In Hamburg müssen pro Jahr rund 70.000 Patienten zu lange auf den Rettungswagen warten. Acht Minuten sind vorgegeben, die Realität sieht oft anders aus. Die Hilfsorganisationen würden sich gern mehr einbringen, fühlen sich aber von der alles steuernden Einsatzleitstelle der Feuerwehr Hamburg ausgebootet. Wer den Notruf 112 wählt, braucht dringend und schnell Hilfe. Denn die Telefonnummer gilt nicht nur, wenn es brennt, sondern auch, wenn man ein akutes gesundheitliches Problem hat. Herzinfarkt, Schlaganfall – bei vielen Notfallsituationen geht es um Minuten. Je schneller professionelle Hilfe vor Ort ist, desto höher ist die Chance, für den Patienten zu überleben und wieder ganz gesund zu werden.
In Hamburg kann es allerdings dauern, bis der Rettungswagen eintrifft. Zwar nimmt die Hamburger Feuerwehr immer die Notfallmeldung in ihrer Einsatzleitstelle an, muss dann aber eigentlich den Rettungswagen schicken, der so nah wie möglich am Einsatzort zur Verfügung steht. Und das sind nicht immer die Fahrzeuge aus dem eigenen Haus, sondern können auch diejenigen der Hilfsorganisationen sein, die ebenfalls einen Teil der Rettungseinsätze übernehmen. Doch hier hakt es gewaltig. Immer wieder beklagen die großen Hilfsorganisationen wie der ASB, dass die Feuerwehr ihre Macht missbrauche und Einsatzwagen aus dem eigenen Haus bevorzuge, auch wenn ein Rettungswagen von ASB oder DRK deutlich nähergelegen wären. Für Klaus Wicher, 1. SoVD Landesvorsitzender in Hamburg, sind dies Zustände, die aus Sicht der Patienten unhaltbar sind. Er sprach vor kurzem mit Michael Sander, ASB-Geschäftsführer in Hamburg.
Wicher: „Herr Sander, sehe ich das richtig, dass die Einsatzleitstelle der Feuerwehr im Zentrum des Problems steht? Stimmt es, dass sie die alleinige Entscheidungsgewalt über die Verteilung der Notfalleinsätze hat? Konkurriert sie da nicht gleichzeitig mit den großen Hilfsorganisationen?“
Sander: „Aus unserer Sicht ist das so. Wenn wir zu einem Notfall gerufen werden, müssen wir den Einsatz an die Leitstelle melden, bevor wir losfahren. Dabei ist es immer wieder vorgekommen, dass unsere Rettungswagen deutlich näher am Einsatzort waren, als die der Feuerwehr. Trotzdem wurden dann die hauseigenen Wagen geschickt und nicht unsere. Das ist fahrlässig und gefährdet das Patientenwohl.“
Wicher: „Der SoVD in Hamburg sieht mit Sorge, dass diese für die Patienten überlebenswichtige Koordination der Rettungsdienste hakt. Schließlich sagt die Faustregel, beispielsweise bei einem Herzinfarkt, dass mit jeder Minute das Risiko zu sterben um zehn Prozent steigt.“
Sander: „Wir haben festgestellt, dass die Zahl unserer Einsätze sinkt. Unsere eigenen Rettungswagen sind bei weitem nicht ausgelastet, obwohl die Zahl der Notfalleinsätze in Hamburg in den letzten Jahren gestiegen ist auf inzwischen ca. 250.000 Fahrten pro Jahr. Auf der anderen Seite sind die Rettungskräfte nur in rund zwei Drittel der Fälle in den empfohlenen acht Minuten am Einsatzort. Bei rund 70.000 Einsätzen brauchen sie länger. Im Bundesvergleich ein sehr schlechter Schnitt.“
Wicher: „Immer wieder kommt bei dieser Problematik die Einsatzleitstelle ins Spiel. Klaus Maurer, Leiter der Feuerwehr Hamburg sagt nun, dass im Rahmen der Gegebenheiten und im Sinne des Patienten disponiert‘ wird.“
Sander: „Das kann ich nicht beurteilen, weil die Arbeit der Feuerwehreinsatzleitstelle allein von der Innenbehörde kontrolliert wird. Ich sehe nur, was bei den Notfalleinsätzen vor sich geht. Und da kann ich nicht bestätigen, dass immer im Sinne der Patienten disponiert wird. In anderen Städten funktioniert das deutlich besser. Feuerwehr und Hilfsorganisationen arbeiten dort Hand in Hand.“
Wicher: „Ich sehe hier die Politik in der Verantwortung. Das aktuelle Gesetz zum Einsatz der Notfallretter in Hamburg sehe ich als absolut überholt an.“
Sander: „Sicherlich würde ein überarbeitetes Gesetz zu mehr Klarheit führen. Ich bin aber der Meinung, dass mit dem bestehenden Gesetz schon heute die Möglichkeit besteht, die Hilfsorganisationen besser einzubinden. Und das sollte schnellstmöglich passieren. Die Hilfsfristen in Hamburg liegen bei acht bis zehn Minuten, d.h. in diesem Zeitraum sollte der Rettungsdienst spätestens eingetroffen sein. Die Feuerwehr Hamburg schafft es nicht, diese Hilfsfristen einzuhalten, mehr noch, sie wird immer schlechter. Ich sehe nicht, dass es hier ernsthaft die Bereitschaft gibt, sich zu verbessern. Die Hamburger Feuerwehr setzt sich da keine Ziele, beispielsweise die technische Ausstattung zu verbessern, die Besatzungen auf den Rettungswagen zu schulen oder die Überlebensquote der Patienten zu erhöhen.“
Wicher: „Also wäre eine Novellierung des alten Gesetzes sinnvoll mit einer gerechten Anbindung der Hilfsorganisationen an die Notfalleinsätze. Dazu gehört auch eine genaue Definition der Qualitätsstandards.“
Sander: „Das würde uns vieles erleichtern und Klarheit schaffen. Ich hoffe da auf eine konstruktive Herangehensweise der Innenbehörde. ‚Es ist das erklärte Ziel, die Hilfsorganisationen zukünftig stärker an der Masse der Rettungsdienste zu beteiligen‘, hat Innenbehördensprecher Frank Reschreiter vor kurzem dazu gesagt. Ich hoffe, dass dort das Thema, das schon seit zehn Jahren besteht, jetzt endlich angegangen wird.“
Wicher: „Letztendlich geht es dabei doch um die Frage, wie man mit den in der Stadt bestehenden Ressourcen eine bestmögliche Rettung organisieren kann.“
Sander: „Das ist richtig, es geht in erster Linie um das Patientenwohl. Wir befürworten daher eine zentrale Leitstelle, die alle verfügbaren Ressourcen koordiniert und unabhängig von der Organisation das Rettungsmittel einsetzt, das am schnellsten beim Patienten sein kann, um zu helfen. Insbesondere bei Schlaganfall- oder Herzstillstandopfern ist das überlebenswichtig.“
Aus der Innenbehörde heißt es, man hoffe, das Ringen um die Notfallpatienten mit der Novellierung des Gesetzes zu beenden – voraussichtlich im kommenden Jahr könnte es in Kraft treten.