht wirklich signifikant gesteigert werden kann?
JSC: Das sind verschiedene Aspekte. Zum einen, dass wir diese großen Unterschiede zwischen den Bundesländern haben. In Hamburg ist das viel besser als zum Beispiel in Sachsen und Thüringen. Zum anderen die Frage nach den Unterschieden zwischen Infektion, Infektiosität, schwerer Erkrankung und Tod. Da müssen wir sagen, die Aussagen, auf die sich oftmals bezogen werden, gehen immer in Richtung Infektion.
Aber das ist gar nicht das Entscheidende, weil diese Impfstoffe nicht sehr gut vor Infektionen schützen, sondern vor Erkrankung und Tod. Das ist das eigentliche Ziel. Das heißt: wenn ich eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung habe, so wie es jetzt eigentlich in Hamburg ist, dann sind alle sehr gut vor schwerer Erkrankung und Tod geschützt und somit ist die Frage der Infektion, die so oder so früher oder später stattfinden wird, gar nicht die entscheidende.
Sondern die Fragen, die beantwortet werden müssen, sind: Wie viele Menschen erkranken schwer und belasten damit quasi das Gesundheitssystem? Überlasten sie es: ja oder nein? Wie viele andere Menschen können deswegen nicht behandelt werden? Das ist die entscheidende Frage. Also es geht nicht um die Frage der Infektion. Das müssen wir sauber abtrennen.
KW: Wenn Sie sagen: dann sind alle gut geschützt. Gilt das auch für die nicht geimpften?
JSC: Wenn sie nicht genesen sind, gilt das sicherlich nicht für sie. Dann haben sie ein signifikant höheres Risiko, schwer zu erkranken oder auch zu versterben. Gerade wenn sie natürliche Risikofaktoren haben, wenn Sie älter sind oder wenn Sie zum Beispiel adipös sind, also eine Fettleibigkeit aufweisen, dann sind das entscheidende Risikofaktoren.
KW: Wenn ich noch mal nachfragen darf, wenn wir als Gesellschaft richtig durchgeimpft sind, hängt das auch damit zusammen: Reichen zwei Impfungen, reichen drei Impfungen oder muss ich mich auf eine vierte oder noch mehr Impfungen einstellen? Oder so wie bei der Grippe jedes Jahr neu impfen, damit ich einen Status habe, dass ich nicht schwer erkranke?
JSC: Diese Frage können wir noch nicht abschließend beurteilen, weil wir noch nicht wissen, welche herausfordernden Varianten in den nächsten Jahren auf uns zukommen und welche Impfstoffe dann wie verfügbar sind. Aber was wir jetzt sagen können, ist, dass mit diesen drei Impfungen, die ja viele jetzt auch schon erhalten haben, eine sehr, sehr gute Grundimmunität vorhanden ist, die auch gut ist und auch längerfristig vor schwerer Krankheit und Tod schützt.
Infektionen noch mal ausgenommen. Damit muss jeder rechnen, der auch dreimal geimpft ist. Er kann sich infizieren. Das haben jetzt auch viele gesehen. Aber im Regelfall verlaufen diese Infektionen für die meisten Menschen leicht und nicht schwer ab. Das ist das Entscheidende. Darum haben wir so viele geimpft. Genau das war das Ziel und das müssen wir uns immer noch mal vor Augen führen, weil oftmals auch mit diesem Wort der Durchsuchung leider gearbeitet wird.
Der Begriff ist irgendwie im Diskurs missbraucht worden. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass wir nie zu diesem Virus Kontakt haben werden. Das wird früher oder später passieren. Aber es ist nicht mehr schlimm, weil wir mit der Impfung gut geschützt sind vor Erkrankung und Tod.
13:22 Brauchen wir eine Impfpflicht zum Schutz vor Corona?
KW: Ich will noch mal auf die Impfung zurückkommen und auf die Frage der Impfpflicht. Das treibt auch viele um und spaltet auch ein Stück die Gesellschaft. Das sehen wir auch ein bisschen mit Sorge. Wenn die Zahl der Geimpften jetzt so bleibt, wie sie ist und vielleicht nur noch ein bisschen besser wird, müssen wir doch stärker über die Impfpflicht nachdenken, damit wir eine Gesellschaft haben, in der wir wieder ein Stück mehr in die Normalität zurückkommen?
JSC: Ich glaube, wir kommen auf jeden Fall in die Normalität zurück. Was wir jetzt hier diskutieren: Wie groß wird der Anteil in der Gesellschaft sein, die sich auf keinen Fall impfen lassen? Den wird es geben. Auch mit einer Impfpflicht sind das fünf Prozent zum Beispiel.
Was ist die Aufgabe von uns? Diese Menschen sozusagen zu einer Impfung zu zwingen? Ich glaube, das haben wir bei keiner anderen Infektionskrankheit. Insofern bleibt es schon eine individuelle Entscheidung, solange wir damit nicht andere massiv gefährden. Die anderen haben die Möglichkeit sich zu impfen.
Es gibt noch andere Möglichkeiten, sich zu schützen. Das müssen wir auch noch einmal betonen. Auch gerade für die Menschen, die vielleicht nicht ausreichend auf eine Impfung reagieren, die zum Beispiel immungeschwächt sind, die haben die Möglichkeit, sich natürlich mit einer Maske, mit Abstand und mit anderen Hygienemaßnahmen zu schützen.
14:58 Corona-Schutzmaßnahmen: Wann machen Maske und Astand Sinn?
KW: Wie wichtig ist eigentlich die Maske? Zum Anfang der Pandemie spielte sie keine große Rolle. Da waren auch nicht genug Masken vorhanden. Jetzt haben wir sehr gut schützende Masken. Wie wichtig ist es?
JSC: Die ist richtig verwendet, in den richtigen Situationen gold wert und das muss jeder wissen. Ich sehe das durchaus differenziert. Es gibt Situationen, wo ich auch als Virologe und Arzt denke, hier ist das ein bisschen vergebener Aufwand. Wenn ich jetzt alleine irgendwo auf dem Bahnsteig sitze, habe ich natürlich keine Maske auf. Ich muss mir also immer gut überlegen, wo setze ich dieses zusätzliche Hilfsmittel sinnvoll ein.
Statt stundenlang mit einer Maske herumzulaufen, ist es doch besser, wenn ich in der entscheidenden Situation die Maske richtig verwende. Lieber zehn Minuten, eine halbe Stunde oder eine Stunde richtig konzentriert, als wenn ich den ganzen Tag auch in Situationen Maske trage, in denen es eigentlich gar nicht erforderlich wäre. Das führt eher dazu, dass die Maske dann in entscheidenden Situationen, weil ich mich dann vielleicht gar nicht mehr so gut konzentriere, dann eben nicht richtig getragen wird.
Entscheidend ist, gerade auch die Menschen, die es besonders betrifft, zu sensibilisieren: Wann macht die Maske total Sinn? Wann schützt sie mich sehr gut? Wie verwendet man sie richtig und wann können wir es eigentlich auch eher sein lassen?
KW: Im Biergarten tragen wir keine Maske, weil da sind wir an der frischen Luft. Aber vollbesetzter Bus, vollbesetzte U-Bahn – da sollte man sich das überlegen und sagen: da, eher ja.
JSC: Frische Luft heißt ja nicht per se, dass es nicht zu Infektionen kommen kann. Es ist nur ein anderer Übertragungsmechanismus. Natürlich kann ich mich auch an der frischen Luft infizieren, nämlich über die Tröpfchen, wenn ich nicht den Abstand einhalte. Wenn ich den Abstand einhalte, ist das super. Dann ist die Gefahr auch gering und ich brauche auch keine Maske. Wenn ich aber sozusagen in Räumlichkeiten bin, wo die Aerosole eine Rolle spielen, dann ist der Abstand auch egal, weil dann entsprechend eine Infektion über die Aerosole stattfinden kann und dann auch eine FFP2-Maske sinnvoll ist. Die FFP2-Maske ist dann wiederum im Biergarten nicht sinnvoll, weil da natürlich Tröpfchen eine Rolle spielen und ich vielleicht auch Abstand halten könnte. Diese unterschiedlichen Übertragungsmechanismen werden zum Teil nicht gut kommuniziert. Das ist aber ganz entscheidend, gerade wenn wir über diese Basis der Hygienemaßnahmen sprechen.
SR: Also eine Maske ist existenziell. Es gibt viele Menschen in Hamburg, die wenig Geld oder ein kleines Einkommen haben und für die der Kauf einer Maske doch eine relativ hohe Investition ist. Jetzt können wir die Maske natürlich nicht drei Wochen tragen, sondern sie muss auch regelmäßig mal ausgetauscht werden.
Wie sehen Sie das denn, dass die Sozialsenatorin einmalig für Bedürftige einen Geldbetrag und Masken zur Verfügung gestellt hat? Ist das an der falschen Stelle gespart?
KW: Die Situation der Menschen, die wenig Geld haben, hat sich nicht gebessert. Da ist es wichtig, dass der Hamburger Senat sagt: das ist für uns ein Schwerpunkt, diese Menschen wollen wir schützen. Es geht ja nicht immer um einzelne Menschen oder um Familie.
Unsere Forderung ist seit langer Zeit nicht nur Grundsicherung und Hartz IV zu erhöhen. Sondern dass wir sagen: Hamburg stellt das zur Verfügung, was man braucht, um sich in der Pandemie, die ja nicht morgen weg ist, auch wirklich zu schützen – und dazu gehören Masken. Das kann man sicherlich über Gutscheine lösen, man kann auch zusätzliche Gelder zur Verfügung stellen. In jedem Fall ist das notwendig.
Herr Schmidt-Chanasit hat ja auch noch mal sehr deutlich gesagt, wie wichtig Masken sind. Die muss man nicht jeden Tag aufsetzen. Aber wenn man sie schon ein paar Mal getragen hat, kann man sie eben nicht mehr benutzen, dann wirken sie nicht mehr. Das heißt, wir müssen sie als des Öfteren ersetzen.
19:47 Infektionsschutz muss für alle bezahlbar und zugänglich sein
SR: Es gibt Stadtteile, die besonders stark betroffen sind von Corona. In denen die Bedeutung der Hygienemaßnahmen, des Schutzes durch die Masken oder auch durch eine Impfung nicht richtig angekommen ist. Haben Sie da Unterschiede in Hamburg feststellen können?
JSC: Wir müssen in die Bereiche hinein, wo es sozioökonomisch schwierig ist, wo zum Teil Sprachbarrieren vorhanden sind. Das wäre ganz entscheidend gewesen, hier frühzeitig und zielgerichtet Unterstützung in Form von niedrigschwelligen Angebote bereitszustellen. Das erreichen wir natürlich nicht mit der Tagesschau oder mit dem Tatort, sondern mit Vertrauenspersonen, die sich in diesen Bereichen auskennen.
Ich kenne das ja selber aus der thailändischen Community. Die gucken natürlich zum Teil auch thailändisches Fernsehen und dort werden ganz andere Informationen geteilt. Diese Situation können wir auf andere Kulturen ausweiten. Das ist etwas, was uns vielleicht nicht unbedingt in Hamburg, aber in vielen anderen Bereichen oder Teilen Deutschlands viel besser hätte gelingen müssen, weil, wie gesagt, ein Großteil dieser Menschen den größten Teil der Krankheitslast getragen hat, gerade wenn wir auf die Intensivstation gucken.
Insofern wäre es hier so wichtig gewesen, diese Menschen zu unterstützen. Gerade wenn wir auch über die Masken sprechen. In Hamburg haben wir für einige Bereiche FFP2-Pflicht. Mit so einer Pflicht, wächst auch die Verantwortung für diejenigen, die das eben zur Pflicht gemacht haben. Da gehört dann dazu, dass es natürlich unterschiedliche Größen gibt, die angepasst werden müssen.
Meines Erachtens hätten wir das auch sehr gut über die Apotheken regulieren können, aber das muss natürlich alles bezahlt werden. Wenn wir es machen, ich habe es gesagt: Masken richtig verwenden in den richtigen Situationen ist gold wert. Aber Masken falsch verwendet in den falschen Situationen bringt genau das Gegenteilige.
KW: Also wir wissen seit langer Zeit, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen Armut oder schlechten Lebensverhältnissen und Krankheit. Das wissen wir aus dem Mittelalter, das wissen wir auch in der heutigen Zeit. Wir haben sehr früh darauf hingewiesen, als Sozialverband Deutschland SoVD, dass hier ein Augenmerk daraufgelegt werden muss und waren deswegen ziemlich entsetzt darüber, dass es so lange gedauert hat, bis man sich diesen Menschen zugewandt hat.
Niedrigschwellige Angebote, das ist das, was dort notwendig ist. Und ich finde auch das, was Sie gesagt haben, Herr Schmidt-Chanasit, dass da Vertrauenspersonen rein müssen, das kann nicht alles der Staat machen, sondern hier müssen Institutionen vor Ort zusammenarbeiten. Darauf haben wir übrigens sehr lange hingewiesen.
JSC: Ja, das sehe ich genauso. Wir wissen beide, dass das sehr, sehr aufwendig ist. Das haben wir auch immer so kommuniziert, dass das auch nicht von heute auf morgen geht. Insofern kann ich vielleicht zum Teil auch die politischen Entscheidungen nachvollziehen, die dann vielleicht eher den einfacheren Weg gewählt haben.Es verbraucht viele Ressourcen, aber es wäre gerade an den Stellen glaube ich, sehr heilsam gewesen, weil wir die Auswirkungen letztendlich dann auf den Intensivstationen gesehen haben.
KW: Für die Menschen ist das natürlich auch furchtbar. Wer in so einer schwierigen Situation ist, der kann nicht einfach mal jetzt für die Kinder eine Beaufsichtigung herbeiholen. Oder kann nicht sagen: Und jetzt beauftrage ich meine Reinigungsfirma, damit meine Wohnung wieder sauber zu machen. Ich finde, dass darauf mehr geguckt werden muss in der Zukunft, als es bisher der Fall war.
25:02 Mangelnde Ressourcen im Gesundheitswesen: Was sind die Konsequenzen?
SR: Da spielen glaube ich dann auch in dem Moment die Gesundheitsämter rein oder überhaupt das gesamte Gesundheitswesen. Für mich hört sich das auch sehr stark danach an, dass es gar keinen richtigen Überblick gibt über die Bevölkerungsstruktur, wer jetzt wie geimpft worden ist, was jetzt alles stattgefunden hat. Das hat zum Einen mit der fehlenden Digitalisierung zu tun, zum Anderen mit der Überlastung der Gesundheitsämter und des medizinischen Personals.
KW: Die Gesundheitsämter sollten in der Pandemie die Ansteckung verfolgen. Das haben sie eine Zeit lang gemacht, bis dann die Fälle so viele geworden sind, dass das nicht mehr ging. Wie müssen nun Gesundheitsämter ausgestattet werden? Also welche Personen sollen dort arbeiten? Was müssen die für Fähigkeiten haben, wie viel fachärztliches Personal brauchen wir dort?
Also ich finde, dass man sich dieser Frage jetzt wirklich sehr stark und sehr schnell annehmen muss, damit wir in der Zukunft gewappnet sind. Denn die Gesundheitsämter müssen sich auch noch – abgesehen von den Aufgaben, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind – um die Aufgaben in unserem ganz normalen Leben kümmern, dass bspw. Kinder geimpft werden.
Wir haben ein zunehmend privatisiertes Gesundheitswesen. In der Pandemie hat das ordentlich was geleistet. Die Frage, die sich für uns stellt, ist, ob wir zusätzlich nicht zumindest ein staatlich organisiertes Gesundheitswesen haben müssen, um dort Forschungen durchzuführen, die nicht zu Erträgen führen.
Wie entwickelt sich das? In Hamburg gibt es die Möglichkeit. Im Moment stehen Kliniken zum Verkauf. Es könnte wunderbar mit dem Forschungsbereich des UKE verbunden werden und dann hätten wir auch für die Zukunft Forschung und Entwicklung genau in staatlicher Hand und müssten nicht auf Renditen gucken.
Ich denke das sehr viel mehr als bisher darüber nachgedacht werden muss.
JSC: Das beste Beispiel dafür ist, gerade wenn wir über die Unikliniken sprechen, die Uniklinik Gießen und Marburg, wo die Privatisierung genau die Probleme aufgezeigt hat, über die sie jetzt gesprochen haben. Insofern sollte es gerade im universitären Bereich und bei den Unikliniken sicherlich so sein, dass dort diese notwendigen Ressourcen auch in der Zukunft und in der Breite zur Verfügung gestellt werden, um genau das zu sichern, was uns zum Teil jetzt auch gefehlt hat.
Wir reden insbesondere hier auch über die klinischen Studien. Da ist Deutschland wirklich nicht gut dabei. Wir haben viele, viele Daten nehmen müssen aus anderen Ländern, aus Israel, aus Großbritannien. Und das ist etwas, was wir definitiv besser machen müssen.
KW: Hier hat der Staat und die Stadt geradezu eine Verpflichtung, dies zu machen. Sie haben das ja sehr deutlich gemacht. Wir müssen auf Daten aus anderen Ländern zurückgreifen. Für ein so hochindustrialisiertes Land wie Deutschland ist das eigentlich eine Situation, die wir in der Zukunft verlassen sollten. Also dieses Thema, denke ich, wird noch eine ganze Weile in der Diskussion sein.
28:24 Was kommt nach Corona?
SR: Also können wir schon sagen, dass Corona nicht nur ganz viele Nachteile gebracht hat, sondern auch viele Denkanstöße gegeben hat. Herr Schmidt-Chanasit, was kommt denn nach Corona? Welche Perspektiven haben wir auf ein neues Virus? Wie ist Ihre Prognose? Werden wir jetzt immer mit solchen Viren leben müssen in der Zukunft, die uns und unsere Gesellschaft auseinanderbringen und belasten?
JSC: Ja, die Frage ist genau, wie wir in der Zukunft leben wollen. Weil das macht oder trägt dazu bei, dass solche Viren, solche problematischen Viren eben häufiger auftreten. Das heißt: wie gehen wir mit der Natur um? Dringen wir immer weiter in diese Naturräume ein, zerstören sie? Weil das führt dazu, dass einfach diese Viren häufiger auf den Menschen übertreten können.
Wenn wir über die Klimaerwärmung sprechen, ist das auch ein ganz wichtiger Faktor, der dazu führt, dass das dann noch bessere Bedingungen für diese Viren sind. Gerade wenn es wärmer wird, breiten sich gerade die Viren, mit denen ich mich sehr beschäftige, also den durch Stechmücken und andere saugstechende Gliederfüßer übertragenen Viren, besonders aus.
Das ist eine Herausforderung. Wenn wir da nicht nur drüber nachdenken, wie wir in der Zukunft leben wollen, dann wird das nicht besser werden, sondern eher schlechter.
SR: Herr Schmidt-Chanasit, vielen Dank für das Gespräch und vielen Dank, Herr Wicher, einen schönen Abend.
KW: Ja, gerne, vielen Dank auch für die wirklich sehr ansprechende Unterhaltung.
JSC: Danke.