Neues Vormundschafts-und Betreuungsrecht
Nach langen Beratungen und mehrjähriger Vorarbeit haben im März 2021 erst der Bundestag und anschließend der Bundesrat die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts verabschiedet. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Dem Gesetzgebungsprozess ging ein Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sowie ein intensiver Beteiligungsprozess voraus. Das Forschungsvorhaben beleuchtete die „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ und die Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“. Die Ergebnisse haben erheblichen Änderungsbedarf aufgezeigt, der notwendig ist, um das umfassende Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu erfüllen.
Ziel der Reform: Mehr Selbstbestimmung
Das Betreuungsrecht ist gedacht als Instrument der Unterstützung für hilfebedürftige Erwachsene, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung ihre rechtlichen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht (mehr) selbst besorgen können.
Die Reform soll gemäß den Vorgaben von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen deutlicher im Betreuungsrecht absichern. So heißt es in der Gesetzesbegründung auf Seite 250: „Das Bestreben einer besseren gesetzlichen Verankerung des Selbstbestimmungsrechts war ein wesentlicher Motor der Reformüberlegungen (…)“. Das heißt, künftig gilt der Grundsatz „Unterstützen vor Vertreten“. Die rechtliche Betreuung soll in erster Linie die Betreuten bei der Besorgung ihrer Angelegenheiten durch eigenes, selbstbestimmtes Handeln unterstützen. Die Stellvertretung darf nur dann als Mittel eingesetzt werden, wenn es zum Schutz der betroffenen Person notwendig ist.
Dabei geht es um den Vorrang der Wünsche der*des Betreuten. Das gilt für das Handeln der Betreuer*innen, für deren Eignung wie auch für die gerichtliche Aufsicht darüber. Dies wird im Betreuungsrecht als zentraler Maßstab normiert.
Wichtig ist auch, dass es eine Betreuung in allen Angelegenheiten künftig nicht mehr geben wird. Die Gerichte müssen die Aufgabenbereiche ausdrücklich anordnen. Das sind zum Beispiel Gesundheitsangelegenheiten (Behandlungsinhalte), das Aufenthaltsbestimmungsrecht (Wohnort), Behörden- (Beantragungen) oder Vertragsangelegenheiten (Post, Telekom, Miete).
Was wurde im Einzelnen neu geregelt?
Betreuer*in-Bestellung: Die Wünsche der*des Betreuten sollen Richtschnur bei der Bestellung und insbesondere auch Auswahl der Betreuer*innen sein. Die Aufgabenbereiche muss das Betreuungsgericht klar anordnen. Eine Betreuung in allen Angelegenheiten ist nicht mehr zulässig. Denn es entspricht dem Erforderlichkeitsgrundsatz, für jeden Aufgabenbereich einzeln zu prüfen, ob eine Betreuung dort tatsächlich notwendig ist.Außerdem ist ein Kennenlernen der*des Betreuten mit dem*der Betreuer*in vorgesehen. Auf Wunsch der*des Betreuten kann auch ein Betreuungsverein bestellt werden.
Stärkung der ehrenamtlichen Betreuung: Das neue Betreuungsrecht ist geprägt vom Leitbild der Ehrenamtlichkeit der gesetzlichen Betreuung. Das heißt, dass eine ehrenamtliche Betreuung Vorrang vor einer beruflichen hat. Das Ehrenamt können Familienangehörige übernehmen, Personen mit einer familiären Beziehung oder persönlichen Bindung, aber auch andere Personen, sogenannte „ehrenamtliche Fremdbetreuer“. Gerade für die zuletzt genannte Gruppe ist eine enge Anbindung an einen Betreuungsverein oder an die zuständige Behörde eine Voraussetzung, um die Qualität sicherzustellen. Allerdings sieht der SoVD diese Zweiteilung eher kritisch. Eine Anbindung an einen solchen Verein ist für alle Betreuungen wünschenswert.
Pflichten und Rechte der*des Betreuers*in: Um die Wünsche der Betreuten erfüllen zu können, ist es Pflicht ihrer Betreuenden, persönlichen Kontakt zu halten. Sie müssen außerdem regelmäßig Berichte verfassen: einen Anfangsbericht und Jahresberichte. Den Jahresbericht sollen sie – sofern gesundheitlich nichts dagegen spricht – mit dem*der Betreuten besprechen.Für ehrenamtlich Betreuende, die gleichzeitig auch Angehörige sind, entfällt diePflicht, einen Anfangsbericht zu schreiben;es soll aber die Möglichkeit eines Anfangsgesprächs geben.
Gesetzgeber griff Kritik auf
Im Gesetzgebungsverfahren sind weitere Änderungen eingebracht worden, für die sich unter anderem der SoVD starkgemacht hat.
Sterilisationsregelung: Längst überfällig war, dass im neuen Betreuungsrecht die Sterilisationsregelung geändert wurde. Dazu heißt es im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen: „Es reicht zukünftig nicht mehr aus, dass eine betreute Person der Sterilisation lediglich nicht widerspricht. (…) Eine Einwilligung des Sterilisationsbetreuers kommt also nur dann in Betracht, wenn die betreute Person zwar nicht einwilligungsfähig ist, aber mit natürlichem Willen dem Eingriff zustimmt.“
Prozessfähigkeit: Die Prozessfähigkeit wird sich zukünftig nach den allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung richten. Damit kommt es zu einer Abkehr von dem bisherigen Grundsatz, sodass die Betreuer*innen-Bestellung als solche keinen Einfluss mehr auf die Prozessfähigkeit der*des Betreuten hat.Außerdem können Schriftstücke der prozessfähigen, rechtlich betreuten Person zugestellt werden und nicht nur dem*der Betreuer*in. Des Weiteren besteht die Möglichkeit einer Ausschließlichkeitserklärung. Demnach kann der*die Betreuer*in in jeder Lage des Verfahrens gegenüber dem Prozessgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären, dass den Rechtsstreit ausschließlich er*sie führt. Dies sollte zumindest einer zeitnahen Evaluierung unterliegen, damit der Fortschritt nicht durch die Hintertür wieder rückgängig gemacht werden kann.
Unabhängige Beratungs-, Beschwerde- und Anlaufstellen: Mit dem Gesetz ist eine Absichtserklärung zur Einrichtung von unabhängigen Beratungs-, Beschwerde-und Anlaufstellen vorgesehen. Das ist richtig und wichtig für die Qualität von Betreuungen. Denn die betreuten Menschen müssen Zugang zu barrierefreien, niedrigschwelligen, gut erreichbaren und unabhängigen Beschwerdestellen – außerhalb des gerichtlichen Verfahrens – haben.
Ehegattenvertretungsrecht: Eine aus SoVD-Sicht eher kritische Veränderung im Gesetzgebungsprozess betrifft das Ehegattenvertretungsrecht. Dieses besagt, dass sich Eheleute im Krankheitsfall gegenseitig für sechs Monate in gesundheitlichen Angelegenheiten vertreten können, wenn dies der*die kranke Ehepartner*in nicht selbst kann.
Das schwächt nach Meinung des Verbandes das Recht auf Selbstbestimmung der Ehegatt*innen. Das steht dem Ziel der Reform entgegen. Wichtig wird es zukünftig sein, darüber aufzuklären, dass es dieses Vertretungsrecht durch Ehepartner*innen nun gibt und was das bedeutet.
Was sagt der SoVD zur Reform des Betreuungsrechts?
Der SoVD hat sich von Beginn an intensiv an den Beratungen über eine Reform des Betreuungsrechts beteiligt und diese auch lange gefordert. Daher begrüßt der Verband die Reform ausdrücklich als einen wichtigen Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung.
Im Gesetzgebungsverfahren sind noch wichtige Änderungen hineinverhandelt worden, auf die der SoVD in seiner Stellungnahme vom September 2020 aufmerksam gemacht hatte.
An einigen Stellen sieht der SoVD nach wie vor Nachbesserungsbedarf. Dies betrifft beispielsweise die barrierefreie Kommunikation, die noch nicht in allen Bereichen ausreichend verankert ist, das Ehegattenvertretungsrecht, die Ausschließlichkeitserklärung bei Rechtsstreitigkeiten und die Zweiteilung in der Anbindung an Betreuungsvereine. Aber auch bei der unterstützenden Entscheidungsfindung müssen wir weiterkommen. Es ist daher gut, dass das Bundesjustizministerium den Prozess der Weiterentwicklung konstruktiv begleiten möchte. Dies ist entscheidend, um hin zu einer unterstützenden Entscheidungsfindung und weg von einem stellvertretenden und ersetzenden Handeln der*des Betreuenden zu kommen.
Wo gibt es noch weitere Informationen dazu?
Weitere Informationen zum Betreuungsrecht finden Sie unter anderem in einer Broschüre des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz oder bei der Lebenshilfe e.V.
Vorsorgevollmacht? Patientenverfügung?
Um Ihr Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen, können Sie eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung verfassen, bevor eine Situation eintritt, in der Sie sich nicht mehr selbst verständlich machen und Entscheidungen treffen können.Andernfalls bestellt ein Gericht eine Betreuung.
Haben Sie bereits eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung erstellt? Hier finden Sie weitere Informationen dazu:
www.sovd.de/sozialberatung/beratung-patientenverfuegung-vorsorgevollmacht
Einzelne Landesverbände des SoVD beraten Sie dazu auch gerne. Hier finden Sie weitere Informationen des SoVD Hamburg:
www.sovd-hh.de/sozialberatung-hamburg/patientenverfuegung-vorsorgevollmacht/