Die große Freude über den Doppelhaushalt der Stadt will sich bei Klaus Wicher nicht so recht einstellen: „Ich begrüße, dass der Senat seine Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik fortschreiben will. Wir brauchen allerdings dringend mehr sozialen Wohnungsbau, um vor allem den Menschen mit wenig Einkommen die Möglichkeit zu geben, in der Stadt wohnen zu können.“ 3.000 öffentlich geförderte neue Wohnungen pro Jahr habe sich die Stadt auf die Fahnen geschrieben: „Das ist ambitioniert und dennoch zu wenig. Wir werden sehen, ob der Senat die Zeichen der Zeit erkannt hat“, so Wicher.
Auch der auf den ersten Blick größte Posten von jährlich 3,5 Milliarden Euro für die Themenfelder Arbeit, Soziales, Familie und Integration muss aus Wichers Sicht relativiert werden: „Ein großer Teil des Etats wird in eine noch bessere Kinderbetreuung fließen, Familienprojekte in den Stadtteilen sollen gestärkt und Alleinerziehende noch mehr unterstützt werden. Das ist alles gut und wichtig. Dennoch frage ich mich, auch im Hinblick auf den demografischen Wandel und immer mehr ältere Menschen in der Stadt, welche Verbesserungen sich für sie einstellen werden. Ich sehe da viel zu wenig Engagement.“
Wicher kennt das Argument, dass sich die Stadt für Senioren ja durch die Finanzierung der „Hamburger Hausbesuche“ stark mache: „Hier muss ich leider sagen, dass dieses Projekt zunächst eine kleine Evaluationsphase durchlaufen soll. Fast am Ende der Legislaturperiode soll das Angebot in nur zwei Bezirken, und dies nur für 80-Jährige, überhaupt umgesetzt werden. Im Koalitionsvertrag wurde vollmundig angekündigt, dass allen Seniorinnen und Senioren ein Hausbesuch angeboten werden soll. In Hamburg leben schon heute mehr als 426.000 Menschen, die 60 Jahre und älter sind, und deren Lebensqualität durch aufsuchende Hausbesuche verbessert werden könnte und muss.“
Wicher fehlt es insgesamt an konkreten Lösungen: „Senat und Bürgermeister haben sich darauf festgelegt, die Arbeit der Wohn-Pflege-SAufsicht zu verbessern. Dieser Mangel ist seit vielen Jahren bekannt und unbearbeitet.“ Wicher ist skeptisch, ob hier die richtigen Weichen gestellt werden. Geht es doch darum, dass die Alten- und Pflegeheime alle nach einem einheitlichen System einmal im Jahr geprüft werden.
Auch bei dem Versprechen, die Jugend- und Seniorenarbeit in den Bezirken zu verbessern, bleibt Wicher skeptisch: „2019 sind zwar Kosten und Investitionen von rund 603 Millionen Euro dafür veranschlagt. Allerdings sind allein rund 401 Millionen Euro davon für die Finanzierung des Personals in den Bezirksämtern vorgesehen. Was da am Ende dann noch bei den Bürgern ankommt, das muss man erst einmal abwarten.“
Hamburg fehlt es an einem Gesamtkonzept für die Seniorenarbeit und Linderung der Armut bei Senioren. Der Hamburger SoVD-Landesvorsitzende erneuert deshalb noch einmal die Forderungen des SoVD an die Stadt für eine gute seniorenpolitische Arbeit, die insbesondere die Armut lindert.
- Grundsicherungsempfänger haben 4,83 Euro am Tag tatsächlich für Lebensmittel zur Verfügung. Dass man damit nicht auskommen und sich schon gar nicht gesund ernähren kann, ist allen klar. Der Senat könnte beispielsweise jedem 20 Euro im Monat drauflegen (wie in München). Das würde die Betroffenen entlasten, solange der Grundsicherungssatz nicht bedarfsgerecht angehoben wird.
- Zur Bedarfsfeststellung und ersten Unterstützung muss jedem älteren Menschen ein Hausbesuch angeboten werden (steht im Koalitionsvertrag).
- Kostenfreie haushaltsnahe Dienstleistungen müssen bedürftigen älteren Menschen in allen Stadteilen zu Verfügung stehen, damit Alltägliches erledigt werden kann und soziale Kontakte möglich sind (z.B. Gardinen aufhängen, Begleitung bei Spaziergängen oder ins Theater).
- Mobilität sichern über eine kostenfreie Seniorenkarte, die auch vor 9 Uhr morgens gilt. Ausbau der Barrierefreiheit auch im privaten Bereich. Herstellen von mehr Sicherheit im Straßenverkehr z.B. durch längere Ampelphasen.
- Mehrmals im Monat kostenfreien Eintritt für kulturelle Veranstaltungen u.a. in Museen und Theatern.
- Angebote wie z.B. Seniorentreffs vor Ort in ausreichender Zahl bereithalten, die mit mindestens einer halben Stelle hauptamtlich betrieben werden.
- Pflege qualitativ sichern durch regelmäßige und unangemeldete jährliche Kontrollen der Wohn-Pflege-Aufsicht.
- Erweiterung des sozialen und barrierefreien Wohnungsbaus, so dass die Anzahl der Sozialwohnungen wieder steigt und die Mieten bezahlbar werden.
- Grundsicherungs- und Hartz-IV-Empfängern großzügige Aufschläge auf die Kosten der Unterkunft (Wohnung) gewähren (dies macht Hamburg schon in Einzelfällen).
Aufbau eines sozialen Arbeitsmarkts
Hamburg muss aus eigenen Mitteln einen sozialen Arbeitsmarkt mit wenigstens 3.000 Plätzen entwickeln. Langzeitarbeitslose bekommen so die Möglichkeit, sich ein auskömmliches Gehalt selbst zu erarbeiten und können z.B. für den weiteren Ausbau Haushaltsnaher Dienstleistungen sehr sinnvoll eingesetzt werden. Dies hilft ihnen und den Senioren. Behinderte Menschen brauchen zusätzliche Förderungsprogramme, um ihre Chancen auf einen Job zu erhöhen.
Viele Menschen können sich soziale Teilhabe nicht leisten und sind daher von vielen Möglichkeiten ausgeschlossen. Beinahe jeder sechste Einwohner in Hamburg ist von Armut bedroht. Fast 250.000 Menschen sind auf Sozialleistungen angewiesen, darunter mehr als 65.000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren. Über 25.000 Senioren leben von der Grundsicherung im Alter, weil ihre Rente zum Leben nicht reicht. Dies gilt ebenfalls für mehr als 17.000 Erwerbsminderungsrentner. Auch Alleinerziehende – überwiegend Frauen – und Langzeitarbeitslose haben immer noch zu wenig Perspektiven.