Der SoVD Hamburg stellte drei Fragen an Prof. Dr. Harald Ansen, Armutsforscher an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW).
Viele Menschen in Deutschland sind unzufrieden – Wahlprognosen zeigen das deutlich. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ansen: Insbesondere Menschen in benachteiligten und armutsgeprägten Lebenslagen bringen in Studien zum Ausdruck, dass sie ihre Anliegen in der Politik nicht vertreten sehen. Ihre Stimmen werden aus ihrer Sicht nicht gehört. Sie erleben sich ohne Chancen auf grundlegende Veränderungen ihrer alltäglichen Lebensumstände und den sozialen und ökonomischen Entwicklungen ohnmächtig ausgeliefert. Diese Unzufriedenheit entfremdet Betroffene zunehmend von der Gesellschaft, sie erleben die Welt als sinn- und bedeutungslos.
Die Zahl der in Armut lebenden Menschen soll in Deutschland bis 2030 halbiert sein, aber die Schere zwischen arm und reich wird immer größer. Welche Maßnahmen könnten für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen?
Ansen: Von sozialer Gerechtigkeit sind wir gesellschaftlich weit entfernt. Mehr soziale Gerechtigkeit kann nur durch eine substanzielle Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums mittels Steuer- und Abgabenpolitik erreicht werden. Alles andere ist Flickschusterei. Wir brauchen vorrangig armutsfeste Sozialleistungen, bezahlbare Wohnungen, leistbare Energiekosten, eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit sowie einen Ausbau der sozialen Infrastruktur.
Besonders Kinder leben in Armut oder sind armutsgefährdet, Kinderrechte werden bis heute nicht ausreichend umgesetzt. Was bedeutet das für die Zukunft unserer Gesellschaft?
Ansen: In Armut aufwachsende Kinder sind vermehrt in ihrer Bildungslaufbahn benachteiligt. Sie tragen erhöhte gesundheitliche Risiken, erleben soziale Ausgrenzung und vielfach auch familiäre Belastungen. Auch wenn es keinen zwingenden Mechanismus gibt, die frühen Beeinträchtigungen sind Hypotheken für die weitere Entwicklung, in der es ihnen schwerer fällt, ihren Platz in der Gesellschaft und im Erwerbsleben zu finden. Aus humanitären und aus gesellschaftlich-demographischen Gründen können wir es uns nicht leisten, Kinder und Jugendliche in Armut hängen zu lassen.