Wer sich nicht mehr allein zu Hause versorgen kann, für den ist ein Platz in einem guten Pflegeheim fast so etwas wie ein Lottogewinn. Aktuell fehlen in Deutschland bereits 17.000 Mitarbeiter in den Einrichtungen und bei den Pflegediensten. Die Zahl erschreckt umso mehr, wenn man bedenkt, dass 73 Prozent aller Pflegefälle gar nicht in einem Heim lebt, sondern zuhause betreut wird. Den Löwenanteil übernehmen mit 2/3 die eigenen Angehörigen, 1/3 wird von ambulanten Pflegediensten versorgt.
Immer wieder kommen Fälle an die Öffentlichkeit, die große Defizite bei der Betreuung von pflegebedürftigen Menschen aufdecken. „Wir brauchen eine konsequente und jährlich stattfindende Überprüfung aller Einrichtungen durch die städtische Wohn-Pflege-Aufsicht“, forderte deshalb Brigitte Krebeleder, 2. Landesvorsitzende SoVD Hamburg. Den Forderungskatalog des SoVD für eine würdevolle, gute Pflege für alle Senioren, fasste sie folgendermaßen zusammen:
- Aufsuchende Seniorenarbeit deutlich ausbauen und gesundheitspolitische Angebote integrieren
- Gesundheitsversorgung in allen Stadtteilen gewährleisten
- Gute medizinische Versorgung auch in wenig besiedelten Bereichen der Stadt gewährleisten
- Unabhängige Patientenberatung verbessern
- Etablierung ehrenamtlicher und unabhängiger Patientenfürsprecher in Krankenhäusern
- Angehörige und Familien mit Pflegefällen auch finanziell nicht im Stich lassen
- Konzept für die integrierte Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern
Neben Brigitte Krebeleder saßen Hilke Stein (Fachbereichsleiterin Gesundheit und Soziales, ver.di Hamburg), Dr. Hans-Jürgen Wilhelm, (Vorstand, Elisabeth Alten- und Pflegeheim der Freimaurer von 1795), Karl-Dieter Voß (Vorsitzender, Sozialpolitischer Ausschuss SoVD-Bundesverband) auf dem Podium. Aus Süddeutschland war eigens der Buchhautor und Pflegekritiker Claus Fussek angereist.
Aus Sicht seiner über 40-jährigen Auseinandersetzung mit dem Thema, stellt er gleich zu Beginn des Abends klar: „Es hat sich nichts wirklich zum Besseren geändert.“ Natürlich gebe es gute Einrichtungen, die gute Pflege leisten, so Fussek, aber „dafür zahlen die Betroffenen oder ihre Angehörigen auch viel.“ Kritik an Arbeitsbedingungen und Zuständen sei bei den Beteiligten verpönt: die Angehörigen befürchten Nachteile in der Betreuung, die Mitarbeiter hätten Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.
ver.di Vertreterin Hilke Stein beleuchtete die Situation des Berufs und der Mitarbeiter in den Einrichtungen: „Altenpfleger als ausgebildete Fachkräfte werden von allen pflegenden Berufen am schlechtesten entlohnt,“ sagte sie, „nur fünf Prozent der stationären und ambulanten Anbieter zahlen nach Tarif.“ Den größten Anteil an Mitarbeitern stellen Frauen, die meisten davon arbeiten in Teilzeit. Außerdem haben die wenigsten Einrichtungen einen Betriebsrat. Stein wünscht sich mehr Initiative von Seiten der Mitarbeiter und sprach sich für eine Vernetzung zwischen Betroffenen und Pflegenden aus: „Da könnte ich mir einen Solidaritätspakt Senioren/Pflegekräfte vorstellen“.
Pflegeheimleiter Dr. Hans-Jürgen Wilhelm sieht als Hauptproblem die Finanzierung der Betreuung in den Einrichtungen. Er stellte die Frage: „Wie viel würdevolle Pflege will sich unsere Gesellschaft eigentlich leisten?“ Ihm macht vor allem Sorge, dass ein großer Teil des Pflegemarktes inzwischen privatisiert ist: „Pflege ist aber kein Verkaufsprodukt.“ Hier stände häufig der Profitgedanke im Gegensatz zur Bedürftigkeit, wer viel zahle bekomme gute Pflege, wer wenig habe, müsse sehen, wie er zurechtkomme. Er vermisst eine grundsätzliche Bereitschaft in der Gesellschaft, sich mit Alter und Krankheit auseinander zu setzen.
Das Geld für eine gute Pflege kommt für viele von der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Karl-Dieter Voß, SoVD-Experte aus Berlin, machte deutlich, welchen wichtigen Stellenwert die DRV als sozialer, gesetzlicher Versicherer für viele Menschen hat. Rund 38,5 Milliarden Euro wird die DRV voraussichtlich in diesem Jahr für die Pflege ihrer Versicherten ausgeben.
Noch viele Stellschrauben werden gedreht werden müssen, wenn langfristig eine Verbesserung in der Pflege erreicht werden soll: Dazu gehört eine Bürgerversicherung, die auch der SoVD befürwortet, genauso wie eine verbesserte Bezahlung der Mitarbeiter und ein höherer Personalschlüssel, der mehr individuelle und angemessene Pflege ermöglichen könnte. Auch wünschte man sich mehr Klarheit und Vereinheitlichung bei Kosten und Einstufungen, denn bis heute hat jedes der 16 Bundesländer einen eigenen Pflegeschlüssel.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels war man sich auf dem Podium einig: Die Gesellschaft hat eine Aufgabe, der sie sich dringend stellen muss. Pflegekritiker Fussek formulierte: „Unsere Gesellschaft muss endlich akzeptieren, dass das Thema Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit existiert und den Mut haben, sich damit auseinander zu setzen.“