„Sozialpolitik ist im Bundestagswahlkampf nicht im gewünschten Umfang sichtbar geworden. Dabei sind Armut und soziale Spaltung Realität“, sagt Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender des SoVD Hamburg. Der SoVD wollte daher von den Parteien wissen: Wie viel soziale Gerechtigkeit steckt in den Wahlprogrammen. Zur Diskussion kamen über 180 Besucher, darunter auch interessierte Schüler. Auch für sie fragte Moderator Jörn Straehler-Pohl vom NDR die Politiker: „Was ist soziale Gerechtigkeit“?
Für Aydan Özoğuz, MdB SPD, „zündet dieses Thema durchaus“. Da in Zeiten der CDU/FDP-Regierung die prekäre Beschäftigung stark angestiegen sei, komme die soziale Not auf viele später im Rentenalter zu. Auch Marcus Weinberg will „immer über soziale Gerechtigkeit reden“. Doch der Bundestagsabgeordnete der CDU interpretiert sie naturgemäß anders. Er verweist auf über 100.000 weniger Hartz-IV Empfänger und 1.6 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Gefragt seien „Subsidiarität“ und „Hilfe zur Selbsthilfe“, keine „sozialdemokratische Gleichheit“. Soziale Gerechtigkeit ist damit Ansichtssache: Während Özoğuz strukturell eingreifen will und etwa eine Mietpreisbremse, eine Bürgerversicherung und einen gesetzlichen Mindestlohn von 8.50 Euro anstrebt, geht Burkhardt Müller-Sönksen, MdB FDP, einher mit Weinberg. Er will die Rahmenbedingungen korrigieren für „mehr Leistungsgerechtigkeit“. Rigorose Eingriffe in das Vermögen derer, die sowieso die meisten Steuern zahlen, seien kein probates Mittel. Tenor: Der Markt wird es richten. „Wer viel leistet, soll auch mehr verdienen“. Die FDP fordert dass die Tarifparteien branchenspezifische Mindestlöhne aushandeln.
Das lehnt Jan van Aken, Die Linke, ab. Er will „10 Euro Mindestlohn und denen, die über 6.000 Euro verdienen mehr wegnehmen und es denen geben, die weniger als 6.000 Euro haben.“ Der Linken geht die soziale Gerechtigkeit der SPD nicht weit genug. „Reichtum muss wieder teurer werden. Und auch Anja Hajduk, Spitzenkandidatin der Grünen in Hamburg, sieht die einst mit der SPD erstellte Agenda 2010 (selbst)-kritisch: „Es war nicht per se alles falsch. Aber es gibt Handlungsbedarf bei den eigenen Positionen etwa zur Steuerreform“. Und es „kann nicht sein, dass der Staat Geschäftsideen von Unternehmen subventioniert, die Mini-Löhne zahlen.“ Die Grüne brachte auch eine fast vergessene Ethik ins Spiel: „Sie möchte „eine werteorientierte Solidarität verankern.“
Mini-Löhne heute – Mini-Renten morgen. Hierzu machte Özoğuz deutlich, dass das Rentenniveau auf dem jetzigen Stand gehalten werden soll, damit auch zukünftige Generationen eine auskömmliche Rente bekommen. Alle Parteien wollen am umlagefinanzierten Rentensystem festhalten und machen deutlich, dass private Vorsorge und eine Betriebsrente notwendig sind, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. CDU und FDP messen allerdings der privatwirtschaftlichen Säule eine besondere Bedeutung bei. Fragen bleiben. Was machen die, die die Anwartschaftszeit nicht erreichen. Was machen die, die schon heute arm sind. Wer soll private Beiträge von Mini-Jobs bezahlen? Und die Pflege? Wie ist Altersarmut zu vermeiden? Warum leben Reiche im Zwei-Klassen-Gesundheitssystem länger als Arme? Die SPD plädiert für eine Mindestrente von 850 Euro und eine abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren. Die Grünen: 850 Euro und 30 Beitragsjahre. Die Linke hat 45 Jahre und 1050 Euro im Programm. Wer rechnen kann, weiß, wie weit diese Lösungen tragen. Özoğuz: „Wir würden lügen wenn wir sagen, es gibt keine Leute, die auf Grundsicherung angewiesen sind.“ Klar hatte es die FDP - für alle - zugespitzt: „Es wird immer welche geben, die beim SoVD Hilfe fordern werden.“