Arzneimittelversorgung
Stellungnahme des SoVD anlässlich einer Anhörung zu Anträgen über wohnortnahe und bedürfnisorientierte Arzneimittelversorgung sowie Zuzahlungen bei Arzneimitteln
Einleitung zu den Anträgen
In seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 (Az.: C-148/15) entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Frage, ob die Festlegung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel in Deutschland mit dem freien Warenverkehr vereinbar sei. Die Richter urteilten, dass die betreffende Regelung, die auch EU-ausländische Versandapotheken zur Einhaltung der Arzneimittelpreisverordnung bei dem Versand an Kunden in Deutschland verpflichtet, eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Warenverkehrs darstelle und damit gegen EU-Recht verstoße. Denn diese Festlegung wirke sich auf in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker aus, sodass der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse. Grundsätzlich könne zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden. Dies konnte nach Auffassung der Richter jedoch nicht nachgewiesen werden, insbesondere nicht, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der Vor-Ort-Apotheken in Deutschland sichergestellt werden könne.
Zu den Anträgen der Fraktion Die Linke
Mit ihrem Antrag „Gute und wohnortnahe Arzneimittelversorgung“ (BT-Drucksache 18/10561) fordern die Antragstellerinnen und Antragsteller der Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der durch Änderung von § 43 AMG den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln verbietet. Sie sehen die inländischen (Versand- und Präsenz-)Apotheken infolge des vorgenannten Urteils des EuGH benachteiligt. Denn während ausländische Versandapotheken nunmehr Rabattmöglichkeiten für das Einlösen von Rezepten anbieten können, ist dies inländischen (Versand- und Präsenz-)Apotheken weiterhin verboten.
In ihrem Antrag „Patientinnen und Patienten entlasten – Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen“ (BT-Drucksache 18/12090) fordern die Antragstellerinnen und Antragsteller der Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Zuzahlungen auf Arzneimittel vollständig abschafft. Durch Zuzahlungen seien kranke Menschen stärker finanziell gefordert, was bei einem geringen Einkommen zu finanzieller Überforderung führen könne. Die Inkaufnahme einer gesundheitlichen Verschlechterung und damit letztendlich Mehrkosten im Gesundheitssystem können die Folge sein.
Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Die Antragstellerinnen und Antragsteller der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag „Arzneimittelversorgung an Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientieren – Heute und in Zukunft“ (BT-Drucksache 18/11607) die Bundesregierung hingegen auf, von einem Verbot des Versandhandels rezeptpflichtiger Arzneimittel Abstand zu nehmen. Stattdessen sei ein Gesetzentwurf vorzulegen, der in der Höhe begrenzte Apothekenabgabepreise von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ermögliche, eine zusätzliche finanzielle Belastung der Patientinnen und Patienten vermeide und die mit dem Urteil des EuGH hervorgerufene Benachteiligung einheimischer Apotheken gegenüber ausländischen Versandapotheken beende. Der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stelle für bestimmte Patientinnen und Patienten einen zwar nur ergänzenden, aber wichtigen Teil der Gesundheitsversorgung dar. Die Entwicklung neuer regionaler Versorgungskonzepte stelle die eigentliche Herausforderung der zukünftigen Arzneimittelversorgung dar. Gemeinsam mit den Ländern und Apothekenkammern solle ein flächendeckendes, regelmäßiges und transparentes Monitoring des Apothekenmarktes und der bedarfsgerechten Arzneimittelversorgung erfolgen. Eine Expertenkommission sei zur Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung einzuberufen, die zeitnah konkrete Handlungsempfehlungen unterbreite, wie das Honorierungs- und Preissystem der Apotheken langfristig weiterentwickelt und mittelfristig die Zuzahlung für Medikamente abgeschafft werden könne. Zu unterbreiten seien auch Empfehlungen, wie flexiblere und bedarfsgerechte Versorgungsangebote in ländlichen und sozial benachteiligten Regionen ermöglicht und Apotheken zu Akteuren in vernetzten, regional abgestimmten Versorgungsmodellen werden können.
SoVD-Gesamtbewertung der Anträge
Patientensicherheit bedeutet auch Versorgungssicherheit. Dafür ist flächendeckend eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige, wohnortnahe und barrierefreie Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Entsprechend muss die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln auch unter Berücksichtigung der jüngsten europäischen Rechtsprechung weiterhin sichergestellt werden. Die aktuelle Debatte sollte aus Sicht des SoVD jedoch dazu genutzt werden, die Gesundheitsversorgung insgesamt „auf den Prüfstand“ zu stellen, sie gemeinsam weiterzuentwickeln und letztendlich – zukunftsorientiert – zu stärken. Fehlversorgung, vor allem in Form der Unterversorgung ländlicher oder strukturschwacher Regionen und der Überversorgung in Ballungszentren, muss beseitigt werden. Der SoVD fordert Lösungsansätze für eine kleinräumige, bedarfsorientierte Planung für eine barrierefreie und damit zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung, die auch regionale Besonderheiten berücksichtigt.
Darüber hinaus setzt sich der SoVD für die sofortige Abschaffung einseitiger Belastungen der Versicherten, wie etwa durch Zuzahlungen bei Arzneimitteln, ein. Ebenso wie der Abbau von Leistungen verschärfen sie die soziale Spaltung und haben in der solidarischen Krankenversicherung keinen Platz.
Versorgungssicherstellung flächendeckend und zukunftsorientiert
Ziel der aktuellen Debatte um ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist die Sicherstellung einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Deutschland. Daran ist den Antragstellerinnen und Antragstellern beider Fraktionen erkennbar gelegen, insbesondere die „Sorge“ um eine bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung in strukturschwachen und ländlichen Regionen. Der SoVD teilt diese Sorge.
Ein generelles Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland stößt jedoch auf Bedenken. Zurecht betonen die Antragstellerinnen und Antragsteller beider Fraktionen, dass Präsenzapotheken einen wichtigen und unverzichtbaren Dienst an der Arzneimittelversorgung - insbesondere durch die Notfall- und Nachtversorgung - leisten, den der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht ersetzen kann. Ergänzend zu der Versorgung durch Präsenzapotheken ist der Bezug von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln allerdings mittlerweile seit 13 Jahren in Deutschland möglich. Viele Patientinnen und Patienten, darunter v. a. chronisch Kranke mit Langzeitmedikation, profitieren von dem Versandhandel und haben ihren Bezugsweg zum Teil seit Jahren bereits umgestellt. Ein Verbot dieses Versorgungswegs würde in erster Linie diesen Personenkreis spürbar treffen. Neben verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken führt ein generelles Versandverbot auch im Hinblick auf die Versorgung mit Spezialmedikationen zu weiteren Versorgungsschwierigkeiten. Darüber hinaus sind für das Ziel, eine bestmögliche und flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherzustellen, alle Akteure zu konstruktiven Lösungsansätzen gehalten, weshalb ein Verbot unter Umständen ein falsches Signal bedeuten könnte.
Der SoVD weist mit Nachdruck darauf hin, dass bereits seit Längerem zum Teil gravierende regionale Unterschiede in der flächendeckenden Arzneimittelversorgung bestehen. Spürbar ist dies insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Regionen. Zu Recht benennen die Antragstellerinnen und Antragsteller der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag die Entwicklungen regionaler Versorgungskonzepte als die eigentlichen Herausforderungen. Doch dies betrifft nicht allein die Versorgung mit Arzneimitteln, sondern die Sicherstellung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung durch Mediziner, Apotheker und andere Gesundheitsberufe insgesamt. Aus diesem Grund sollten aus Sicht des SoVD die Lösungsansätze weiter greifen. Denn die aktuelle Diskussion bietet aus SoVD-Sicht die Gelegenheit, die Gesundheitsversorgung insgesamt „auf den Prüfstand“ zu stellen, grundlegend die Versorgungssicherung im deutschen Gesundheitswesen weiterzuentwickeln und damit zukunftsorientiert zu stärken. Entsprechend fordert der SoVD hierfür die Einberufung einer Expertengruppe, bestehend aus den wesentlichen Akteuren des Gesundheitswesens, insbesondere unter Beteiligung der für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen.
Zuzahlungen umgehend abschaffen
Seit der Einführung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2004 sind von den Versicherten grundlegend gesetzliche Zuzahlungen bei Medikamenten zu leisten, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Sie belaufen sich auf zehn Prozent des Arzneimittelpreises, dabei mindestens fünf und höchstens zehn Euro pro Medikament. Finanzielle Zusatzbelastungen führen aber tendenziell dazu, dass gerade sozial benachteiligte Personengruppen Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Selbst wenn etwaige Sonderregelungen eingreifen, wie beispielsweise die Regelungen zur Belastungsgrenze, so gelten diese teilweise nur rückwirkend und helfen gerade denjenigen nicht weiter, die minimal über der Belastungsgrenze liegen. Doch gerade die Personengruppe weist damit überproportionale Belastungen im Vergleich zu den anderen Versicherten auf. Zudem ist die Steuerungswirkung der Zuzahlungsregelungen höchst umstritten. Aus Sicht des SoVD kommt ihr generell nur eine geringe bis keine steuernde Wirkung zu. Zuzahlungen verschärfen vielmehr die soziale Spaltung und haben in der solidarischen Krankenversicherung keinen Platz. Der SoVD fordert, einseitige Belastungen wie Auf- und Zuzahlungen sowie Wahltarife abzuschaffen, und zwar nicht etwa mittelfristig, sondern sofort.
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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