Angesichts der steigenden Zahl von Corona-Infektionen wird die Debatte um eine Impfpflicht medizinisch, juristisch und politisch geführt. Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD) in Hamburg, kritisiert die Kakophonie, die die Menschen desorientiere: „Politiker:innen werden gewählt, um fachkundig zu entscheiden. Wir müssen das Herumgeeiere beenden und eine für alle nachvollziehbare Lösung finden: Impfpflicht für alle.“
Wicher fordert klare Kante: „Die Forderung nach einer Impfpflicht nur für besondere Berufsgruppen vertieft nicht nur die Spaltung zwischen denen mit und ohne Schutz. Sie greift auch zu kurz, weil sie das Übel nicht an der Wurzel packt.“ Er sieht die, für die die Impfung unbedenklich ist, in der Impfpflicht. Sie sollten solidarisch mit denen sein, die in Schulen, Kliniken und Altenheimen ihren Dienst an der Gesellschaft tun. Ein Muss für wenige sei zu kurz gesprungen. „Das Virus fragt nicht nach dem Job. Besucher:innen tragen es in Heime oder Kliniken. Wir dürfen der Invasion des Virus nicht immer nur in Schlagdistanz begegnen. Wir brauchen langfristig gesellschaftliche Sicherheit.“
Wicher erinnert sich: „Covid-19 – die Bezeichnung wurde gewählt, um das Ausgangsjahr dieser Bedrohung zu kennzeichnen. Und das liegt jetzt fast zwei Jahre zurück. Es ist Bürgerpflicht, das Irrlichtern bei der Impfung zu beenden.“ Er verweist auf Mediziner:innen, die eine Herdenimmunität erst bei einer Impfrate von 85 Prozent sehen. Wicher provokant: „Wer würde heute noch ernsthaft die Effizienz der Impfpflicht gegen Pocken in Frage stellen?“ Dank der Impfpflicht gegen Pocken – auch in Deutschland – konnte die Weltgesundheitsorganisation WHO 1979 Pocken für ausgerottet erklären. Masern, Grippe oder Diphtherie sind durch Impfung zu bekämpfen. Laut Robert Koch-Institut (RKI) liegt die Zahl der Polio-Fälle heute im Vergleich zu den 1980er-Jahren um 99,9 Prozent niedriger. „Durch obligatorische Impfungen muss dies auch das Ziel bei Corona sein.“
Hamburg sei in der Komfortzone, dass weit mehr Menschen selbstbewusst Impfschutz gewählt haben als anderswo, so Wicher: „Der Senat war gut beraten, die aufsuchende Impfarbeit zu forcieren und zu den Bürger:innen in die Viertel zu bringen.“ Die Hansestadt könnte wieder Vorreiter sein, und eine Impfung verordnen. Wicher verweist auf die Praktikabilität einer Impfpflicht-Light: „Wer will in Bussen und Bahnen auf 2-G oder 3-G kontrollieren?“ Er kritisiert: „Menschen verweigern den Impfschutz mit den Argumenten, sie fürchteten Nebenwirkungen, der Impfstoff sei zu schnell auf den Markt gekommen oder sie haben keine Kenntnis. Denen können wir antworten: Wenn Intensivpatient:innen am Tropf hängen oder maschinell künstlich beatmet werden – welcher medizinische Laie kennt sich hier aus?“