Nach neusten Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung können Bund, Länder und Kommunen bis 2022 mit 63,3 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen rechnen. In diesem Jahr werden Einnahmen von 772,1 Milliarden Euro erwartet, bis 2022 sollen diese auf knapp 906 Milliarden Euro ansteigen. Klaus Wicher,1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD) in Hamburg, erwartet, dass die Prognose der Steuerschätzer Einfluss auf die laufenden Haushaltsberatungen im Hamburger Rathaus hat.
Dort berät die Bürgerschaft zurzeit über den Doppelhaushalt 2019/2020. Hamburg geht es wirtschaftlich ausgezeichnet: So hat die Hansestadt allein im vergangenen Jahr einen Überschuss von fast einer Milliarde Euro erwirtschaftet. „Dies eröffnet neue Spielräume für Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage in der Stadt“, mahnt Wicher. „Dass Hamburg hier mehr tun muss, ist offensichtlich! Wir brauchen für die Hansestadt endlich eine Politik, die Armut und soziale Spaltung besser und wirksamer bekämpft. Die Stadt hat genug Geld für soziale Verbesserungen.“
Die Umsetzung solcher Maßnahmen erfordere zwar nicht unerheblich viel Geld, doch „auch ohne Verletzung der Schuldenbremse könnten dafür in 2019 bis zu 400 Millionen Euro mobilisiert werden“, sagt Wicher. Angesichts dieser komfortablen Ausgangssituation fordert der SoVD Hamburg die Parteien deshalb dazu auf, den sozialpolitischen Kompass als Richtschnur für die Haushaltsberatung nicht außer Acht zu lassen.
Die Stadt kann einiges tun, um bedürftigen Menschen mehr Lebensqualität und Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Klaus Wicher nennt Schwerpunkte für die Entwicklung Hamburgs hin zu einer sozialeren Stadt:
Sozialer Wohnungsbau und Stadtteilentwicklung
Deutlich mehr als 5.000 Sozialwohnungen pro Jahr bauen, damit der Bestand sich wieder erhöht.
Steigerung der Mittel für eine „Integrierte Stadtteilentwicklung“ (RISE), um Maßnahmen für die soziale Stadtentwicklung voranbringen zu können.
Aufbau eines sozialen Arbeitsmarkts
Hamburg muss aus eigenen Mitteln einen sozialen Arbeitsmarkt mit wenigstens 3.000 Plätzen auf die Beine stellen. Dieser muss Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit bieten, hier ein auskömmliches Gehalt zu erarbeiten.
Für behinderte Menschen ist zusätzlich ein Sonderprogramm aufzulegen, um ihre Chancen auf einen Job zu erhöhen.
Besserstellung von Grundsicherungsempfängern
Hamburg soll nach dem Vorbild von München eine Erhöhung des Grundsicherungssatzes einführen – konkret bedeutet dies 20 Euro mehr für alle Hamburger Grundsicherungsempfänger.
Förderung von Kindern/Kampf gegen Kinderarmut
Hamburg sollte im Bund die Forderung nach einem eigenständigen Grundsicherungssatz für Kinder und Jugendliche stellen.
Des Weiteren braucht es in der Stadt mehr Mittel, um den Allgemeinen Sozialdienst (ASD) umbauen zu können und den Anforderungen anzupassen, für beispielsweise einen permanenten externen Beraterkreis, mehr Mitarbeiter und eine stete Evaluation. Ebenso müssen die Mittel für erzieherische Unterstützung steigen, um Familien in schwierigen Lebenslagen besser helfen zu können.
Das Angebot für ein kostenfreies Frühstück in Schulen und Kindergärten sollte flächendeckend eingeführt werden.
Menschen mit Behinderung
Die Barrierefreiheit ist im öffentlichen Sektor weiter auszubauen und im privaten Bereich anzuregen.
Inklusion muss an allen Hamburger Gymnasien gelebt werden.
Kostenloses HVV-Ticket für Menschen mit Behinderung.
In Zusammenarbeit mit den Job-Centern und der Arbeitsagentur müssen neue Projekte entwickelt werden, die die Chancen von Menschen mit Behinderung auf einen Arbeitsplatz in einem Unternehmen verbessern.
Seniorinnen und Senioren
Die Mittel für die präventive aufsuchende Seniorenarbeit müssen ebenso wie die kostenlosen haushaltsnahen Dienstleistungen für alle alten Menschen aufgestockt und in allen Bezirken angeboten werden.
Auch die bezirkliche Seniorenberatung sowie die Wohn- Pflege-Aufsicht brauchen mehr Mittel und Unterstützung, damit sie ihre Aufgaben zuverlässig erfüllen können.
Seniorentreffs müssen erhalten und ausgebaut werden
Förderung der Mobilität
Der SoVD Hamburg fordert die Einführung eines kostenfreien HVV-Sozialtickets für Senioren und bedürftige Menschen in Grundsicherung.
Längere Grünphasen für Fußgänger an den Ampelübergängen.
Linderung unmittelbarer Armut
Sozialtarif bei den Energiekosten für bedürftige Menschen.
Ein fraktionsübergreifender Arbeitskreis könnte außerdem daran arbeiten, Möglichkeiten zu entwickeln, wie Armut in Hamburg besser begegnet werden kann.
Finanzierung sozialer Einrichtungen
Grundsätzlich muss gelten, dass soziale Einrichtungen der Stadt dauerhaft finanziert werden. Deshalb sollten soziale Leistungen in die Regelförderung aufgenommen werden, um den Einrichtungen Planungssicherheit zu geben und den Nutzern ein verlässliches und dauerhaftes Angebot anbieten zu können.
Sozialgerichtsbarkeit
Der derzeit hohe Bestand an Verfahren macht es notwendig, die Kapazität temporär aufzustocken damit die Antragsteller in einem angemessenen Zeitrahmen zu ihrem Recht kommen. Hier muss schnell gehandelt werden.
Viele Menschen können sich soziale Teilhabe in der Hansestadt nicht leisten und sind daher von vielen Möglichkeiten ausgeschlossen. Beinahe jeder sechste Einwohner in Hamburg ist von Armut bedroht. Fast 250.000 Menschen sind auf Sozialleistungen angewiesen, darunter mehr als 65.000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren. Über 25.000 Senioren leben von Grundsicherung im Alter, weil ihre Rente zum Leben nicht reicht. Dies gilt ebenfalls für mehr als 17.000 Erwerbsminderungsrentner. Alleinerziehende, überwiegend Frauen, und Langzeitarbeitslose haben immer noch zu wenig Perspektiven.