„Wenn kostümierte Stelzenläufer*innen in sozial benachteiligten Quartieren über Corona aufklären, ist das aufmerksamkeitsstarkes Marketing der Sozialbehörde. Die Aktion ist medienwirksam und kann auch die erreichen, die vielleicht sonst nicht so aufmerken. Doch die Show muss viel weitergehen. Corona ist eine Art Lackmus-Test, ob die Gesundheitspolitik – wie oft behauptet – keine sozialen Grenzen kennt.“, so Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD) in Hamburg, weiter.
An den Senat sei die Frage zu richten, warum erst der NDR einen Zusammenhang zwischen einer höheren Infektionsgefahr und der sozial-prekären Lage in Hamburg aufdecken musste: „Warum hat nicht der Senat selbst die Hand an den Puls derer gelegt, die in Harburg, Billstedt oder auf der Veddel in Armut leben und unter Corona leiden. Die Daten aus dem Sozial-Monitoring liegen vor. Die Sozialbehörde muss sie nur lesen und aktuell interpretieren.“
Auch der SoVD hatte bereits häufig darauf hingewiesen, dass arme Menschen öfter als andere gesundheitsgefährdenden Wohn-, Arbeits- und Lebensumständen ausgesetzt sind. Das führt jetzt dazu, dass Hamburger Stadtteile unterschiedlich von der Pandemie betroffen sind. „Wir erwarten, dass der Senat das Problem jetzt endlich an der Wurzel packt. Es geht um die schnelle und effektive Bekämpfung der Armut. Die Menschen brauchen keine Marketingaktionen, sondern schnelle Hilfen.“ , sagt Wicher. So sei die Inzidenz dort, wo überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund oder geringem Einkommen leben, höher als in anderen Quartieren: „Corona ist Indiz dafür, dass Geld und Gesundheit zwei Seiten einer Medaille sind.“
Der Hamburger SoVD-Chef appelliert an den Senat, die Corona-Politik sozialräumlich zu kalibrieren. Das heißt konkret: „Jetzt müssen in den sozial benachteiligten Vierteln mit hohen Inzidenzwerten mehr Impfzentren eingerichtet und mehr Impfungen angeboten werden.“ Corona verstärkt die Teilung der Stadt in Arm und Reich: Viele prekäre Jobs seien nicht geeignet fürs Homeoffice; Menschen mit geringem Einkommen können oft nicht auf Privat-Fahrzeuge zurückgreifen; die Barriere, ärztliche Beratung – auch bei Corona – einzuholen, sei angesichts unterschiedlicher ärztlicher Dichte in den Stadtteilen hoch. „Wer arm ist und in armen Vierteln wohnt, lebt kürzer, weil er nicht mit der gleichen Versorgung rechnen kann wie wohlhabende Patient*innen und vor allem nicht die Mittel hat, um sich das Notwendige selbst zu beschaffen.“, so Wicher.
„Das eigentliche Problem ist das von Rot-Grün lange vernachlässigte Thema Armutsvermeidung und Armutsbekämpfung.“ Dies müsse, so Wicher, in den Mittelpunkt der Sozialpolitik rücken: „Wer beengt wohnt, wer sich keine zusätzlichen Masken kaufen kann, wer auf Busse und Bahnen angewiesen ist, wer zu Tafeln durch die ganze Stadt reisen muss, der ist einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Das gilt für Erwachsene und Kinder.“
Er fordert den Senat auf, die Bedingungen des täglichen Lebens dort zu verbessern, wo die Politik Zugriffsmöglichkeiten hat: „Es sind hier Belastungen abzupuffern. So entlastet es das Budget von Menschen mit geringem Einkommen, wenn Busse und Bahnen kostenfrei sind. Wenn der Senat die Grundsicherung aus haushalteignen Mitteln aufstockt, erweitert dies die notwendige finanzielle Teilhabe. Für die vielen bedürftigen Menschen in der Stadt muss der Zugang zu Kultur, Freizeit und Sport kostenfrei angeboten werden. Wenn mehr Sozialwohnungen gebaut werden, entzerrt das den Wohnungsmarkt und schafft preiswerten Wohnraum für einkommensschwache Haushalte. Hamburg kann und muss einiges tun. Klar ist auch, dass eine Sozialpolitik des Bundes und der Hansestadt Hand in Hand gehen müssen.“