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News & Service

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Koalitions­vertrag: Hoffnung und Leer­stellen

Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde,

der Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen steht. Wir haben wichtige sozialpolitische Eckdaten zusammengetragen und aus sozialpolitischer Sicht für Sie eingeordnet. Fakt ist: Der Koalitionsvertrag enthält zu wenig Sozialpolitik! Zum einen wird den Themen Wirtschaft, Verkehr, Finanzen und Verwaltung breite Aufmerksamkeit geschenkt. Dem könnte ich durchaus folgen, wenn das auch für Themen wie Armut, Sozialpolitik und Senioren:innen gelten würde. Hier bleibt der Vertrag an vielen Stellen für meinen Geschmack viel zu verhalten.

Wenig Erhellendes habe ich auch über den neuen Zuschnitt der Behörden gefunden. Vor allem um das Ressort Arbeit, das wieder unter das Dach der Wirtschaftsbehörde zurückkehrt, mache ich mir Sorgen. Dort könnte es möglicherweise nicht die notwendige Beachtung finden. Ich erinnere daran, dass die Zusammenführung von Wirtschaft und Arbeit schon in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, auch wenn die politische Konstellation eine andere war als heute.

Die Koalitionäre haben es in ihrem Vertrag versprochen: Alle sollen sich das Leben in Hamburg auch leisten können. Ein Ziel, an dem auch der SoVD Hamburg jeden Tag arbeitet. Mit Blick auf die vergangenen Jahre stelle ich aber fest, dass die Zahl der in Armut lebenden Menschen auch in wirtschaftlich guten Zeiten in Hamburg kontinuierlich angestiegen ist. Wie der Senat angesichts dieser Entwicklung dieses Ziel realisieren will, bleibt nebulös – an keiner Stelle erwähnt der Koalitionsvertrag eine direkte Zuwendung für betroffene Bürger:innen der Stadt.

Hier muss unbedingt und sehr schnell nachgesteuert werden. Armut ist ein Thema mit großer sozialer Sprengkraft. Wie wir damit umgehen, entscheidet mit über den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Parteien, die als gesichert rechtsextrem eingestuft sind, die soziale Schieflage weiter zunutze machen und sich zu Rettern vor Armut aufschwingen, was sie definitiv nicht sind. Menschen vor dem gesellschaftlichen Abstieg zu bewahren, ist auch ein Garant für die Sicherung unserer gesellschaftlichen Werte! Dafür brauchen wir mehr Fakten. Lebenslagenberichte reichen nicht aus, um die Spaltung der Gesellschaft sowie den daraus abzuleitenden Handlungsbedarf zu dokumentieren. Es bedarf eines Armuts- und Reichtumsberichts.

Ihr Klaus Wicher 

Kinder und Jugendliche

Der Hamburger SoVD begrüßt, dass sich die Koalition zum Ziel gesetzt hat: „…Kinderarmut gezielt zu bekämpfen und die Entwicklungschancen aller Kinder zu fördern und zu verbessern.“ Sie will Familien finanziell entlasten und Kindern unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern ein breites Angebot in den Bereichen Bildung, Kultur und Sport ermöglichen. Weiterhin soll am kostenlosen Mittagessen in den Kitas und dem beitragsfreien Betreuungsangebot in Kitas, Schulen und der Kindertagespflege festgehalten werden.

Doch das wird nicht reichen. Für eine stabile Persönlichkeitsentwicklung und mehr Chancengleichheit empfehlen wir der Stadt, mehr multiprofessionelle Teams aufzubauen, zu fördern und weiterzuentwickeln. Das gilt vor allem für die Schulsozialarbeit, die richtigerweise bereits begonnen wurde.

Um allen jungen Menschen die gleichen Bedingungen und umfassende soziale Teilhabe zu ermöglichen, sollte die Stadt ein eigenes Hamburger Familiengeld zahlen. Dies fordert der SoVD schon seit längerer Zeit.

Wohnungsbau

In der Analyse zum Wohnungsbau und der Sicherung bezahlbarer Mieten stimmt der SoVD Hamburg mit dem neuen Senat überein. Dies gilt auch für die Vorschläge zu einer Entspannung der Wohnungsnot. Richtig ist, dass hierfür Baustandards gesenkt, sowie Genehmigungsverfahren verschlankt und von bürokratischem Ballast befreit werden müssen, damit mehr kostengünstiges  Bauen möglich wird. Zu wenig ambitioniert ist allerdings das Ziel von 3.000 neuen Einheiten pro Jahr im sozialen Wohnungsbau. Hier bedarf es einer weiteren Aufstockung der Mittel.

Für vordringlich Wohnungssuchende, einschließlich Menschen ohne Wohnung, in prekären Wohnverhältnissen sowie größere Familien und für junge Menschen soll verstärkt neuer Wohnungsbau angegangen werden. Dazu soll neben der SAGA auch Pflegen & Wohnen die Bautätigkeit aufnehmen. Wie das geschehen soll, bleibt leider weitgehend vage.

Eine große Unterstützungsleistung liefern die Fachstellen für Wohnungsnotfälle, die unbedingt personelle Verstärkung brauchen – eine Forderung des SoVD, die schon lange überfällig ist. 

Digitalisierung

Die Wartezeiten bei den Genehmigungsverfahren bei Behörden sind zu lang. Darum ist das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel, die öffentliche Verwaltung zu einem lösungsorientierten Partner für die Bürger: innen zu machen, richtig. Allerdings bleibt unklar, wie dies genau erfolgen soll. Verstärkt auf digitale Angebote zu setzen, ist zudem nicht für alle der richtige Weg. Um diese „digitale Beschleunigungsoffensive“ auf die Spur zu bringen, muss der Senat stärker öffentlich dafür werben und den Bürger:innen die Vorteile erklären, ansonsten wird ein Teil der Bevölkerung kein Verständnis dafür aufbringen, geschweige daran teilhaben wollen bzw. können.

Ein im Koalitionsvertrag beschriebenes neues Zentrum für Teilhabe kann ein richtiger Weg sein, um Leistungen für behinderte Menschen zu bündeln. Auch soll geprüft werden, ob Leistungen für Familien aus einer Hand erfolgen können. Diese neuen Denkansätze unterstützen wir.

Arbeit

Offenbar setzt der Senat vor allem auf das Instrument der Lohnkostenzuschüsse nach § 16i SGB II, wenn es darum geht, langzeitarbeitslose Menschen wieder fit für den Ersten Arbeitsmarkt zu machen. Angesichts der hohen Zahl an Betroffenen erscheint dieser Plan als enttäuschend und geradezu weltfremd. Das haben die Misserfolge in der Vergangenheit eindrücklich bestätigt. Diese Maßnahme ist problematisch und könnte zu einem Tiefpunkt in der Arbeitsmarktpolitik Hamburgs werden!

Zukünftig ist der Bereich Arbeit in die Wirtschaftsbehörde eingegliedert. Es besteht jetzt die große Gefahr, dass Arbeitsmarktpolitik zugunsten wirtschaftlicher Interessen das Nachsehen hat.

Der SoVD begrüßt, dass der Senat gemeinsam mit Betroffenen und Verbänden für Menschen mit Behinderung bis 2030 eine Strategie für einen inklusiven Arbeitsmarkt erarbeiten will. Wicher fordert, dass der SoVD, als einer der großen Betroffenenverbände, angemessen beteiligt wird! Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen sollen laut Koalitionsvertrag unbürokratisch und schnell zu ihrem Geld kommen. Leider ist dies nur ein Prüfauftrag und damit eine Absichtserklärung – aber auch nicht mehr.

Vage bleibt der Vertrag auch dazu, wie Sozialkaufhäuser und andere soziale Einrichtungen in den Bezirken finanziert werden sollen. Ohne eine verlässliche Perspektive für eine nachhaltige Finanzierung, ist für viele Einrichtungen eine verlässliche Arbeit nicht möglich.

Gleichstellung

Wie die Gleichstellung, insbesondere von Frauen, vorangebracht werden soll, bleibt im Vertrag recht ungewiss. Immerhin führt der Senat als Orientierung das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm (GPR) mit seinem Maßnahmenplan an. Konkreter wird der Koalitionsvertrag beim Schutz von Frauen gegen Gewalt. Hier wird stärker auf Prävention gesetzt, unter anderem auf Nachbarschaftsprojekte, wie Stadtteile ohne Partnergewalt (StoP), die zukünftig verlässlich finanziert werden sollen.

Der Ansatz der Hilfe über Schutzwohnungen wird ausgebaut, mit denen Frauen und ihren Kindern ein sicherer Start in ein gewaltfreies Leben ermöglichen werden kann. Wie viele Einheiten hierfür neu entstehen sollen, wird leider nicht konkret benannt.

Gesundheit

Für den ambulanten Bereich in der Medizinversorgung will die Stadt eine kleinräumige Bedarfsplanung auflegen. Dies ist ein Fortschritt, wenn auch nur ein kleiner. Immerhin ist die Politik offenbar auf diese langjährige SoVD-Forderung nach einer gleichwertigen Gesundheitsversorgung in den Stadtteilen eingegangen und hat sie im Vertrag formuliert. Dennoch läuft der Senat den sich abzeichnenden Veränderungen in dem städtischen Gesundheitsangebot hinterher: Patient:innen klagen über lange Wartezeiten, die Arztsuche gestaltet sich wegen der Aufnahmestopps in Praxen als sehr schwierig. Die Hamburger Koalition ignoriert außerdem, dass ca. 40 Prozent der Praxisärzt:innen älter als 60 Jahre sind und in absehbarer Zeit in Rente gehen werden. Hier bauen sich bereits jetzt Problemlagen insbesondere für Kassenpatient:innen auf. Im Koalitionsvertrag wird nicht deutlich, wie der Senat erreichen will, dass insbesondere Haus-, Frauen und Kinderärzt:innen in allen Bezirken für die Menschen wohnortnah erreichbar sind.

Der SoVD begrüßt, dass die Hamburger Clearingstelle, an die sich Menschen ohne oder mit unzureichendem Krankenversicherungsschutz auch anonym wenden können, auskömmlich und zukunftsorientiert finanziert werden soll.

Age friendly city

Hamburg ist seit diesem Jahr Mitglied im WHO-Netzwerk der altersfreundlichen Städte (Age-friendly Cities) - das begrüßt der SoVD. Allerdings hält sich der Senat bei Aussagen zur Umsetzung bedeckt. Es gibt kein eigenes Budget, wie dieses Ziel erreicht werden soll, verschweigt der Vertrag. Der Hamburger SoVD fordert für den Aufbau von neuer Infrastruktur für Senior:innen einen eigenen Etat.

Wie älteren Menschen ein eigenverantwortliches und selbständiges Leben möglichst lange in ihrem Quartier ermöglicht werden könnte, zeigt das Beispiel München, das schon seit vielen Jahren in eigenen Zentren sehr erfolgreich Senior:innenarbeit macht. Dieses Vorbild ließe sich auch für Hamburg anwenden. Den Anfang könnten Modellprojekte in jedem Bezirk machen, um die Wirksamkeit nachzuweisen. Leider hält die Politik aber an den bestehenden, eher überholten Angeboten in der Stadt fest und will diese sogar ausbauen. Der SoVD ist von diesem Konzept nicht überzeugt.

Senior:innen wird in dem neuen Regierungsvertrag eine vergünstigte ÖPNV-Nutzung versprochen. Offen bleibt, wann und in welcher Höhe dies erfolgen wird. Der SoVD Hamburg erwartet eine schnelle Konkretisierung und ein Angebot, das bedarfsgerecht auf die Älteren zugeschnitten ist.

Pflege

Unsere langjährige Forderung nach dem Rückkauf der Einrichtungen von Pflegen & Wohnen, ist umgesetzt worden! Eine kluge Entscheidung des Senats, der damit direkten Einfluss auf die Qualität der stationären Pflege nehmen kann. Auch die Flexibilisierung der Fachkraftquote in der stationären Pflege durch neue Zielwerte, begrüßt der SoVD ausdrücklich. Diese Regelung muss aber zeitlich befristet sein, damit der allgemeine Standard in der Pflege weiterhin auf einem hohen Niveau bleibt.

Das Bekenntnis der Stadt zur Weiterentwicklung und Stabilisierung der Wohn-Pflege-Aufsicht ist eine gute und verantwortungsvolle Entscheidung, denn die Kontrolle und Qualitätsprüfung der Pflegeangebote und -einrichtungen muss bei der Wohn-Pflege-Aufsicht verbleiben.

SoVD Sozialverband Deutschland e.V., Landesverband Hamburg
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