Altersarmut wirkungsvoll bekämpfen
Die Altersarmut steigt. Dieser besorgniserregende Befund wird durch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigt. Das Bundesamt listet jährlich die Veränderungen bei den Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf. Haben zum 31. Dezember 2003 noch 257 734 über 65-Jährige diese Leistung bezogen, so waren es zum 31. Dezember 2015 bereits 536 121. Damit hat sich die Zahl in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. Mit großer Sorge beobachtet der SoVD diese Entwicklung und die Tatsache, dass Menschen trotz Rente soziale Grundsicherungsleistungen im Alter beziehen müssen und an der Armutsgrenze leben.
Sozialpolitische Situation in der Bundesrepublik Deutschland
Der oben geschilderte negative Prozess ist vor allem der Deregulierungspolitik auf dem Arbeitsmarkt (Stichwort: Hartz-Reformen) und dem Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik (Stichworte: Absenkung des Rentenniveaus; Riester-Rente) zuzuschreiben.
Die Ausweitung des Niedriglohnsektors, der Leiharbeit und prekärer Beschäftigungsvereinbarungen sorgte in den vergangenen Jahren für einen Rückgang des Normalarbeitsverhältnisses und für einen Abbau beitragspflichtiger Arbeit. Die Folgen der Absenkung des Rentenniveaus erhöhen das Risiko, in die Altersarmut abzugleiten, für viele Rentnerinnen und Rentner zusätzlich. Die Entkopplung der jährlichen Rentenanpassungen von der allgemeinen Lohnentwicklung hat seit den einschlägigen Reformen für deutliche Kaufkraftverluste gesorgt. Aufgrund der Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen und weiter verstärken wird. Die Wechselwirkung dieser beiden Reformen sorgt also zusehends dafür, dass bereits heute immer mehr Menschen in der Altersarmut landen und auch zukünftig von dieser bedroht sein werden. Weil eine politische Trendumkehr momentan nicht absehbar ist, liegt der Schluss nahe, dass Altersarmut zukünftig nicht mehr nur eine Randerscheinung bleibt.
Risikogruppen
Häufig sind es insbesondere die Erwerbsbiografien von Frauen, die Lücken aufweisen. Derzeit sind es noch in erster Linie Frauen, die den Großteil der Familienarbeit übernehmen, und das ist neben der Kindererziehung in zunehmendem Maße auch die Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen. Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Jobs sowie in unfreiwilliger Teilzeit und müssen selbst bei gleicher Qualifikation, im Vergleich zu Männern, Gehaltseinbußen hinnehmen.
Neben Frauen sind vor allem Erwerbsgeminderte und Menschen mit Behinderungen von Altersarmut bedroht. In beiden Fällen kommt es oft zu Beitragsausfällen, die sich dauerhaft verfestigen können. Somit bleiben die beruflichen Rückkehrmöglichkeiten beschränkt oder verschlechtern sich eher. Den Betroffenen gelingt es selten, eine Verbesserung ihrer beruflichen Möglichkeiten zu erreichen.
Dies gilt auch bei Langzeitarbeitslosen. Nach Statistiken der Bundesagentur für Arbeit galten im Jahr 2015 etwas mehr als eine Million Menschen beziehungsweise 37 Prozent aller arbeitslos Gemeldeten als Langzeitarbeitslose. Auch bei diesen Menschen kann die anfängliche Abwesenheit vom Arbeitsmarkt zu einem Dauerzustand werden. Infolgedessen sind sie später von Altersarmut betroffen, weil nur niedrige oder keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt wurden.
Schließlich sind noch die sogenannten Solo-Selbstständigen zu nennen. Diese Gruppe bildet den negativen Wandel am Arbeitsmarkt beispielhaft ab. Viele dieser Solo-Selbstständigen arbeiten nur mit Kleinstaufträgen und sind außerdem nicht gesetzlich rentenversichert. Neben den klassischen Selbstständigen, die keine oder nur wenige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet haben, wird diese Gruppe angesichts der digitalen Entwicklung in den nächsten Jahren noch deutlich größer werden.
Das Risiko, im Alter arm zu sein, ist für die genannten Gruppen derzeit sehr hoch.
Für eine wirkungsvolle Bekämpfung von Altersarmut
Der SoVD setzt sich dafür ein, dass Altersarmut als Problem stärker wahrgenommen und diskutiert wird. Mit unseren Vorschlägen und Forderungen zur Bekämpfung von Altersarmut möchten wir dem Gesetzgeber den dringenden Handlungsbedarf aufzeigen und zugleich deutlich machen, dass wirkungsvolle und finanzierbare Lösungen möglich sind. Das möchten wir zudem generationenübergreifend tun, denn Altersarmut fängt jung an. Auch für die Jüngeren ist es deshalb wichtig, dass ihre zukünftige Rente armutssicher, solidarisch und generationengerecht ist.
So können mit folgenden Maßnahmen in der Erwerbsphase die Beitragszahlungen zur Rentenversicherung gestärkt werden:
- dynamisierter Mindestlohn ohne Ausnahmen,
- Ersatz von Minijobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung,
- Regulierung von Leiharbeit und Bekämpfung von Missbrauch bei Werkverträgen,
- Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen,
- Erleichterung und Verlängerung des Bezugs von Arbeitslosengeld I,
- Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen bei Arbeitslosengeld II,
- Einführung einer Erwerbstätigenversicherung,
- Ausbau der Rentenbeiträge für Pflegepersonen,
- vollständige Gleichbehandlung bei der sogenannten Mütterrente,
- stärkere Prävention und Rehabilitation,
- Aufgabe der Kostendeckelung bei den Reha-Ausgaben.
Eine wirksame Bekämpfung von Altersarmut setzt an den Ursachen an. Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes wurde hierzu ein wichtiger Schritt getan. Allerdings sind die immer noch bestehenden Diskriminierungen bei den Löhnen (vor allem für Langzeitarbeitslose) abzuschaffen. Anstelle der zweijährigen sollten jährliche Steigerungen des Mindestlohnes vorgenommen werden. Grundsätzlich muss gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten. Gerade die ausufernden Minijobs als Armutsfalle, vor allem für Frauen, sind durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen.
Des Weiteren ist es notwendig, Leistungen in der Rentenphase auszubauen:
- befristete Verlängerung der Rente nach Mindestentgeltpunkten bis zum Stichtag der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes,
- stufenweise Anhebung des Rentenniveaus.
Die Rente nach Mindestentgeltpunkten ist ein Instrument des sozialen Ausgleichs, mit dem in der Vergangenheit zurückgelegte Zeiten der Niedriglohnbeschäftigung und der Langzeitarbeitslosigkeit aufgewertet werden. Sie kommt Rentnerinnen und Rentnern sowie rentennahen Jahrgängen zugute. Von der Maßnahme würden insbesondere Frauen profitieren, weil sie häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt waren beziehungsweise immer noch sind.
Die Rückkehr zum Ziel der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente ist die zentrale Stellschraube in der Rentenpolitik. Nötig ist die Wiederanhebung des Rentenniveaus. Hierfür sind zunächst höhere Rentenanpassungen erforderlich. Dies gelingt durch die Abschaffung der Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel. Nach der Stabilisierung des Rentenniveaus folgt ein Zuschlag zu den jährlichen Rentenanpassungen, um die bisherigen Niveauverluste schrittweise wieder auszugleichen (Stichwort: umgekehrte Riester-Treppe).
Mit diesen beiden Maßnahmenpaketen kann erreicht werden, dass drohende Altersarmut für viele Menschen abgewendet wird und die Rente auch künftig den Lebensstandard im Alter sichert.
Aus Sicht des SoVD ist es aber auch wichtig, Verbesserungen für diejenigen Rentnerinnen und Rentner zu erreichen, die trotz ihrer Rente auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Bei diesem Personenkreis findet eine volle Anrechnung ihrer Renten der gesetzlichen Rentenversicherung statt, was von den Betroffenen zutreffend als ungerecht empfunden wird. Der SoVD schlägt deshalb die Einführung eines gestaffelten Rentenfreibetrags in der Grundsicherung im Alter vor. Das würde dazu führen, dass jeder noch so geringe Rentenbezug ein Gesamteinkommen oberhalb der Grundsicherungsschwelle ergibt.
Die Finanzierung ist möglich
Zweifellos führen die Vorschläge und Forderungen des SoVD zu erheblichen Mehrausgaben. Diese lassen sich besonders gut an den Zahlen zum Rentenniveau veranschaulichen, weil es dazu belastbare Eckdaten gibt. Neben dem lebensstandardsichernden Rentenniveau von knapp 53 Prozent im Jahr 2000, als Orientierungspunkt für den SoVD, ist das aktuelle Rentenniveau von ungefähr 47,5 Prozent für das Jahr 2016 maßgeblich. Bis 2020 ist ein Niveau von 46 Prozent und bis 2030 ein Niveau von 43 Prozent gesetzlich fixiert. Es soll diese Grenze in den genannten Jahren also nicht unterschreiten.
Im Rentenversicherungsbericht 2015 wird für das Jahr 2029 ein Sicherungsniveau vor Steuern von 44,6 Prozent ausgewiesen. Für das Jahr 2030 gibt es bisher nur einen geschätzten Wert von 44,4 Prozent. Nach einer Faustformel der Deutschen Rentenversicherung führt jede Veränderung des Rentenniveaus um einen Prozentpunkt zu einem 0,5 Prozent höheren beziehungsweise niedrigeren Beitragssatz und kostet etwa 6 Milliarden Euro. Um demnach das Rentenniveau von den prognostizierten 44,4 Prozent im Jahr 2030 wieder auf das heutige Netto-Rentenniveau vor Steuern von 47,5 Prozent anzuheben, wären ungefähr 18 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.
Diese Zahlen verdeutlichen die Größenordnungen und lassen den Wertverfall der Renten erkennen. Aus Sicht des SoVD kann eine derartige Abkopplung der Rentnerinnen und Rentner von der Wohlstandsentwicklung nicht hingenommen werden. Deshalb ist der Gesetzgeber aufgefordert, die Finanzierung der gesetzlichen Rente nicht einseitig, sondern sozial gerecht zu gestalten.
Die Vorschläge und Forderungen des SoVD führen auch zu Mehreinnahmen in der Rentenversicherung. Diese ergeben sich unter anderem mit der Einführung einer Erwerbstätigenversicherung, mit dem Ausbau des gesetzlichen Mindestlohnes und mit der Schaffung von regulären Beschäftigungsverhältnissen. Mehreinnahmen ließen sich auch durch eine Erhöhung des allgemeinen Bundeszuschusses erzeugen. Dieser sollte in seiner Höhe so bemessen sein, dass er zumindest die beitragsungedeckten Leistungen abdeckt.
Die Finanzierung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgaben ist vollständig aus Steuermitteln zu erbringen. Zuletzt dürfte auch eine Erhöhung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht grundsätzlich tabuisiert werden, um die notwendigen Maßnahmen finanzieren zu können.
Der SoVD bleibt dran
Der SoVD hat sich bereits in der Vergangenheit intensiv mit dem Thema Altersarmut befasst und es somit frühzeitig auf die politische Agenda gesetzt. Nur wenige sozialpolitische Themen sind mit so viel gesellschaftlicher Sprengkraft versehen und fordern den sozialen Frieden heraus. Vor diesem Hintergrund fordert der SoVD eine klare Kurskorrektur und wirkungsvolle Programme, um dem drohenden Anstieg der Altersarmut bereits heute entschieden zu begegnen.
Nach dem Dafürhalten des SoVD sind durchgreifende Leistungsverbesserungen unverzichtbar und auch finanzierbar. Insgesamt lassen sich nur auf diese Weise das Vertrauen und die Akzeptanz der Versicherten sowie der Rentnerinnen und Rentner in die gesetzliche Rentenversicherung dauerhaft stärken.