Tarifautonomiestärkungsgesetz
Stellungnahme des SoVD zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie
1. Vorbemerkung
Der SoVD begrüßt ausdrücklich das mit dem Referentenentwurf verfolgte Ziel, die Tarifautonomie zu stärken und angemessene Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen. Die vorgesehene Erweiterung des Geltungsbereichs des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf sämtliche Tarifverträge wird ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Niedriglohnsektors sein.
Auch die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen wird vom SoVD begrüßt. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist eine Möglichkeit, um Tarifverträge nicht nur zwischen den Tarifparteien, sondern in der gesamten Branche gelten zu lassen. Nach dem Entwurf soll eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses für eine allgemeine, verbindliche Geltung des Tarifvertrags möglich sein. Dies entspricht der Arbeitsmarktrealität und dem Schutzbedürfnis der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weit mehr als die derzeitig geltende starre 50-Prozent-Klausel.
Damit werden die tariflichen Regelungen für eine viel größere Zahl der Beschäftigten als bisher gültig: diese fallen damit auch unter den Schutz tariflicher Mindeststandards.
Mit großer Sorge beobachtet der SoVD seit vielen Jahren die massive Ausdehnung des Niedriglohnsektors und der prekären Beschäftigung in Deutschland. Niedrigeinkommen und prekäre Beschäftigung sind maßgebliche Ursachen für Armut bei Arbeit und Armut im Alter. Die vorgesehene Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns wird die Entgelt- und Lebenssituation vieler Menschen verbessern und ist daher ausdrücklich zu begrüßen. Als Sozialverband setzten wir uns vor allem für Menschen ein, die im Niedrigsektor beschäftigt sind, die unter prekären Bedingungen tätig sind und die von Armut bedroht sind. Dieser Personenkreis wird von der Einführung des Mindestlohns besonders profitieren. Der SoVD plädiert jedoch dafür, den Mindestlohn ab dem 1. Januar 2015 für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten zu lassen. D.h., die Ausnahmeregelungen für Jugendliche unter 18 Jahre und für bestimmte vormals Langzeitarbeitslose sind zu streichen. Regelungen in Tarifverträgen, die eine geringere Lohnuntergrenze vorsehen, sollten mit Geltung des Mindestlohngesetzes unwirksam werden. Darüber hinaus sollte der Mindestlohn bereits ab dem Jahr 2016 und nicht ? wie vorgesehen ? erst ab 2018 jährlich angepasst werden.
2. Zum Mindestlohngesetz
Den Schwerpunkt seiner Stellungnahme legt der SoVD auf die im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns.
2.1 Zur Wirkung und zur Notwendigkeit des Mindestlohns
Der SoVD fordert schon lange einen flächendeckenden branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn und wertet daher den vorgelegten Referentenentwurf im Grundsatz als großen politischen Erfolg. Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn sichert für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Mindest-Verdienstniveau und ist ein wirksames Mittel, um den ausufernden Niedriglohnsektor zu bekämpfen. Deutschland hat den zweitgrößten Niedriglohnsektor in der Europäischen Union. Immer mehr Menschen betrifft und droht Armut trotz Arbeit, die sich zudem in einer niedrigeren Alterssicherung und damit einer wachsenden Gefahr von Altersarmut niederschlägt.
Insbesondere weibliche Beschäftigte werden vom Mindestlohn profitieren. Denn der Anteil der Frauen im Niedriglohnsektor liegt mit 32,4 Prozent nahezu doppelt so hoch wie der Männeranteil mit 16,7 Prozent. Der Mindestlohn kann daher dazu beitragen, die Entgeltlücke / den Gender Pay Gap zu verringern und der Lohndiskriminierung von Frauentätigkeiten entgegen zu wirken.
Der Mindestlohn kann ferner wesentlich dazu beitragen, den Missbräuchen beim Wettbewerb über Lohndumping entgegenzuwirken. Diejenigen Arbeitgeber, die faire Löhne zahlen, werden künftig nicht mehr unter Wettbewerbsnachteilen leiden müssen.
Von der Einführung des Mindestlohns werden darüber hinaus die 1,3 bis 1,4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren, die zusätzlich zu ihrem geringen Erwerbseinkommen aufstockende Grundsicherungsleistungen beziehen. Ein großer Teil - zumindest der 218.000 vollzeitbeschäftigten Aufstocker - wird allein mit seinem Arbeitseinkommen seine Existenz sichern können und damit unabhängig von Grundsicherungsleistung und Jobcenter werden. Auch für den Steuerzahler bedeutet die Einführung des Mindestlohns eine Entlastung: Denn die Steuerzahler finanzieren die aufstockenden Grundsicherungsleistungen und subventionieren damit die Arbeitgeber mit über 10 Mrd. Euro jährlich.
2.2 Zur Anpassung des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission
Der Entwurf sieht die Einrichtung einer sog. Mindestlohnkommission vor. Diese soll besetzt werden aus jeweils drei stimmberechtigten Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, einem / einer Vorsitzenden (abwechselnd Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgeberseite) sowie zwei lediglich beratenden Mitgliedern aus Kreisen der Wissenschaft. Die Kommission soll jährlich die Höhe des Mindestlohns beschließen; erstmalig mit Wirkung zum 1. Januar 2018. Das bedeutet faktisch ein Einfrieren des gesetzlichen Mindestlohns bis zum 1. Januar 2018. Das wird den Erfordernissen der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht gerecht. Der Mindestlohn muss bereits ab dem Jahr 2016 jährlich angepasst werden. Richtschnur für die Anpassung muss dabei nach Auffassung des SoVD die Entwicklung der tariflich vereinbarten Entgelte sein.
2.3 Zur zivilrechtlichen Durchsetzung des Anspruchs auf Mindestlohn
Der SoVD begrüßt die im Referentenentwurf vorgesehene Subunternehmerhaftung. Danach sind sowohl der beauftragte Generalunternehmer als auch die einzelnen Subunternehmen zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet. Dies bedeutet einen erheblichen Schutz für die einzelne Arbeitnehmerin bzw. den einzelnen Arbeitnehmer, den Anspruch auf Mindestlohn zu realisieren. Denn dann besteht die Wahlmöglichkeit, wer aus der Kette der einzelnen beauftragten Unternehmen für die Einhaltung des Mindestlohns in Anspruch genommen werden soll. Darüber hinaus wird diese Regelung einen positiven Nebeneffekt mit sich bringen: Die einzelnen Unternehmen werden versuchen, das Risiko, selbst in Anspruch genommen zu werden, zu minimieren. Daher werden sie verstärkt darauf achten, dass sich ihre Vertragspartner an geltende Gesetze halten und den Mindestlohn zahlen.
2.4 Zur staatlichen Kontrolle und Durchsetzung
Zuständig für die Prüfung, ob ein Arbeitgeber sich an die Mindestlohnregelung hält, sind nach dem Referentenentwurf die Behörden der Zollverwaltung. Der SoVD weist darauf hin, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit entsprechend mit ausreichendem qualifiziertem Personal ausgestattet sein muss, um diese wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Für begrüßenswert hält der SoVD die vorgesehene Pflicht der Arbeitgeber, bei geringfügig Beschäftigten sowie bei Leiharbeitnehmerinnen und ?arbeitnehmern den Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit zu dokumentieren. Diese Aufzeichnungen sind zwei Jahre lang aufzubewahren. Gerade im Bereich der Minijobs besteht die Gefahr, durch Ausdehnung der täglichen Arbeitszeiten den Mindestlohn zu unterlaufen. Die Dokumentationspflicht wird Kontrollen besser ermöglichen und damit als Hürde für eine Umgehung der Mindestlohnregelung fungieren.
2.5 Zum persönlichen Anwendungsbereich
Für den SoVD ist unabdingbar, dass der Mindestlohn für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt. Der Mindestlohn darf nicht durch das Zulassen von Ausnahmen aufgeweicht werden; der Grundsatz eines gerechten Lohns für gute Arbeit muss für alle Menschen gelten. Daher lehnt der SoVD es ab, dass im Referentenentwurf der Mindestlohn für bestimmte Personengruppen keine Anwendung finden soll:
Die vorgesehene Ausnahme der Jugendlichen bis 18 Jahre ohne abgeschlossene Berufsausbildung lehnt der SoVD als altersdiskriminierend ab. Der Referentenentwurf argumentiert mit der Behauptung, Jugendliche würden sich bei Geltung des Mindestlohns gegen das Absolvieren einer Berufsausbildung entscheiden. Ein belastbarer Nachweis für diese Behauptung konnte bisher nicht erbracht werden. Ein niedrigerer Jugendmindestlohn würde eher dazu führen, dass ältere durch jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdrängt würden.
Mit großer Enttäuschung muss zur Kenntnis genommen werden, dass eine bestimmte Gruppe vormals Arbeitsloser für das erste halbe Jahr geringer als mit dem Mindestlohn vergütet werden kann. Betroffen hiervon sind Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind und deren Arbeitgeber Lohnkostenzuschüsse erhalten, um eine Minderleistung auszugleichen. Der SoVD wendet sich mit Entschiedenheit gegen diese Ausnahmeregelung. Es besteht keinerlei Veranlassung, vorgenannten Personenkreis aus der Geltung des gesetzlichen Mindestlohns herauszunehmen. Die Lohnkostenzuschüsse sollen ja gerade dazu eingesetzt werden, Minderleistungen auszugleichen. Daher besteht kein Grund, diese Arbeiten schlechter zu bezahlen; auch für diese Langzeitarbeitslosen muss der Mindestlohn gelten. Darüber hinaus setzt die Ausnahmeregelung falsche Anreize für Arbeitgeber: Sie könnten den Mindestlohn dauerhaft umgehen, indem sie Arbeitsplätze immer nur kurzfristig, also längstens für ein halbes Jahr mit Langzeitarbeitslosen besetzen, für die Eingliederungszuschüsse gezahlt werden.
Der Entwurf sieht vor, ehrenamtliche Tätigkeit vom Mindestlohn auszunehmen. Ehrenamtliche Tätigkeit unterscheidet sich von regulärer Beschäftigung grundlegend dadurch, dass sie nicht auf Entgelt ausgerichtet ist. Ehrenamtlich Tätige erhalten eine Aufwandsentschädigung und kein Erwerbseinkommen. Daher hält der SoVD es für irreführend, ehrenamtliche Tätigkeiten ausdrücklich in das Mindestlohngesetz mit aufzunehmen. Es gilt hingegen zu verhindern, dass Minijobs als ehrenamtliche Tätigkeit deklariert werden und damit der Mindestlohn umgangen wird.
Ausdrücklich positiv bewertet der SoVD die Vorgabe, die freiwilligen Praktika in die Mindestlohnregelung mit einzubeziehen. Angesichts der ausufernden Zunahme des Missbrauchs von Praktikantinnen und Praktikanten als billige oder sogar kostenfreie Arbeitskräfte stellt sich dies als eine notwendige und sinnvolle Schutzmaßnahme dar.
2.6 Übergangsregelung
Der SoVD kritisiert, dass die Mindestlohnregelung bis zum Jahr 2017 unterlaufen werden kann durch noch geltende Tarifverträge. Wenn darin ein geringerer Lohn festgeschrieben ist, so findet der Mindestlohn keine Anwendung. Betroffen sind davon vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, für landwirtschaftliche Hilfstätigkeiten sowie Wach- und Schließdienstleistungen. Insbesondere in diesen Branchen werden körperlich sehr anstrengende Tätigkeiten verrichtet ? zu niedrigsten Löhnen. Der SoVD hält es für erforderlich, auch diesen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab dem 1. Januar 2015 uneingeschränkt den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro zuzugestehen.
3. Schlussbemerkung
Insgesamt bewertet der SoVD den Referentenentwurf als einen wichtigen Schritt hin zur Wiederherstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings müssen weitere Schritte dringend folgen. Dies gilt zunächst einmal für die im Koalitionsvertrag angekündigten Neuregelungen zur Verhinderung rechtswidriger Werkvertragskonstruktionen sowie für die vorgesehenen Einschränkungen im Bereich der Leiharbeit. Darüber hinaus ist aus Sicht des SoVD dringend geboten, befristete Beschäftigung wieder auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes zu beschränken und für geringfügige Beschäftigung bzw. Beschäftigung in der Gleitzone die volle Sozialversicherungspflicht einzuführen. Erst nach Realisierung dieser Maßnahmen kann von einer befriedigenden Regulierung prekärer Beschäftigungsformen gesprochen werden.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
Stellungnahmne: Tarifautonomiestärkungsgesetz [154 KB]