Im Zeitraum von März bis Juli 2020 wurde in mehr als 2.900 Fällen ermittelt. 2019 waren es in diesen Monaten insgesamt 2.300 Fälle.
Demnach gehen bei der Hamburger Staatsanwaltschaft durchschnittlich 19 Fälle pro Tag ein. Expert*innen rechnen corona-bedingt mit einer weiteren Zunahme häuslicher Gewalt. Denn die Opfer wenden sich erfahrungsgemäß zunächst an Beratungsstellen, bevor sie Anzeige erstatten.
Eine im Sommer von der Nachrichtenagentur dpa erstellte Zwischenbilanz zeigte eine starke Zunahme häuslicher Gewalt. In Hamburg verzeichnete die Polizei in den Monaten Januar bis Juni 2020 mehr Fälle von Beziehungsgewalt – nämlich 2.252 Fälle. 2019 waren es im gleichen Zeitraum 1.812.
„Ich gehe davon aus, dass es zusätzlich in diesem Jahr eine noch höhere Dunkelziffer als sonst gibt“, vermutet der Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD) in Hamburg. „Es gab weniger soziale Kontrolle durch Lehrerinnen und Lehrer, Freundinnen und Freunde, Verwandte, Ärztinnen und Ärzte oder Betreuerinnen und Betreuer. Deshalb werfen die belegten Fälle nur ein unscharfes Schlaglicht auf die wirkliche Situation“, so Wicher. Studien zeigten, dass Frauen bis zu sieben Versuche benötigten, um sich aus einer Beziehung zu befreien, in der sie Opfer von Gewalt würden. „Was sich in dieser Zeit für Tragödien abspielen, kann man nur ahnen“, fürchtet Wicher.
Corona sei für viele zu einer Herausforderung geworden, mit der nicht jeder klarkomme: „Der Lockdown ist eine große Belastung, wenn man in einer kleinen Wohnung lebt und Kinder betreuen muss. Hinzu kommen finanzielle Sorgen, wenn es am Arbeitsplatz Kurzarbeit gibt oder der Job in Gefahr ist. Das zerrt alles an den Nerven der Menschen.“
Beim Schutz von Frauen und Kindern vor häuslicher Gewalt habe die Stadt Hamburg immer noch großen Nachholbedarf – obwohl erst im Sommer das sechste Frauenhaus mit 32 Plätzen eröffnet und gerade eine länderübergreifende Kooperation mit Schleswig-Holstein verlängert wurde. „Angesichts der steigenden Zahlen muss es jetzt mehr niedrigschwellige Beratungs- und Hilfsangebote geben. Deshalb wäre es ebenfalls sinnvoll und notwendig, noch mehr Plätze in Frauenhäusern zu schaffen.“
Er appelliert aber auch an das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft eines jeden Einzelnen: „Frauen haben in der Isolation keinen Raum, um Hilfe anzurufen, weil der Partner permanent da ist und dadurch noch mehr Kontrolle ausüben kann. Menschen, die Hilfe benötigen, es aber nicht schaffen, sie sich auch zu holen, müssen von ihrem Umfeld gesehen und unterstützt werden. Wer die Augen vor Gewalt gegen Schwächere verschließt, macht sich andernfalls zum Komplizen der Täter! Der allgemeine soziale Dienst ist hier mehr als bisher gefordert“, betont Wicher.