Die Bezirke Harburg und Mitte sind derzeit am stärksten von Neuinfektionen mit dem mutierten Corona-Virus betroffen. „Gesundheitssenatorin Leonhard hat selbst darauf hingewiesen, dass sich dort vor allem junge Menschen und Personen, die sich im häuslichen Umfeld treffen, anstecken. Ich würde sagen, dies sind alles Anhaltspunkte dafür, dass Corona jetzt vor allem Menschen trifft, die arm sind“, so Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD) in Hamburg. In den beiden Bezirken sind die Mieten relativ niedrig. Hier wohnen viele Menschen auf engem Raum, ihr monatliches Einkommen ist verhältnismäßig klein.
„Ich bin mir absolut sicher, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Ansteckung und sozialem Status gibt: Menschen, die wenig haben, leisten sich weniger Masken und schützen sich weniger gut als diejenigen, die mehr haben. Ihr gesundheitlicher Zustand ist oft schlechter, es gibt eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Menschen infizieren. Wir brauchen deshalb eine Impfstrategie, die diese Faktoren mit einbezieht.“
Auch die kostenlosen Schnelltests, die man einmal pro Woche machen darf, sieht Wicher eher als ein Zugeständnis denn als echte Hilfe: „Ein Schnelltest ermöglicht an einem Tag in der Woche den sicheren Kontakt mit anderen, die sich natürlich ebenfalls testen lassen müssen. Wer sich die Tests öfter leisten kann, hat mehr soziales Leben. Wer arm ist, bleibt mehr allein.“ Er fordert deshalb: „Wir brauchen eine Impf- und Teststrategie, die nicht bürokratisch an dem einmal Beschlossenen festhält. Das Virus ist flexibel und zeigt uns immer wieder eine lange Nase. In Deutschland haben wir die Entwicklung der Pandemie unterschätzt. Jetzt reiben wir uns die Augen und wundern uns, dass in anderen Ländern schon mehr als die Hälfte aller Einwohner*innen geimpft sind.“ Zudem sieht der Hamburger SoVD-Chef ganze Gruppen im Hintertreffen: „Wir sind eine sehr vielfältige Gesellschaft. Was den Schutz angeht, habe ich manchmal das Gefühl, dass all die, die nicht fest integriert sind, oder Sprachbarrieren haben, außen vor bleiben. Aus meiner Sicht fehlt es nicht nur an Tests und Impfstoff, sondern auch ganz klar an Aufklärung!“
Wicher räumt ein, dass der richtige Umgang mit der Pandemie ein schwerer sei. Dennoch: „Gerade, weil wir inzwischen so viel über die sozialen Veränderungen in unserer Hansestadt wissen, sollten wir diese Entwicklung, so wie in den ersten Monaten von Corona, nicht einfach ausblenden. Corona wird diese Tendenzen zusätzlich stark befeuern. Senatorin Leonhard muss hier deutlich vorausschauender planen und jetzt Maßnahmen anschieben, die Armut in der Stadt erträglicher machen und eventuell sogar Wege aus diesem Schicksal aufzeigen.“ Dazu gehöre eine Aufstockung der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und die Einrichtung von Quartierzentren. Zusätzlich müssten die Betroffenen deutlich mehr öffentliche Angebote wie ÖPNV, Kultur und Sport kostenlos nutzen dürfen.