Am 18. Juli 2023 legte Umweltsenator Jens Kerstan den ersten Nachhaltigkeitsbericht (Voluntary Local Review) der Freien und Hansestadt Hamburg bei den Vereinten Nationen (UN) in New York vor. Klaus Wicher, Landesvorsitzender des SoVD Hamburg, kritisiert in einer Stellungnahme, dass soziale Schwerpunkte falsch gesetzt sind oder schlicht fehlen.
Im Rahmen einer Veranstaltung des Hamburger Ratschlags zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung stellte Staatsrat Michael Pollmann, Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft Hamburg, den ersten Nachhaltigkeitsbericht (Voluntary Local Review) der Freien und Hansestadt Hamburg Ende Juni einer breiteren Fachöffentlichkeit vor. Das Fazit Pollmanns ließ dabei erahnen, welche Hürden auf dem Weg bis hin zur Fertigstellung zu nehmen waren und dass die für den Inhalt mitverantwortlichen anderen Behörden den Stellenwert sehr unterschiedlich bewerteten. Aus seiner Sicht ist der Bericht daher eher ein Zwischenbericht, ruderte er zurück, welcher der Weiterentwicklung bedarf. Das größte Manko sieht Pollmann darin, dass eine übergeordnete Nachhaltigkeitsstrategie bis dato fehlte, da die Notwendigkeit innerbehördlich umstritten war. „Das hat sich glücklicherweise geändert“, sagte Pollmann. „Es sollen künftig fachpolitische Strategien entwickelt und zusammengeführt werden.“ Außerdem brauche es geeignete Beteiligungsformate, Bestandsaufnahmen und aussagekräftige, vergleichbare Indikatoren für entsprechende Fortschrittsberichte.
In einer kurzen Diskussionsrunde haben Klaus Wicher, Sozialverband SoVD Hamburg, Dr. Kai Hünemörder, Handwerkskammer Hamburg, und Lucas Schäfer, BUND Hamburg, dazu Stellung bezogen. Ein wichtiger Kritikpunkt des SoVD Hamburg bezieht sich direkt auf die Auswahl von Indikatoren und die ausgewählte Datenbasis. „Wenn man den Bericht liest, könnte man meinen, dass Hamburg auf bestem Weg ist, die Ziele bis 2030 zu erreichen“, so Wicher. „In Wirklichkeit sind wir davon weit entfernt.“
Hervorgehoben wird im Bericht, dass die Armutsbekämpfung unabdingbare Voraussetzung für die Erreichung aller Nachhaltigkeitsziele ist und sich mit allen 17 Zielen überschneidet. Die vorgelegten Zahlen zum Nachhaltigkeitsziel „Keine Armut“ zeigen jedoch nicht die real existierende Armut in Hamburg, denn sie beziehen sich lediglich auf diejenigen Menschen, die Sozialleistungen erhalten. Das ist eine Verschleierungsstrategie, die wir nicht erwartet haben. „Richtet man den Blick auf die Einkommen, zeigt sich ein komplett anderes, deutlich realistischeres Bild in Bezug auf die Armutsgefährdungsquoten“, erläuterte Wicher. „Denn wir sind bei den unteren mittleren Einkommen angekommen, wenn es darum geht, jeden Euro umdrehen zu müssen.“ Gleiches gilt für die Berechnung der Langzeitarbeitslosenquote, die laut Bericht, ins Verhältnis zur Zahl der Erwerbstätigen gesetzt, gesunken ist. „Die Zahl der Erwerbstätigen ist jedoch gestiegen, weshalb es sich hier um einen rein statistischen Effekt handeln kann“, erklärte Wicher.
Auch die dramatische Entwicklung im Bereich der Armutsgefährdung im Alter – vor allem von Frauen – gibt Anlass zu großer Sorge und verlangt nach nachhaltigen Lösungsansätzen. „Selbst für das gut gemeinte Projekt Housing First fehlen mehr als 30 Plätze im Projekt“, sagte Wicher. Auch Obdachlosigkeit kann man so nicht nachhaltig bekämpfen. „Der Bericht krankt vor allem an fehlenden Lösungsansätzen.“ Dabei muss man das Rad nicht neu erfinden. Hamburg könnte – wie Bayern – zusätzlich Familien- und Pflegegeld zahlen. Bayern stellt zum Beispiel 400 Millionen Euro jährlich für das sogenannte Pflegegeld zur Verfügung. In München und umliegenden Landkreisen gibt es zudem einen Zuschuss zur Grundsicherung im Alter.
Direkte (bedarfsgerechte) finanzielle Hilfen sind immer ein Weg aus der Armut und ebnen den Weg für gesellschaftliche Teilhabe. Für Familien mit Kindern, und hier vor allem für Alleinerziehende, müssen die Kindergrundsicherung und auf Hamburger Ebene das Familiengeld kommen, das in Bayern schon länger gezahlt wird. Auch ein gesundes, kostenfreies Frühstück in Kindergärten und Schulen kann nachhaltig helfen. Gesunde Kost hilft Kindern bei der Entwicklung. Die kostenfreie Inanspruchnahme sämtlicher kultureller und sportlicher Angebote für Kinder und Erwachsene mit geringem Einkommen wären genauso sinnvoll wie die kostenfreie Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für bedürftige Menschen.
„Bis 2030 sind es noch sieben Jahre, das ist einen Fingerschnips entfernt“, meint Wicher. „Wir müssen schnell ins konkrete Tun kommen – und zwar gemeinsam mit allen Hamburger:innen.“