Genau ein Jahr ist es her, dass sich die deutschen Jobcenter im Rahmen des mit 450 Millionen Euro gespeisten Bundesprogrammes „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ um rund 10.000 Förderplätze für Langzeitarbeitslose bewerben konnten. Das Hamburger Jobcenter scheiterte mit seiner Bewerbung um 300 Plätze. „Damit ist Hamburg nun selbst stärker gefordert, die im Koalitionsvertrag genannte Zahl von bis zu 1.000 Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslosigkeit endlich umzusetzen“, sagt Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender des SoVD Hamburg. Insgesamt 30.000 Langzeitarbeitslose, 1/3 von ihnen ist zudem seit Einführung von Hartz IV nie aus dem Bezug gekommen, hoffen auf eine Initiative des Hamburger Senats. Der Senat hatte in seiner Regierungserklärung angekündigt, 1000 sozialversicherungspflichtige, öffentlich geförderte Arbeitsplätze zu schaffen. „Dieser Einstieg in einen sozialen Arbeitsmarkt ist bisher nicht vollzogen. Dabei brauchen wir angesichts der steigenden Zahlen von Langzeitarbeitslosen Maßnahmen, um diese Gruppe nicht abzuhängen.“ so Wicher.
„Die Job-Center könnten ohne Probleme Lohnkostenzuschüsse in Höhe von 75 % leisten, wenn Hamburg die Co-Finanzierung aufbringen würde. Dies muss Hamburg leisten, weil private Arbeitgeber für diesen Personenkreis kaum Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Jedenfalls ist eine beachtenswerte Initiative des Job-Center Chefs Heyden gescheitert, diese Arbeitsplätze in der privaten Wirtschat zu akquirieren. Der Senat muss Arbeitsplätze in den Börden, Betrieben der Stadt und bei Beschäftigungsträgern bereitstellen, sonst scheitert schon dieser kleine Ansatz. Die Zahl langzeitarbeitsloser Menschen in Hamburg liegt seit Jahren auf hohem Niveau. Auch der Aufschwung am Arbeitsmarkt ändert nichts daran. Die Hamburger Agentur für Arbeit meldete für den Berichtsmonat Mai 2016 zwar eine weiter „erfreuliche Entwicklung seit Jahresbeginn“: Die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück: Die Statistik zählt 70.694 Menschen ohne Arbeit, das sind 1.245 oder 1,7 Prozent weniger als im Vormonat und 3,8 Prozent (2.830 Arbeitslose) weniger zum Vorjahresmonat. Die Arbeitslosenquote sank um 0,3 Punkte auf 7,0 Prozent. Anders die Gruppe der Langzeitarbeitslosen. Ihre Zahl sank zwar zum Vormonat um 1,1 Prozent, stieg aber zum Vorjahres-Mai weiter um 0,3 Prozent, im Geltungsbereich SGB II sogar um + 1,7 Prozent.
„Wir müssen schnell handeln. Auch Arbeitsgelegenheiten könnten ein erster Schritt sein, wieder Fuß zu fassen. Viele Einrichtungen wie die Suppenküche Pottkieker oder das Projekt Mok wat haben dank der Arbeitsgelegenheiten gute Erfolge für Beschäftigte und Nutzer. Hier darf nicht gekürzt werden“, sagt Wicher. Er verweist auf Wandsbek. Beim Stadtteilservice Wandsbek bieten Menschen in einer Arbeitsgelegenheit älteren oder hilfebedürftigen Menschen praktische Unterstützung an. Mit Beginn der Förderperiode 2016 wurde die Platzzahl vom Jobcenter team.arbeit.hamburg gekürzt: 2014 waren es 93 Plätze, 2015 waren es noch 58 und seit dem 1.2.2016 sind es nur noch 25 Plätze. Ziel muss sein, so Wicher, den Stadtteilservice Wandsbek für die Förderperiode 2017 von weiteren Kürzungen zu verschonen und wieder auszuweiten.
Für Wicher sind allerdings die derzeit im Rahmen der Integration von Flüchtlingen diskutierten Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs) keine taugliche Alternative zu einem geregelten sozialen Arbeitsmarkt: „Ein-Euro-Jobs sind marktfern. Langzeitarbeitslose finden sich in einer realitätsfremden Situation wieder. Sie erfahren, dass Arbeit kaum etwas wert ist. Ein-Euro-Jobs stehen unseren Anforderungen entgegen, dass der arbeitende Mensch seinen Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten soll.“
Der SoVD in Hamburg plädiert für einen sozialen Arbeitsmarkt, der Menschen in die Lage versetzt, sich über eigene Leistung in die Arbeitswelt zurückzufinden. Dabei markiert das 1000-Stellen-Programm des Senates nur eine unterste Grenze der öffentlichen Förderung von Beschäftigung. In dieser Größenordnung kann der Plan nur ein Einstieg sein. „Langzeitarbeitslose müssen in einem ersten Schritt unter sozialpädagogischer, psychologischer und berufspädagogischer Hilfe wieder an Arbeitsbedingungen und -anforderungen herangeführt werden. Ohne externe Unterstützung sind die Chancen angesichts mehrerer Eingliederungshemmnisse oft gering: fehlender Schulabschluss, keine Berufsausbildung, gesundheitliche und familiäre Beeinträchtigungen, Erkrankungen. Das SoVD-Konzept eines sozialen Arbeitsmarktes stellt nicht die Schwächen von Arbeitsuchenden in den Mittelpunkt, sondern die Förderung der Stärken.
Wicher: „Wir brauchen eine Re-Regulierung der arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitslose Menschen müssen im Arbeitsmarkt auf gleicher Augenhöhe stehen und dürfen nicht als Menschen mit Defiziten ausgesondert werden.“ Die Job-Center können mit ihrem gegenwärtigen Personalschlüssel keine individuelle Vermittlung leisten. Hinzu kommt, dass der maximale Förderzeitraum viel zu kurz ist und auch Förderungen bis 100 Prozent ermöglicht werden müssen. Dabei sei die tätigkeitsbezogene Maßnahmenprüfung auf Basis der Kriterien Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsneutralität zu revidieren. „Hier müssen wir anders als bei Ein-Euro-Jobs vorgehen, damit wir marktfähige Jobs bekommen. Dies betrifft den Bundesgesetzgeber. Frau Nahles ist gefordert, hier einen Kurs einzuschlagen, der den Langzeitarbeitslosen wirklich hilft. Es ist volkswirtschaftlich sinnvoller, Betreuung, Qualifizierung und Integration zu finanzieren, als Arbeitslosigkeit zu alimentieren“, so Wicher.
Er verweist auf den Business-Plan des SoVD-Konzeptes. Es wird finanziert u.a. im Rahmen eines Passiv-Aktiv-Transfers von Leistungen des SGB II. Wicher: „Ein sozialer Arbeitsmarkt ermöglicht, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können. Das hat nichts mit Arbeitsgelegenheiten zu tun. Wir wollen Qualifizierung und Tariflohn. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren und nicht die Beschäftigungsverhältnisse aufweichen und verbilligen.“
Wicher schlägt einen Bogen zur Einführung der sogenannten Hartz-IV Gesetze: „Wer zehn Jahre nach dem Start von Hartz-IV nach Hamburg schaut, muss eine ernüchternde Bilanz ziehen. Jeder zehnte ist in einer der reichsten Städte Deutschlands auf Grundsicherung angewiesen. Wenn wir noch die Empfänger von Sozialhilfe und die in Armut lebenden Alten dazurechnen, haben wir eine Gesellschaft in der Gesellschaft, die trotz des boomenden Arbeitsmarktes weiter abgehängt ist. Hinzu kommt ein Beschäftigungssektor mit prekären Beschäftigungsverhältnissen auf Rekordniveau.“
Das Ziel des SoVDs ist die Integration der arbeitslosen Menschen. Sie wird erreicht durch individuelle Eingliederungsleistungen, eine Absage an Niedriglohn, die Wiederherstellung eines umfassenden Kündigungsschutzes, der Ersatz der geringfügigen Beschäftigung durch reguläre Vollzeitarbeit mit Sozialversicherung, ein Konzept der lebenslangen Qualifizierung sowie Verbesserung der beruflichen Kompetenzen. Die Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld I) muss wieder die grundsätzliche Leistung bei Arbeitslosigkeit sein. Beim Arbeitslosengeld II sind sowohl die Regelbedarfe als auch die zusätzlichen Leistungen zum Lebensunterhalt deutlich zu verbessern. Gleichzeitig muss die Einkommens- und Vermögensanrechnung gelockert und Zumutbarkeits- und Sanktionsregelungen revidiert werden. Die Betreuungs-, Vermittlungs- und Eingliederungsleistungen müssen für alle Arbeitslosen bei der Bundesagentur für Arbeit konzentriert werden. „All das ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit – in Hamburg.“