Die neue Studie stellt der Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis aus: Denn die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer stärker auseinander. „Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache und lassen aus meiner Sicht nur den einen Schluss zu: Die Politik verschließt die Augen vor der wachsenden Armut!“, sagt Wicher dazu. In Zeiten von nahezu Vollbeschäftigung und prosperierender Wirtschaft gelten auch im reichen Hamburg immer mehr Haushalte als arm. „In der Hansestadt lebt heute jeder Fünfte in Armut oder ist akut armutsgefährdet. Armut hat sich schon lange verfestigt.“ Damit sich die Betroffenen nicht enttäuscht vom Staat zurückziehen, müsse die Politik jetzt Signale aussenden: „Dieses niederschmetternde Ergebnis müsste eigentlich ein Weckruf an die Politik sein. Ich habe nicht den Eindruck, dass man dort das Problem ausreichend ernstnimmt, dabei zeigt die Studie, wie groß der Handlungsbedarf ist.“
Eine gute Sozialpolitik würde nicht nur den finanziellen Druck für die Betroffenen verringern, sondern sei ein wichtiger Faktor, der eng verbunden ist mit unserer Demokratie, so Wicher: „Wer sich vom Staat allein gelassen fühlt, wer sein ganzes Leben lang gearbeitet hat und im Alter mit Grundsicherung über die Runden kommen muss, empfindet andere, die vermeintlich besser unterstützt werden, als Konkurrenz. Wer schlechte Sozialpolitik macht, bereitet möglicherweise den Boden für antidemokratische Tendenzen. Ich warne ausdrücklich davor, die steigende Armut zu ignorieren, das wäre grob fahrlässig und spielt Andersdenkenden in die Hände.“
Wie eine gute Sozialpolitik in der Hansestadt aussehen könnte, beschreibt ein neues Konzept, das der SoVD Hamburg vor wenigen Tagen herausgegeben hat. Er fordert vom Bund konzertierte Maßnahmen, unter anderem eine Anhebung des Mindestlohns auf wenigstens 12,50 Euro, die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarkts, deutlich verstärkte Anstrengungen beim sozialen Wohnungsbau und vor allem eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Arme Menschen in Hamburg bräuchten zusätzlich unter anderem einen Zuschuss von mindestens 20 Euro im Monat, um das hiesige Preisniveau zu kompensieren, freie Fahrt mit dem HVV und auch hier deutlich mehr neue, bezahlbare Wohnungen.
Aus der aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung ergibt sich unter anderem, dass 16,7 Prozent aller deutschen Haushalte mit weniger als 12.529 Euro im Jahr auskommen müssen. Zum Vergleich: der mittlere Verdienst lag 2016 bei 20.881 Euro netto. Die Zahl der armen Haushalte stieg zwischen 2010 und 2016 von 14,1 auf 16,7 Prozent.
Zum Downlad: Sozialpolitische Orientierung: Teilhabe sichern – gleiche Chancen für alle!
© Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD), Landesverband Hamburg, 2019