Man erkennt es meist erst auf den zweiten Blick, an der dicken Jacke im Sommer, an den schlechten Schuhen im Winter, an dem mit Habseligkeiten vollgestopften Rollator: Auch Frauen sind obdach- und wohnungslos! Und zwar mehr, als man vermuten sollte, denn ein Viertel aller Obdach- und Wohnungslosen ist weiblich! Diese Frauen brauchen besonderen Schutz und Unterstützung. Mehr über die Ursachen und Folgen für die Betroffenen erfuhren die vielen Teilnehmerinnen bei der Hamburger SoVD-Landesfrauenkonferenz, zu der die Hamburger SoVD-Landesfrauensprecherin Susanne Langhagel ins Barmbek°Basch geladen hatte.
SoVD-Bundesfrauensprecherin Edda Schliepak reiste eigens aus Berlin an, SoVD-Landessprecherin Roswitha Reiß aus Niedersachsen. Hauptreferentin des Abends war Andrea Hniopek, die seit fast 30 Jahren bei der Caritas die Abteilung Existenzsicherung leitet. „Wohnungsverlust darf es erst gar nicht geben!“, sagte Langhagel mit Blick in Richtung Hamburger Senat. Sie forderte mehr unbürokratische Hilfe, beispielsweise eine Mietschuldenübernahme, mehr Tagestreffs, mehr aufsuchende Sozialarbeit und eine bessere Krisenintervention, wenn die Kündigung droht. Susanne Langhagel umriss zunächst die Notlagen der Frauen. Diese sind meist geprägt von häuslicher Gewalt, Traumata und schweren Schicksalsschlägen. Nicht jede Obdach- oder Wohnungslose lebt kontinuierlich auf der Straße. Viele Frauen versuchen, irgendwo unter zu kommen und lassen sich deshalb auf extrem ungesicherte Umstände ein. Für ein Dach über dem Kopf nehmen sie oft wechselnde Wohnverhältnisse in Kauf oder gehen Zweckpartnerschaften (z.B. Sex für ein Dach über den Kopf) ein. Die Hauptursache, warum Menschen in Deutschland überhaupt obdach- oder wohnungslos werden, ist der immer größer werden Mangel an Sozialwohnungen. Aus Sicht des SoVD müssten wenigstens 5.000 Sozialwohnungen allein in Hamburg pro Jahr neu gebaut werden. Für diejenigen, die eine Wohnung verlieren, gibt es keine Chance auf einen Ausweg. Sind sie erst einmal in dem Teufelskreis „keine Wohnung – kein Job – kein Job – keine Wohnung“, gibt es für sie kaum eine Perspektive auf ein normales Leben. Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind Schicksale, die einen schneller treffen kann, als vermutet, machte die SoVD-Bundesfrauensprecherin Edda Schliepak deutlich. Der Spagat zwischen Familie und Beruf führt dazu, dass man nur noch Teilzeit oder in Minijobs arbeitet. Scheitert dann die Ehe, folgt für viele Frauen der soziale Abstieg hin zur Obdachlosigkeit und einer Minirente in Altersarmut.
Andrea Hniopek hat schon viele Geschichten von obdachlosen Frauen gehört. Sie betreut an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften gemeinsam mit Studierenden ein Projekt, das sich ohne große Vorgaben und niedrigschwellig an Frauen und transsexuelle Frauen richtet. Zehn von ihnen haben in aufgestellten Wohncontainern, teilweise seit langer Zeit, das erste Mal wieder eine sichere und verlässliche Unterkunft und ein menschenwürdiges Zuhause. Hier können sich die Frauen wieder Tagesstrukturen aneignen, haben Privatsphäre und erfahren Respekt und Wertschätzung. Besonders beeindruckt waren die Konferenzteilnehmerinnen von zwei Frauen, die den Mut hatten, über ihre Situation zu berichten. Eine Italienerin wurde von ihrem Mann verlassen, ihre Kinder wurden ihr weggenommen, sie verlor jeden Halt. Da sie als EU-Bürgerin in Deutschland kein Anrecht auf staatliche Unterstützung hat, war sie drei Jahre wohnungslos, lebte irgendwann auf der Straße. Das Containerprojekt der Caritas hat ihr neuen Lebensmut gegeben: „Endlich konnte ich mich wieder melden und einen Wohnsitz vorweisen. So konnte ich mir eine Arbeit suchen, jetzt verdiene ich mein eigens Geld als Zimmermädchen“, berichtet sie glücklich. Wie unterschiedlich die Lebenswege obdachloser Frauen sein können, bewies Rosi, die schon seit 30 Jahren „Platte macht“ und sich ein Leben in einer Wohnung nicht mehr vorstellen kann. Ihre Anlaufstelle ist der „Treffpunkt“ der Caritas, wo sie duschen, Wäsche waschen und tagsüber sicher ihre Habseligkeiten unterbringen kann. Sie ist eine der wenigen, die sich nicht mehr vorstellen können, in einer Wohnung zu leben.